Emissionshandel - wirkungsloser Aktionismus

Zur EU-Richtlinie zum Emissionshandel vom Dezember 2002

von Jürgen Grahl

Vorbemerkung: Dass wir uns im folgenden Artikel auf eine Diskussion
über die EU-Richtlinie zum Emissionshandel (Beschluss der
Kommission vom 11.12.2002) einlassen, soll nicht den Eindruck
erwecken, der Solarenergie-Förderverein würde den Emissionshandel
doch noch als sinnvoll akzeptieren, wenn erst einmal gewisse
Schwachstellen und Missstände beseitigt seien. Wir halten das
System des Emissionshandels vielmehr bereits im Prinzip für
ineffizient, untauglich und verfehlt, aus den in mehreren früheren
Artikeln (siehe z.B. Solarbrief 3/02, Seite 112) detailliert
erläuterten Gründen. Auch erheben die folgenden Ausführungen
keinesfalls den Anspruch einer vollständigen und erschöpfenden
Kritik am Beschluss der EU-Kommission, sondern sind lediglich als
Kommentar zu einigen wesentlichen Punkten zu verstehen.

Punkt 1:
Der Sanktionsmechanismus, der die Einhaltung der
festgelegten Emissionsbudgets sicherstellen soll, enthält
Hintertürchen, die seine Wirksamkeit vollends unterminieren
könnten:

Nach der Nennung der bei Nichteinhaltung zu zahlenden Strafe in
Punkt 17 der Begründung heißt es: "Anstatt die Höhe der Strafe für
jede Tonne, die über das zulässige Maß hinaus emittiert wurde,
festzulegen, wenden die Mitgliedstaaten bei Verstößen gegen die
Richtlinie Sanktionen an, die effektiv, verhältnismäßig und
abschreckend sind." Mit dieser vagen Formulierung ist der
Verwässerung des Sanktionsmechanismus durch die Einzelstaaten Tür
und Tor geöffnet. (Hierbei ist zu beachten, dass der
Emissionshandel mit einem lückenlosen Funktionieren der
Emissionskontrolle und der Sanktionsmechanismen steht und fällt, so
dass bereits ein einzelnes Land, das sich für ein Unterlaufen der
Reduktionsziele hergibt, das gesamte System gefährden kann. Wie
"groß" die Macht der EU-Kommission ist, derartige
Pflichtverletzungen der Einzelstaaten zu unterbinden, dafür liefert
die wiederholte Überschreitung der 3,0%-Defizitgrenze durch
Deutschland ein trauriges Anschauungsbeispiel.)

Unter Punkt 3.1 der Begründung zur Richtlinie findet man konkrete
Aussagen zu der Höhe der Sanktionen. Im ursprünglichen Entwurf der
Richtlinie vom 23.10.2001 war eine Sanktionszahlung von 100 Euro
pro Tonne CO2, MINDESTENS ABER DEM DOPPELTEN DES MARKTPREISES
beabsichtigt. Durch einen von der Kommission akzeptierten
Änderungsantrag wurde dieser Wert auf einheitliche 100 Euro pro
Tonne gesenkt, der Zusatz betreffend das Doppelte des Marktpreises
also gestrichen. Dies bedeutet, dass auch der Preis für
Emissionszertifikate nicht über 100 Euro pro Tonne steigen kann, da
jenseits dieser Schwelle die Nachfrage nach Zertifikaten wegbricht:
Es ist dann billiger, die Strafe zu bezahlen als
Emissionszertifikate zu kaufen. Nach der ursprünglich
vorgeschlagenen Regelung hingegen wäre durch den Faktor 2 zwischen
Sanktionshöhe und Marktpreis sichergestellt gewesen, dass eine
nicht durch entsprechende Zertifikate gedeckte Emission stets
wirtschaftlich unrentabel gegenüber dem Zukauf von Zertifikaten
gewesen wäre. Der Verzicht auf diese Bestimmung schmälert die
ohnehin fragliche Wirksamkeit des Sanktionsmechanismus weiter.

Punkt 2
Da sowohl natürliche als auch juristische Personen mit
Berechtigungen handeln können, werden Spekulationen leicht
gemacht!

Nach Punkt 15 der Richtlinienbegründung kann jede natürlich oder
juristische Person mit Konto in den "nationalen Verzeichnissen"
mit Berechtigungen handeln. Das ermöglicht Spekulationen mit den
Emissionszertifikaten - mit all den destabilisierenden Folgen, die
wir von der Spekulation auf den Finanzmärkten mit Aktien, Devisen
und Optionen kennen Ý(wobei die Spekulation mit Emissionsrechten,
d.h. letztlich mit Energie, dem Lebenssaft der Volkswirtschaften,
noch unmittelbarere und verheerendere Konsequenzen für die
Realökonomie haben dürfte als die Spekulation auf den
Finanzmärkten).

Punkt 3
Die Richtlinie bietet keinen Anreiz zu Emissionsminderungen, die
über die völlig unzureichenden internationalen
Kyoto-Verpflichtungen hinausgehen.

In Punkt 13 heißt es: "Die Gesamtmenge von Berechtigungen gemäß der
Richtlinie soll im wesentlichen der Verantwortung der
Mitgliedstaaten überlassen bleiben." Das verführt die Einzelstaaten
dazu, die Gesamtbudgets der eigenen Industrie zuliebe so hoch wie
nur möglich anzusetzen. Einzige Obergrenze werden die international
(etwa in Kyoto) eingegangenen Verpflichtungen sein, die bekanntlich
völlig unzureichend sind.  Jeder Anreiz zu ambitionierteren
Vorgaben entfällt - im Gegenteil: Sie würden eine Bestrafung der
heimischen Wirtschaft bedeuten! (siehe hierzu Behauptung 6 des
nachfolgenden Artikels "Weitere Fehleinschätzungen zum
Emissionshandel") Wie Hermann Scheer festgestellt hat: Der
Emissionshandel scheitert an der Prämisse, Klimaschutz sei
wirtschaftliche Last, die es geschickt zu verteilen gelte.

Punkt 4
Einige Formulierungen in der Richtlinie sind ethisch untragbar.

Im Artikel 10 "Zuteilungsmethode" des Richtlinienbeschlusses steht:
"Für den am 1. Januar 2005 beginnenden Dreijahreszeitraum teilen
die Mitgliedsstaaten die Berechtigungen kostenlos zu." Das halten
wir für ethisch untragbar, nicht zuletzt aufgrund der Symbolkraft
dieses Verhaltens: Die Unternehmen bekommen die Rechte zur
Umweltzerstörung auch noch umsonst! Ebenso zynisch folgende Passage
unter Punkt 13 der Begründung: "Es erhebt sich die Frage, ob andere
Personen, beispielsweise Umweltschutz-
Nichtregierungsorganisationen, in der Lage sein sollten,
Berechtigungen zu erwerben und sie dann aufzuheben, was zu einer
Verknappung der Berechtigungen führt; dieses Recht ist bereits im
Entwurf für das Kyoto-Protokoll vorgesehen." Im Klartext heißt das:
Die Umweltverbände sollen - wenn ihnen der Schutz des Klimas so
wichtig ist - Unsummen auf den Tisch blättern, damit ein paar
Tonnen weniger emittiert werden; es sollen nicht mehr die
Umweltzerstörer für die angerichteten Schäden zahlen, sondern die
Opfer für das Unterlassen der Zerstörung. Vergleichen lässt sich
diese groteske Regelung hinsichtlich ihres ethischen Niveaus
eigentlich nur noch mit den von der Mafia eingeforderten
Schutzgeldzahlungen.

Punkt 5
Der Emissionshandel droht zum Totengräber der ökologischen
Steuerreform zu werden.

Der Emissionshandel ist auch in Umweltkreisen oftmals mit der
Begründung verteidigt worden, er könne eine sinnvolle ERGÄNZUNG zur
ökologischen Steuerreform sein; die Befürchtungen des SFV, es ginge
in Wirklichkeit um deren ERSATZ, wurden immer wieder als
übertrieben abgetan. An recht unscheinbarer Stelle hat nun die
EU-Kommission höchstselbst die Katze aus dem Sack gelassen: Sie hat
einen Änderungsantrag zum Richtlinienentwurf abgelehnt, der
explizit klarstellen sollte, dass der Emissionshandel nicht die
Energiebesteuerung ersetzen darf. Zudem heißt es unter Punkt 7 der
Begründung zum Zusammenwirken des Emissionshandels mit
Energiesteuern: "Der gleichzeitige Einsatz beider Instrumente kann
sich nachteilig auf die Wettbewerbsfähigkeit auswirken, wenn sie
zur selben Zeit im gleichen Sektor eingesetzt werden. [...] wäre es
jedoch zweckmäßig, bei Tätigkeiten, die unter das System für den
Handel mit Treibhausgasemissionen in der Gemeinschaft fallen, die
Höhe der auf das gleiche Ziel gerichteten Besteuerung zu
berücksichtigen." Dies lässt große Zweifel aufkommen an den
Beschwichtigungen, der Emissionshandel solle die Energiebesteuerung
nur ergänzen, nicht ersetzen, und bestätigt unsere Sorge, dass der
Emissionshandel die Durchsetzung bzw.  Fortführung der ökologischen
Steuerreform erschwert oder gar verunmöglicht.

Punkt 6
Die Annahme, in der Richtlinie gehe es lediglich um einen
europaweiten, von den Schlupflöchern des Kyoto-Protokolls nicht
tangierten Emissionshandel, entspricht nicht den Tatsachen.

Einer unserer Hauptkritikpunkte am Emissionshandel ist die
praktische Undurchführbarkeit einer wirksamen und lückenlosen
Emissionskontrolle im weltweiten Rahmen. Hiergegen wurde mitunter
eingewandt, bei der EU-Richtlinie zum Emissionshandel gehe es gar
nicht um einen weltweiten Handel auf der Ebene von Staaten, sondern
lediglich um einen europaweiten Handel zwischen einer
überschaubaren und daher relativ leicht kontrollierbaren Zahl von
Akteuren. Tatsächlich versteht sich die EU-Richtlinie jedoch sehr
wohl explizit als Vorstufe zum globalen Emissionshandel. In der
Begründung zum Richtlinienbeschluss (Punkt 20) findet sich folgende
Formulierung: "Das Handelssystem wurde so konzipiert, dass es mit
dem internationalen Emissionshandel kompatibel ist, der von den in
Anhang B des Kyoto-Protokolls genannten Vertragsparteien aufgebaut
werden soll [...]".

Die Integration eines europaweiten Emissionshandels in den des
Kyoto-Protokolls zieht aber auch die Infektion mit den unter der
euphemistischen Bezeichnung "Clean-Development-Mechanismen"
bekannten Schlupflöchern des Kyoto-Protokolls nach sich, die
Hermann Scheer treffend so charakterisiert hat: "Da soll noch jeder
ganz natürlich wachsende Strauch als CO2-Absorber kalkuliert
werden, um einen Bonus Ýfür weitere Emissionen herauszuholen." Auch
für diese "Clean-Development"-MechanismenÝbezieht die Richtlinie
klar Stellung; unter Punkt 22 der Begründung heißt es: "Die
Kommission hält die Einbeziehung derartiger Emissionsgutschriften
letztendlich für wünschenswert [...]".

Aus diesen Gründen hat es unserer Ansicht nach keinen Sinn,
zwischen "gutem" (angeblich funktionierendem europaweitem) und
"schlechtem" bzw. problematischem (weltweitem) Emissionshandel zu
unterscheiden.

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Weitere Fehleinschätzungen zum Emissionshandel

Behauptung 1:
Da der Emissionshandel ohnehin nicht mehr aufzuhalten ist, sollten
wir uns um eine gerechte Ausgestaltung und ein Schließen möglichst
vieler Schlupflöcher bemühen.

Natürlich ist es richtig, dass sich der Emissionshandel EU-weit
nicht mehr aufhalten lässt. Darauf Ýsollten wir unsere Energie auch
nicht verschwenden - ebenso wenig wie auf seine Forcierung;
vielmehr sollten wir uns darauf konzentrieren, die wirklich
wirksamen Instrumente politisch voranzubringen, allen voran die
kostendeckende Vergütung für erneuerbare Energien (möglichst
europaweit!) und die ökologische Steuerreform. Unser vehementes
Eintreten gegen den Emissionshandel resultiert letztendlich aus der
Sorge, dass ihm die Durchsetzung dieser zentralen Instrumente zum
Opfer fallen könnte. Darüber hinaus liegt es auf der Hand, warum
der Emissionshandel derzeit leichter politisch durchsetzbar
erscheint als die ökologische Steuerreform: Die Wirtschaft freundet
sich eher damit an, da sie auf seine Ineffektivität hofft. Wir
sollten die Widerstände gegen den ökologischen Umbau überwinden,
indem wir uns darauf konzentrieren, die "ökologische" Steuerreform
in der Öffentlichkeit besser zu vermitteln, insbesondere ihre
ökonomischen und sozialpolitischen Chancen und ihre zentrale
Notwendigkeit für die Überwindung der Arbeitsmarktkrise.

Behauptung 2:
Gerade beim Klimaschutz sind gemeinsam getroffene internationale
Verpflichtungen wichtiger als einzelstaatliche Aktivitäten.

Niemand kann bestreiten, dass Klimaschutz global erfolgen muss.
Das Warten auf einen internationalen Konsens über
Klimaschutzmaßnahmen, die - anders als das Kyoto-Protokoll - diesen
Namen auch verdienen, ist aber illusorisch; die konsensuale
Strategie bedeutet fast zwangsläufig die Beschränkung auf den
kleinsten gemeinsamen Nenner und schafft keine Dynamik zugunsten
weitergehender Maßnahmen - schon gar nicht mit einem Instrument,
dem es zuallererst um LASTENverteilung geht. Dieser tote Punkt, in
den der Konsensualismus die Klimaschutzbemühungen hineinmanövriert
hat, lässt sich wohl nur dadurch überwinden, dass einzelne,
einsichtigere Länder nationale Vorreiterrollen übernehmen und damit
demonstrieren, dass Klimaschutz keine Bürde, sondern eine große
ökonomische Chance ist. Nationale Vorreiterrollen sind beim
Emissionshandel aber systembedingt undenkbar (vgl. auch Behauptung
6).

Damit soll nicht gesagt werden, dass wir auf die internationale
Festschreibung konkreter Reduktionsverpflichtungen verzichten
sollten; aber man sollte sich darüber im Klaren sein, dass diese
fast zwangsläufig hinter dem Notwendigen und Machbaren
zurückbleiben müssen. Leider zeigt die Erfahrung, dass
Verpflichtungen wie die Deutschlands zu 21% CO2-Reduktion bis
2008/12, welche allenfalls als Minimalziele akzeptabel sind, sehr
schnell in der öffentlichen Wahrnehmung zu Maximalzielen mutieren.
Es ist insofern ein großer strategischer Fehler der Umweltbewegung,
dass sie sich für die Kyoto-Ziele hat vereinnahmen lassen (und nun
versucht, "wenigstens" diese gegen die USA und andere Bremser zu
"retten"); so gerät in Vergessenheit, wie unzureichend diese Ziele
sind, und kaum jemand macht sich noch Gedanken, wie mehr als das
Vereinbarte erreicht werden könnte.

Behauptung 3
Nach der ökonomischen Theorie sind Energiebesteuerung und
Emissionshandel in ihrer Lenkungswirkung völlig gleichwertig,
sofern der Energiesteuersatz dem Marktpreis der Zertifikate
entspricht.

Hierbei wird zunächst außer acht gelassen, dass der Emissionshandel
den Energieeinsatz in der Summe nicht verteuert, sondern lediglich
zu einer Umverteilung der Kosten führt, nämlich von denjenigen, die
ihre Reduktionspflichten nicht erfüllen, zu denjenigen, die sie
übererfüllen. Daher erlaubt er - anders als die Energiebesteuerung
- auch keine Entlastung des Faktors Arbeit von Steuern und
Sozialabgaben, lässt somit die bestehende gravierende Schieflage
zwischen Arbeit und Energie unverändert.

Aber selbst wenn man allein die ökologische Lenkungswirkung im
Blick hat, ist es fragwürdig, Emissionshandel und
Energiebesteuerung als gleichwertig anzusehen; zu dieser Folgerung
kann die ökonomische Theorie nur aufgrund wirklichkeitsfremder
Vereinfachungen kommen: Bestünde ein eindeutiger (und zeitlich
konstanter) Zusammenhang zwischen Energieverteuerung und erreichter
Emissionsreduktion und wäre dieser Zusammenhang mit "hinreichender"
Genauigkeit bekannt bzw.  messbar, dann wäre es in der Tat
unerheblich, ob man (wie beim Emissionshandel) die erlaubte
Emissionsmenge direkt vorgibt oder aber (wie bei der
Energiebesteuerung) den Preis. Diese Voraussetzung ist jedoch
offensichtlich nicht erfüllt: Da wir über keine vollständige
Information verfügen, ist die Kurve, die den Zusammenhang zwischen
Energiepreis und erreichter Reduktion beschreibt, nur mit
unvermeidbaren Ungenauigkeiten und Unsicherheiten bestimmbar. Aus
diesem Grunde ist es nicht möglich, Menge und Preis gleichzeitig zu
kontrollieren: Bei der Energiebesteuerung wird der Preis
vorgegeben, beim Emissionshandel die Menge; in beiden Fällen
verliert man die Kontrolle über die jeweils andere Größe. Insofern
sind beide Szenarien nicht vergleichbar und haben deshalb auch
keinesfalls die exakt gleiche Wirkung. Hierbei ist die Feststellung
wesentlich, dass der Energieeinsatz nur recht unelastisch auf
steigende Energiepreise reagiert, die Preiselastizität der
Energienachfrage also gering ist. (Darin spiegelt sich die
überragende Rolle des Produktionsfaktors Energie wider, der nicht
ohne weiteres durch andere Faktoren substituiert werden kann. Und
auch der Wechsel von einem fossilen auf ein solares Energiesystem
ist nicht von heute auf morgen möglich.) Dies bedeutet umgekehrt,
dass bei einer Mengenregelung wie dem Emissionshandel die sich am
Zertifikatemarkt bildenden Preise außerordentlich empfindlich von
der vorgegebenen Menge abhängen. Die angesprochenen unvermeidlichen
Unsicherheiten bezüglich des Zusammenhangs zwischen Menge und Preis
führen daher bei einer Mengenregelung dazu, dass der zu einer
vorgegebenen Menge gehörige Preis starken, unvorhersehbaren
Schwankungen unterliegen kann, und bergen insofern die Gefahr einer
Destabilisierung der Energiepreise in sich. Aus diesem Grunde ist
es gerechtfertigt, von einer Ýstrukturellen Instabilität des
Emissionshandels zu sprechen. (Näher ist dies im o.g. Artikel "Der
Emissionshandel"  im Solarbrief 3/02 ausgeführt.) Durch den
Emissionshandel könnte schlimmstenfalls genau das eintreten, was
wir jetzt mühsam als Horrorvision der "Bremser" zu enttarnen
versuchen: dass Klimaschutz eben doch wirtschaftlich schädlich sein
könnte. Diese Gefahr entfällt bei einer einem langfristigen
Erhöhungspfad folgenden Energiebesteuerung - sie gewährleistet
Planungssicherheit und vermeidet allzu heftige Preisschocks; der
vermeintliche Nachteil fehlender direkter Mengenvorgaben ist in
Wirklichkeit ein Vorteil, weil er die Kontrollierbarkeit der
Energiepreise sicherstellt.

Die Gleichsetzung der beiden Instrumente (oder allgemeiner von
Preis- und Mengenregelungen) zeugt letztlich von einer statischen
Betrachtungsweise, die der realen Systemen typischerweise
innewohnenden Dynamik nicht gerecht wird und nicht erst im Lichte
der Erkenntnisse der modernen Chaostheorie dringend
revisionsbedürftig ist.

Behauptung 4
Die Industrie kann sich vor unkontrollierbaren
Energiepreisschwankungen beim Emissionshandel durch sog. Futures
absichern.

Den Futures liegt folgendes simple Börsenkonzept zugrunde: Um sich
gegen ein mögliches Risiko abzusichern, einigen sich Käufer und
Verkäufer einer Ware zu einem bestimmten Zeitpunkt über ihren Preis
an einem ganz bestimmten Datum in der Zukunft. Das Geschäft soll
damit für Käufer und Verkäufer berechenbar werden. Futures könnten
auch im Emissionshandel eingesetzt werden, um KURZfristige
Energiepreisschwankungen zu glätten. Sie wären jedoch kein
hinreichender Schutz gegen LÄNGERfristige Preisrisiken. Wenn sich
herausstellen sollte, dass die über 5 oder 10 Jahre im Voraus
vorgegebenen Reduktionsziele nur über explodierende Preise
einhaltbar sind, dann könnte auch das beste und ausgeklügeltste
System von Futures diese Preisexplosion nicht aufhalten. Natürlich
wird es in der Praxis nie so weit kommen, weil man nur solch
unambitionierte Reduktionsziele festlegen wird, dass keinerlei
Gefahr einer Preisexplosion besteht. Das ist einer der
systemimmanenten Gründe dafür, weshalb beim Emissionshandel kaum
ernsthafte Reduktionsvorgaben erreichbar sind.

Im übrigen haben gerade die letzten Jahre gezeigt, welch
destabilisierende Wirkung der sich zunehmend von der Realwirtschaft
abkoppelnde Derivathandel Ýmit "Optionen auf Optionen auf
Optionen", wie Helmut Schmidt es spöttisch genannt hat, auf das
Weltfinanzsystem hat. Das ganze System des Emissionshandels könnte
durch Spekulationen bedroht werden - und angesichts der
fundamentalen Bedeutung der Energie wäre dies ein ergiebiges Feld
für skrupellose Spekulanten. Selbst Befürworter des Emissionshandel
räumen schon jetzt die Gefahr ein, dass Emissionsrechte gehortet
und später teuer verkauft werden. Zu denken geben sollte uns auch,
dass der Emissionshandel gerade auch von der Finanzwirtschaft
forciert wird, die darin offenbar einen Ersatz für den
zusammengebrochenen Neuen Markt als Spielwiese für Spekulanten
sieht.

Behauptung 5
Steuerpolitische Maßnahmen wie die ökologische Steuerreform eignen
sich weniger zum Klimaschutz, da sie einem zu starken politischen
Druck unterliegen.

Der politische Druck bei der ökologischen Steuerreform ist nicht
von der Hand zu weisen. Er wäre Ýbeim Emissionshandel aber noch
stärker, wenn wirklich "spürbare" Emissionsgrenzen festgesetzt
würden. Bei der Energiebesteuerung sind ja, wie oben ausgeführt,
die finanziellen Belastungen kontrollierbar, beim Emissionshandel
nicht; vorgegeben werden lediglich Reduktionsziele, deren
Einhaltung dann der Markt sicher stellt, notfalls auch um den Preis
ins Unermessliche explodierender Energiekosten. Daher impliziert
der Emissionshandel ein wesentlich größeres Risiko, wirtschaftliche
Verwerfungen auszulösen, welche ihn in der öffentlichen Wahrnehmung
sofort diskreditieren würden.

Zudem ist abermals daran zu erinnern, dass die "ökologische"
Steuerreform auch unabhängig von ökologisch-klimapolitischen
Erwägungen allein schon aus ökonomisch-sozialen Gründen dringend
geboten ist.

Behauptung 6
Der jetzige Ökosteuersatz hat eine geringere Lenkungswirkung als
die festgelegten Reduktionen beim Emissionshandel.

Dies ist zunächst durchaus richtig; in der Anfangsphase muss man
bei beiden Instrumenten ökologisch unbefriedigende Steuersätze bzw.
Reduktionsziele in Kauf nehmen. Die entscheidendere Frage ist
jedoch, mit welchem Instrument längerfristig die ambitionierteren
Ziele zu erreichen sind, welchem Instrument die größere Dynamik
zukommt.  Nach Ansicht des SFV ist das eindeutig die ökologische
Steuerreform, da sie nationale Vorreiterrollen ermöglicht; diese
sind beim Emissionshandel schwer denkbar: Jedem Staat muss im
Gegenteil daran gelegen sein, den Referenzwert der zugestandenen
Emissionen möglichst hoch zu halten - und zwar selbst dann, wenn
seine Industrie diesen Wert deutlich unterbieten wird, denn dann
kann sie vom Verkauf nicht benötigter Emissionsrechte profitieren.
Die Möglichkeit, dass die Staaten ihre Emissionsbudgets letztlich
mehr oder minder souverän - nur indirekt durch etwaigen
internationalen Druck beeinflusst - festlegen können, stellt für
sie eine Art "Lizenz zum Gelddrucken" dar. Weshalb sollten sie
darauf verzichten? Auf diese Weise wird durch den Emissionshandel
Klimaschutz allein den Idealisten unter den Staaten aufgebürdet,
und das kann ebenso wenig funktionieren wie etwa die Finanzierung
der Energiewende durch Ökostrom kaufende Idealisten. Damit sind wir
beim zentralen Fehler des Emissionshandels: Die Referenzwerte der
erlaubten Emissionen (die zwangsläufig mehr oder minder willkürlich
gewählt werden müssen) bekommen eine völlig unangemessene
Bedeutung. Es liegt also an der Struktur des Emissionshandels, dass
die an ihm teilnehmenden Staaten kaum zu ernsthaften
Reduktionsverpflichtungen zu bewegen sein werden.

Das dies keine theoretische Befürchtung ist, zeigt sich an der
Politik der Bundesregierung: Sie hat sich verbindlich nur zu 21%
Reduktion bis 2008-2012 verpflichtet, obwohl sie national an 25%
bis 2005 festhält: Erreicht sie dieses ambitioniertere Ziel, so
kann die deutsche Wirtschaft bedeutende Einnahmen durch den Verkauf
der nicht benötigten Zertifikate erzielen!

Solche Effekte sind bei der ökologischen Steuerreform undenkbar,
ganz im Gegenteil: Sobald Ýderen positive Beschäftigungswirkungen
nach einigen Jahren unübersehbar werden, wird die Politik die
Umschichtung der Steuerlast von der Arbeit hin zur Energie
energisch vorantreiben und muss sich nicht mehr wie heute noch
regelrecht "zum Jagen tragen" lassen.

Behauptung 7
Der Verwaltungsaufwand des Emissionshandels ist geringer als bei
ordnungsrechtlichen Maßnahmen wie etwa der Festlegung absoluter
Emissionsobergrenzen.

Die Festlegung solcher Obergrenzen erscheint uns unrealistisch und
ist von uns nie gefordert worden. Verglichen mit der
Energiebesteuerung ist der Verwaltungs- und insbesondere der
Bilanzierungsaufwand beim Emissionshandel gigantisch. Die von uns
vertretene Alternative heißt deshalb: ökologische Steuerreform und
als flankierendes ordnungsrechtliches Element ein gesetzliches
Verbot des Neubaus fossiler Kraftwerke.

 

Irrungen und Wirrungen der Klimapolitik

von Jürgen Grahl

(erschienen in Solarbrief 2/07, S. 15-17; auch nachzulesen unter http://www.sfv.de/artikel/2007/Irrungen.htm)

Wer ein bestürzendes Anschauungsbeispiel dafür sucht, wie unerschütterlich des Menschen Fähigkeit zum Verdrängen ist, dem sei die aktuelle Diskussion über den Klimaschutz empfohlen. Die Warnungen der Klimaforscher lassen an Deutlichkeit nichts mehr zu wünschen übrig, die Öffentlichkeit schenkt ihnen, vielleicht zum ersten Mal seit dem Erdgipfel 1992 in Rio de Janeiro, auch ihre ungeteilte Aufmerksamkeit - aber anstatt sich, wachgerüttelt vom Schock der näherrückenden globalen Katastrophe, auf ein grundlegendes Umsteuern zu besinnen, scheinen sich die Anstrengungen der Politik darauf zu konzentrieren, die Öffentlichkeit mit vordergründigem Aktionismus ruhigzustellen und das eigene Gewissen zu beruhigen. Al Gore hat diese verstörende Erfahrung bereits 1992 wie folgt beschrieben: „[...] Als junger Kongressabgeordneter lud ich Professor Revelle als Sachverständigen zur ersten Kongressanhörung über die globale Erwärmung ein. Ich erinnerte mich an seine ernsten Warnungen und ging davon aus, dass meine Kollegen und alle anderen bei der Anhörung Anwesenden genauso geschockt sein würden wie ich damals - und dass sie sofort aktiv werden würden. Statt dessen war ich derjenige, der entsetzt war. Nicht etwa durch die Fakten, die noch bestürzender waren, als ich sie in Erinnerung hatte. Diesmal war ich entsetzt über die Reaktion einiger kluger Leute, von denen ich geglaubt hatte, sie müssten es besser wissen. Doch das uneingeschränkte Verbrennen billiger fossiler Brennstoffe hat viele wild entschlossene Fürsprecher, und dies war meine erste, wenn auch nicht letzte Begegnung mit der mächtigen und entschlossenen Opposition gegen die gefährliche Wahrheit über das, was wir der Erde antun." (Al Gore, „Wege zum Gleichgewicht", S. 17f.)

Schauen wir uns einmal einige Beispiele an, wie sich diese Verdrängungs-Mechanismen in der gegenwärtigen Diskussion auswirken:

1.) Da wird mit großem Geschick die Verantwortung der einzelnen Länder, Wirtschaftszweige, Verbrauchssektoren usw. dadurch bagatellisiert, dass die von ihnen verursachten CO2-Emissionen in Relation zu einer möglichst großen Vergleichsgröße („idealerweise" den gesamten globalen Emissionen) gesetzt werden und dadurch dann als vermeintlich vernachlässigbar erscheinen. So wiegelt etwa Verkehrsminister Tiefensee ab, ein Tempolimit von 100 km/h auf deutschen Autobahnen bringe ja nur eine CO2-Reduktion von 0,6 Prozent. Hier fragt sich der kritische Leser: 0,6% wovon? Bei genauerem Nachforschen stellt sich dann heraus, dass nicht etwa 0,6% der vom deutschen Autobahnverkehr und nicht einmal 0,6% der vom gesamten deutschen Straßenverkehr verursachten Emissionen gemeint waren, sondern 0,6% der deutschen Gesamt-Emissionen (die zu beeinflussen ein Autobahn-Tempolimit zum überwiegenden Teil ja gar keine Chance hat). Eine gänzlich andere Wirkung hätte es gehabt, wenn Tiefensee die CO2-Emissionen des Autobahnverkehrs als Bezugsgröße gewählt hätte: Diese würden nämlich nach einem Gutachten des Umweltbundesamtes durch ein Tempolimit von 100 km/h um 19% (und durch ein Tempolimit von 120 km/h immerhin noch um 9%) sinken (1).

Durch solche Rechentricks spricht sich jede einzelne Gruppe eigenmächtig von ernsthafter Reduktionsverantwortung frei und stellt jeden einzelnen Reduktionsvorschlag als unverhältnismäßigen Eingriff in die Bequemlich-, pardon, in die Freiheitsrechte der Bürger dar. Und wo das „Verdünnen" des eigenen Emissions-Anteils durch Bezugnahme auf eine möglichst große Referenzgröße nicht weiterhilft, weil dieser zu unübersehbar groß ist, da werden in an Orwellsches „Neusprech" bzw. „Doppeldenk" erinnernder Manier kurzerhand die Maßstäbe umdefiniert. Die wohl größten Dreistigkeiten diesbezüglich haben sich EUKommissar Verheugen und US-Energieminister Bodman geleistet: Verheugen argumentierte allen Ernstes, Europa verursache nur einen „relativ geringen Teil" der weltweiten CO2Belastung (zur Information: Es sind etwa 15 Prozent), während Bodman erklärte: „Wir haben nur einen kleinen Anteil am globalen Treibhausgas-Ausstoß, also muss es eine globale Lösung geben." (Zur Information: Die USA emittieren „nur" 22% aller Treibhausgase.)

2.) Die Politik feiert sich selbst für die Beschlüsse des EU-Gipfels im März 2007, bis 2020 den CO2-Ausstoß um 20% zu senken. Diese Strategie noch perfektionierend, wird dann selbst die einer Farce gleichkommende Erklärung des G8-Gipfels in Heiligendamm, man werde eine Reduktion der Treibhausgasemissionen um mindestens 50% bis 2050 „ernsthaft in Erwägung" ziehen, von Bundeskanzlerin Merkel als „Riesenerfolg" verkauft. Völlig in Vergessenheit gerät dabei, wie erbärmlich weit diese Beschlüsse hinter dem sachlich Gebotenen zurückbleiben: Im jüngsten Weltklimabericht des IPCC wurde soeben erst wieder die Notwendigkeit betont, die Treibhausgasemissionen bis 2050 weltweit um 50% bis 85% (wovon in der öffentlichen Diskussion meist nur die 50% übrigbleiben) und die der Industriestaaten gar um 80% zu reduzieren, um die Erderwärmung wenigstens auf 2,0 bis 2,4 Grad gegenüber der vorindustriellen Zeit zu begrenzen; dies ist immerhin das Dreifache (!) der bereits heute stattgefundenen Erwärmung und wird gemeinhin als die äußerste Grenze angesehen, bis zu der der Klimawandel halbwegs beherrschbar bleiben dürfte (sofern man angesichts der schon heute vermehrt auftretenden Hurrikans, Dürren, Überschwemmungen usw. überhaupt von Beherrschbarkeit reden kann). Nun ist bei der Beurteilung dieser Zahlen und Empfehlungen zu berücksichtigen, dass das Klimasystem ein hochgradig nichtlineares System ist, bei dem die dreifache Erwärmung nicht einfach nur „dreimal schlimmer" ist; vielmehr werden mit zunehmender Erwärmung positive (selbstverstärkende) Rückkopplungen (2) immer bedeutsamer, die zu einer massiven Beschleunigung des Treibhauseffekts bzw. zu einem völligen Umkippen des Klimas führen könnten. Das Umweltund Prognose-Institut Heidelberg (UPI) weist mahnend darauf hin, dass diese Effekte in den heutigen Klimamodellen zwangsläufig oft nur unzureichend berücksichtigt seien, da sie - wie für nichtlineare Prozesse charakteristisch - nur schlecht quantifizierbar und damit kaum berechenbar sind. „Obwohl die bisherigen Szenarienergebnisse schon alarmierend genug sind, ist es deshalb möglich, dass die mittel- und langfristigen Folgen des Treibhauseffektes noch wesentlich gravierender ausfallen werden als bisher berechnet. Das gleiche gilt für Umkippeffekte wie z.B. die mögliche Umkehrung des Golfstroms infolge des Treibhauseffekts, die in bisherigen Klimamodellen ebenfalls noch nicht berücksichtigt werden. [...] Es besteht die Gefahr, dass durch die deutliche Erhöhung der Treibhausgase durch den Menschen diese natürlichen positiven Rückkopplungsvorgänge verstärkt in Gang kommen und zu unkontrollierbaren Aufschaukelungs- und Umkippvorgängen im Erdklima führen, die weit über das hinaus gehen, was der IPCC-Bericht mit linearen Rechenmodellen berechnet hat." (3) Von daher ist die 2-Grad-Grenze, wie sie sich auch die EU zu eigen gemacht hat, keinesfalls als Freifahrtschein zu verstehen, diese Grenze auch auszuschöpfen; vielmehr sollten sich alle Anstrengungen darauf richten, möglichst weit unterhalb von ihr zu bleiben (4). Was aber tut die Politik? Sie sieht die 2 Grad als eine Art Idealziel an (ebenso wie viele Autofahrer Geschwindigkeitsbeschränkungen eher als Mindestgeschwindigkeiten zu missverstehen scheinen), tröstet sich damit, dass man im wahren Leben immer Kompromisse schließen müsse, und feiert es - in völliger Verkennung der Spielregeln nichtlinearer Systeme - schon als Erfolg, wenn man wenigstens der „Hälfte" dieses „Idealziels" näherkommen konnte. Das ist etwa ebenso verheerend, als hätte man sich im Apollo-Projekt damit zufrieden gegeben, die Belastungen der Astronauten beim Wiedereintritt in die Atmosphäre auf die zwölffache Erdbeschleunigung zu begrenzen - obwohl bereits die neunfache Erdbeschleunigung ziemlich sicher zur Bewusstlosigkeit führt. Zumindest die Physikerin Merkel sollte diese Zusammenhänge eigentlich verstanden haben...

Dies alles wäre noch gar nicht so schlimm, wenn man sich der völligen Unzulänglichkeit des bisher „Erreichten" bewusst bliebe und zukünftig bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf Nachbesserung drängen würde. Ein Blick in die Geschichte der Klimadiplomatie lehrt jedoch, dass eher mit dem Gegenteil zu rechnen ist: So hatte die Enquete-Kommission „Schutz der Erdatmosphäre" des Deutschen Bundestages bereits 1990 für die Industrieländer ein Reduktionsziel von 80 bis 85% bis 2050 und als Zwischenziele 25% bis 2005 und 40% bis 2020 formuliert. Die Regierung Kohl hatte das 25%-Ziel als offizielles Regierungsziel übernommen, hatte sich international im Rahmen des Kyoto-Prozesses dann aber nur zu 21%, und zwar erst bis 2008/12, verpflichten mögen, und auch die rot-grüne Regierung hatte nicht den Mut gefunden, zumindest auf nationaler Ebene (5) ambitioniertere Ziele anzuvisieren. So waren die 25% bis 2005 im politischen Alltag rasch vergessen (wenngleich sie bis zum Koalitionsvertrag von 2002 auf dem Papier stehen bleiben durften); die unzulänglichen Kyoto-Ziele waren zum Maß aller Dinge geworden. Nun ist europaweit auch von 40% bis 2020 keine Rede mehr; die beschlossenen mageren 20% werden vielmehr als großer Erfolg verkauft - wobei zudem noch verschwiegen wird, dass ein Drittel dieser Verpflichtung allein durch den EU-Beitritt der in den 1990er Jahren wirtschaftlich kollabierten osteuropäischen Staaten bereits ohne jede Anstrengung erfüllt ist. Die internationale Klimadiplomatie war somit bisher eher kontraproduktiv, insofern als sie primär den Klimazerstörern Sicherheit vor weitergehenden Reduktionsforderungen verschafft hat (6).... Es bleibt nur zu hoffen, dass die Politik sich nicht mehr allzu viel Zeit lässt für die Erkenntnis, dass man zwar noch so beredt über das Klima, aber leider nicht mit dem Klima selber verhandeln kann: Naturgesetze lassen sich nun einmal auf keine Kompromisse ein...

3.) Erschreckend ist auch die geistige Engführung, die die Diskussion um adäquate Klimaschutzmaßnahmen prägt und die Robert Jungk mit den Worten „Sie tun nicht, was sie wissen" beschrieben hat. Hierzu nur ein Beispiel: Da wird ausgiebigst über eine ökologischere Ausgestaltung der KFZ-Steuer diskutiert, und es werden höchstkomplizierte Modelle entworfen, wie man deren Höhe am CO2-Ausstoß orientieren kann, aber um die naheliegendste, sinnvollste - und noch dazu bürokratiesparendste! - Lösung wird in der Regel ein weiter Bogen gemacht (7): eine völlige Abschaffung der KFZ-Steuer und aufkommensneutrale Umlage auf die Mineralölsteuer. Sinnvoll deshalb, weil es ökologisch natürlich völlig irrelevant ist, ob ein bestimmtes Gramm CO2 nun aus einem Auto stammt, das pro 100 km viel oder wenig CO2 ausstößt - entscheidend ist, wieviel das Auto insgesamt emittiert. Es ist daher suboptimal, durch eine „ökologisierte" KFZ-Steuer pauschal den Umstieg auf verbrauchsärmere Autos zu fördern, ohne gleichzeitig zu berücksichtigen, wieviel diese tatsächlich gefahren werden. Eine Umlage der KFZ-Steuer auf die Mineralölsteuer bewirkt einen wesentlich direkteren und zielgenaueren Sparanreiz: Zum einen werden Vielfahrer stärker zum Umsteigen motiviert als Wenigfahrer, zum anderen wird eine verbrauchsarme Fahrweise ebenso gefördert wie die Vermeidung unnötiger Fahrten, der Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel oder aufs Fahrrad, die Bildung von Fahrgemeinschaften usw. Zudem ist eine Umlage auf die Mineralölsteuer tendenziell sozial gerechter als eine Orientierung der KFZ-Steuer am CO2-Ausstoß: Letztere trifft gerade Geringverdiener unverhältnismäßig, die sich ein neues, verbrauchsärmeres Auto nicht leisten können und daher oftmals noch ältere „Spritfresser" haben, welche sie freilich nur selten fahren. (8) Übrigens würde eine Umlage der KFZ-Steuer auf die Mineralölsteuer den Spritpreis im Schnitt um lediglich etwa 7 Cent pro Liter erhöhen (9) - wohlgemerkt bei komplettem Wegfall der heutigen KFZ-Steuer.

4.) Man mag der Politik zugute halten, dass es teilweise wohl schlichte Rat- und Orientierungslosigkeit ist, die sie an adäquaten Antworten auf die Herausforderungen des Klimawandels hindert (bedingt letztlich durch das Gefangensein in realitätsfernen ökonomischen Modellen und durch mangelndes Vertrauen in die Potentiale erneuerbarer Energien). Dennoch ist es geradezu armselig, wenn Politiker ihre Tatenlosigkeit mit hilflosen Appellen an die Freiwilligkeit des „mündigen Bürgers" kaschieren - offenbar in der Hoffnung, dieser werde durch umweltbewusste Kaufentscheidungen die Klimakatastrophe schon aufhalten -, während sie die (eigentlich unübersehbaren) ökologisch verheerenden Fehlsteuerungen unserer Marktwirtschaft weiterhin ignorieren und tabuisieren. So hat Verkehrsminister Tiefensee kürzlich in einem Spiegel-Interview erklärt: „Ich halte nichts vom erhobenen Zeigefinger gegenüber den mündigen Bürgern. [...] Industrie und Politik müssen aufklären und echte Alternativen bieten." Über die Schaffung geeigneter Rahmenbedingungen, die eigene Klimaschutzanstrengungen für den „mündigen Bürger" auch lohnend machen, hat er leider kein Wort verloren...

 

FUSSNOTEN:

(1) Quelle: „Umweltauswirkungen von Geschwindigkeitsbeschränkungen", Gutachten des Umweltbundesamtes, Berlin 1999, S. 49. Darin wird auch darauf hingewiesen, dass ein Tempolimit - über die direkten Umweltentlastungen hinaus - helfen könnte, den Trend zu immer leistungstärkeren Motoren umzukehren (S. 24f und S. 52). In diesem Fall könnten die Entlastungseffekte noch wesentlich stärker sein. - Sicherlich hat die Erwähnung der 0,6% dann ihre Berechtigung, wenn damit verdeutlicht werden soll, dass es mit einem Tempolimit allein nicht sein Bewenden haben kann. Aber darum war es Tiefensee offensichtlich nicht gegangen...

(2) Einige Beispiele: Methanfreisetzung aus abtauendem Permafrostboden, verringerte Reflexion von Sonnenlicht durch das Abschmelzen von Eisflächen, Waldbrände, verringerte CO2-Aufnahme der Ozeane bei Erwärmung usw.

(3) Quelle: http://www.upi-institut.de/klima-bericht_des_ipcc.htm. Dort findet sich auch eine ausführliche Diskussion der diversen Rückkopplungsmechanismen.

(4) Aufgrund der Trägheit des Klimasystems würde selbst bei sofortigem Stopp aller Treibhausgasemissionen die Temperatur im Laufe der nächsten Jahrzehnte noch um knapp 0,5 Grad weiter steigen. Dennoch gibt es durchaus noch Spielräume, unter den 2 Grad zu bleiben, wie auch O. Edenhofer vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung indirekt einräumte, als er erklärte: „Der Anstieg der globalen Mitteltemperatur gegenüber dem vorindustriellen Niveau muss auf 2 Grad Celsius begrenzt werden. Das bedeutet, dass die Emissionen noch etwa zwei Dekaden leicht steigen könnten, um dann ab etwa 2020 zu sinken" (Energiewirtschaftliche Tagesfragen, 55. Jg. (2005), Heft 3, S. 151; Hervorhebung J.G.). Bei einer wirklich ambitionierten Klimaschutzstrategie mit komplettem Umstieg auf Erneuerbare Energien weltweit innerhalb der nächsten 40 Jahren könnte es daher noch gelingen, die Erwärmung auf vielleicht etwa 1,7 Grad zu beschränken - sofern die angesprochenen nichtlinearen Effekte uns keine unliebsamen Überraschungen bescheren.

(5) Dass man keine weitergehenden internationalen Verpflichtungen eingehen wollte, ist aufgrund der verqueren Logik des Emissionshandels, Reduktionsverpflichtungen in finanzielle Lasten umzusetzen, hingegen durchaus rational: Jedem Staat muss daran gelegen sein, die eigenen Reduktionszusagen möglichst niedrig zu halten - selbst dann, wenn seine Wirtschaft deutlich schneller reduzieren könnte, denn in diesem Fall kann sie vom Verkauf nicht benötigter Emissionsrechte massiv profitieren. Auf diese Weise wird der Klimaschutz allein den idealistischsten (oder „unpatriotischsten") Staaten aufgebürdet.

(6) Es ist von daher auch nicht verwunderlich, dass in Deutschland die CO2-Emissionen neuerdings sogar wieder angestiegen sind, um 0,6% im Jahr 2006.

(7) Löbliche Ausnahme: Von den drei Oppositionsparteien im Bundestag, Grüne, FDP und Linke, waren Stimmen für eine Umlage auf die Mineralölsteuer zu hören.

(8) Im Fall solcher selten genutzter Autos kann es sogar aus ökologischer Sicht ratsam sein, diese quasi bis zur Schrottreife weiterzunutzen und nicht durch ein sparsameres neues Modell zu ersetzen - wenn nämlich der Energieaufwand für dessen Herstellung die Spriteinsparung im Betrieb übersteigen würde. Um hier korrekte Preissignale zu setzen, bedarf es natürlich auch einer entsprechenden Energiebesteuerung im produzierenden Bereich. - Dass neue „Spritfresser" auf den Markt kommen, ließe sich ergänzend auch auf ordnungsrechtlichem Wege durch die Festlegung entsprechender Verbrauchsobergrenzen unterbinden.

(9) Ggf. könnte man hier noch nach Benzin- und Dieseltreibstoff differenzieren.

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