Von
Heinrich H. bis heute -
Warum
die «Braune
Pest»
so schwer auszurotten ist
von
Wolfgang Fischer
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/Druckversion
Im
Feuilletonbeitrag Schützt Humanismus denn vor gar
nichts? der Süddeutschen
Zeitung Nr.231
vom Wochenende 7./8.10. 2000 beschäftigte sich Michael
Farin mit Heinrich H's prägender Umgebung, mit seinem
Elternhaus, seinem Vater, der als Gymnasiallehrer am
humanistischen Wilhelmsgymnasium in München tätig
war, welches Heinrich H. selbst auch besucht hat. Michael
Farin thematisiert die Suche des jungen H. nach seiner
Identität und illustriert seinen Beitrag mit einem
Familienfoto der Hs, das eine kalt und streng dreinblickende
Mutter, einen Vater mit unbeteiligt in die Ferne
schweifendem Blick, eine unglücklich unsicher wirkende
Kindermagd und die drei Kinder der Hs zeigt (der
spätere Reichsführer SS, vorne links stehend). Am
Ende seines gelungenen Beitrags stellt Farin angesichts des
Lebenswerks Heinrich H's verzweifelnd die Frage nach der
Schutzfunktion des Humanismus. (der Familienname H - immler
ist deshalb gekürzt, um ein Abblocken der Seite durch
elektronische Filter zu verhindern)
Hier
der Versuch einer Antwort:
Die
ganze fein bürgerlich humanistische Bildung nützt
wenig, wenn sie auf schulische Bildungsrichtung
beschränkt bleibt und nicht als übergeordnete
ethische Orientierung so verinnerlicht wird, daß sie
auch die Gefühlsebene erreicht. Die differenzierte
Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Sinn des Lebens
führt folgerichtig zum Humanismus, dem Ideal vom
verantwortlichen und kritischen Menschentum. Humanismus,
nicht nur als schulische Bildungsrichtung, nicht nur als
Geschichtsepoche, sondern jetzt als Wertesystem, als Ideal,
als Ideologie, Weltanschauung oder auch Religion, Konfession
oder Glaube - ganz wie es dem Einzelnen gefällt. - Auf
jeden Fall Humanismus als eine allem anderen
übergeordnete Orientierung, die gleichzeitig auf alle
Lebensteilnehmer auf diesem Planeten Rücksicht nimmt.
Humanismus
nicht nur als Ziel, sondern zugleich auch als Weg, denn das
Ideal vom Menschentum umfaßt den ganzen real
existierenden Menschen in seiner Entwicklung vom Kind bis
zum Greis und enthält real betrachtet neben den edlen
auch seine weniger edlen Seiten. Humanismus konsequent als
Orientierung an den Notwendigkeiten des Lebens angewandt,
führt schon vom Namen her zur Arbeit am Menschen. Und
ganz konsequent angewandt, veranlaßt er noch vor einer
Arbeit an und mit anderen Menschen vor allem zur Arbeit an
der eigenen Person.
Gibt
es ein höheres Ideal zur Orientierung des Menschen als
den Humanismus? Gibt es ein anderes Ideal, das den Weg vom
ersten Schritt an und das letztliche Ziel gleichzeitig in
sich vereinigt? Gibt es ein anderes Ideal als den
Humanismus, der im Gegensatz zu vielen anderen Ideologien
keinen Menschen ausgrenzt, sondern alle Menschen dieser
einen Welt im Bewußtsein um ihre gemeinsame
Verantwortung vereint?
Ein
Humanismus ohne Herzenswärme ist wohl seinen Namen
nicht wert. Schutzfunktion jedenfalls kann von einer
gefühlskalten, rein rationalen Atmosphäre nicht
erwartet werden. Das Ergebnis dieses Mangels könnte
heute uns allen eine Lehre sein. Es stehen demnach nicht
Gefühl und Sensibilität gegen Ratio, entscheidend
ist etwas ganz anderes: von dem Humanisten Johann Wolfgang
von Goethe wissen wir, daß er seine Arbeit stets
unterbrach, wenn seine Enkel mit ihm spielen wollten. Auf
dem Boden echter Zuneigung und Liebe wächst niemals
Monströses - soviel zur Schutzfunktion des Humanismus
als ethische Orientierung.
Die
gegenwärtigen Beschädigungen und Zerstörungen
jüdischer Anwesen oder die haßerfüllte
Gewalt gegen das Leben von Nicht-Deutschen sind wiederum
Hinweise auf mangelnde emotionale Gesundheit und wenig
ausreichende rationale Orientierung von Teilen unserer
Gesellschaft. Überdeutlich wird erneut der allgemeine
Mangel an menschlicher Wärme, Aufrichtigkeit und
Empfindung für uns selbst und die Kreatur. Doch wen
interessieren diese Zusammenhänge heute?
An
die sozial-psychologischen Ursachen, die in den Wahnsinn des
«Braunen Sumpfs» treiben, wagen sich die
Verantwortlichen der Gesellschaft kaum heran. Denn auf
säkularer wie auf kirchlicher Seite müßten
sie in den Spiegel ihres eigenen Versagens blicken. Die
Angst vor der Einsicht in die tieferen Hintergründe
«Brauner Gewalt» an Dingen und Leben ist auch ein
weiterer Grund dafür, daß das kriminelle
Potential der Rechten seit Jahrzehnten herabgespielt wird.
Die
Linke bedroht mit ihrer systematischen Kritik an der
Vormachtstellung des Kapitals und ihren Forderungen nach
mehr Autonomie stets das gängige patriarchale Weltbild.
Sie beleidigt sozusagen die Macht in ihrem narzistischen
Selbstverständnis und bekommt von daher schon immer die
volle Gewalt des Staates zu spüren. Dagegen schmeichelt
die Rechte mit ihren Vorstellungen von starker Führung
und einfachen Lösungen geradezu der Staatsgewalt.
Deshalb auch wird rechte Gewalt konsequent verharmlost und
werden ihre Untaten als zusammenhanglose Ausbrüche
unkontrollierter (damit entschuldbarer) Spinner dargestellt.
Unbewußt dabei bleibt eine eigentümliche
Sympathie mit dem «Braunen Phänomen», die bis
hin zu einer unheiligen Allianz zwischen Macht, Kapital und
«Rechter Gesinnung» führt. Zum einen steht
die naive Verehrung der Macht durch die Rechten, die es dem
Staat psychologisch gesehen schwer macht, hart gegen sie
vorzugehen. Zum anderen baut sich durch das Entladen von
Aggressionen gegen schuldlose Sündenböcke
(willkommenerweise) genau der Druck ab, der sonst den
eigentlich Schuldigen und Verantwortlichen für
gesellschaftliche Fehlentwicklungen bedrohlich werden
könnte: Fundierte Kritik an den negativen sozialen
Auswirkungen eines unkontrollierten Diktats des Kapitals
bleibt aus. Nebulöse Verschwörungstheorien, die
nur gegen eine ethnische Gruppe gerichtet sind, verhindern
weiterführende Kritik. Die «Braune
Gemeinschaft» versucht stets sich einen Führer zu
schaffen, dem sie sich willig unterwerfen kann - eine
für das Wohlergehen einer demokratischen Gesellschaft
notwendige Entwicklung des Individuums zu
eigenständiger kritischer sozialer Verantwortlichkeit
wird gar nicht erst thematisiert - um nur zwei Faktoren zu
nennen, die bedacht werden sollten.
Eine
radikale Auseinandersetzung mit den tatsächlichen
Hintergründen des «Braunen Sumpfs» würde
den gesellschaftlichen status quo infrage stellen
müssen und damit auf Veränderungen hinauslaufen.
Nach Veränderung jedoch steht es dem politischen System
nicht, lieber wird da halbherzig auf Verbote und auf
repressiven Aktivismus zurückgegriffen. Beides wird
weitere haßerfüllte Entladungen gegen
Nicht-Deutsche Mitmenschen nicht verhindern; die
«Braune Pest» wird sich solange weiter verbreiten,
wie die Fundamente der Demokratie und des Humanismus nur auf
unsere Fahnen geschrieben werden anstatt daß wir sie
mutig unter Auschöpfen all unserer Möglichkeiten
in die gesellschaftliche Realität
umzusetzen.
Mein
Dank gilt Rudolf Kuhr,
Humanistische
AKTION
, für seine konstruktiven Hinweise beim
Zusammenstellen dieses Ansatzes zur Analyse der
gegenwärtigen Renaissance der Rechten Gewalt und
Gesinnung
siehe
auch: Allianz
der Ethik und
Aufklärung,
Über den Zusammenhang von
Ausländerfeindlichkeit und machtausübender
Herrschaft einerseits und die Möglichkeit,
verantwortliche Menschlichkeit durch eine Allianz der
Ethik und Aufklärung zu fördern , Wolfgang
Fischer und Rudolf Kuhr
Ethik
muß heute systemverändernde Anstöße
geben!,
Wolfgang Fischer (5. 2003) (pdf.datei)
und:
Gegen
Rechts? Eine fragwürdige Reaktion - ganzheitliche
Lösungsansätze
überfällig,
von Rudolf Kuhr
Am
9. November demonstrierten in Berlin tausende gegen Rechts.
Mit dabei war auch ein Edmund Stoiber (CSU), der vor Monaten
den Begriff "Durchrasste Gesellschaft" geprägt hat. Mit
dabei auch viele Unionspolitiker, die durch rassistische
Kampagnen, wie die gegen die doppelte
Staatsbürgerschaft und mit Sprüchen wie "Kinder
statt Inder", aufgefallen sind. Auch mit dabei waren die
Regierungsparteien, die verantwortlich sind für eine
Politik, die Flüchtlinge abschiebt, teilweise in
Länder, in denen ihnen Verfolgung, Folter und Tod
droht. Niemand erwähnt, dass im Frühjahr eine Frau
am Frankfurter Flughafen Selbstmord beging, weil ihr die
Abschiebung drohte.
Auch
mit dabei die PDS, deren Vorsitzende Gabi Zimmer sich in den
letzten Wochen (zu recht)Deutschtümelei vorwerfen
lassen mußte. Antifaschisten mit kritischen
Transparenten wurden festgenommen. "Nazis morden, der Staat
schiebt ab, das ist das gleiche Rassistenpack" - mit solchen
Sätzen will sich keiner auseinandersetzen.
Viele
Asylbewerber hatten keine Möglichkeit, an der
Demonstration teilzunehmen - sie haben keine Erlaubnis,
ihren Landkreis zu verlassen. Die ganze Debatte, die als
Sommerloch begann und jetzt in einem Verbot der
rechtsextremen NPD enden soll, blendet komplett aus, dass es
auch einen staatlichen Rassismus gibt. Die Ursache des
Rechtsextremismus ist nicht die Existenz einer
rechtsextremen Partei. Die Ursache ist ein tief in der
Gesellschaft verwurzelter Nationalismus, der damit
anfängt, wenn Politiker vom "Standort Deutschland"
reden und der im Extremfall damit endet, dass Menschen
ermordet werden. Hier helfen Verbote nicht weiter. Hier muss
ein Umdenken in der Gesellschaft stattfinden.
Den
Politikern, die in Berlin demonstrieren, kann man nur
empfehlen, bei der Suche nach den Ursachen des
Rechtsextremismus einmal bei sich selbst
anzufangen.
ein
Kommentar von Hanno
Böck
Emanzipation
Humanum,
Version 11. 2000, Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt,
Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe
und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere
Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen
nach Absprache möglich.
http://emanzipationhumanum.de/deutsch/aktuell3.html
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