Rassismus
als staatliche
Gewalt
Die
unendliche Geschichte der
Asylrechtsverschärfung
Johanna
Hellkerns
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Seit
1993 ist in der BRD das Asylrecht defacto
abgeschafft.
Besonders
in den 90er Jahren, durchgehend bis heute, werden
asylsuchende Menschen massenhaft abgeschoben. In eigens zu
diesem Zwecke vom Staat eingerichteten Gefängnissen,
den sogenannten Abschiebeknästen, ohnehin in eine
rechtlose und entwürdigte Lage getrieben, müssen
die Flüchtlinge zu jeder Tages- und Nachtzeit mit der
Zwangsabschiebung in Drittländer oder ihre
Herkunftsländer rechnen. Im Zielort sind sie in der
Regel weiteren Verfolgungen, Verhaftungen ausgesetzt. Viele
von ihnen erleiden Folter und
Mißhandlungen.
Strukturell
verfestigt wird dieser Kreislauf der Gewalt im
"Einwanderungsland" BRD, in dem Asylsuchende zunächst,
sofern sie Papiere haben und aus einem gesetzlich
anerkannten Herkunftsland kommen, zwangsweise in zentrale
Sammellager verschiedener Bundesländer eingewiesen
werden. Von dort werden sie in der Regel in die dezentralen
Flüchtlingswohnheime, die Container und Asylheime an
den Rändern der Metropolen, Städte und
Dörfer, umgesiedelt. Die Aufenthalte in den
Sammellagern gewähren jedoch keineswegs Schutz vor
Abschiebung. Die gesetzlichen Regelfristen für die
Antragstellung im Asylverfahren sind - seit 1993 - in
erheblichem Maße eingeschränkt worden.
Rechtsbeistand und -beratung sind für viele schon
allein wegen der engen Zeiträume nicht angemessen
gewährleistet. Die Asylsuchenden werden vom
öffentlichen Leben "abgeschottet", gewissermaßen
"einsortiert" in die für sie vorgesehenen
Unterkünfte. Dort müssen sie oft über Monate
hinaus auf die behördlichen Entscheidungen warten.
Diese Wartezeit garantiert jedoch keineswegs ein
geschütztes Aufnahme- oder Bleiberecht.
Einhergehend
mit dieser staatlichen Ausgrenzungs- und
Abschreckungspolitik entfaltete sich in den 90er Jahren ein
Nährboden für rassistische Gewalttaten.
Flüchtlinge und asylsuchende Menschen wurden und werden
explizit Opfer rassistischer Übergriffe. Nur
vereinzelte, "spektakuläre" Fälle geraten an die
Öffentlichkeit. Es haben nicht nur Brandanschläge
und Angriffe auf Asylheime und Sammellager zugenommen,
sondern auch Übergriffe und Morde an Flüchtlingen
auf deutschen Straßen. Besondes in letzterem Bereich
gibt es eine hohe Dunkelziffer.
Erschreckende
Bilanz des staatlichen Rassismus
Die
Abschiebungen spielen sich weitgehend im "Verborgenen" ab,
fernab und sauber getrennt von der öffentlichen
Sphäre der Wohlstandsgesellschaft. Nach den Recherchen
der "Antirassistischen Initiative" Berlin ergibt sich
für den Zeitraum 1993-2000 ein erschreckendes Bild (1):
92
Menschen töteten sich selbst angesichts ihrer drohenden
Abschiebung oder starben bei dem Versuch, vor der
Abschiebung zu fliehen. Allein 45 Flüchtlinge starben
in Abschiebehaft.
Mindestens
310 Flüchtlinge haben sich aus Verzweiflung oder Panik
vor der Abschiebung oder aus Protest gegen die drohende
Abschiebung (Risiko-Hungerstreiks) selbst verletzt oder
versuchten sich umzubringen und überlebten zum Teil
schwer verletzt. Davon befanden sich 214 Menschen in
Abschiebehaft." Die Todesspirale setzte sich im Verlauf der
Abschiebetransporte fort: "159 Flüchtlinge wurden durch
Zwangsmaßnahmen oder Mißhandlungen während
der Abschiebung verletzt." In den Herkunftsländern
"kamen 13 Flüchtlinge zu Tode, mindestens 276
Flüchtlinge wurden im Herkunftsland von Polizei oder
Militär mißhandelt und gefoltert. Mindestens 46
Menschen verschwanden nach der Abschiebung spurlos."
(2)
Zum
Beispiel wurden direkt nach Inkrafttreten des neuen
Asylgesetzes ca. 2500 VietnamesInnen abgeschoben. (3) Bis
2000 wurden speziell nach Vietnam ca. 40000 Menschen
abgeschoben.
Im
Jahr 1995 startete fast jeden Tag eine Maschine von
Berlin-Schönefeld nach Bukarest, um Menschen nach
Rumänien abzuschieben. Einer der Gründe für
diese "Schlag-auf-Schlag"-Massenabschiebungen nach 1993 ist,
dass vorher viele Abschiebestopps nicht verlängert
wurden. Oder es handelte sich um "Stopps", die schon lange
abgelaufen waren, etwa für Menschen aus
Kurdistan/Türkei oder aus Algerien. Besonders hart
betroffen waren auch Menschen, deren Asylantrag vor 1993
abgelehnt war, die aber aufgrund von sogenannten
"Abschiebehindernissen" schon lange in Deutschland
lebten.
Wie
kam es zu den Verzerrungen und vehementen Beschneidungen des
Asylrechts?
Asylpolitik
vor 1993
Das
bis 1993 geltende, im Grundgesetz verankerte "Recht auf
politisches Asyl" war 1948/49 entstanden, vor dem
Hintergrund der Verfolgungen im Nationalsozialismus. Dabei
hatten die GesetzgeberInnen, die Mitglieder des
"Parlamentarischen Rates" die Verfolgungen von Juden und
Jüdinnen, der Sinti und Roma, der Homosexuellen und
politisch Andersdenkenden im Bewußtsein. (4) Hinzu kam
die Tatsache, dass Menschen, die vor den Nazis flohen,
zumeist mit einer restriktiven Asylpraxis der
Aufnahmeländer konfrontiert worden waren.
Die
einfache Aussage von 1949 lautete gemäß Artikel
16, Abs. 2, Satz 2 des Grundgesetzes: "Politisch Verfolgte
genießen Asylrecht." Diese Bestimmung war einmalig im
internationalen Verfassungsvergleich und im
Völkerrecht. (5)
Politisch
Verfolgten wurde damit ohne Gesetzesvorbehalt ein
subjektives Recht auf Asyl zugesprochen. Ein
Aufnahmeanspruch asylsuchender Menschen war
grundsätzlich gewährleistet.
Was
jedoch als "politische Verfolgung" angesehen wird, lag und
liegt bis heute im Ermessensspielraum der Gerichte, deren
Entscheidungsgrundlage der Flüchtlingsbegriff der
"Genfer Flüchtlingskonvention" ist. Eine gesetzliche
Definition der "politischen Verfolgung" existiert
nicht.
Tatsächlich
wurde in den Jahrzehnten nach 1949 der Inhalt des Artikels
16 Stück für Stück ausgehöhlt, wobei der
Wortlaut bis zur offensiven Änderung 1993 erhalten
blieb.
In
den 50er und 60er Jahren wurde das deutsche Asylrecht kaum
in Anspruch genommen. Die meisten AntragstellerInnen waren
sogenannte "Ostblockflüchtlinge". Als
Arbeitskräfte und aufgrund der antikommunistischen
Integrationsideologie in der Ära des Kalten Krieges
wurden sie gern aufgenommen. Zudem besagte ein
"Ostblockerlaß" von 1966, dass niemand in die Staaten
des "Warschauer Paktes" abgeschoben werden
durfte.
Anfang
der 70er Jahre stieg im Zuge der Weltwirtschaftskrise und
als Reaktion auf den Anwerbestopp ausländischer
ArbeiterInnen, besonders seit 1973, die Zahl der
Asylanträge sprunghaft an. Bei den AntragstellerInnen
handelte es sich nun meist um Asylsuchende aus der
sogenannten "Dritten Welt", darunter auch viele Menschen aus
der Türkei. Im Gegensatz zu den
"Ostblockflüchtlingen" stießen diese
Asylsuchenden keineswegs auf ein offenes Klima der
Aufnahme.
Bereits
seit Ende der 70er Jahre, und besonders 1980, als das
Asylrecht Wahlkampfthema rechtsextremer Parteien wurde,
steigerte sich das gesellschaftliche Anti-Klima. Auch im
Bundestagswahlkampf 1986 beförderte eine von der
CDU/CSU demagogisch geführte Kampagne gegen eine
vermeintliche "Asylantenflut" den Nährboden für
ein aufgepeitschtes Abwehr-Klima gegen Asylsuchende. In
diesen Jahren bildete sich eine Wende von der Aufnahme- zur
Abwehrgesellschaft heraus. Der Tatbestand der inzwischen
stark gestiegenen Zahlen - 1980 waren es 100.000
AsylantragstellerInnen gegenüber nur 5000 im Jahr 1970
- diente im Prinzip nur als äußerer
Auslösefaktor, der dem Kampf der Regierenden gegen
sogenannte AusländerInnen zunutze kam.
Eindeutig
ging es in der Asyldebatte nicht mehr um Asyl, geschweige
denn um einen Ausbau des Asylrechts. Im asylpolitischen
Diskurs der Herrschenden war vielmehr vom
"Asylmißbrauch" die Rede. Das daraus resultierende
Ziel war, asylsuchende Menschen abzuwehren und das
Aufnahmerecht schrittweise zu beschneiden. Verstärkt
durch die Medien hielten nun Begriffe wie
"Wirtschaftsasylant" oder "Asylantenschwemme" Einzug in die
deutsche Sprache. Ferner war die Rede von "explosionsartigen
Massenströmen" oder von Asylsuchenden, die "wie
Naturkatastrophen über das Land herfielen." (6) Diese
Bilder provozierten die Vorstellung des "Asylbewerbers als
Kostgänger deutscher Steuerzahler", der sich mit seinem
Asylantrag samt seiner Großfamilie "in unsere soziale
Hängematte fallen läßt." (Welt am Sonntag,
13.6.80)
Unter
Berufung auf steigende Arbeitslosenzahlen und zunehmende
Wohnungsnot war nun der Kampf gegen das angeblich
mißbrauchte Asylrecht angesagt. Der Staat ergriff
restriktive Maßnahmen: Asylverfahrensbeschleunigungen,
Einführung der Visapflicht, vermehrte Abschiebungen,
Einrichtung von Sammellagern, Versorgung mittels
Sachleistungen, Streichung des Kindergeldes usw. Diese mit
dem Asylverfahrensgesetz von 1982 verbundenen
Maßnahmen beschnitten die Bewegungsspielräume von
Einzelnen sowie ganzen Gruppen von Asylsuchenden. Die
Zwangseinweisung in Sammellager und
Gemeinschaftsunterkünfte beinhaltete eine Steigerung an
staatlicher Kontrolle und Überwachung. Zumal diese
Überwachung gesetzlich an die Bürokratie der
zuständigen Ausländerbehörde gebunden war.
Damit wurde die Planung von Abschiebungen wesentlich
leichter.
Bereits
1980 wurde Asylsuchenden ein einjähriges Arbeitsverbot
auferlegt, welches bis 1985 auf fünf Jahre ausgeweitet
wurde. Damit nicht genug. In Verhandlungen mit der DDR
verhinderte die BRD 1985 und 1986 die Zuwanderung von
Flüchtlingen über Ost-Berlin. Nur Menschen mit
einem Anschlußvisum erhielten die Möglichkeit zur
Einreise in die BRD.
1989
schließlich wurde der generelle Abschiebestopp
für "Ostblockflüchtlinge" aufgehoben.
1987
wurde das Asylverfahrensgesetz von 1982 novelliert und
verschärft. Nun hiess es, dass "Flüchtlinge, die
sich länger als drei Monate in einem als sicher
definierten Drittstaat aufgehalten haben", kein Asyl
erhalten. Und weiter: "Asylanträge, in denen mit
wirtschaftlicher Not, allgemeiner Notsituation oder
kriegerischen Auseinandersetzungen argumentiert wird, werden
nicht anerkannt." (7) Mit der nun eingeführten
Hürde der Drittstaaten ignoriert und beschneidet der
Staat grundsätzlich das Recht von Asylsuchenden auf die
subjektive Auswahl eines Asyllandes. Außerdem ist ein
sicherer Asylschutz in einem als sicher definierten
Drittstaat nicht in jedem Fall gewährleistet. Kriege,
Armut, extreme Notsituationen sind in der Regel
schwerwiegende Ursachen von Flucht und Emigration. Die
Nicht-Akzeptierung dieser Ursachen bedeutet zugleich:
Aufhebung des Asylrechts. Außerdem ist diese Ignoranz
ein Schlag ins Gesicht der betroffenen Menschen.
Neues
Asylrecht
Die
Gesetzes- und Verfassungsänderungen von 1992/93 haben
die Abschottung und Abschreckung gegenüber
Flüchtlingen perfektioniert und die rechtliche
Situation drastisch verschlechtert. Seit dem Inkrafttreten
des neuen Asylrechts sind die Asylantragszahlen
erzwungenermaßen stark gesunken. Gleichzeitig
verstärkte sich der Druck auf diejenigen
Flüchtlinge, deren Asylantrag bereits vor 1993
abgelaufen war. Sie mußten nun mit einer Abschiebung
rechnen.
Im
Jahre 1998 kamen dennoch 99.000 Flüchtlinge als
Asylsuchende neu ins Land. Über ein Drittel davon waren
Menschen aus Jugoslawien (u.a. Kosovo-AlbanerInnen), gefolgt
von Menschen aus der Türkei, drittens schließlich
von Asylsuchenden aus dem Irak.
Die
Suche nach Asyl bedeutet seit 1993 ein Leben ohne
Aufenthaltsstatus, ohne Sozialleistungen, ohne medizinische
Versorgung. Das neue Asylbewerberleistungsgesetz, ein
maßgeblicher Bestandteil des neuen Asylgesetzes,
brachte die Streichung der Sozialleistungen für
Flüchtlinge, die "nach Auffassung der Behörden
eingereist sind, um Sozialleistungen zu erhalten." Seither
"definiert die Sozialhilfe nur noch für deutsche (und
diesen gleichgestellte) SozialhilfeempfängerInnen das
Minimum zur Führung eines Lebens, das 'der Würde
des Menschen entspricht' (Paragraph 1 Abs. 1 BSHG)." Mit
diesem Asylbewerbergesetz, welches für Flüchtlinge
an die Stelle des Bundessozialhilfegesetzes (BSHG) getreten
ist, wird das Prinzip der "geteilten Menschenwürde"
endgültig festgeschrieben. Heute besteht für kein
einziges Bundesland mehr ein genereller Abschiebestopp.
Demgegenüber konnten z.B. "1984 noch rund zwei Drittel
aller im Bundesgebiet asylsuchenden Flüchtlinge sicher
sein, aufgrund der allgemeinen Situation im Herkunftsland
geduldet zu werden." (8) Geduldet hieß: befristete
Aufenthaltserlaubnis.
Der
Artikel 16, Abs. 2, Satz 2 des Grundgesetzes, "Politisch
Verfolgte genießen Asylrecht" ist seit dem 1.7.1993 in
seiner uneingeschränkten Form gestrichen. Übrig
geblieben ist eine Rechtsruine, der neue Artikel 16a im
Grundgesetz. Demzufolge können Flüchtlinge sich
nicht mehr darauf berufen, politisch Verfolgte zu sein, wenn
sie aus einem Drittstaat einreisen. Die sogenannten
"sicheren Drittstaaten" sind neben allen EU-Mitgliedsstaaten
Norwegen, Polen, Schweiz, Tschechien. Durch die strikt
eingeführte Visapflicht, die verschärfte
Überwachung der Fluchtwege durch Polizei und
Militär, die Zurückweisung der Flüchtlinge an
den Außengrenzen der "Drittstaaten"; sowie durch
Restriktionen gegenüber Fluggesellschaften, die
Asylsuchende ohne legale Papiere befördern, soll so
weit wie möglich verhindert werden, dass
Flüchtlinge die Länder der EU überhaupt erst
betreten. Asylanträge aus einem dieser Drittstaaten
werden als "offensichtlich unbegründet"
abgelehnt.
Als
Legitimation für die Aushöhlung des Grundrechts
auf Asyl gebrauchen bundesdeutsche PolitikerInnen auch das
anvisierte Ziel einer einheitlichen Asylpolitik Europas
gegenüber Flüchtlingen.
"Pro
Asyl" stufte in einem Gutachten die Praxis der
"Drittstaatenregelung" als verfassungswidrig ein. "Nicht
einmal der Zugang zu einem juristischen Verfahren im
jeweiligen Drittland, in das abgeschoben wird, sei
gewährleistet." (9) Abkommen dafür gebe es bisher
nur mit Polen und Österreich, aber selbst dort sei der
uneingeschränkte Zugang zu Justizverfahren für die
Abgeschobenen nicht festgeschrieben.
Der
zweite gravierende Einschnitt der Grundgesetzänderung
(Paragraph 16a, Abs. 3 GG) resultiert aus der Regelung, dass
Staaten bestimmt werden, die als "verfolgungsfrei" gelten.
Es handelt sich dabei um eine zusammengestellte Liste
angeblich "sicherer Herkunftsstaaten": Bulgarien, Polen,
Rumänien, Slowakei, Ungarn, Ghana, Senegal. Formell
sind dies Ausreiseländer, "bei denen aufgrund der
Rechtslage, der Rechtsanwendung und der allgemeinen
politischen Verhältnisse gewährleistet erscheint"
(§ 16a, Abs. 3 GG), dass dort keine politische
Verfolgung stattfindet. Asylanträge von MigrantInnen,
die aus einem als sicher geltenden Herkunftsstaat einreisen,
werden ebenfalls als "offensichtlich unbegründet"
abgelehnt. Verfassungsrechtlich untragbar ist sowohl der
Tatbestand sowie die Auswahl dieser Länderlisten. Das
beweist schon das Faktum, dass es politisch Verfolgte aus
diesen Staaten gab, die auch in der BRD anerkannt worden
sind. Der letztgültige Maßstab dafür, ob ein
Herkunftsstaat "verfolgungsfrei" gilt, sind die in der BRD
niedrigen Anerkennungsquoten dieser Länder. (10)
Auffälligerweise stellte sich heraus, dass genau solche
Länder auf die Liste gesetzt wurden, aus denen in den
letzten Jahren vergleichsweise viele Asylsuchende
kamen.Türkei, Liberia, Zaire wurden im Februar 1993 in
einem Entwurf des Innenministeriums aufgewiesen, aufgrund
von Protesten wurden sie später wieder von der Liste
gestrichen. (11)
Dies
ist ein weiterer Beweis dafür, dass die
ListenerstellerInnen im Bundesinnenministerium daran
interessiert waren, keine Herkunftsländer zu bestimmen,
aus denen politische Verfolgung eindeutig nachweisbar ist,
um das Einreise- und Aufnahmerecht der Verfolgten zu
verhindern.
Massenabschiebungen
Die
Handhabungen der Massenabschiebungen sind die
einschneidendste und schwerwiegendste Konsequenz der
strukturell verfestigten staatlichen Gewalt gegenüber
Flüchtlingen. Mittlerweile sind nur noch die wenigsten
MigrantInnen vor Abschiebungen geschützt.
Gemäß eines Berichtes des Niedersächsischen
Flüchtlingsrates wurden nach 1993 immer mehr
Flüchtlinge abgeschoben, ohne dass ihre
Asylanträge inhaltlich überprüft
wurden.
Beispielsweise
wurden 1994 allein über den Frankfurter Flughafen 11183
ausländische Menschen abgeschoben (nach Geschlecht
liegen keine Angaben vor). Und von November 1993 bis Mai
1994 wurden weit über 20.000 Menschen über die
Flughäfen Berlin, München, Frankfurt abgeschoben.
Die meisten in diesen Jahren Abgeschobenen waren
rumänische StaatsbürgerInnen. Nach
Schätzungen handelte es sich dabei um "über 90
Prozent Roma, deren Existenz in Rumänien unter der
immens gestiegenen Zahl rechtsextremistischer Gruppen und
Parteien sehr gefährdet ist." (12)
Mit
der Regelung der "sicheren Drittstaaten" ist zusätzlich
die Gefahr der "Kettenabschiebungen" verbunden, an deren
Ende die abgeschobenen Menschen wieder im Verfolgerstaat
landen. Denn bei einer Abschiebung in einen sogenannten
sicheren Drittstaat ist nicht gewährleistet, dass die
Flüchtlinge dort Aufnahme und Zugänge zum
Justizverfahren erhalten. Eine weitere Auswirkung dieser
Regelung ist das "Hin- und Herschieben" von
Flüchtlingen.
Die
mit dem Asylgesetz von 1993 eingeführten sogenannten
Asyl-Schnellverfahren führten dazu, dass vermehrt
Menschen aus formalen Gründen abgelehnt und abgeschoben
wurden. Die Betroffenen erhielten keine Chance, ihre
Anträge zu revidieren.
Bedingt
durch die im Asylverfahrensgesetz drastisch gekürzten
Fristen für die Anträge sowie Anhörungen ist
es inzwischen oft so, dass eine Abschiebung in die Wege
geleitet oder eine Abschiebehaft verhängt wird, bevor
die Betroffenen Kontakt mit AnwältInnen haben und sich
beraten lassen können. In sehr vielen Fällen
erfahren es nicht einmal mehr die zuständigen
AnwältInnen, wenn Asylsuchende verhaftet und
abgeschoben werden.
Verantwortliche
PolitikerInnen freuen sich darüber, dass es kaum noch
Chancen auf Asyl gibt. Der ehemalige Bundesinnenminister
Kanther nannte dies "einen Erfolg an Menschlichkeit, denn da
sind 17.000 und 20.000 weniger von Verbrechern nach
Deutschland verschleppt worden, nur um kurzfristig wieder
abgeschoben zu werden." (13)
An
der Ostgrenze werden mit Nachtsichtgeräten,
Spähhubschraubern und einem gewaltigen Aufgebot an
BundesgrenzschützerInnen sich auf der Flucht befindende
Menschen systematisch überwacht und verfolgt. Um die
Grenze zu überwinden, nehmen Asylsuchende auf den
Landwegen (90 % aller Flüchtlinge) oft
lebensgefährliche Fluchtwege auf sich. Nicht wenige
sind dabei umgekommen. Auch hier erfährt die
Öffentlichkeit nur einen Bruchteil dessen, was wirklich
passiert.
Eindeutig
zeigt sich dabei eine Tendenz zur Kriminalisierung von
Flüchtlingen. Dies beweisen nicht nur die Aussagen
bestimmter PolitikerInnen, sondern das erweist sich auch in
den gesetzlichen Erfassungs- und
Vertreibungsmaßnahmen. Tatsächlich wurde
zusätzlich zu den eingerichteten
Abschiebegefängnissen eine "bundesdeutsche
Fahndungsdatei" speziell für Flüchtlinge
eingerichtet. (14) Die vom Ausländerzentralregister
erfassten Daten ermöglichen den deutschen Behörden
schnelle Abschiebungen.
Mit
den gesetzlich verankerten Legitimationen von
Menschenrechtsverletzungen zeigen und zeigten die
Regierenden und die ausführenden deutschen
Behörden ihr rigides und kalt-berechnendes Profil. Die
Fahndungs- und Verfolgungsspirale funktioniert
perfekt.
Im
Prinzip befördert diese staatliche Abschiebepolitik
zugleich die Gewaltbereitschaft rechtsextremer Gruppen aus
der Bevölkerung. Es ist zu befürchten, dass die
deutsche Flüchtlingspolitik ihre "Tiefpunkte" immer
noch nicht erreicht hat. Die seit September 1998 angetretene
rot-grüne Regierung führte und führt die
politische Linie der Abwehr, Abschreckung und Ausgrenzung
von Flüchtlingen weitgehend fort. Die politische
Debatte um Einwanderung, um "Green Cards" für
SpezialistInnen, die sogenannten Fachkräfte für
die Informationstechnologie-Branche zur Sicherung der
Konkurrenzfähigkeit Deutschlands sind nur ein
modernisierter Ausdruck davon. Gegen Flüchtlinge und
Menschen ohne Papiere, gegen die Gefangenen in den
Abschiebegefängnissen und Flüchtlingsheimen wird
weiterhin eine rigide Vertreibungspolitik betrieben. Gegen
diese Politik sind viele Formen eines breit angelegten
gewaltfreien Widerstands und zivilen Ungehorsams
nötig.
Anmerkungen:
(1)
Bundesdeutsche Flüchtlingspolitik und ihre Folgen.
Dokumentation (1993-2000), zusammengestellt von der
Antirassistischen Initiative Berlin, 8. Aufl., Berlin
2000, zu bestellen: Yorckstr. 50, 10965 Berlin.
(2) ebenda, S. 2.
(3) Judith Rosner: Asylsuchende Frauen, neues Asylrecht
und Lagerpolitik in der Bundesrepublik Deutschland,
Verlag für Akademische Schriften, Frankfurt/M. 1996,
S. 116.
(4) vgl. dazu auch: Rosner, S. 28.
(5) ausgeführt bei Andrea Kothen: "Es sagt ja
keiner, dass wir keine Ausländer annehmen".
Zugangsbarrieren für Flüchtlinge und
MigrantInnen im System der sozialen Regeldienste, Verlag
für akademische Schriften, Frankfurt/M. 2000, S.
18.
(6) vgl. Rosner, S. 30.
(7) vgl. Rosner, S. 31.
(8) vgl. Kothen, S. 21.
(9) Frankfurter Rundschau, 1.10.1993, zit. nach Rosner,
S. 33.
(10) vgl. bei Rosner, S. 33f.
(11) ebena.
(12) Niedersächsischer Flüchtlingsrat,
Dokumentation des Medienbüros Oldenburg, 1994, S.
39.
(13) Kanther im Febr. 1994, zit. nach Rosner, S. 45.
(14) Angabe des hessischen Datenschutzbeauftragten
Winfried Hassemar, in: Frankfurter Rundschau, 3.3.1994,
zit. nach Rosner, S. 42.
Papiere
jetzt!
Für die umgehende Legalisierung von
Flüchtlingen ohne
Papiere
(Resolution der Konferenz
der
Flüchtlingsgruppen,
-organisationen und -initiativen zur Legalisierung von
Sans Papiers")
Emanzipation
Humanum,
Version 6. 2001 , Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt,
Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe
und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere
Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen
nach Absprache möglich.
http://emanzipationhumanum.de/deutsch/asyl.html
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