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SPIEGEL ONLINE - Kommentar zum Castor-Konflikt:

Antritt gegen das Stromkartell

 

Die Anti-Castor-Proteste zeigen: Es gibt keinen Atom-Konsens in Deutschland. Die geplante Fortsetzung der Atomkraftnutzung für weitere 20 Jahre ist Ausdruck des Versagens der Demokratie vor der Macht des Oligopols der Stromkonzerne.

Jetzt zetern sie wieder, die Sachwalter der Atomwirtschaft in Deutschlands Ministerien. "Schwere Straftaten" seien bei den Anti-Atom-Demonstrationen begangen worden, zetert der heutige Bundesinnenminister und frühere Sitzblockierer Otto Schily, und will nun pauschal sämtliche namhaft gemachten Demonstranten zur Haftung heranziehen.

Bayerns Innenminister und CSU-Scharfmacher Günther Beckstein erregt sich über "linksextremistische Gewaltexzesse" und selbst Jürgen Trittin, der militante Atomkraftgegner von einst, übt sich pflichtschuldigst in der "Sorge um die Eskalation" im einstigen grünen Stammbezirk Lüchow-Dannenberg.

Schon recht. Die vermummten Möchtegern-Helden, die mit Steinen und Leuchtpistolen im Namen der guten Sache ihre Autoritätskonflikte auf Kosten von Polizeibeamten austoben, sind ein stetes Ärgernis. Doch das ist die unerwünschte Begleiterscheinung fast aller Art von Massenprotesten.

Anstatt die endlose Debatte um Demonstranten-Gewalt erneut anzuheizen, täten Deutschlands rot-grüne Regenten gut daran, sich mit dem eigentlichen Anliegen der in ihrer Mehrheit friedlichen Demonstranten auseinander zu setzen: Es gibt keinen Konsens über die weitere Nutzung der Atomkraft in Deutschland. Und den kann es unter den im vergangenen Jahr mit den Stromkonzernen ausgehandelten Bedingungen auch gar nicht geben.

Denn der vermeintliche Kompromiss ist keiner. Der Bundesregierung ist es in keinem einzigen relevanten Punkt gelungen, dem Oligopol der vier Konzerne RWE, E.on, EnBW und HEW irgendein Zugeständnis abzuringen. Stattdessen sicherten ihnen die Atomkraftgegner im Regierungsamt zu, dass ihre materiellen Interessen aus den Investitionen in das Atomabenteuer in vollem Umfang gewahrt bleiben.

Entsorgung findet nicht statt

Die Konsequenzen daraus sind - ausgedrückt mit den Worten roter und grüner Parolen früherer Zeiten - extrem riskant und unverantwortlich. Nicht nur bleibt die Gefahr der radioaktiven Verseuchung der Heimat von vielen Millionen Menschen infolge eines Super-GAUs. Zudem wächst unaufhörlich der Atommüllberg.

Bereits bis zum Ende des Jahres 2000 waren aus deutschen Atommeilern rund 8500 Tonnen hochgiftigen Strahlenabfalls angefallen. Für dessen auf zigtausend Jahre notwendige Abschottung von der Umwelt gibt es weltweit kein praktikables Konzept, Entsorgung findet nicht statt.

Der Konsensvertrag sieht aber vor, dass diese Anhäufung hochradioaktiver Stoffe noch 20 Jahre lang fortgesetzt wird. Bis dahin wird das Atommüll-Volumen noch einmal um 30 Prozent zunehmen. Zugleich dürfen die Atomstromer weitere fünf Jahre die verstrahlten Brennstäbe zur Extraktion von Plutonium nach Frankreich und England schaffen.

Dort lagern bereits jetzt 5200 Tonnen radioaktiven Schwermetalls, 1770 Tonnen sollen noch dazukommen. Allein aus der Plutoniumfabrik La Hague werden daher in den nächsten 10 Jahren noch 120 Castor-Behälter zurück nach Deutschland fahren müssen. Weitere 39 Müll-Container müssen aus dem britischen Sellafield herangeschafft werden - irgendwohin, nach Gorleben, Ahaus oder anderswo.

Jährlich eine Milliarde Mark Steuersubventionen für die Atomindustrie

Fortgesetzt wird auch die steuerliche Förderung des Atomkraftbetriebs. Rund fünf Milliarden Mark dürfen die Betreiber Jahr für Jahr steuerfrei einnehmen, angeblich zur Vorsorge für die Entsorgungskosten, tatsächlich aber zur freien Verfügung für die Stromwirtschaft, die damit ihre Expansion quer durch alle Branchen finanziert. Gemessen an den Steuerausfällen von über einer Milliarde Mark jährlich nehmen sich die Polizeikosten zum Schutz der Castortransporte von 20 Millionen Mark geradezu bescheiden aus.

Diesen Zustand lediglich mit allzu großer Willfährigkeit der Regierung Schröder gegenüber den Strombossen zu erklären, greift jedoch zu kurz. Das Scheitern der rot-grünen Energiepolitik ist vielmehr Ausdruck eines Demokratie-Versagens, das eine Regierung allein gar nicht beheben kann: Die unkontrollierte - und demokratisch nicht legitimierte - Macht des deutschen Strom-Oligopols.

Mit ihrem Kraftwerksbesitz, den beinahe unbegrenzten Kapitalreserven und dem alleinigen Zugriff auf das Stromnetz, der bis heute wider alle Liberalisierungsträume fortbesteht, können die vier Konzerne jede Energiepolitik torpedieren, die ihren Interessen zuwider läuft.

Selbst das Ausstiegsgesetz müssen die Strombosse genehmigen

Das geht so weit, dass nun selbst das neue Atomgesetz, das doch nur den Konsensvertrag in Paragrafen gießt, den Strom-Managern erst zur Gegenzeichnung vorgelegt wird, bevor das Kabinett es verabschiedet. Weil Minister Trittin zumindest in der Begründung zum Gesetz die Unverantwortlichkeit der Atomkraftnutzung festhalten wollte, verweigerten seine Konsenspartner bislang die Unterschrift. Darum gibt es noch immer kein Ausstiegsgesetz, trotz Konsens.

Zeitgleich missbrauchen die Stromer ihre Macht, um den konsequenten Ausbau der klimaschonenden Kraft-Wärme-Koppelung zu blockieren. Unverhohlen drohten sie mit der Massenentlassung ostdeutscher Braunkohlearbeiter und setzten durch, dass das ambitionierte Klimaschutzprogramm gestutzt wird, um sich die lästige Konkurrenz kleinerer Stromerzeuger vom Hals zu halten.

Gegen den Willen der unseligen Vier ist in Deutschland also lediglich dann Politik zu machen, wenn wirklich breite Kreise der Bevölkerung sich öffentlich und sichtbar dazu bekennen. Genau das aber brachte die müde gewordene Umweltbewegung nach dem Antritt von Rot-Grün kaum noch zu Stande. Unweigerlich gerieten Schröder und seine Truppe darum gegenüber der Strommacht in die Defensive.

Daran werden zwar auch die wieder aufgeflammten Castor-Proteste vorerst wenig ändern. Gleichwohl sind sie unverzichtbar, um wenigstens die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Stromkartell erneut anzufachen.

(C) SPIEGEL ONLINE 2001 - Alle Rechte vorbehalten - Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGELnet AG

Diesen Artikel erreichen Sie im Internet unter der URL http://www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518,125555,00.html

Kontext:

- Nach dem Castor: Schily und Trittin loben Polizei
- Castor in Gorleben: Blitzstart im Morgengrauen
- Castor-Gegner: Nachdenken über den nächsten Transport
- Niedersachsen: 18.200 Polizisten waren im Castor-Einsatz
- Tag III: Alles rund um den Castor
- Kalte Stunden zum Ruhm: Die Bewegung hat eine neue Heldin
- Strahlenforscher Jentzsch: "Die Atombetreiber wollen uns für dumm verkaufen"
- Fotostrecke: Von Dahlenburg nach Gorleben
- Interview mit Rebecca Harms: "Man lebt irgendwie im Ausnahmezustand"
- Castor-Gegner: "Besser hätte es für uns gar nicht laufen können"
- Atompolitik: 83 Prozent: Castor-Transporte sind nicht aufzuhalten
- Widerstand gegen Castor: Polizei will Gitterkäfige einsetzen
- Der Castor-Polizeichef: Angst vor dem Schwarzen Block
- Real-Video: Chaostage am Castor
- Zwischenlager Gorleben: "Bessere Tennishalle"

Im Internet:

- Greenpeace


Traute Kirsch

Opferschutz

 

Anhörung des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zur Atomgesetznovelle in Berlin am 5. November 2001

Bei dieser Anhörung hat es viele Äußerungen von Seiten der Juristen und Fachleute gegeben, die meinen Unwillen erregt haben.

Am stärksten betroffen gemacht hat mich jedoch die Art und Weise, mit der auf die Frage geantwortet wurde, auf welcher Grundlage denn die Bundesregierung die Deckungsvorsorge für den Super-Gau in Höhe von 5 Milliarden DM festgelegt habe.

Auf diese Frage kann es angesichts einer Katastrophe, die auch materiell nicht zu verkraften ist, keine vernünftige Antwort geben.

Doch die Fachleute ließen sich keine Unsicherheit anmerken. Ungerührt und mit der größten Selbstverständlichkeit kam das Wort „Opferschutz" von ihren Lippen, für den die 5 Milliarden DM gedacht seien.

Von einer Betroffenheit darüber, dass nach einer Atomkatastrophe Millionen Menschen durch radioaktive Belastung gesundheitlich geschädigt, ihr Eigentum, Ihr Lebensumfeld und ihre Erwerbsgrundlage verloren haben, war nichts zu spüren.

Stattdessen wurde mit der Verwendung des Begriffes „Opferschutz" menschenverachtend und zynisch zum Ausdruck gebracht,

- dass es der Atomindustrie erlaubt ist, Risiken einzugehen, die eine Opferung der Bevölkerung beinhalten und

- dass Millionen Menschen nach einem Super-Gau für ihre Weiterexistenz auf Schutzmaßnahmen des Staates angewiesen sind.

Ein Wort, bei dessen Verwendung einem kalte Schauer über den Rücken laufen sollten, wurde kaltschnäuzig als Terminus technicus verwendet wird.

Die 5 Milliarden DM sind angesichts der durch eine Atomkatastrophe verursachten ungeheuren Schäden nur ein Tropfen auf den heißen Stein, dessen Kühlung, um im Bild zu bleiben, gar nicht möglich ist.

Doch wie absurd es ist, eine solche Summe festzulegen, wurde gar nicht angesprochen.

Es wurde nur erklärt, in dieser Festsetzung sei eine politische Entscheidung zu sehen, gegen die nichts einzuwenden sei.

Manch einer mag sich fragen warum denn die gegebene Möglichkeit, politisch zu entscheiden, nicht genutzt werde, um die Deckungsvorsorge so hoch festzusetzen, dass die Betreiber ihre AKWs schließen müssten.

Nun so weit geht die Entscheidungsfreiheit eben nicht. Sie hört da auf, wo sie die angemessene Gewinnerzielung für die Atomindustrie beeinträchtigt. Das wurde während der Anhörung eindeutig klargestellt.


Landesarbeitskreis Atom des BUND-Landesverbandes NRW

 

Super-Gau und „Ausstiegsgesetz"

Bisher wurden die Forderungen nach Ausstieg aus der Atomkraft, bzw. nach Stillegung von Atomkraftwerken abgewehrt mit dem Hinweis „ Recht und Gesetz" ließen das nicht zu.

Vor allem die Parteispitzen von Sozialdemokraten und Bündnisgrünen informierten ihre Basis und die Öffentlichkeit dahingehend, dass bei Stillegungen Entschädigungszahlungen für den Staat in untragbarer Höhe anfallen würden.

Im Wahlkampf 98 und nach Regierungsantritt erklärten VertreterInnen beider Parteien, sie würden das Atomgesetz ändern mit dem Ziel, den Ausstieg herbeizuführen. Damit wurde der Eindruck erweckt, Rot-Grün hätte die Absicht, das Atomgesetz im Interesse des Ausstiegs neu zu gestalten und „Recht und Gesetz" zu ändern.

Bei Wertung der für das Atomgesetz vorgesehenen Streichungen, Umformulierungen und Ergänzungen muß man jedoch zu dem Schluß kommen, dass - entgegen den offiziellen Aussagen - die Atomgesetzänderung dazu dienen soll, „Recht und Gesetz" im Sinne der weiteren Nutzung der Atomkraft zu festigen.

Zentraler Bedeutung kommt dabei der Regelung für die sogenannten „Rest"laufzeiten zu. Danach erhalten die Atomfirmen einen Anspruch auf die Produktion einer bestimmten Menge Strom. Die Produktionsmenge ist dabei so bemessen, dass der Betrieb der AKWs bis zum technisch bedingten Ende gesichert ist. Entscheidend ist, dass dies beinhaltet:

Die Atomfirmen erhalten ein uneingeschränktes Recht zur Stromerzeugung und zwar unter ausdrücklicher Akzeptanz der atomaren Risiken, wie Super-Gau, Standort-zwischenlager und die Verdoppelung des Atommüllberges.

Der Super-Gau für Rot-Grün ein gesellschaftlich angemessenes Risiko

Das Risiko des Super-Gaus stellt für die Atomwirtschaft eine schwerwiegende rechtliche Pro-blematik dar. Sie ergibt sich daraus, dass die Kernschmelze, die 1986 zur Atomkatastrophe

a la Tschernobyl -dem Super Gau- geführt hat, weder ausgeschlossen noch beherrscht werden kann. Aufgrund des in der Verfassung verankerten Rechtes der Menschen auf Leben und körperliche Unversehrtheit müsste deshalb die Nutzung der Atomkraft als unzulässig ange-sehen werden. Dem daher zu vollziehenden Ausstieg steht das derzeitige Atomgesetz auch nicht entgegen, wie behauptet wird. Es hat nämlich den Betrieb der AKWs davon abhängig gemacht hat, dass die nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden getroffen ist. Da nach dem Stand von Wissenschaft und Technik der Super-Gau nicht ausgeschlossen, mithin die erforderliche Vorsorge gegen Schäden nicht getroffen werden kann, ist der Betrieb der AKWs auch mit dem derzeitigen Atomgesetz nicht verein-bar; d. h.: Den Betreibern ist ein Anspruch auf Entschädigungszahlungen nicht zuzubilligen.

Das „Aus" für die Nutzung der Atomkraft wurde bis zum Regierungsantritt von Rot-Grün verhindert mit der These vom hypothetischen Risiko. Rechtsgrundlage für diese These ist der Kalkar-Entscheid des Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1978, in dem die Richter festgestellt hatten, dass Ereignisse jenseits des menschlichen Erkenntnisvermögens im Geneh-migungsverfahren nicht zu berücksichtigen seien. Dies wurde von der Rechtspraxis und der Rechtsprechung so ausgelegt, als ob die Atomkatastrophe nur eine hyhpothetische Möglich-keit sei, die als praktisch ausgeschlossen gelten müsse.

Nach Tschernobyl hätte es nun als Stand von Wissenschaft und Technik anerkannt werden müssen, dass die Atomkatastrophe nicht mehr praktisch auszuschließen sei. Doch die verant-wortlichen Politiker konnten sich nicht zur Stillegung der Atomkraftwerke durchringen. Zu ihrer Rechtfertigung behaupteten sie, deutsche Atomkraftwerke seien sicher, die These vom hypothetischen Risiko damit immer noch gültig.

Da dies jedoch nicht den realen Gegebenheiten entspricht, fürchten die Vertreter der Atom-wirtschaft zu Recht, dass die These vom hypothetischen Risiko sich als tönerne Füße für die weitere Nutzung der Atomkraft erweisen könnte. Sie haben daher der Bundesregierung auferlegt, in der Atomgesetznovelle den Rechtsanspruch für die Atomfirmen festzuschreiben, das reale Risiko der Atomkatastrophe eingehen zu dürfen.

Mit der Festlegung der Laufzeiten über die Produktion von Strommengen bis zum technisch bedingten Ende soll dieses Recht nun gesetzlich festgeschrieben werden. Damit es bei der Auslegung des geänderten Atomgesetzes auch nicht zu Mißverständnissen kommen kann, hat die Bundesregierung in ihrer Begründung zur Atomgesetznovelle die entsprechenden Ausführungen gemacht. So wird da klargestellt, dass sich die Möglichkeit von Unfällen mit großen Freisetzungen nicht ausschließen lässt, dass dies aber ein gesellschaftlich angemessenes Risiko - eine sozialadäquate Last - sei.

Das heißt, die Bundesregierung will die falsche These vom hypothetischen Risiko beseitigen und gleichzeitig dem nunmehr anerkannten realen Risiko gesellschaftliche Angemessenheit bescheinigen.

Der Rechtfertigung aus dem Bundesumweltministerium, die Nutzung der Atomkraft werde nur für einen begrenzten Zeitraum hingenommen und da sei das tolerabel, muss jedoch massiv widersprochen werden.

Es gibt keine Maßstäbe, auf Grund derer Zeiträume festgelegt werden könnten, in denen die Nutzung der Atomkraft das Prädikat „sozial angemessen" verdient.

Mit dramatischer und grauenerregender Eindringlichkeit hat die Vernichtung des World Trade Center der Öffentlichkeit vorgeführt, wie nur eine der möglichen Ursachen für einen Super-Gau - der terroristische Anschlag - als drohendes Menetekel über jedem Atomkraft-werk schwebt. Doch der Bundesregierung geht es nur darum, „die Rechts- und Planungshoheit der Unternehmen zu verbessern", wie in ihrer Begründung zur Atomrechtsnovelle zu lesen ist (s.S.44 unter V).

Damit stimmt dann überein, dass auch die Nichtversicherbarkeit einer solchen Katastrophe als hinzunehmendes Risiko eine gesetzlich Absicherung findet. Sie schlägt sich in einem Be-trag für die Deckungsvorsorge nieder, der gerade einen minimalen Bruchteil von einem Pro-zent der für den Fall der Atomkatastrophe errechneten materiellen Schadenssumme beträgt.

Das Gebot zur Zwischenlagerung

Auch mit dem neu eingeführte Gebot zur Zwischenlagerung am AKW-Standort wird nur der Zweck verfolgt, den Ausstieg als Konsequenz aus der Nichterfüllbarkeit des vom Atomgesetz verlangten Entsorgungskonzeptes zu umgehen.

So ist ein Endlager nicht in Sicht. Nachdem vor 30 Jahren die ersten Atomkraftwerke in Betrieb gingen, ist man heute noch dabei, Kriterien für Endlager fest zu legen und entsprechende Konzepte zu entwickeln. Nichts spricht dafür, dass diese Bemühungen auch nur zu einigermaßen befriedigenden Ergebnissen führen werden.

Die sogenannte schadlose Verwertung hat sich als nicht machbar herausgestellt.

In den Wiederaufbereitungsanlagen, denen diese Aufgabe zugedacht war, erfolgt lediglich eine Bearbeitung der abgebrannten Brennelemente in der Weise, dass eine große Menge an Radioaktivität ins Meer entlassen werden muß und dieses verseucht, während ansonsten die radioaktiven Stoffe aus den Brennelementen so konditioniert werden (z. B. in Kokillen eingeschmolzen), dass der vertraglich vorgesehene Rücktransport in die Bundesrepublik stattfinden kann.

Die bisherige Not- und Übergangslösung, die abgebrannten Brennelemente in zentralen Zwischenlagern unterzubringen, wird auf Grund der Erfahrungen mit Castor-Blockaden und wegen u.U. zu befürchtenden terroristischen Anschlägen auf die Transporte als nicht ausreichend angesehen, um den störungsfreien Betrieb der AKWs zu gewährleisten.

Deshalb soll der Gesetzgeber nun vorschreiben, was bisher aus Gründen des Gebots zur Risikominimierung verboten war, die Lagerung des hochradioaktiven Mülls bei den Atomkraftwerken. Sozialdemokraten und Bündnisgrüne bekunden damit demonstrativ, dass sie es angemessen finden, im Interesse der weiteren Nutzung der Atomkraft die Risiken für die Bevölkerung vor Ort zu erhöhen.

Das Verbot zur Errichtung neuer Atomkraftwerke

Vor diesem Hintergrund ist die im Genehmigungsparagraphen 7 Abs. 1 in dem neu angefüg-ten Satz 2 zu findende Bestimmung "Für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zur Spaltung von Kernbrennstoffen zur Erzeugung von Elektrizität und von Anlagen zur Aufarbeitung bestrahlter Kernbrennstoffe werden keine Genehmigungen erteilt.", das Papier nicht wert, auf dem sie steht

Das hier verfügte Verbot des Neubaus von Atomkraftwerken steht in völligem Gegensatz zu der positiven Einschätzung der Nutzung der Atomkraft, wie sie in den rechtlichen Rahmenbedingungen der Gesetzesnovelle zum Ausdruck kommt. Ein solches Verbot läßt sich auch nicht vereinbaren mit der weiteren staatlichen Förderung der gemeinsam von Framatom und Siemens betriebenen Entwicklung eines neuen Reaktors (EPR). Von den Chefs der nicht an den Konsensgesprächen beteiligten Konzerne kam denn auch schon die Drohung, gegebenenfalls zu klagen. Selbstverständlich kann auch der Bundestag jederzeit den Verbotsparagraphen aus dem Gesetz herausstreichen.

Rot-Grün und „Recht und Gesetz"

Sozialdemokraten und Bündnisgrüne haben ihre Parteibasis und die Öffentlichkeit immer dahingehend informiert, dass sie keine Wahl hätten und das Atomgesetz in der von der Atomindustrie diktierten Form verabschieden müssten.

Während der Verbändeanhörung am 06. August mit Vertretern der Atomindustrie nannte der Leiter der Anhörung Herrn Ministerialdirigent Dr. Wolfgang Renneberg (BMU) als Grund-lage für diese Auffassung, dass die Betreiber unbefristete Betriebsgenehmigungen und somit einen Anspruch auf Vertrauens- und Bestandsschutz besäßen. Er widersprach damit den Umweltverbänden, die ausgeführt hatten, mit dem Supergau von Tschernobyl und dem nicht erfüllten Entsorgungskonzept hätten sich die wichtigsten Genehmigungsvoraussetzungen für AKWs als nicht erfüllbar erwiesen, so dass der Staat zum Ausstieg verpflichtet sei. Die Verabschiedung der Atomgesetznovelle - fälschlich Ausstiegsgesetz genannt - diene hingegen nur dazu, die Mängel der Genehmigungen nachträglich zu heilen.

Renneberg argumentierte dagegen, die Behörden hätten vor Tschernobyl in voller Kenntnis der Möglichkeit einer Atomkatastrophe die Betriebsgenehmigungen erteilt; man habe immer gewusst - es immer als Stand von Wissenschaft und Technik anerkannt -, dass es sich bei dem Supergau um ein reales Risiko handele. Für die Betreiber sei deshalb mit den erteilten Ge-nehmigungen ein Vertrauensschutz mit Rechtsanspruch auf unbefristeten Betrieb entstanden.

Dieser Vertrauensschutz wurde auch im Hinblick auf die nichterfüllten Entsorgungsauflagen angeführt. Dazu war von Seiten der Verbände vorgetragen worden: Die Genehmigungen würden nur so lange den Betrieb zulassen, als die Genehmigungsvoraus-setzungen (Auflagen) eingehalten werden könnten.

Dazu gehöre aber neben der Notwendigkeit, den Eintritt der Atomkatastrophe zu verhindern auch, dass ein Entsorgungsnachweis entsprechend den Vorschriften des jetzigen Atomgesetzes erbracht würde. Das sei aber nicht möglich. Schließlich wäre es ja offizielle Position, dass das vom Atomgesetz verlangte Entsorgungskonzept als gescheitert angesehen werden müsse.

Auch hier sagte Renneberg, man habe bei Erteilung der Genehmigungen gewusst, das die gesetzlichen Vorschriften nicht erfüllbar seien, so dass ein Vertrauensschutz entstanden sei.

Damit dokumentiert Renneberg:

Dem BMU und der Bundesregierung ist der Schutz der Bevölkerung vor den schädlichen Auswirkungen und Risiken möglicher radioaktiver Freisetzungen vollkommen gleichgültig.

Offensichtlich ist für Rot-Grün der Gedanke, dass die Bevölkerung einen Anspruch darauf hätte, auf die Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und erteilter Auflagen vertrauen zu können, völlig abwegig.

Der Stand von Wissenschaft und Technik, der nach dem Willen des Gesetzgebers des Jahres 1959 die Aufgabe hatte, die zum Schutz der Menschen erforderlichen Vorgaben für den Ausschluß bezw. die Minimierung der Risiken künstlicher Radioaktivität zu liefern, wird dementsprechend von Rot-Grün als rechtlich irrelevant behandelt.

Die zentralen Risiken der Nutzung der Atomkraft bestehen in dem Risiko des Supergaus und in dem Entsorgungsrisiko. Nach dem Stand von Wissenschaft und Technik sind diese Risiken nicht beherrschbar. Um den Betrieb der Atomkraftwerke zu ermöglichen, wurde und wird deshalb der Stand von Wissenschaft und Technik, so weit er die Vorsorge gegen Risiken betrifft, außer Kraft gesetzt.

Das kann auch gar nicht anders sein; denn: Die Nutzung der Atomkraft ist nur möglich, wenn man die Menschen kompromißlos den atomaren Risiken ausliefert. Die Atomgesetzänderung hat deshalb nur das Ziel, die Menschen recht- und schutzlos zu stellen und die Rechtsposition der Atomindustrie unangreifbar zu machen: Kurz auf einen Nenner gebracht:

Die Politik soll sich selbst entmachten und sich jeder Einflußnahme und Beschlußfassung zum Schutz der Bürger berauben.

Indem die Bundesregierung der Atomindustrie die Formulierung des Textes der Atomgesetz-novelle überließ, hat sie provokativ ihre Auffassung demonstriert, dass die atompolitischen Entscheidungen von der Atomindustrie zu treffen sind. Daraus ist zu folgern, dass die politische Selbstentmachtung Sinn und Zweck des Gesetzesvorhabens ist. Das heißt: Mit der Atomgesetznovelle soll festgeschrieben werden, das zukünftig politische Einflußnahmen zum Schutz der Bevölkerung gegen den Willen der Atomindustrie nicht mehr möglich sind.

Forderungen an die Bundestagsabgeordneten aller Parteien:

- Lassen Sie es nicht zu, dass sich die Bundesregierung mit ihrer Auffassung durchsetzt, der Super-Gau sei als sozial angemessenes Risiko hinzunehmen!

- Lassen Sie es nicht zu, dass mit Zwischenlagern der Atomindustrie demonstrativ gestattet wird, die Risiken an AKW-Standorten zu erhöhen!

- Lassen Sie es nicht zu, dass der Anspruch der BürgerInnen auf Maßnahmen zur Risikovorsorge mißachtet und damit gegen das Recht auf Leben und Gesundheit (Artikel 2;2GG) verstoßen wird!

Visdp Traute Kirsch, atompolitische Sprecherin NRW, November 2001 - eMail: traute.kirsch@bund.net

 


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Emanzipation Humanum, Version 11. 2001, Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt, Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen nach Absprache möglich.

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