SPIEGEL
ONLINE - Kommentar zum Castor-Konflikt:
Antritt
gegen
das Stromkartell
Die
Anti-Castor-Proteste zeigen: Es gibt keinen Atom-Konsens in
Deutschland. Die geplante Fortsetzung der Atomkraftnutzung
für weitere 20 Jahre ist Ausdruck des Versagens der
Demokratie vor der Macht des Oligopols der Stromkonzerne.
Jetzt
zetern sie wieder, die Sachwalter der Atomwirtschaft in
Deutschlands Ministerien. "Schwere Straftaten" seien bei den
Anti-Atom-Demonstrationen begangen worden, zetert der
heutige Bundesinnenminister und frühere Sitzblockierer
Otto Schily, und will nun pauschal sämtliche namhaft
gemachten Demonstranten zur Haftung heranziehen.
Bayerns
Innenminister und CSU-Scharfmacher Günther Beckstein
erregt sich über "linksextremistische Gewaltexzesse"
und selbst Jürgen Trittin, der militante
Atomkraftgegner von einst, übt sich pflichtschuldigst
in der "Sorge um die Eskalation" im einstigen grünen
Stammbezirk Lüchow-Dannenberg.
Schon
recht. Die vermummten Möchtegern-Helden, die mit
Steinen und Leuchtpistolen im Namen der guten Sache ihre
Autoritätskonflikte auf Kosten von Polizeibeamten
austoben, sind ein stetes Ärgernis. Doch das ist die
unerwünschte Begleiterscheinung fast aller Art von
Massenprotesten.
Anstatt
die endlose Debatte um Demonstranten-Gewalt erneut
anzuheizen, täten Deutschlands rot-grüne Regenten
gut daran, sich mit dem eigentlichen Anliegen der in ihrer
Mehrheit friedlichen Demonstranten auseinander zu setzen: Es
gibt keinen Konsens über die weitere Nutzung der
Atomkraft in Deutschland. Und den kann es unter den im
vergangenen Jahr mit den Stromkonzernen ausgehandelten
Bedingungen auch gar nicht geben.
Denn
der vermeintliche Kompromiss ist keiner. Der Bundesregierung
ist es in keinem einzigen relevanten Punkt gelungen, dem
Oligopol der vier Konzerne RWE, E.on, EnBW und HEW irgendein
Zugeständnis abzuringen. Stattdessen sicherten ihnen
die Atomkraftgegner im Regierungsamt zu, dass ihre
materiellen Interessen aus den Investitionen in das
Atomabenteuer in vollem Umfang gewahrt bleiben.
Entsorgung
findet nicht statt
Die
Konsequenzen daraus sind - ausgedrückt mit den Worten
roter und grüner Parolen früherer Zeiten - extrem
riskant und unverantwortlich. Nicht nur bleibt die Gefahr
der radioaktiven Verseuchung der Heimat von vielen Millionen
Menschen infolge eines Super-GAUs. Zudem wächst
unaufhörlich der Atommüllberg.
Bereits
bis zum Ende des Jahres 2000 waren aus deutschen Atommeilern
rund 8500 Tonnen hochgiftigen Strahlenabfalls angefallen.
Für dessen auf zigtausend Jahre notwendige Abschottung
von der Umwelt gibt es weltweit kein praktikables Konzept,
Entsorgung findet nicht statt.
Der
Konsensvertrag sieht aber vor, dass diese Anhäufung
hochradioaktiver Stoffe noch 20 Jahre lang fortgesetzt wird.
Bis dahin wird das Atommüll-Volumen noch einmal um 30
Prozent zunehmen. Zugleich dürfen die Atomstromer
weitere fünf Jahre die verstrahlten Brennstäbe zur
Extraktion von Plutonium nach Frankreich und England
schaffen.
Dort
lagern bereits jetzt 5200 Tonnen radioaktiven Schwermetalls,
1770 Tonnen sollen noch dazukommen. Allein aus der
Plutoniumfabrik La Hague werden daher in den nächsten
10 Jahren noch 120 Castor-Behälter zurück nach
Deutschland fahren müssen. Weitere 39
Müll-Container müssen aus dem britischen
Sellafield herangeschafft werden - irgendwohin, nach
Gorleben, Ahaus oder anderswo.
Jährlich
eine Milliarde Mark Steuersubventionen für die
Atomindustrie
Fortgesetzt
wird auch die steuerliche Förderung des
Atomkraftbetriebs. Rund fünf Milliarden Mark
dürfen die Betreiber Jahr für Jahr steuerfrei
einnehmen, angeblich zur Vorsorge für die
Entsorgungskosten, tatsächlich aber zur freien
Verfügung für die Stromwirtschaft, die damit ihre
Expansion quer durch alle Branchen finanziert. Gemessen an
den Steuerausfällen von über einer Milliarde Mark
jährlich nehmen sich die Polizeikosten zum Schutz der
Castortransporte von 20 Millionen Mark geradezu bescheiden
aus.
Diesen
Zustand lediglich mit allzu großer Willfährigkeit
der Regierung Schröder gegenüber den Strombossen
zu erklären, greift jedoch zu kurz. Das Scheitern der
rot-grünen Energiepolitik ist vielmehr Ausdruck eines
Demokratie-Versagens, das eine Regierung allein gar nicht
beheben kann: Die unkontrollierte - und demokratisch nicht
legitimierte - Macht des deutschen Strom-Oligopols.
Mit
ihrem Kraftwerksbesitz, den beinahe unbegrenzten
Kapitalreserven und dem alleinigen Zugriff auf das
Stromnetz, der bis heute wider alle
Liberalisierungsträume fortbesteht, können die
vier Konzerne jede Energiepolitik torpedieren, die ihren
Interessen zuwider läuft.
Selbst
das Ausstiegsgesetz müssen die Strombosse genehmigen
Das
geht so weit, dass nun selbst das neue Atomgesetz, das doch
nur den Konsensvertrag in Paragrafen gießt, den
Strom-Managern erst zur Gegenzeichnung vorgelegt wird, bevor
das Kabinett es verabschiedet. Weil Minister Trittin
zumindest in der Begründung zum Gesetz die
Unverantwortlichkeit der Atomkraftnutzung festhalten wollte,
verweigerten seine Konsenspartner bislang die Unterschrift.
Darum gibt es noch immer kein Ausstiegsgesetz, trotz
Konsens.
Zeitgleich
missbrauchen die Stromer ihre Macht, um den konsequenten
Ausbau der klimaschonenden Kraft-Wärme-Koppelung zu
blockieren. Unverhohlen drohten sie mit der Massenentlassung
ostdeutscher Braunkohlearbeiter und setzten durch, dass das
ambitionierte Klimaschutzprogramm gestutzt wird, um sich die
lästige Konkurrenz kleinerer Stromerzeuger vom Hals zu
halten.
Gegen
den Willen der unseligen Vier ist in Deutschland also
lediglich dann Politik zu machen, wenn wirklich breite
Kreise der Bevölkerung sich öffentlich und
sichtbar dazu bekennen. Genau das aber brachte die müde
gewordene Umweltbewegung nach dem Antritt von Rot-Grün
kaum noch zu Stande. Unweigerlich gerieten Schröder und
seine Truppe darum gegenüber der Strommacht in die
Defensive.
Daran
werden zwar auch die wieder aufgeflammten Castor-Proteste
vorerst wenig ändern. Gleichwohl sind sie
unverzichtbar, um wenigstens die gesellschaftliche
Auseinandersetzung mit dem Stromkartell erneut anzufachen.
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Traute
Kirsch
Opferschutz
Anhörung
des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und
Reaktorsicherheit zur Atomgesetznovelle in Berlin am 5.
November 2001
Bei
dieser Anhörung hat es viele Äußerungen von
Seiten der Juristen und Fachleute gegeben, die meinen
Unwillen erregt haben.
Am
stärksten betroffen gemacht hat mich jedoch die Art und
Weise, mit der auf die Frage geantwortet wurde, auf welcher
Grundlage denn die Bundesregierung die Deckungsvorsorge
für den Super-Gau in Höhe von 5 Milliarden DM
festgelegt habe.
Auf
diese Frage kann es angesichts einer Katastrophe, die auch
materiell nicht zu verkraften ist, keine vernünftige
Antwort geben.
Doch
die Fachleute ließen sich keine Unsicherheit anmerken.
Ungerührt und mit der größten
Selbstverständlichkeit kam das Wort Opferschutz"
von ihren Lippen, für den die 5 Milliarden DM gedacht
seien.
Von
einer Betroffenheit darüber, dass nach einer
Atomkatastrophe Millionen Menschen durch radioaktive
Belastung gesundheitlich geschädigt, ihr Eigentum, Ihr
Lebensumfeld und ihre Erwerbsgrundlage verloren haben, war
nichts zu spüren.
Stattdessen
wurde mit der Verwendung des Begriffes Opferschutz"
menschenverachtend und zynisch zum Ausdruck gebracht,
-
dass es der Atomindustrie erlaubt ist, Risiken
einzugehen, die eine Opferung der Bevölkerung
beinhalten und
-
dass Millionen Menschen nach einem Super-Gau für
ihre Weiterexistenz auf Schutzmaßnahmen des Staates
angewiesen sind.
Ein
Wort, bei dessen Verwendung einem kalte Schauer über
den Rücken laufen sollten, wurde kaltschnäuzig als
Terminus technicus verwendet wird.
Die
5 Milliarden DM sind angesichts der durch eine
Atomkatastrophe verursachten ungeheuren Schäden nur ein
Tropfen auf den heißen Stein, dessen Kühlung, um
im Bild zu bleiben, gar nicht möglich ist.
Doch
wie absurd es ist, eine solche Summe festzulegen, wurde gar
nicht angesprochen.
Es
wurde nur erklärt, in dieser Festsetzung sei eine
politische Entscheidung zu sehen, gegen die nichts
einzuwenden sei.
Manch
einer mag sich fragen warum denn die gegebene
Möglichkeit, politisch zu entscheiden, nicht genutzt
werde, um die Deckungsvorsorge so hoch festzusetzen, dass
die Betreiber ihre AKWs schließen müssten.
Nun
so weit geht die Entscheidungsfreiheit eben nicht. Sie
hört da auf, wo sie die angemessene Gewinnerzielung
für die Atomindustrie beeinträchtigt. Das wurde
während der Anhörung eindeutig klargestellt.
Landesarbeitskreis Atom des
BUND-Landesverbandes NRW
Super-Gau
und Ausstiegsgesetz"
Bisher
wurden die Forderungen nach Ausstieg aus der Atomkraft, bzw.
nach Stillegung von Atomkraftwerken abgewehrt mit dem
Hinweis Recht und Gesetz" ließen das nicht
zu.
Vor
allem die Parteispitzen von Sozialdemokraten und
Bündnisgrünen informierten ihre Basis und die
Öffentlichkeit dahingehend, dass bei Stillegungen
Entschädigungszahlungen für den Staat in
untragbarer Höhe anfallen würden.
Im
Wahlkampf 98 und nach Regierungsantritt erklärten
VertreterInnen beider Parteien, sie würden das
Atomgesetz ändern mit dem Ziel, den Ausstieg
herbeizuführen. Damit wurde der Eindruck erweckt,
Rot-Grün hätte die Absicht, das Atomgesetz im
Interesse des Ausstiegs neu zu gestalten und Recht und
Gesetz" zu ändern.
Bei
Wertung der für das Atomgesetz vorgesehenen
Streichungen, Umformulierungen und Ergänzungen
muß man jedoch zu dem Schluß kommen, dass -
entgegen den offiziellen Aussagen - die
Atomgesetzänderung dazu dienen soll, Recht und
Gesetz" im Sinne der weiteren Nutzung der Atomkraft zu
festigen.
Zentraler
Bedeutung kommt dabei der Regelung für die sogenannten
Rest"laufzeiten zu. Danach erhalten die Atomfirmen
einen Anspruch auf die Produktion einer bestimmten Menge
Strom. Die Produktionsmenge ist dabei so bemessen, dass der
Betrieb der AKWs bis zum technisch bedingten Ende gesichert
ist. Entscheidend ist, dass dies beinhaltet:
Die
Atomfirmen erhalten ein uneingeschränktes Recht zur
Stromerzeugung und zwar unter ausdrücklicher Akzeptanz
der atomaren Risiken, wie Super-Gau, Standort-zwischenlager
und die Verdoppelung des Atommüllberges.
Der
Super-Gau für Rot-Grün ein gesellschaftlich
angemessenes Risiko
Das
Risiko des Super-Gaus stellt für die Atomwirtschaft
eine schwerwiegende rechtliche Pro-blematik dar. Sie ergibt
sich daraus, dass die Kernschmelze, die 1986 zur
Atomkatastrophe
a
la Tschernobyl -dem Super Gau- geführt hat, weder
ausgeschlossen noch beherrscht werden kann. Aufgrund des in
der Verfassung verankerten Rechtes der Menschen auf Leben
und körperliche Unversehrtheit müsste deshalb die
Nutzung der Atomkraft als unzulässig ange-sehen werden.
Dem daher zu vollziehenden Ausstieg steht das derzeitige
Atomgesetz auch nicht entgegen, wie behauptet wird. Es hat
nämlich den Betrieb der AKWs davon abhängig
gemacht hat, dass die nach dem Stand von Wissenschaft und
Technik erforderliche Vorsorge gegen Schäden getroffen
ist. Da nach dem Stand von Wissenschaft und Technik der
Super-Gau nicht ausgeschlossen, mithin die erforderliche
Vorsorge gegen Schäden nicht getroffen werden kann, ist
der Betrieb der AKWs auch mit dem derzeitigen Atomgesetz
nicht verein-bar; d. h.: Den Betreibern ist ein Anspruch auf
Entschädigungszahlungen nicht zuzubilligen.
Das
Aus" für die Nutzung der Atomkraft wurde bis zum
Regierungsantritt von Rot-Grün verhindert mit der These
vom hypothetischen Risiko. Rechtsgrundlage für diese
These ist der Kalkar-Entscheid des
Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 1978, in dem die
Richter festgestellt hatten, dass Ereignisse jenseits des
menschlichen Erkenntnisvermögens im
Geneh-migungsverfahren nicht zu berücksichtigen seien.
Dies wurde von der Rechtspraxis und der Rechtsprechung so
ausgelegt, als ob die Atomkatastrophe nur eine
hyhpothetische Möglich-keit sei, die als praktisch
ausgeschlossen gelten müsse.
Nach
Tschernobyl hätte es nun als Stand von Wissenschaft und
Technik anerkannt werden müssen, dass die
Atomkatastrophe nicht mehr praktisch auszuschließen
sei. Doch die verant-wortlichen Politiker konnten sich nicht
zur Stillegung der Atomkraftwerke durchringen. Zu ihrer
Rechtfertigung behaupteten sie, deutsche Atomkraftwerke
seien sicher, die These vom hypothetischen Risiko damit
immer noch gültig.
Da
dies jedoch nicht den realen Gegebenheiten entspricht,
fürchten die Vertreter der Atom-wirtschaft zu Recht,
dass die These vom hypothetischen Risiko sich als
tönerne Füße für die weitere Nutzung
der Atomkraft erweisen könnte. Sie haben daher der
Bundesregierung auferlegt, in der Atomgesetznovelle den
Rechtsanspruch für die Atomfirmen festzuschreiben, das
reale Risiko der Atomkatastrophe eingehen zu
dürfen.
Mit
der Festlegung der Laufzeiten über die Produktion von
Strommengen bis zum technisch bedingten Ende soll dieses
Recht nun gesetzlich festgeschrieben werden. Damit es bei
der Auslegung des geänderten Atomgesetzes auch nicht zu
Mißverständnissen kommen kann, hat die
Bundesregierung in ihrer Begründung zur
Atomgesetznovelle die entsprechenden Ausführungen
gemacht. So wird da klargestellt, dass sich die
Möglichkeit von Unfällen mit großen
Freisetzungen nicht ausschließen lässt, dass dies
aber ein gesellschaftlich angemessenes Risiko - eine
sozialadäquate Last - sei.
Das
heißt, die Bundesregierung will die falsche These vom
hypothetischen Risiko beseitigen und gleichzeitig dem
nunmehr anerkannten realen Risiko gesellschaftliche
Angemessenheit bescheinigen.
Der
Rechtfertigung aus dem Bundesumweltministerium, die Nutzung
der Atomkraft werde nur für einen begrenzten Zeitraum
hingenommen und da sei das tolerabel, muss jedoch massiv
widersprochen werden.
Es
gibt keine Maßstäbe, auf Grund derer
Zeiträume festgelegt werden könnten, in denen die
Nutzung der Atomkraft das Prädikat sozial
angemessen" verdient.
Mit
dramatischer und grauenerregender Eindringlichkeit hat die
Vernichtung des World Trade Center der Öffentlichkeit
vorgeführt, wie nur eine der möglichen Ursachen
für einen Super-Gau - der terroristische Anschlag - als
drohendes Menetekel über jedem Atomkraft-werk schwebt.
Doch der Bundesregierung geht es nur darum, die
Rechts- und Planungshoheit der Unternehmen zu verbessern",
wie in ihrer Begründung zur Atomrechtsnovelle zu lesen
ist (s.S.44 unter V).
Damit
stimmt dann überein, dass auch die
Nichtversicherbarkeit einer solchen Katastrophe als
hinzunehmendes Risiko eine gesetzlich Absicherung findet.
Sie schlägt sich in einem Be-trag für die
Deckungsvorsorge nieder, der gerade einen minimalen
Bruchteil von einem Pro-zent der für den Fall der
Atomkatastrophe errechneten materiellen Schadenssumme
beträgt.
Das
Gebot zur Zwischenlagerung
Auch
mit dem neu eingeführte Gebot zur Zwischenlagerung am
AKW-Standort wird nur der Zweck verfolgt, den Ausstieg als
Konsequenz aus der Nichterfüllbarkeit des vom
Atomgesetz verlangten Entsorgungskonzeptes zu umgehen.
So
ist ein Endlager nicht in Sicht. Nachdem vor 30 Jahren die
ersten Atomkraftwerke in Betrieb gingen, ist man heute noch
dabei, Kriterien für Endlager fest zu legen und
entsprechende Konzepte zu entwickeln. Nichts spricht
dafür, dass diese Bemühungen auch nur zu
einigermaßen befriedigenden Ergebnissen führen
werden.
Die
sogenannte schadlose Verwertung hat sich als nicht machbar
herausgestellt.
In
den Wiederaufbereitungsanlagen, denen diese Aufgabe
zugedacht war, erfolgt lediglich eine Bearbeitung der
abgebrannten Brennelemente in der Weise, dass eine
große Menge an Radioaktivität ins Meer entlassen
werden muß und dieses verseucht, während
ansonsten die radioaktiven Stoffe aus den Brennelementen so
konditioniert werden (z. B. in Kokillen eingeschmolzen),
dass der vertraglich vorgesehene Rücktransport in die
Bundesrepublik stattfinden kann.
Die
bisherige Not- und Übergangslösung, die
abgebrannten Brennelemente in zentralen Zwischenlagern
unterzubringen, wird auf Grund der Erfahrungen mit
Castor-Blockaden und wegen u.U. zu befürchtenden
terroristischen Anschlägen auf die Transporte als nicht
ausreichend angesehen, um den störungsfreien Betrieb
der AKWs zu gewährleisten.
Deshalb
soll der Gesetzgeber nun vorschreiben, was bisher aus
Gründen des Gebots zur Risikominimierung verboten war,
die Lagerung des hochradioaktiven Mülls bei den
Atomkraftwerken. Sozialdemokraten und Bündnisgrüne
bekunden damit demonstrativ, dass sie es angemessen finden,
im Interesse der weiteren Nutzung der Atomkraft die Risiken
für die Bevölkerung vor Ort zu
erhöhen.
Das
Verbot zur Errichtung neuer Atomkraftwerke
Vor
diesem Hintergrund ist die im Genehmigungsparagraphen 7 Abs.
1 in dem neu angefüg-ten Satz 2 zu findende Bestimmung
"Für die Errichtung und den Betrieb von Anlagen zur
Spaltung von Kernbrennstoffen zur Erzeugung von
Elektrizität und von Anlagen zur Aufarbeitung
bestrahlter Kernbrennstoffe werden keine Genehmigungen
erteilt.", das Papier nicht wert, auf dem sie steht
Das
hier verfügte Verbot des Neubaus von Atomkraftwerken
steht in völligem Gegensatz zu der positiven
Einschätzung der Nutzung der Atomkraft, wie sie in den
rechtlichen Rahmenbedingungen der Gesetzesnovelle zum
Ausdruck kommt. Ein solches Verbot läßt sich auch
nicht vereinbaren mit der weiteren staatlichen
Förderung der gemeinsam von Framatom und Siemens
betriebenen Entwicklung eines neuen Reaktors (EPR). Von den
Chefs der nicht an den Konsensgesprächen beteiligten
Konzerne kam denn auch schon die Drohung, gegebenenfalls zu
klagen. Selbstverständlich kann auch der Bundestag
jederzeit den Verbotsparagraphen aus dem Gesetz
herausstreichen.
Rot-Grün
und Recht und Gesetz"
Sozialdemokraten
und Bündnisgrüne haben ihre Parteibasis und die
Öffentlichkeit immer dahingehend informiert, dass sie
keine Wahl hätten und das Atomgesetz in der von der
Atomindustrie diktierten Form verabschieden
müssten.
Während
der Verbändeanhörung am 06. August mit Vertretern
der Atomindustrie nannte der Leiter der Anhörung Herrn
Ministerialdirigent Dr. Wolfgang Renneberg (BMU) als
Grund-lage für diese Auffassung, dass die Betreiber
unbefristete Betriebsgenehmigungen und somit einen Anspruch
auf Vertrauens- und Bestandsschutz besäßen. Er
widersprach damit den Umweltverbänden, die
ausgeführt hatten, mit dem Supergau von Tschernobyl und
dem nicht erfüllten Entsorgungskonzept hätten sich
die wichtigsten Genehmigungsvoraussetzungen für AKWs
als nicht erfüllbar erwiesen, so dass der Staat zum
Ausstieg verpflichtet sei. Die Verabschiedung der
Atomgesetznovelle - fälschlich Ausstiegsgesetz genannt
- diene hingegen nur dazu, die Mängel der Genehmigungen
nachträglich zu heilen.
Renneberg
argumentierte dagegen, die Behörden hätten vor
Tschernobyl in voller Kenntnis der Möglichkeit einer
Atomkatastrophe die Betriebsgenehmigungen erteilt; man habe
immer gewusst - es immer als Stand von Wissenschaft und
Technik anerkannt -, dass es sich bei dem Supergau um ein
reales Risiko handele. Für die Betreiber sei deshalb
mit den erteilten Ge-nehmigungen ein Vertrauensschutz mit
Rechtsanspruch auf unbefristeten Betrieb
entstanden.
Dieser
Vertrauensschutz wurde auch im Hinblick auf die
nichterfüllten Entsorgungsauflagen angeführt. Dazu
war von Seiten der Verbände vorgetragen worden: Die
Genehmigungen würden nur so lange den Betrieb zulassen,
als die Genehmigungsvoraus-setzungen (Auflagen) eingehalten
werden könnten.
Dazu
gehöre aber neben der Notwendigkeit, den Eintritt der
Atomkatastrophe zu verhindern auch, dass ein
Entsorgungsnachweis entsprechend den Vorschriften des
jetzigen Atomgesetzes erbracht würde. Das sei aber
nicht möglich. Schließlich wäre es ja
offizielle Position, dass das vom Atomgesetz verlangte
Entsorgungskonzept als gescheitert angesehen werden
müsse.
Auch
hier sagte Renneberg, man habe bei Erteilung der
Genehmigungen gewusst, das die gesetzlichen Vorschriften
nicht erfüllbar seien, so dass ein Vertrauensschutz
entstanden sei.
Damit
dokumentiert Renneberg:
Dem
BMU und der Bundesregierung ist der Schutz der
Bevölkerung vor den schädlichen Auswirkungen und
Risiken möglicher radioaktiver Freisetzungen vollkommen
gleichgültig.
Offensichtlich
ist für Rot-Grün der Gedanke, dass die
Bevölkerung einen Anspruch darauf hätte, auf die
Einhaltung gesetzlicher Vorschriften und erteilter Auflagen
vertrauen zu können, völlig abwegig.
Der
Stand von Wissenschaft und Technik, der nach dem Willen des
Gesetzgebers des Jahres 1959 die Aufgabe hatte, die zum
Schutz der Menschen erforderlichen Vorgaben für den
Ausschluß bezw. die Minimierung der Risiken
künstlicher Radioaktivität zu liefern, wird
dementsprechend von Rot-Grün als rechtlich irrelevant
behandelt.
Die
zentralen Risiken der Nutzung der Atomkraft bestehen in dem
Risiko des Supergaus und in dem Entsorgungsrisiko. Nach dem
Stand von Wissenschaft und Technik sind diese Risiken nicht
beherrschbar. Um den Betrieb der Atomkraftwerke zu
ermöglichen, wurde und wird deshalb der Stand von
Wissenschaft und Technik, so weit er die Vorsorge gegen
Risiken betrifft, außer Kraft gesetzt.
Das
kann auch gar nicht anders sein; denn: Die Nutzung der
Atomkraft ist nur möglich, wenn man die Menschen
kompromißlos den atomaren Risiken ausliefert. Die
Atomgesetzänderung hat deshalb nur das Ziel, die
Menschen recht- und schutzlos zu stellen und die
Rechtsposition der Atomindustrie unangreifbar zu machen:
Kurz auf einen Nenner gebracht:
Die
Politik soll sich selbst entmachten und sich jeder
Einflußnahme und Beschlußfassung zum Schutz der
Bürger berauben.
Indem
die Bundesregierung der Atomindustrie die Formulierung des
Textes der Atomgesetz-novelle überließ, hat sie
provokativ ihre Auffassung demonstriert, dass die
atompolitischen Entscheidungen von der Atomindustrie zu
treffen sind. Daraus ist zu folgern, dass die politische
Selbstentmachtung Sinn und Zweck des Gesetzesvorhabens ist.
Das heißt: Mit der Atomgesetznovelle soll
festgeschrieben werden, das zukünftig politische
Einflußnahmen zum Schutz der Bevölkerung gegen
den Willen der Atomindustrie nicht mehr möglich
sind.
Forderungen
an die Bundestagsabgeordneten aller Parteien:
-
Lassen Sie es nicht zu, dass sich die Bundesregierung mit
ihrer Auffassung durchsetzt, der Super-Gau sei als sozial
angemessenes Risiko hinzunehmen!
-
Lassen Sie es nicht zu, dass mit Zwischenlagern der
Atomindustrie demonstrativ gestattet wird, die Risiken an
AKW-Standorten zu erhöhen!
-
Lassen Sie es nicht zu, dass der Anspruch der
BürgerInnen auf Maßnahmen zur Risikovorsorge
mißachtet und damit gegen das Recht auf Leben und
Gesundheit (Artikel 2;2GG) verstoßen wird!
Visdp
Traute Kirsch, atompolitische Sprecherin NRW,
November 2001 - eMail:
traute.kirsch@bund.net
Emanzipation
Humanum,
Version 11. 2001, Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt,
Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe
und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere
Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen
nach Absprache möglich.
http://emanzipationhumanum.de/deutsch/atom7.html
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