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Auswirkungen der geplanten Weltdiktatur:

Hintergründe der Ereignisse in Venezuela

 

Die bekannte Journalistin Stella Calloni gibt die über Handy vermittelte Darstellung eines untergetauchten Parlamentariers wieder: "Der Präsident hat nie seinen Rücktritt eingereicht. Deshalb nahmen sie ihn im Morgengrauen mit. Er hatte verlangt, dass sie die vielen hunderten im Palast von Miraflores eingekesselten Personen gehen lassen, ohne dass die Scharfschützen der Putschisten auf sie schiessen. Chávez blieb als Geisel, um das Leben von vielen von uns zu retten". Der Parlamentarier Juan Barreto: "Ich bitte die Welt, das Internationale Rote Kreuz, die Menschenrechtsorganisationen, dass sie sofort in Venezuela aktiv werden. Denn wir erleben gewalttätige Hausdurchsuchungen, Verfolgung, und man redet schon von summarischen Hinrichtungen. Wir mussten alle untertauchen". Wegen der elektronischen Überwachung ist es mittlerweile praktisch nicht mehr möglich, ParlamentarierInnen, JournalistInnen oder generell bolivarianische Militante anzurufen, um sie nicht an Leib und Leben zu gefährden. Die Journalistin zitiert aus einer e-mail einer Freundin zu den Geschehnissen am Tag des Putsches: "Tausende stiegen von den Bergen der Armen herunter ... In kurzer Zeit, ohne vorausgegangene Mobilisierung, füllte sich schon eine grosse Avenida, die zum Regierungspalast führt. Da begann die Guardia Nacional Tränengas gegen die einzusetzen, die versuchten, hin zu kommen ... Von den Gebäuden begann die Polizei des Oberbürgermeisters Alfredo Peña auf die zivile Unterstützungsdemonstration für Chávez zu schiessen ... Die Bilder der Toten im TV zeigten Menschen, die Chávez unterstützten. Ich sage das nicht aus Sympathie für die Regierung, sondern weil an mir viele Kugeln vorbei pfiffen. Ich konnte sehen, wie die Toten zum Palast getragen wurden und Dutzende von Verletzten, die sich vor den mörderischen Kugeln der Scharfschützen zu retten suchten ... Wir alle haben gesehen, wie die Polizei auf uns schoss. Wir alle haben gesehen, wie unsere Compañeros starben ... Was die Opposition macht, ist blutrünstig, ist terroristisch, sie bringen uns um". Eine andere Stimme : "Ihr kennt den Schmerz nicht, der in den armen Barrios ist. Und warum all dies, wenn nicht um zu dominieren, um den Ölpreis auf der Welt zu drücken, um die Hilfe an Cuba zu unterbinden, um das einzige Projekt von Demokratie, das wir gekannt haben, zurückzudrehen? Ich gehe den Weg der Elenden, die angefangen haben zu hoffen und es herrscht Schweigen, aber hinter diesem Schweigen ahne ich ein Feuer, das wieder entfacht werden wird".

Ein Militärputsch beendete die demokratisch gewählte Regierung von Präsident Hugo Chávez. Die untrüglich von der US-Administration inspirierten Ereignisse werden weitreichende Folgen haben, nicht nur für die venezuelanische Gesellschaft. Unmittelbar wird die Kriegseskalation in den Anden weiter und massiv verstärkt werden; ebenso sind die Sozialbewegungen in Argentinien betroffen - die dortige Militärführung sieht sich zum Eingreifen "im Notfall" ermuntert. Darüber hinaus machen die Vorgänge unabhängig vom Verlauf der nächsten Tage klar, dass auch wiederholte Wahlsiege und Reformen strikt im Rahmen von Verfassung von der Weltmacht nicht hingenommen werden, so bald sie ihre Interessen tangiert sieht. Die ganze lateinamerikanische Linke, alle sich an Wahlen beteiligenden Kräfte, die auf zivilgesellschaftlichen Konsens hin orientierten Bewegungen und nicht zuletzt politisch-militärische Organisationen in oder vor Friedensverhandlungen werden diese Tatsache zu assimilieren haben.

Die Medien retouchieren den militärischen Charakter des Putsches eifrig weg. Ein hoher Militär hatte das vorformuliert: "Die Streitkräfte wünschen nicht, mit einem Putsch einen Platz in der Geschichte zu erringen, ... [sondern] die Zivilgesellschaft in ihren Protesten zu unterstützen" . Militarismus wurde dagegen reichlich dem gewählten Präsidenten vorgeworfen, der 1992 einen Putsch versucht haben soll. Real hatten sich Chávez und andere Offiziere damals geweigert, ihre Gewehre auf hungernde PlünderInnen von Supermärkten zu richten und versuchten, die Regierung daran zu hindern. In der letzten Nacht äusserte der Chef der Armee, Gen. Vázquez: "Die Toten von heute können nicht toleriert werden" . Er bezog sich auf die mutmasslich 12 Toten, die gestern unter noch zu klärenden Umständen ihr Leben verloren hatten. Ähnliche Töne waren nach dem 27. Februar 1989 nicht zu hören gewesen: Damals erschossen Armee und Polizei mindestens 1000 Menschen, um eine Hungerrevolte in Caracas gegen die "IWF-Strukturanpassungen" unter der sozialdemokratischen Regierung von Carlos Andrés Pérez zu beenden.

Politik von Hugo Chávez

· Die bolivarianische Regierung hatte energische Massnahmen gegen die während 40 Jahren Regierung von Christ- und Sozialdemokratie etablierte Korruption umgesetzt
· Eine Erziehungsreform, unter der erstmals in der Geschichte des Landes über eine Million Kinder die Schule besuchen konnten
· Gratisgesundheitsversorgung und -erziehung bis zur Unistufe; Verdoppelung des Erziehungsbudgets. Wiedereröffnete Schulen und Spitälern, die von vorausgegangenen Regierungen aus 'Budgetgründen' geschlossenen worden waren
· Massive Reduktion der Steuern für die Unterklassen bei gleichzeitiger Steigerung der Staatseinnahmen
· Reduktion der Kindersterblichkeit von 17% auf 13%
· Finanzierung gemeindeorientierter, ökologischer Projekte
· Stärkung von Rechten für Frauen und indigene Nationen
· eine bescheidene Landreform, die Ländereien über 5000 ha für Landlose zugänglich machte
· billiger Wohnungsbau für die Unterklassen
· Günstige Agrarkredite

Neben dieser sozialpolitischen Insubordination wogen international folgende Verbrechen besonders schwer:

· Weigerung der venezuelanischen Regierung, ihren Luftraum der US-Air Force für Flüge gegen die kolumbianischen Aufständischen zur Verfügung zu stellen · Bremsfunktion in Sachen Amerikanische Freihandelszone (Zieldatum: 2005) und Annäherung an den Mercosur als Gegenprojekt
· autonome Beziehung mit Cuba
· führende Rolle bei der Reaktivierung der OPEC mit dem Ziel einer neuen blockfreien Bewegung trikontinentaler Länder
· Höhere Steuerabgaben für internationale Ölmultis und Stopp der Privatisierung des nationalen Ölsektors
· Kritik am Krieg in Afghanistan ("Terrorismus mit Terrorismus bekämpfen")
· wichtige Orientierungsfunktion des bolivarianischen Diskurses der nationaler Unabhängigkeit für Bewegungen im Andenraum und generell in Lateinamerika

Widersprüche

Die bolivarianische Regierung hat ihren Wahlversprechen und Kritik am neoliberalen Modell also Taten folgen lassen. Unter dem Strich hat sie die sonst im gesamten Kontinent erfolgende Verarmung weiter Bevölkerungsteile zumindest aufhalten, wenn nicht sogar leicht umdrehen können. Trotzdem gibt es natürlich eine lange Reihe kritischer Fragen an diese bolivarianische Praxis: die nun noch bitterer klingende Verherrlichung des Soldatischen; ein von Vielen kritisierter Assistenzialismus für die Armen statt realer Organisierung und Selbstbestimmung; anscheinend wenig Hemmungen bzgl. sog. Arbeitsflexibilisierung; Messianismus um die Person Chávez. Im Mai 2000 entzog die ursprünglich linke Partei Patria Para Todos Chávez ihre Unterstützung (PPT fordert nach dem Putsch eine unabhängige Untersuchung der Ereignisse durch Amnesty und die OAS). Solidarität mit dem antiimperialistischen Charakter der bolivarianischen Bewegung und Ablehnung des nun erfolgten Putsches brauchen nicht in eine kritiklose Idealisierung zu münden. Es war und ist sehr schwierig, sich ein genaueres Bild der gesellschaftlichen Realität in Venezuela unter Hugo Chávez zu machen.

Eckdaten

Dezember 98 Überlegener Wahlsieg von Hugo Chávez über die diskreditierten traditionellen Parteien und die kreolische Bourgeoisie August 99 Eine Verfassungsgebenden Versammlung tritt zusammen, nachdem sich 90% der Stimmenden bei grosser Stimmenthaltung für sie ausgesprochen haben Dezember 99 70% stimmen für die neue, bolivarianische Verfassung Juli 2000 Hugo Chávez wird mit grossem absoluter Mehr für eine sechsjährige Amtsperiode neu gewählt

Momente des Putsches

30.Oktober 01: Washington "sehr enttäuscht" über die Kritik Chávez' am Afghanistankrieg

5.-7. November 01: Nach einer zweitägigen Diskussion des 'Problem Venezuela' zwischen State Department, Pentagon und National Security Council beschuldigt das US-Aussenministerium Caracas der Unterstützung des 'Terrorismus' in Kolumbien, Ecuador und Bolivien. Colin Powell forderte Chávez auf, "sein Verständnis von dem, worum es bei Demokratie geht", zu verbessern.

14. November 01: 49 Reformgesetze (Landreform, Beschränkung des transnationalen Zugriffs auf venezuelanisches Öl, Gratisgesundheitsversorgung u.a.). Insbesondere die Beschneidung der exorbitanten Profite von Philipps Petroleum, Exxon Mobile oder französischer Ölgiganten vertiefen die Washingtoner ,Enttäuschung'.

10. Dezember 01: Die Handelskammer Fedecámaras legt ihre angeschlossenen Unternehmen mit Unterstützung des Gewerkschaftsverbandes Confederación de Trabajadores Venezuelanos CTV wegen der gerade verabschiedeten Reformgesetze still. (In Fedecámaras spielen die beiden spanischen Grossbanken Santander und HBVA eine wichtige Rolle. Bei der CTV handelt es sich um eine mafiös strukturierte Gewerkschaft, ähnlich wie bei den grossen Verbänden Argentiniens oder Mexikos. Ihr Chef Carlos Ortega kooperiert eng mit dem wegen Korruptionsverfahren ins Ausland geflüchteten früheren Präsidenten Carlos Andrés Pérez. Die CTV pflegt die Namen "destruktiver" Mitglieder den Unternehmerverbänden für ihre schwarzen Listen mitzuteilen. Ortega war in einer umstrittenen Wahl zum Gewerkschaftsboss gewählt worden.) Den ArbeitnehmerInnen wurden die Löhne ausbezahlt. ParlamentarierInnen der bolivarianischen Partei V. Republik machten kurz zuvor Tonbandaufzeichnungen eines Telefongespräches zwischen dem Expräsidenten Carlos Andrés Pérez und CTV-Boss Ortega vor, das sich darum drehte, dass in dieser Etappe im Land Streiks, Destabilisierung und Chaos unter der Führung des Unternehmerchefs Pedro Carmona vorangetrieben werden müssen. Im Februar 2002 war Ortega vor der Intensivierung der Destabilisierungskampagne zu Gast beim State Department, US-Kongressabgeordneten und dem US-Gewerkschaftsverband AFL-CIO gewesen.

Letzte Monate 2001: Trotz einer nach bürgerlichen Massstäben stabilen Wirtschaft (Wachstum, pünktliche Schuldenzahlungen, Inflationsrückgang) erfolgt eine politisch motivierte "Kapitalflucht" in die üblichen Offshorezentren (mindestens $ 10 Mrd.), entscheidender Schritt zur Herstellung einer ökonomischen Krise.

5. Februar 02: US-Aussenminister Colin Powell betont vor dem US-Kongress die Unzufriedenheit Washingtons mit Chávez.

6. Februar 02: CIA-Chef George Tenet vor dem Senat: Die Situation in Venezuela "wird sich wahrscheinlich verschlechtern" (wegen "domestischer Unzufriedenheit")

7. Februar 02: Oberst Pedro Soto ruft an einer Kundgebung von 200 Personen Chávez zum Rücktritt auf. Grosses Echo in den nationalen und internationalen Medien.

8. Februar 02: Die venezuelanische Presse stürzt sich auf eine in der Zeitung El Nacional wiedergegebene Aussage aus dem IWF, dass dieser auch mit einer "Übergangsregierung" kooperieren werde. Ricardo Hausmann, ehemaliger Planungsminister von Carlos Andrés Pérez, langjähriger Chefökonom der Interamerikanischen Entwicklungsbank und eifriger Promoter der Totaldollarisierung lateinamerikanischer Wirtschaften: die "einzige Lösung der aktuellen Krise" besteht in Chávez' Rücktritt .

8. Februar 02: State Department-Sprecher Richard Boucher zeigt sich schwer besorgt über die Pressesituation im Land. (Sämtliche nationalen Medien bis auf eines befinden sich in den Händen der Oligarchie und hetzen pausenlos gegen die Regierung.) Kurz zuvor hatte eine Untersuchungskommission der Interamerikanische Menschenrechtsorganisation der OAS (CIDH) einen "breiten und beredten Ideenwettstreit" konstatiert. Die CIDH nahm auch Stellung zur sog. Cadena Nacional, bei welcher der Präsident Fernseh- und Radiosendern anordnen konnte, seine Botschaften zu verbreiten. In vernünftigem Rahmen sei dies rechtens.

13. Februar: Die feste Bindung des Bolívar an den Dollar wird unter dem Druck der orchestrierten Kapitalflucht aufgehoben (Januar 2002: $ 1.6 Mrd.). Inflation.

Zweite Hälfte Februar: Weitere Militärs fordern den Rücktritt Chávez'. Es kommt zu einer Oppositionsdemo mit ca. 30'000 Menschen. Aufgrund der nachhaltigen Diskreditierung der traditionellen Parteien nimmt diese Aufgaben die sog. Zivilgesellschaft wahr: die Allianz von Fedecámaras und CTV mit den Medien und der katholischen Kirchenführung. Das internationale Medienecho ist gross, im Gegensatz zu jenem auf die Kundgebungen vom 27. Februar, wo zwischen einer und anderthalb Millionen Menschen für die Regierung demonstriert haben sollen . Die Washington Post zitiert einen Funktionär des State Departments: "Falls der venezuelanische Präsident den Kurs seiner aktuellen Politik nicht ändert, läuft er Gefahr, sein Mandat ... nicht zu ende zu bringen".

28. Februar 02: Charles Shapiro ist neuer US-Botschafter in Caracas. Shapiro war 1999 im State Department zuständig für Kuba und in der Zeit von 1983 bis 1988 in verschiedenen Funktionen in der US-Kriegsbotschaft in El Salvador aktiv. Bemerkenswerterweise spielte in jenen Jahren der eng mit CIA-kubanischen Elementen liierte venezuelanische Militärgeheimdienst DISIP eine wichtige Rolle für die salvadorianischen Todesschwadronen. Shapiro's Ernennung wird als Signal für die Zuspitzung von Umsturzplänen eingeschätzt.

25.März 02: Admiral Molina fordert den Rücktritt von Hugo Chávez. Die New York Times referiert putschistische Offiziere, welche die venezuelanischen Beziehungen zu Cuba "angesichts der lange bestehenden engen Verbindungen mit Washington als 'unvorsichtig' ansehen". (Venezuela beliefert Cuba mit Öl und erhält als Gegenleistung Unterstützung auf medizinischem Gebiet. Venezuela liefert übrigens unter Chávez an alle Staaten der Karibik und Zentralamerika Öl zu günstigen Konditionen). Unter Verweis auf die behauptete Abneigung Washingtons gegen Militärputsche zitiert die Times danach den hohen Militär mit der korrekten Sprachregelung: "Die Armee will keinen Putsch, [sondern] die Zivilgesellschaft in ihren Protesten unterstützen".

9. April 02: Chávez wechselte Ende Februar Führungskader des nationalen Ölkonzerns PDVSA aus. Der Grosskonzern ist der drittwichtigste Öllieferant für die USA. Als Präsident setzt er einen prononcierten Kritiker der Korruption und Privatisierungsbestrebungen im Ölsektor unter den früheren Regierungen ein. Das von reaktionären Regierungen ernannte Unternehmensmanagement beschliesst Widerstand gegen diesen Eingriff in seine "Autonomie". Chávez geht es um die Einhaltung der OPEC-Förderquoten, welche vom bisherigen Management, dem hohe Aktienkurse wichtiger als hohe Ölpreise waren, sabotiert wurden. Der PDVSA-Filz ist zentral mitverantwortlich für die trotz Ölbonanza akkumulierte Aussenschuld des Landes. Viele Erlöse waren regelmässig in schwarze Kassen der früheren Regierungspartein, in luxuriöse Einkaufszentren, moderne Bürobauten etc. geflossen . Michael Klare, der linksliberaler Energie- und Militärexperte, weist daraufhin, dass im famosen, von Enron etc. letztes Jahr verfassten Energiestrategiedokument von US-Vizepräsident Dick Cheney explizit von den Wünschen der USA die Rede war, mehr in die venezuelanische Ölindustrie zu investieren und die Förderquoten zu erhöhen.

Die CTV beschliesst, zusammen mit der Handelskammer, den Kampf ,der Arbeiter des DVSA', sprich des Managements, zu unterstützen und initiiert heute einen sog. Generalstreik. Ausser der CTV beteiligt sich keine Gewerkschaft an diesem vorhaben. Der "Streik" wird auch international als grosser Erfolg dargestellt. Laut pro-chavistischen Quellen soll es sich dabei aber im Vergleich zur partiell erfolgreichen Lahmlegung vom 10. Dezember um einen Misserfolg gehandelt haben. Geschäfte, kleine Unternehmen, Banken, öffentlicher Verkehr etc. haben gearbeitet. Die TV-Sender zeigen verkehrslose Strassen, sichtbar aufgenommen während der Morgendämmerung! Überraschenderweise rufen CTV und Fedecámaras dennoch für eine Weiterführung der Aktion an den kommenden Tagen und eine Kundgebung für 11. April auf. Die bolivarianischen Kräfte interpretieren das als Signal für eine noch unbekannte "Trumpfkarte" der Rechten.

Die Zeitung Universal reproduziert eine Warnung des State Departments an US-BürgerInnen, sich wegen zu erwartenden Gewalttätigkeiten von Demos fernzuhalten.

10. April 02: Brigadegeneral Nestor González bringt den Einsatz der Armee ins Spiel und ruft Hugo Chávez zum Rücktritt auf, da er die kolumbianische Guerilla unterstütze (in den letzten Monaten zunehmend Desinformationen über angebliche "Beweise" für eine Zusammenarbeit mit den FARC in venezuelanischen und US-Medien gestreut). Ein General der Guardia Nacional ruft die Regierung dazu auf, "keine Gewalt" gegen Demonstrierende anzuwenden. Die New York Times bemerkt: "Die Botschaft verursachte Verwirrung, da die Regierung keine Zuflucht bei Gewalt gesucht hatte".

11.April 02: Eine Grossdemonstration (die meisten Angaben schwanken zwischen 50'000 und 200'000 Teilnehmenden) legt während mehrerer Stunden unbehelligt die City von Caracas lahm. Chávez offeriert der Opposition über Cadena Nacional eine Kommission zur Beilegung des Streites um den Ölkonzern. Während dieser Ansprache ruft CTV-Boss Ortega die Demo zum Marsch auf das Regierungszentrum Miraflores auf, wo sich pro-chavistische AnhängerInnen aus den Armutsvierteln zu sammeln zu beginnen. Die Konfrontation ist damit praktisch unvermeidbar. Die Regierung stellt die Guardia Nacional als Puffer zwischen die beiden Lager auf. Es kommt zu konfusen Szenen: Reuters beschreibt Panikszenen, als es zu Schiessereien zwischen drei Gruppen, Polizisten und "nicht identifizierten Schützen und Scharfschützen auf Dächern", kommt. Laut verschiedenen Quellen kommen die ersten Schüsse von den Dächern aus 200 m Distanz zu Miraflores und treffen Bolivaristas. Sofort beginnen Mitglieder der "linksextremen" Organisation Bandera Roja, die auf Seiten der Opposition agiert, auf die Guardia zu schiessen, worauf ein allgemeines Chaos ausbricht. Mitglieder der Gemeindepolizei des erzreaktionären Oberbürgermeisters von Caracas, Alfredo Peña, beginnen ihrerseits auf die Pro-Chávez-Leute zu schiessen. Die Mehrheit der Toten kommen aus dem bolivarianischen Lager. Bisherige Regierungsmitglieder weisen ebenfalls auf die Funktion von Bandera Roja-Schützen hin, halten aber fest, dass die meisten Scharfschützen auf den Dächern Mitglieder der Gemeindepolizei gewesen sind. Die Guardia habe nach den ersten Schüssen das Feld geräumt. Das Ganze sei eine Provokation gewesen, um die Armeeführung zum Einschreiten zu veranlassen. Im TV jedenfalls sind nur Polizei und angeblich chavistische Schützen zu sehen. Nach neuen Angaben haben 12 Menschen dabei ihr Leben verloren.

Sogleich meldet sich Carlos Andrés Pérez, der flüchtige Massenmörder vom Februar 1989' zu Wort: "Der Fall von Chávez wird leider mit Gewalt erfolgen. Der Diktatur wurde die Maske vom Gesicht gerissen, aber Chávez wird im Gefängnis landen.

Positiv sieht das das Wall Street Journal: Die "USA wurden eine als politische Paria betrachtete Regierung los","ein grosses Plus für die USA und die Stabilität der Ölmärkte".

Aktuelle Lage

Die von den Medien als Wahrheit verbreitete Aussage der Generäle, Chávez habe seinen Rücktritt eingereicht, ist eine Lüge. Seiner Tochter sagte er im einzigen erlaubten Aussenkontakt: "Ich bin gefangen, ich bin ein gefangener Präsident". Der Generalstaatsanwalt der Republik weigerte sich, den angeblichen Rücktritt ohne z.B. schriftliche Belege anzuerkennen. Ähnlich argumentieren die (bisherige) Arbeitsministerin María Cristina Iglesias und ihr Kollege Aristóbulo Istúriz vom Erziehungsressort. Die beiden berichten auch von gefangenen verfassungstreuen Militärs. Istúriz, bei Gesprächen zwischen Chávez und putschistischen Militärs anwesend, versicherte, die Putschisten hätten den USA gegenüber die Einhaltung der Menschenrechte versprochen - "Clean" Putsch also, keine Fussballstadien wie in Chile, Lächeln für die Medien, der Militärstiefel dort, wo die Kamera nicht surrt.

Telefonischen Mitteilungen zufolge ist eine Verhaftungswelle in Dörfern und den Armutsvierteln Caracas angelaufen. Allerdings sollen verschiedenen Orts schon Verhaftete von lokalen Bevölkerungsgruppen wieder befreit worden sein. Der Chef der metropolitanen Polizei behauptet, die bolivarianischen Kreise unter Kontrolle zu haben, denen bei "Respektierung der Institutionen" nichts passiere. Letzte Mitteilungen sprechen von verhafteten Ministern, Provinzgouverneuren und GewerkschafterInnen. Der erwähnte Generalstaatsanwalt konnte in einem Interview noch auf die totale Rechtlosigkeit im Land hinweisen, seither ist er verhaftet. Universitäten sind militärisch kontrolliert, ca. 70% der Bürgermeisterämter ebenso. Pedro Carmona, Ölunternehmer, drittreichster Mann im Land und Nr. 50 auf der lateinamerikanischen Hitliste, früherer Mitarbeiter des Massenmörders Carlos Andrés Pérez, Ex-Funktionär internationaler Wirtschaftsorganisationen, in der Militärkaserne Fuerte Tiuna mit dem Segen Erzbischofs von Caracas zum Präsidenten ernannt, löste per Dekret das Parlament die Wahlbehörden, das Oberste Gericht und eine Reihe weiterer Institutionen auf und annullierte die Verfassung und die Reformen des Bolivarianismus. Im neuen Kabinett sitzen mehrere Militärputschisten. Bei der Reorganisation der Armeeführung wurden auch einige in die jüngsten Vorfälle verwickelten Militärs abgesetzt, nach einigen Quellen sogar verhaftet - die unsicheren Kantonnisten. Darunter offenbar der Generalinspektor der Armee. Der Businessman stoppte sofort alle Öllieferungen an Cuba, dessen Botschaft von einem rechtsextremen, angeblich von der CIA-kubanischen CANF aus Miami angeleiteten Mob belagert wird, ohne jedes Eingreifen der Machthaber. Das Leben der Botschaftsangehörigen ist in Gefahr. Die CANF scheint nach diversen Quellen an der Finanzierung und Ausführung des Putschplanes beteiligt gewesen sein.

Pedro Eusse, Generalsekretär des Gewerkschaftsverbandes CUTV, bestätigt in einem Communiqué von heute (13.4.02) die Darstellung der Provokation von Miraflores, spricht von einem "faschistoiden" Putsch und bittet um dringende Solidarität mit dem Bolivarianismus. In der Nacht auf heute (13.4.02) kam es zu Protestplünderungen von Einkaufszentren, an verschiedenen Orten zu Strassenbarrikaden und zu anhaltenden Cacerolazos (Pfannendeckellärmen) sowie zu einigen "Scharmützeln", offenbar in von der metropolitanen Polizei belagerten oder kontrollierten Armutsvierteln an den Berghängen.

Schlussbemerkung

Die Mechanik des Putsches erinnert in mancher Hinsicht an Chile 1973 . Eine lange Etappe von Versuchen demokratischer Reform oder sog. Normalisierung in Lateinamerika droht damit, real abgeschlossen zu sein. Eine Warnung liegt in der Luft: Der frühere kommunistische Kader Guillermo García Ponce hatte nach den Reformgesetzen vom November letzten Jahres auf einen militanten Zusammenschluss von Viehzüchtern hingewiesen. Falls die Unternehmer Chávez zu Fall brächten und den Widerstand aus der Bevölkerung und loyaler Truppen besiegen könnten, "käme Pinochet aufgrund des entscheidenden Gewichtes, den die gänzlich revanchistischen und tollwütigen Elemente in den Verschwörungsprojekten haben".

Die Parallelen zu Chile sind offensichtlich: Die ökonomische Destabilisierung, der Aufbau eines damals noch nicht 'Zivilgesellschaft' genannten harten, nach Plan handelnden Oppositionskerns um Unternehmerverbände und gelbe Gewerkschaftsapparate mit Kirche und bewaffneten Provokationseinheiten im Schlepptau; die Dämonisierung der demokratischen Regierung als "kommunistische Diktatur" mit Anlehnung an damals Moskau, heute den 'Terrorismus' (FARC); die von den USA gesteuerte Organisierung putschistischer Elemente innerhalb der Armee (offizielle Dokumente zu den entsprechenden, stets abgestrittenen Vorgängen in Chile sickerten erst vor wenigen Monaten via das National Security Archive an die Öffentlichkeit) etc. Grundsätzlich ist auch die Rolle der Medien nicht neu, sie ist jetzt aber, im Vergleich zu den Möglichkeiten des chilenischen 'El Mercurio', viel gewaltiger. Während die Oligarchie, Washington und die in diesen Belangen zuverlässig als CIA-Verlautbarungsorgan fungierende Interamerikanische Journalistenvereinigung SIP auch in Venezuela das Klagelied von der diktatorialen Beschneidung der Pressefreiheit sangen, kontrollierten sie in Wirklichkeit fast hundert Prozent der nationalen Medien. Sie funktionierten in der Tat planmässig, bereiteten während vieler Monate das Terrain für die Machtübernahme vor und übernahmen in den entscheidenden Tagen sowohl die Funktion für die konterrevolutionäre Mobilisierung wie auch die Verzerrung der Fakten, welche von den internationalen Medien selbstredend ohne Widerspruch übernommen wurde ('Streik', die Umdeutung der bewaffneten Provokation, die Ruhe im Land nach dem Putsch, der 'Rücktritt' des Präsidenten etc.). Wenige Stunden nach dem Putsch waren übrigens die meisten bolivarianischen Homepages, auch auf Servern in den USA, abgeschaltet.

Die meisten internationalen und Schweizer JournalistInnen erfüllen ihre Aufgabe mit einer trotz mancher Erfahrungen immer wieder neu widerwärtigen Servilität. Was bei den Militärputschen der 70-er Jahre freudige Erwartung war, von der man heute einfach so tut, wie wenn es sie nicht gegeben hätte, ist heute die Darstellung des Putsches als eine Art Regierungswechsel für Neuwahlen, mit der salbungsvollen Hoffnung auf wirkliche, nicht wie bei Chávez bloss 'populistische Reformen'. Natürlich wird in der kommenden Zeit dieses und jenes über Ungereimtheiten gesagt werden dürfen, homöopathisch wie immer, und geht was schief, findet sich immer ein Venezuelaner, dem das Etikett Dummkopf angehängt werden kann.

Die 'Ölspur' im Umsturz ist offensichtlich. Verblüffend ist nur, wie lange sie medial unterschlagen werden kann, obwohl/weil sie direkt in einen der Wirkungsstränge im terroristischen Weltkrieg nach dem 11. September weist. Doch sollte der Putsch nicht auf das Öl reduziert werden. Ins Auge springt auch die Funktion für den grossen Andenkrieg, der mit dem Angriff auf die Verhandlungszone der FARC in Kolumbien letzten Monat eskaliert wurde. Jetzt ist ein wichtige 'störender' Faktor ausgeschaltet worden. Schon unter Clinton waren mit dem Plan Kolumbien die Weichen dafür gestellt worden. Die Ernennung des CIA-kubanischen Contragateverbrechers Otto Reich zum Lateinamerikachef im State Department vor ein paar Monaten markierte den Übergang zur aktiven Umsetzung der Planung. Die für nächsten Monat vorgesehene Wahl des Faschisten Uribe Pérez zum Präsidenten von Kolumbien, der mit seinen offensichtlichen Drogengeschäften von Washington beliebig erpressbar ist, wird dann das Signal für den Grossangriff auf die kolumbianische Guerilla, aber auch die Sozialbewegungen in der ganzen Andenrepublik geben. Es ist zudem vermutlich eine Frage der Zeit, bis auch die cubanische Regierung verstärkt angegriffen werden wird.

Ein Moment der Kampagne gegen Hugo Chávez wurde in der internationalen Berichterstattung weggefiltert: Die rassistische Wut, mit der er von der kreolischen Elite mit Schwarzen, Plebs und Indígenas assoziiert wurde. Das führt direkt in die von uns nur schwer wahrzunehmende Verbindung des bolivarianisch-lateinamerikanischen Nationalismus mit der Sehnsucht der Unterklassen, "Randgruppen", Indígenas nach Befreiung. Die Gegenseite irrt da weniger. Um ihre Vorstellungen vom Ölgeschäft zu realisieren, sorgt sie mit sicherem Instinkt für Verzweiflung in den Hütten der Armen. Das Öl wird zur Chiffre für den umfassenden Sozialangriff, auch auf den 'populistischen Nationalismus'.

Die Frage bleibt, warum dieses Gemisch von sozialer Utopie und bolivarianischem Nationalismus im entscheidenden Moment anscheinend so wenig Macht entfalten konnte. Etwas muss in diesen Jahren bolivarianischer Regierung ziemlich schief gelaufen sein, um z.B. bei einem Putsch, dessen Herannahen wir hier erfassen konnten, nicht zumindest mit vorbereiteten Gegenmobilisierungen auf die Konterrevolution vom 11. April zu reagieren. Die spontane, aber zu spät erfolgende Mobilisierung von den Armutszonen auf den Berghügeln hinunter in die Stadt zeigt ja, dass es nicht einfach an Entschlossenheit gemangelt hat. Eine Frage, auf die hoffentlich aus Venezuela eine Antwort kommt.

Hier müssen wir uns überlegen, was wir machen können, nach Afghanistan, unter dem Eindruck von Jenin, vor den nächsten Kriegen. Aus Venezuela kommt die Aufforderung, uns für die Unversehrtheit und Freilassung der Gefangenen inkl. Hugo Chávez' einzusetzen, für die Nichtanerkennung des Putschisten, für die Aktivierung des IKRK ...

 

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Emanzipation Humanum, Version 4. 2002, Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt, Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen nach Absprache möglich.

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