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Hilfe für die Wall Street

Die Bomben auf Bagdad kurbelten die Börse kräftig an

von Michel Choussudovsky *

Übersetzung von Wolfgang Pomrehn
englische O-Version

junge Welt - 23.02.2001

Angetrieben durch die Implosion der dot-com-Aktien, das heißt, der Papiere der Internet-Unternehmen, und des beschleunigten Niedergangs von Nortel Networks Corporation, dem Weltführer bei optischen Glasfasern, sind am Freitag vergangener Woche die Technologie-Werte an der Wall Street im hektischen Handel zusammengebrochen. Der NASDAQ-Aktienindex ging um mehr als fünf Prozent auf ein Rekordtief zurück.

Aber es hätte viel schlimmer kommen können. Haben vielleicht die Bomben auf Bagdad Wall Street aus dem Gefahrenbereich gezogen? Sie haben. Mehr noch: Sie haben Milliarden Dollar in die tiefen Taschen der Rüstungs- und Erdölindustrie gespült.

Warnungen von der Börse

In den Tagen vor dem Beinahe-Zusammenbruch am 16. Februar hatten Börsen-Analysten vor einem worst-case- Szenario gewarnt: Technologie-Aktien seien extrem überbewertet.

Aber an jenem Tag um 13 Uhr, wenige Stunden vor Börsenschluß in New York, bombardierten britische und amerikanische Flugzeuge Bagdad. Das Pentagon beschreibt die Aktion als »eine Routine-Mission derSelbstverteidigung«. Selbstverteidigung? Die US-Medien applaudierten. An der Wall Street applaudierten die Broker nicht nur, sie atmeten erleichtert auf. In einer grausamen Ironie hatten die Bombenangriffe ihnen den Tag gerettet. Oder wie ein britischer Finanzanalytiker zufrieden feststellte: »... der amerikanische Markt ist nicht zusammengebrochen. Die Kurse sind nicht abgestürzt, der Rückgang betrug weniger als ein Prozent. Es war ein ganz gewöhnlicher Tag - wenn man nicht gerade in Bagdad lebte.« (1)

Zwischenzeitlich, während Telekommunikations- und Computer- Aktien in einer Flaute vor sich hindümpeln, arbeiten Finanz- und Verteidigungsanalysten hart daran, das »Vertrauen in die Aktienmärkte« wieder herzustellen: »Die Kriegstechnologie- Produzenten der Nation verbrachten zusammen mit Wall Street- Analytikern und Industrieberatern eine Woche damit, herumzuprahlen, was für neue Möglichkeiten sich bieten und wie wahrscheinlich Änderungen in der Politik des Pentagons sind, die nach 15 Jahren knapper Budgets Wachstum bringen würden. Mehr noch, Verteidigungs- und Luftfahrtwerte schlossen im Plus ab, stiegen inmitten eines breiten Niedergangs, nachdem 24 US- amerikanische und britische Kampfflugzeuge militärische Ziele mit verschiedenen weitreichenden Präzisions- Lenkwaffen angriffen.« (2)

In den letzten Handelsstunden des 16. Februar schraubten sich Verteidigungsaktien nach oben, boomten Öl- und Energiewerte, nachdem Nachrichten die Runde machten, die irakische Ölindustrie könnte betroffen sein. Die Aktienwerte von Exxon, Chevron und Texaco schossen in die Höhe. Harken Energy Corporation, bei der George W. Bush als Direktor und Berater gearbeitet hatte, bevor er in die Politik ging, hatte bei Handelsschluß um 5,4 Prozent zugelegt. Zufälligerweise spielt Harken Energy eine Schlüsselrolle im kolumbianischen Öl, wobei ein etliche Millionen US-Dollar schweres Militärhilfe-Paket, der »Kolumbien-Plan«, in Reichweite ist, das seine Investitionen schützen soll. Harken- Energy-Spitzenmanager Mikel Faulkner ist ein früherer Geschäftspartner von George W. Bush.

Kurseinbrüche

Bereits am Abend des 15. Februar war nach Börsenschluß für den Folgetag ein Kurseinbruch vorausgesagt worden. Börsenanalytiker sprachen in den Abendnachrichten davon, daß eine größere »Korrektur« bei den Technologiewerten »unvermeidlich« sei. Die Finanzpresse hatte bereits darauf hingewiesen, daß auch die US- Verteidigungsindustrie betroffen sein könnte, wenn die neue Bush- Regierung bei der militärischen Beschaffung kürzen würde.

Einige Tage zuvor hatte Lockheed Martin (LMT), der größte Rüstungsbetrieb der USA, Rationalisierungen in seiner Satellitenabteilung angekündigt. Grund: »schwache Nachfrage« bei kommerziellen Satelliten. Ein Konzernsprecher hatte der Wall Street versichert, daß Lockheed »auf dem richtigen Weg« sei, in dem es finanzielle Ressourcen aus dem problembehafteten kommerziellen, d. h. zivilen, Unternehmen abzieht und statt dessen in die lukrative Produktion fortgeschrittener Waffensysteme steckt.

Seit Wochen haben Lobbyisten der Rüstungsindustrie die neue Regierung bearbeitet. Am Dienstag, dem 12. Februar, versprach Bush dann, daß basierend auf »einer umfassenden Bestandsaufnahme des Militärs« die Verteidigungsausgaben angehoben würden. Die New York Times zitiert den US- Präsidenten am 12. Februar: »Er wolle mit der Pentagon- Orthodoxie brechen und >eine neue Architektur für die Verteidigung Amerikas und unserer Verbündeten< schaffen. Zu diesem Zweck solle in neue Technologien und Waffensysteme investiert werden, anstatt nur ein paar >marginale Verbesserungen< an Systemen anzubringen, in die Amerikas Waffenindustrie bereits Milliarden Dollars investiert hat.«

Am 14. Februar bestätigte Bush »einen Anstieg des Pentagon- Haushalts in Höhe von 2,6 Milliarden US-Dollar für Erforschung und Entwicklung neuer Waffen.« (3)

Zwei Tage später wurde Bagdad bombardiert.

Die Angriffe waren ein Signal an die Wall Street, daß Bushs Versprechen, »die Verteidigung der Nation zu revitalisieren« ernst genommen werden sollten. Hätte die Bush-Regierung anders entschieden, hätte der Kurs Lockheed Martins an der New Yorker Börse sehr wohl das gleiche Schicksal wie der Nortels erfahren können. Doch während die (zivilen) Technologietitel des NASDAQ einbrachen, schloß Lockheed Martin mit komfortablen plus 1,6 Prozent. Währenddessen war der Bau des 60 Milliarden US-Dollar teuren High-tech-Kampfjets F-22 Raptor bei Lockheed Martin Marietta in Georgia bereits beschlossen und wartete nur noch auf die abschließende Bestätigung der Regierung: »Verteidigungsminister Donald Rumsfeld war bereits ein Anwalt des F-22, bevor er in Bushs Mannschaft eintrat, und Lockheed-Sprecher zeigten sich am Donnerstag (am 15. Februar, einen Tag vor den Angriffen - der Autor) zuversichtlich, daß Rumsfeld das technisch fortgeschrittene Flugzeug unterstützen wird.« (4)

Die Nachricht für die Finanzmärkte war kristallklar: Während »zivile« Technologietitel wie Nortel, Dell Computers und Hewlett Packard in »Bärenstimmung« abtauchten, blieben die Aktien der Verteidigungsindustrie - einschließlich Boeing, General Dynamics, Lockheed Martin, Northrop-Grumman und Raytheon (die »Großen Fünf« der Rüstungslieferanten) - »sicher« und »vielversprechend«, das heißt, »eine gute Adresse für Anleger«. Wall-Street-Analytiker schlußfolgerten, ohne mit der Wimper zu zucken, »angesichts der Bedeutung, die die Bush-Regierung der Verteidigung beimißt, gibt es Optimismus, daß die Industrie auf dem Wege ist, den Markt auch in diesem Jahr zu überflügeln.« (5)

Entsprechend macht eine neue Daumenregel an der Wall Street die Runde: Trotz der Verlangsamung der US-Wirtschaft bilden Rüstungsaktien »einen ruhigen Hafen, der Schutz bietet vor der Implosion des Internetmarktes«. Oder allgemeiner ausgedrückt: Die Annahmen, die dem neuen Verteidigungskonzept der Bush- Regierung zugrunde liegen, werden als »gut fürs Geschäft« angesehen. Kein Wunder also, daß Pensionsfonds und institutionelle Anleger eifrig ihre Aktienbestände umschichten!

Neue Weltordnung

Krieg und Globalisierung gehen Hand in Hand. Militarisierung ist ein integraler Bestandteil der neoliberalen Tagesordnung. Das Aufstocken des Verteidigungsetats dient dem Aufpäppeln der »Großen fünf« US-Rüstungskonzerne, während für zivile Programme wie Gesundheit, Bildung oder Sozialhilfe - ganz zu schweigen von Amerikas zerfallender städtischer Infrastruktur - keine Mittel vorhanden sind. Während die Rüstungsproduktion brummt, hat die Rezession andere Sektoren der US-Wirtschaft, jene, die »zivile« Konsumgüter und Dienstleistungen herstellt, längst erreicht. Im Inland hängt die US-Wirtschaft in wachsendem Maße vom militärisch- industriellen Komplex und der Produktion von Luxusgütern (Reisen, Freizeitindustrie, Luxusautos etc.) ab. Dem Finanzestablishment ist das ganz recht; mit den Bedürfnissen der gewöhnlichen Menschen hat das nichts zu tun.

Die Bombenangriffe auf Bagdad sollten sicherlich jene Staaten einschüchtern, die sich für ein Ende der Sanktionen einsetzen. Allgemeiner läßt sich jedoch sagen, daß »Raketen- Diplomatie« eingesetzt wird, Amerikas politische und wirtschaftliche Dominanz durchzusetzen unter der Maske dessen, was euphemistisch »freier Markt« genannt wird. »Die versteckte Hand des Marktes kann nicht ohne die versteckte Faust wirken. McDonald's kann nicht ohne McDonnell Douglas, dem Konstrukteur des F-15-Bombers, gedeihen.« (6)

Und Amerikas Kriegsmaschine ist es gewohnt, die Eroberungen neuer ökonomischer Herausforderungen abzusichern. Im Nahen Osten, auf dem Balkan, in Zentralasien: Das US-Militär positioniert sich nicht nur direkt und mittels der NATO, um den Interessen anglo- amerikanischer Ölkonzerne zu dienen, die mit Rüstungsbetrieben Hand in Hand in lukrativen Gemeinschaftsunternehmen arbeiten, sondern auch, um die ehemalige Sowjetunion und asiatische Länder weiter zu kolonisieren. Währenddessen leiten steigende Rüstungsausgaben Ressourcen in den militärisch-industriellen Komplex um - auf Kosten ziviler Bedürfnisse.

 

(*) Michel Chossudovsky ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Universität von Ottawa, Kanada, und hat gerade das Buch »Globalisation of Poverty« (Globalisierung der Armut) veröffentlicht.

Anmerkungen:

1) Sunday Mail, London, 18. Februar 2001.

2) Reuters, 16. Februar 2001: »About 80 warplanes were involved, of which 24 were strike aircraft«. Siehe auch Financial Times vom 17. Februar 2001.

3) »Bush Vows To Modernize Military After Pentagon Review Is Completed«, The Bulletin's Frontrunner, 14. Februar 2001.

4) Dave Hirschman: »F-22's Fate to be Decided Next Month; Not on hold: Bush's Defense Review won't delay Judgment on Raptor«, The Atlanta Journal and Constitution, 16. Februar 2001.

5) The Nightly Business Report, NPR, 19. Februar 2001.

6) Thomas L. Friedman: »Manifesto for the Fast World«, New York Times Magazine, 28. März 1999.


Emanzipation Humanum, Version 02. 2001, Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt, Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen nach Absprache möglich.


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