Suche auf den GAIA - Seiten

  powered by FreeFind
Suchbegriff hier eingeben

Site Map    Was ist neu?    Suche

 

Im Schatten der Globalisierung

Nicht archaisch, sondern höchst modern:

Die neuen Kriege leben von der weltweiten ökonomischen Vernetzung

 von Herfried Münkler

 

(pdf.datei)

Die Anschläge vom 11. September und das gehäufte Auftreten von Selbstmordattentätern im Nahen Osten haben das Interesse auf die religiösen Antriebsfaktoren kriegerischer Gewalt gelenkt. Die einschlägigen Erklärungen, die vor allem den für westliche Gesellschaften so unverständlichen wie bedrohlichen Typus des Selbstmordattentäters dechiffrieren sollen, stellen freilich nur eine Variante innerhalb des seit etwa einem Jahrzehnt dominierenden kulturalistischen Ansatzes zur Erklärung von Gewalt und Krieg dar. Dieser Ansatz ist wesentlich dadurch gekennzeichnet, dass er Kriege weniger aus Interessen als vielmehr aus mentalen Prägungen und kulturellen Mustern zu erklären versucht.

Es waren insbesondere die Kriege, die den Zerfall Jugoslawiens begleiteten, sowie die Massaker der Hutu an den Tutsi in Ruanda, die diesen Ansatz in einer breiteren Öffentlichkeit dominant werden ließen. Da man zweckrationale Akteure in diesen Konflikten nicht mehr ausmachen zu können glaubte, versuchte man, die Gewalteskalationen durch archaische, zumindest unaufgeklärte Verhaltensweisen der Gewaltakteure zu erklären - seien es alte Clanrivalitäten, ethnisch- kulturelle Unterschiede, die mit einem Mal zu Feindschaften aufgebauscht wurden, oder religiöse Heils- und Erlösungsvorstellungen, aus denen eine unverständliche Opferbereitschaft erwuchs.

Der Siegeszug des kulturalistischen Paradigmas in der Analyse von Krieg und Gewalt dürfte nicht zuletzt seinen Grund darin haben, dass die liberalen Demokratien des Westens, in der Regel postheroische Gesellschaften, plötzlich mit Gewaltakteuren konfrontiert wurden, deren Handeln sie mit ihren eigenen Kriterien nicht erklären konnten. Die immer wieder zu hörende Feststellung, es handele sich zum überwiegenden Teil um Aufgeklärtheitsdefizite, die für die Gewaltexzesse verantwortlich seien, hat auf den ersten Blick etwas Beruhigendes: Sie verspricht, dass die Beschäftigung mit diesen Kriegen eher einen Blick in die eigenen Vergangenheit als in die Zukunft darstellt. Sie hat zugleich aber den Nachteil, dass sie keinerlei Antwort auf die Frage gibt, welche präventiven Maßnahmen gegen solcher Formen der Gewaltanwendung erfolgversprechend sein können. Der kulturalistische Ansatz bei der Erklärung von Krieg und Gewalt endet in einer politischen Sackgasse.

Insbesondere hat der kulturalistische Ansatz aber dazu geführt, dass nur eine begrenzte Anzahl der neuen Kriege in den Blick gekommen und generell die strategischen Planer dieser Kriege außer Betracht geblieben sind. Vor allem die strukturellen Bedingungen dieser Kriege sind zunehmend unbeachtet geblieben. Auffallend ist einmal deren lange Dauer, dann, dass sie nicht, wie die klassischen zwischenstaatlichen Kriege, durch Steuern und Kredite finanziert werden und schließlich die zunehmende Bedeutung privater, zumindest substaatlicher Akteure. In den meisten dieser Kriege spielen die Staaten, die in Europa über mehrere Jahrhunderte die faktischen Monopolisten des Krieges gewesen sind, keine oder nur noch eine untergeordnete Rolle.

Nichtsdestotrotz nehmen sich die üblichen Erklärungsansätze für den Ausbruch von Kriegen und die mit ihnen verbundenen Vorschläge zu Kriegsprävention meist so aus, als handle es sich um klassische zwischenstaatliche Kriege, mit denen es die internationale Gemeinschaft nach wie vor zu tun habe. Dabei wird übersehen, dass sich längst Kriegsökonomien entwickelt haben, die nicht staatlich kontrolliert sind und in denen Milizenführer, Warlords und international agierende Terrornetzwerke den Krieg oder doch zumindest systematisch organisierte Gewalt zu einem Mittel des Erwerbslebens - von der Sicherung des Lebensunterhalts bis zur Anhäufung großer Vermögen - gemacht haben.

Dieser Funktionswandel des Krieges, der sich militärhistorisch wie ein Rückfall in spätmittelalterlich-frühneuzeitliche Verhältnisse vor der Verstaatlichung des Kriegswesens ausnimmt, ist die sicherheitspolitisch viel größere und letztlich auch dramatischere Herausforderung als das vereinzelte, wenngleich spektakuläre Auftreten von Selbstmordattentätern. Die Friedens- und Kriegsursachenforschung wäre darum gut beraten, nicht so sehr kulturalistischen Großtheorien zu folgen, sondern statt dessen wieder stärker den Blick auf die sich mit den Mitteln militärischer Gewalt durchsetzenden ökonomischen Interessen zu richten.

Falle der Imperialismustheorien

Dabei ist freilich darauf zu achten, dass die ökonomisch grundierten Kriegsanalysen nicht abermals, wie in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, in die Falle der Imperialismustheorien gehen, deren theoretisches wie politisches Scheitern den Siegeszug der kulturalistischen Konflikt- und Kriegstheorien zumindest begünstigt hat. Haben die Imperialismustheorien, gleich welcher Provenienz, sich auf die Annahme gegründet, dass es einen funktionalen Zusammenhang zwischen dem Entwicklungsgrad kapitalistischer Strukturen und der Bereitschaft zur Durchsetzung wirtschaftlicher Interessen mit den Mitteln militärischer Gewalt gebe, so zeigen die Analysen so genannter Bürgerkriegsökonomien zumeist das Gegenteil: Je geringer der Grad einer Vergesellschaftung nach den Prinzipien von Tausch, Investition und spekulativer Erwartung ist, desto größer ist die Bereitschaft, die Trennlinien zwischen Erwerbsarbeit und Gewaltanwendung einzureißen und Gewaltstrukturen als Basis des Erwerbslebens aufzubauen.

Die Kriegsgewalt ist in großen Teilen Schwarzafrikas, Zentralasiens sowie Südostasiens nicht zuletzt darum endemisch geworden, weil sie den Gewaltakteuren auf Dauer eine Form der Einkommenserzielung und Lebensführung verspricht, die ihnen unter den Bedingungen einer Friedensökonomie zumeist nicht möglich wären. Es sind, pointiert gesagt, keineswegs nur unaufgeklärte Irrationalismen, die die Menschen zu den Waffen greifen lassen und in den Krieg führen: nicht selten geht es um ganz zweckrationale Formen der Interessenverfolgung. Die Entscheidung manches Jugendlichen im Südsudan, im Kongo, in Afghanistan oder wo auch immer, sich der bewaffneten Gefolgschaft eines Warlords anzuschließen, dürfte selbst im Lichte ihrer Überprüfung durch rationale Entscheidungstheorien Bestand haben. Und genau das ist das Problem.

Denn es ist, in vielen Gebieten der Dritten Welt, das Zusammentreffen von Armut und Elend, einer hemmungslosen Korruption der politischen Elite, dem daraus resultierenden Ausbruch von Bürgerkriegen und dem bald folgenden Zusammenbruch einer jeden staatlichen Ordnung - verbunden mit den Möglichkeiten der Schattenglobalisierung und dem Andocken von Bürgerkriegsökonomien an die Friedensökonomien der reichen OECD-Länder-, die dafür gesorgt haben, dass der Krieg, wenn er von parastaatlichen und privaten Akteuren geführt wird, wieder zu einem lukrativen Geschäft geworden ist. Wer die Gebiete kontrolliert, in denen Erdöl, Erze, Mineralien und sonstige Bodenschätze gefunden oder zumindest vermutet werden, hat die Chance, durch die Vergabe von Bohr- und Schürfrechten an internationale Konsortien innerhalb kürzester Zeit beträchtliche Einnahmen zu erzielen. Um diese Gebiete unter seine Kontrolle zu bringen und sie gegen Konkurrenten zu verteidigen, braucht er freilich eine bewaffnete Gefolgschaft, und die wiederum bereichert sich, indem sie über die Bevölkerung der von ihnen beherrschten Gebiete ein tyrannisches Ausbeutungsregime errichtet.

Der reiche Norden ist an den innergesellschaftlichen und transnationalen Kriegen des Südens nicht schuldlos, aber er ist in sie in einer ganz anderen Weise involviert, als die klassischen Imperialismustheorien behaupten. Nicht nur Erdöl, Erze und Mineralien dienen den regionalen Milizenchefs und Warlords zur Finanzierung ihrer Kriege, sondern ebenso illegale Güter, wie Rohopium, aber auch Menschen, mit denen sie handeln, woraus sie beträchtliche Gewinne beziehen. Dabei gehen sie mit regionalen Schmugglerorganisationen ebenso wie mit der international organisierten Kriminalität engste Verbindungen ein, und dabei wird die von ihnen in die Geschäftsbeziehung eingebrachte militärische Kampfkraft wie die ausgeübte Gewalt zu einem zentralen Element, durch das die Produktion illegaler Güter gesichert und deren Einspeisung in die globalisierten Wirtschaftskreisläufe teilweise erzwungen, teilweise begleitet wird: Vom bewaffneten Begleitschutz für Schmugglerkonvois bis zu den Jagdkommandos, die junge Frauen versklaven, um sie nach Europa und Nordamerika zu bringen, wo sie als Prostituierte für ihre "Eigentümer" ausgebeutet werden. Und schließlich lässt sich militärisch organisierte Gewalt auch an zahlungskräftige Interessenten verkaufen, die aus den unterschiedlichsten Gründen an ihr interessiert sind: weil sie, wie einige arabische Multimillionäre, bedrängte Glaubensgenossen unterstützen oder allgemein für die Ausbreitung ihrer religiösen Vorstellungen sorgen wollen, weil sie ein bestehendes Regime, das sie aus persönlichen oder politischen Gründen ablehnen, gestürzt wissen wollen, oder weil sie die Gewalt als Bestandteil ihrer Geschäftspolitik nutzen wollen, da sie nur so an bestimmte Güter und Dienstleistungen herankommen. Gewaltanwendung in großem Stil ist inzwischen zu einer Dienstleistung geworden, für die es Märkte gibt. Aber diese Märkte sind auf die Existenz von Bürgerkriegsgebieten angewiesen, wo sie sich ungehindert ausbreiten können.

Billiges Material

Und doch wäre die quasi-militärische Gewaltanwendung durch private Kriegsunternehmer ein kaum lohnendes Geschäft, wenn sich nicht zugleich auch die Formen der Kriegführung verändert hätten. Im Unterschied zu der in Europa seit dem 15. Jahrhundert zu beobachtenden Entwicklung, in deren Verlauf durch waffentechnische Innovationen und taktische Revolutionen der Krieg immer teurer geworden ist, hat sich in den letzten Jahrzehnten am Rande der Wohlstandszonen eine Entwicklung durchgesetzt, in deren Verlauf der Krieg immer billiger geworden ist: Landminen, automatische Waffen und Pick-ups als Transportmittel wie schnelles Gefechtsfahrzeug haben die Kostenspirale der Vorbereitung und Führung von Kriegen angehalten und umgekehrt. Wer mit diesen Waffen Krieg führen will, kann dies mit geringen Mitteln und ohne lange Vorbereitungsphasen tun. Natürlich wäre er nicht in der Lage, einer gut ausgerüsteten und motivierten regulären Armee militärisch Paroli zu bieten, aber das muss er in der Regel auch nicht, weil seine Gegner ähnlich ausgerüstete Warlordgruppen sind oder es nur darum geht, über die Zivilbevölkerung ein Schreckensregime zu errichten, um sie nach Willkür auspressen zu können.

Die wohl größte sicherheitspolitische Herausforderung des 21. Jahrhunderts ist die Verbindung von Schattenglobalisierung und Kriegsverbilligung. Sie hat den Krieg für private Unternehmer wieder zu einem lukrativen Geschäft werden lassen. Wer nur die Selbstmordattentäter des 11. September oder der letzten Monate in Israel im Auge hat und ihre Motivationen zu entschlüsseln versucht, übersieht die entscheidenden strukturellen Veränderungen der Kriegführung. Auf ihrer Basis lassen sich im übrigen, sicherlich eher funktional als motivational, auch Selbstmordattentäter dechriffrieren: Es sind billige Bomben, die von denen eingesetzt werden, die über teures Kriegsgerät nicht verfügen.

Der Autor ist Professor für Theorie der Politik an der Humboldt- Universität Berlin.
Im September erscheint von ihm "Die neuen Kriege" im Rowohlt Verlag.

Copyright © Frankfurter Rundschau 2002


In Afrikas Wäldern tobt ein verdrängter Krieg, Der aktuelle Report aus dem grünen Herzen des schwarzen Kontinents (23. 3 2004), von Ruedi Suter

 

Links
Literatur
Inhaltsübersicht
Kontakt
oben
home
deutsch
english
español
Gästebuch


Emanzipation Humanum, Version 7. 2002 , Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt, Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen nach Absprache möglich.

http://emanzipationhumanum.de/deutsch/krieg02.html

GOWEBCounter by INLINE