Der
Sieg der Ökonomie über
das Leben
Wie
die Welt durch
betriebswirtschaftliche Effizienz zerstört
wird
Robert
Kurz
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Es
ist nun fast ein Vierteljahrhundert her, dass der
US-amerikanische Wissenschaftler Dennis Meadows und sein
Team den berühmten Bericht des "Club of Rome" über
"die Grenzen des Wachstums" vorgelegt haben. Darin wird
gezeigt, dass das exponentielle Wachstum der modernen
Ökonomie in historisch kurzer Zeit zu einer Katastrophe
der natürlichen Lebensgrundlagen führen muss. Der
gefrässige Verbrauch von Ressourcen und die
hemmungslose Emission von Schadstoffen, so Meadows, stelle
das Überleben der Menschheit in Frage.
Empirisch
ist der Befund eindeutig und kann nur von Ignoranten
bestritten werden. Elementare Bedingungen des Lebens wie
Wasser, Luft und Erde sind einem ständig zunehmenden
Prozess der Vergiftung ausgesetzt. Die schützende
Schicht des Ozons in der Atmosphäre wird abgetragen. Im
südlichen Argentinien und in Australien laufen bereits
massenhaft Schafe mit Krebsgeschwüren herum und auch
für Menschen wird das Baden in der Sonne
lebensgefährlich. Das Trinkwasser ist nicht nur
verseucht, sondern es wird auch knapp. Die Wüste ist
auf dem Vormarsch und es gibt Prognosen, dass die Kriege des
21. Jahrhunderts um das Wasser geführt werden. Mit
unheimlicher Geschwindigkeit sterben die Arten der Flora und
Fauna. Die tropischen Wälder, das grösste
Reservoir der irdischen Natur, schwinden im Zeitraffer
dahin. Allein in der Zeit seit dem 2. Weltkrieg war die
Zerstörung grösser als in der gesamten bisherigen
Geschichte der Menschheit. Durch die Überflutung mit
toxischen Reizen droht das menschliche Immunsystem
zusammenzubrechen (vor allem bei Kindern). Mediziner
prophezeien, dass neue Seuchen entstehen, gegen die es keine
Mittel mehr gibt.
Die
Liste der Zerstörungen und der drohenden Katastrophen
könnte beliebig fortgesetzt werden. Auch die
Schönheit der Welt verschwindet. Marktwirtschaft macht
hässlich. Als ich in Sao Paulo zu Besuch war, zeigte
man mir alte Fotos von einem Fluss, an dessen Ufer Menschen
flanierten, in dem man baden konnte und der ein beliebtes
Ziel für Ausflüge war. Dann hatte ich Gelegenheit,
diesen Fluss heute zu sehen: eine Art Abwasserkanal mit
schwarzem, faulig riechendem Wasser, an dessen Ufer nur noch
Ratten flanieren. Traurige Vergleiche dieser Art kann man in
allen Ländern anstellen. Wie es scheint, arbeitet die
Ökonomie mit hoher Effizienz daran, den gesamten
Planeten in eine einzige stinkende Müllkippe zu
verwandeln und schliesslich alles Leben
auszulöschen.
Spätestens
seit der Studie von Meadows ist das Problem der "Umwelt" in
allen Ländern zum Gegenstand der politischen Debatte
geworden. Aber diese Debatte ist unglaubwürdig. Die
Devise lautet: "Waschen wir den Pelz, aber machen wir ihn
nicht nass". Die Politiker als professionelle Lügner
und Schauspieler rufen die Menschheit zur Umkehr auf und
produzieren moralische Phrasen, wie die Industrie Müll
produziert. Sie verbrennen Millionen Liter Kerosin, um
Konferenzen zu veranstalten, auf denen nichts beschlossen
wird. 1992 versammelten sich in Rio de Janeiro
Staatsmänner und Regierungschefs aus der ganzen Welt,
um über den Schutz von Natur, Umwelt, Klima und Wasser
zu beraten. Für die politische Kosmetik wurde ein
grosser Aufwand veranstaltet. Aber das reale Ergebnis war
gleich Null.
Auch
die Biedermänner und Honoratioren des "Club of Rome"
und ähnlicher Initiativen sprechen vollmundig von der
Notwendigkeit einer "globalen Revolution", um Natur und
Menschheit zu retten. Aber seit wann werden Revolutionen von
Biedermännern und Honoratioren gemacht? In Wirklichkeit
sind die Vorschläge des "Club of Rome" alles andere als
revolutionär. Wie alle braven Bürger und Christen
möchten diese ehrenwerten Wissenschaftler den Wolf mit
dem Lamm versöhnen. "Qualitatives Wachstum" und
"nachhaltige Entwicklung" (Sustainability) sollen auf dem
Boden einer globalen Marktwirtschaft "ökonomische
Effizienz" und "ökologische Herausforderung", Geld und
Natur in Übereinstimmung bringen. Ist dieses Ziel
realistisch oder ist es der naive Versuch einer Quadratur
des Kreises?
Die
Wurzel der modernen Ökonomie ist das Geld. Das Geld
aber ist eine gesellschaftliche Abstraktion, denn es
abstrahiert von jedem sinnlichen, qualitativen Inhalt.
Tausend Dollars sind eine abstrakte, rein quantitative
Grösse. Schon der Philosoph Hegel wusste, dass das Geld
gesellschaftliche Arbeit repräsentiert; aber Arbeit in
abstrakter Form, gereinigt von ihrer konkreten stofflichen
Bestimmung. In der Beziehung zum Geld erscheint Arbeit als
reine Verausgabung abstrakter menschlicher Energie. Hegel
sprach deshalb von "abstrakter Arbeit", ein Ausdruck, der
von Marx übernommen worden ist. Aber Hegel sagte auch:
"Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heisst
Wirklichkeit zerstören". In dem Masse, wie das Geld
zwischen Mensch und Natur tritt, wird Natur zerstört.
Das Geld ist deshalb auch die Wurzel der destruktiven Potenz
in der modernen Ökonomie.
Natürlich
ist das Geld schon viel älter als die moderne
industrielle Gesellschaft. Aber es spielte vor dem 18.
Jahrhundert (und in vielen Ländern bis ins 20.
Jahrhundert hinein) für die meisten Menschen nur eine
marginale Rolle. Der grösste Teil der Lebensmittel
wurde naturalwirtschaftlich hergestellt, also ohne
Warentausch. Soweit es Warenproduktion gab, blieb das Geld
auf die Rolle eines Mediums beschränkt: es stand in der
Mitte zwischen zwei qualitativ verschiedenen Waren als
blosses Tauschmittel. Die moderne Ökonomie dagegen ist
nicht allein durch den Fortschritt der Technik entstanden,
wie man uns glauben machen will. Entscheidend war vielmehr
die Verwandlung des Geldes aus einem Medium in einen
Selbstzweck.
Was
bedeutet das? In der modernen Ökonomie hat sich das
Verhältnis von Ware und Geld verkehrt. Nicht mehr das
Geld steht in der Mitte zwischen zwei qualitativ
verschiedenen Waren, sondern genau umgekehrt: die Ware steht
in der Mitte zwischen zwei Erscheinungsformen der gleichen
abstrakten Form "Geld". Diese Operation macht natürlich
nur Sinn, wenn am Ende eine grössere Summe Geld als am
Anfang steht. Das Geld ist zum "produktiven Kapital"
geworden, das sich selbst vermehrt. Im Unterschied zu den
alten nicht-kommerziellen Produzenten ist der Zweck nicht
die materielle Reproduktion des eigenen Lebens, sondern die
Anhäufung von Gewinn in der Form des Geldes.
Erst
durch diese neue ökonomische Logik konnte eine totale
Marktwirtschaft entstehen, in der am Profit orientierte
Unternehmen miteinander konkurrieren und alle Menschen davon
abhängig werden, dass sie "Geld verdienen". Das Geld
ist jetzt in einem kybernetischen Kreislauf auf sich selbst
bezogen. Es verselbständigt sich in seiner absurden
Bewegung als Selbstzweck gegenüber allen menschlichen
Subjekten und beginnt ein gespenstisches Eigenleben zu
führen. Der Historiker Karl Polanyi hat deshalb die
moderne Marktwirtschaft eine aus den Zusammenhängen des
Lebens "herausgelöste Ökonomie" genannt. Auch der
staatliche Sozialismus des Ostens und Südens mit seinen
"geplanten Märkten" war nur ein historisches Derivat
derselben ökonomischen Logik.
Es
ist wahr, dass diese historisch neue Ökonomie die
Entwicklung der Produktivkräfte ungeheuer beschleunigt
hat. Aber alle wissenschaftlichen und technischen
Errungenschaften müssen sich der Form des Geldes
unterwerfen und sind von ihr geprägt. Das bedeutet,
dass der sinnliche Inhalt der Produktion mit der scheinbaren
Evidenz eines physikalischen Gesetzes einer abstrakten, rein
quantitativen ökonomischen Prozedur unterworfen wird.
Das Geld arbeitet wie ein gesellschaftlicher Roboter, der
nicht zwischen giftig und ungiftig, schön und
hässlich, moralisch und amoralisch unterscheiden
kann.
Unter
dem Druck der Konkurrenz ist in der Marktwirtschaft das
einzelne Unternehmen gezwungen, bei allen Entscheidungen der
Rationalität des Geldes zu gehorchen. Das nennt man
Betriebswirtschaft. Wenn dabei von "Senkung der Kosten" und
von "Effizienz" die Rede ist, dann ist damit immer nur das
entsinnlichte, abstrakte "Interesse" des Geldes gemeint. Wie
ein Neurotiker von der fixen Idee besessen ist, ohne
Rücksicht auf Musse und Genuss immer den kürzesten
Weg zwischen zwei Punkten zu gehen, so verlangt die
betriebswirtschaftliche Rechnung die abstrakte "Senkung der
Kosten" ohne Rücksicht auf den sinnlichen Inhalt und
auf die natürlichen Folgen.
Zwar
redet die Betriebswirtschaft ständig von einer
Verbesserung der Qualität. Ästhetisch betrifft
dies aber immer nur das Design des isolierten Produkts,
niemals die Welt ausserhalb der Betriebswirtschaft. Das
Resultat sind "schöne" Produkte in einer verfaulenden
"Umwelt". Aber auch die stoffliche Qualität der
Produkte selber ist meistens bloss Fassade. Das fängt
schon beim Essen an. Die Nahrungsmittelindustrie ist eifrig
dabei, die Menschen mit sanfter Gewalt so zu erziehen, dass
sie nicht mehr richtig schmecken und riechen können. Im
Interesse der betriebswirtschaftlichen "Effizienz" und der
profitablen "Vereinfachung" für grossräumige
Märkte sind auf der ganzen Welt bereits tausende Sorten
von Obst, Gemüse und Nutztieren verschwunden. In den
Labors werden Lebensmittel gezüchtet, die sich
besonders leicht verpacken lassen und nicht verderben, aber
mit "Geschmack" chemisch geimpft werden müssen. Die
Macht des Angebots erdrückt jede Kritik der
Nachfrage.
Abgesehen
von der fortschreitenden Zerstörung des sinnlichen und
ästhetischen Genusses ist die "Senkung der Kosten" in
Wirklichkeit bloss eine Externalisierung der Kosten auf die
Natur und auf die Zukunft. Denn vom Standpunkt der
Betriebswirtschaft sind Natur und Zukunft ökonomisch
leere Räume jenseits der Kostenrechnung, in denen die
"Exkremente der Produktion" (Marx) scheinbar spurlos
verschwinden. Das gilt nicht nur für die Emission von
Schadstoffen durch die Produktion, sondern auch für den
Transport. Ein tiefgekühltes Brathähnchen in den
USA ist durchschnittlich 3000 Meilen unterwegs, bevor es
verbraucht wird. Wenn die Betriebswirtschaft auf der
globalen Suche nach niedrigen Kosten Wechselkurse, billigen
Lohn und andere Vorteile auf der Ebene des Geldes ausnutzt,
verursacht sie auf der Ebene der Natur und der stofflichen
Ressourcen eine Orgie der Vergeudung.
Auch
das exponentielle Wachstum, das der "Club of Rome" beklagt,
ist keine zufällige Fehlentwicklung, sondern ein
notwendiges Resultat des Marktsystems. Das kybernetisch auf
sich selbst rückgekoppelte Geld fordert die permanente
Steigerung der Produktion. Die Konkurrenz fordert
gleichzeitig die permanente Steigerung der
Produktivität. Weil auf diese Weise das einzelne
Produkt immer weniger Geld repräsentieren kann, muss
die Produktion nicht linear, sondern in geometrischer
Progression anwachsen. Und weil in dieser Dynamik des
Wachstums die betriebswirtschaftlichen Investitionen den
abstrakten Signalen der Rentabilität folgen, ist die
Option einer qualitativ definierten "nachhaltigen
Entwicklung" innerhalb der modernen Marktwirtschaft eine
Illusion. Die Produktion qualitativ sinnvoller und sogar
lebensnotwendiger Dinge wird automatisch stillgelegt, wenn
sie für den Selbstzweck des Geldes nicht mehr rentabel
ist; andererseits fliesst das Kapital automatisch in
destruktive Projekte, wenn diese eine hohe Rendite
versprechen.
Auf
diese Weise nimmt das gesellschaftliche Leben den Charakter
der Selbstzerstörung an. Während durch die
Steigerung der Produktivität immer mehr Menschen
arbeitslos werden, müssen die Besitzer des Geldes immer
mehr Produkte immer schneller konsumieren, damit das zur
Raserei gesteigerte System weiter funktionieren kann. Durch
"geplanten Verschleiss" wird das Leben der Produkte
verkürzt, gleichzeitig erfindet die Industrie groteske
und infantile neue Bedürfnisse. Auf der einen Seite:
bettelnde Kinder. Auf der anderen Seite: Verrückte, die
sich zu Tode konsumieren und mit ihrem Handy
Selbstgespräche führen.
Das
moderne Management hat mehr Kinder getötet als
König Herodes, aber immer kann es die Hände in
Unschuld waschen und sich auf die stummen Gesetze des Geldes
berufen. Auch die Arbeiter fragen nicht nach den Folgen
ihrer Arbeit, weil sie auf "Arbeitsplätze" angewiesen
sind. Das System des Geldes erzeugt eine strukturelle
Schizophrenie: alle wissen, dass ihr Handeln destruktiv ist,
aber alle starren auf ihr monetäres Einkommen wie das
Kaninchen auf die Schlange. Warum erregt sich die
Öffentlichkeit über die Selbstmord-Attentäter
der Hamas, wenn sie das globale Selbstmord-Programm der
Marktwirtschaft akzeptiert?
Es
ist ein frommer Wunsch, dass die Politik den Wolf des Geldes
an die Kette legen könnte. Eine wirksame
ökologische Steuer ist unmöglich. Denn der Staat
ist national, aber die Konkurrenz ist international. Die
Länder mit wenig Kapital können unter den
Bedingungen der Globalisierung nur durch soziales und
ökologisches Dumping konkurrieren. Deswegen ist der
ökologische Moralismus der finanziell starken
Länder gegenüber der Dritten Welt eine Heuchelei.
Das Problem ist die moderne Ökonomie selbst. Die
Politik ist immer nur die Komplizin des Geldes, weil sie
kein eigenes Medium besitzt. Auch die Macht muss finanziert
werden. Deshalb sind die scheinbar Mächtigen vom
exponentiellen Wachstum der "herausgelösten
Ökonomie" abhängig.
Es
gibt wahrscheinlich nur eine radikale Lösung: die
Menschheit muss sich von der Herrschaft des
verselbständigten Geldes befreien. Sicherlich ist eine
Rückkehr in die vormoderne Agrargesellschaft weder
möglich noch wünschenswert. Aber vielleicht sind
jenseits der "herausgelösten Ökonomie" andere
Formen der Kooperation möglich. Können
Non-Profit-Organisationen die bisherige Betriebswirtschaft
ablösen? Die Ökonomen sagen, das sei utopisch und
unrealistisch. Sie haben Angst vor der Entwertung ihrer
absurden Qualifikation. Nun gut, dann ist eben das
Überleben der Menschheit utopisch und unrealistisch. Es
gibt nur einen Trost: auch die Mandarine des Geldes werden
von der Zerstörung der Natur nicht verschont. Ich
stelle mir vor, dass in naher Zukunft die letzten Reichen
mit Gasmasken vor den glatten Gesichtern auf der Veranda der
letzten Luxusvilla sitzen und durch Strohhalme aus goldenen
Flaschen das letzte Trinkwasser saugen.
Emanzipation
Humanum,
Version 11. 00 , Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt,
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und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere
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