Europa
und die westliche Welt in der Krise
durch den Tschetschenien Krieg Russlands?
von
Rüdiger Heescher
(vorläufiger
Artikel vom 16.12.99)
Russland
hat am 15.12.99 eine Schlacht verloren im Krieg gegen die
"Rebellen" in Grosny. In Berlin gab es am 15.12.99 die
Vertragsunterzeichnung über "Innovation und
Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr" zwischen der Regierung
und der Wirtschaft. Am 16.12.99 trafen sich die
Finanzminister der "neugegründeten" G20 Staaten in
Berlin. Welchen Zusammenhang gibt es zwischen dem russischen
Feldzug und der globalen Finanz- und
Wirtschaftspolitik?
Seit
des Mauerfalls und des Zerfalls der GUS Staaten hat sich
zwischen den Kräften der Weltmächte nicht viel in
der Einstellung getan. Der Westen ist immer noch daran
interessiert sich Russland und auch China untertan zu
machen. Der kalte Krieg war getragen durch
militärisches Aufrüsten und den einhergehenden
Verschuldungen der Staaten, welches die ehemalige
Sowietunion nicht länger mitmachen konnte und sich
dabei ruinierte.Den kalten Krieg hat also somit der Westen
gewonnen. Jetzt hat sich seit den 90er Jahren ein neues
Problem ergeben. Russland möchte immer noch ihre
Weltmachtposition behaupten, was den westlichen Staaten
nicht gefällt und sich neue Strategien überlegen
mußten. Russland wurde vom Westen her unterstützt
mit Krediten um das Land in der politischen Landschaft der
Demokratien einzugliedern. Einhergehend wurde auch der pure
Kapitalismus eingeführt, den sich Adam Smith nicht
besser hätte vorstellen können. Diese Kredite sind
natürlich Verschuldungen die der Staat mit Zinsen
wieder zurückzahlen muß. Die Zinsfalle hat
für Russland zugeschlagen und so in eine
Abhängigkeit zum Westen gebracht. Inflation und
Abkoppelung der Währung von ureigenen Rohstoffreserven
hat zu einer erneuten Geldwertschöpfung geführt
und Russland endgültig abhängig gemacht vom
Westen. Die Inflation ist geblieben. Aber zur gleichen Zeit
hat sich in der westlichen Welt eine schleichende Deflation
vollzogen. Konzerne wie auch mittelständische
Unternehmen leiden seit Mitte der 90er Jahre am
Deflationsverlust was die Gewinne frißt, weswegen wir
es im Moment auch mit einer Welle von Fusionen und
Übernahmen zu tun haben um sich am Markt behaupten zu
können oder wenigsten noch mitmischen zu können.
Was sind die Rezepte bei einer solchen Misere für
Zentralbanker und Finanzpolitiker ? Nomalerweise müssen
die Zinsen der Deflation angepasst werden, was heißt,
daß die Zinsen gesenkt werden müssen. Dieses hat
sich aber gerade vor ein paar Wochen genau anders ergeben,
als die EZB den Leitzins von 2,5 auf 3 % erhöht hat um
die EU Binnenwirtschaft zu stärken. In einer Deflation
auf dem internationalen Kapitalmarkt wirkt sich das
verheerend aus, da überflüssiges Geld nicht in den
Kapitalmarkt abfließt sondern gehortet wird und so
auch keine Investitionen getätigt werden. Dieses Geld
steht also Krediten nicht mehr zur Verfügung und der
Zins müsste eigentlich gesenkt werden. Niedrige Zinsen
sind im bestehenden Geldsystem kein hinreichendes
Lösegeld, um Geldkapitalbesitzer zur Herausgabe des
Geldes an den Kapitalmarkt zu bewegen. Wir stecken also im
Dilemma. Es gibt aber seit ein paar Jahren die
Möglichkeit das Problem abzumildern durch den
Internationalen Währungsfond, der an die Wall Street
gekoppelt ist und überflüssiges Geld an
inflationäre Staaten rentabel abgeben kann und so die
eigene Deflation abmildert aber auf der anderen Seite
inflationäre Staaten noch abhängiger macht. Wenn
auf dem internationalen Kreditmarkt aber keiner mehr
horrende Summen aufnehmen kann oder daran gehindert wird,
dann bricht diese Krücke der westlichen Welt zusammen,
um das schleichende deflationäre System in seinem
Kollaps aufzuschieben.
In
Deutschland ist man gezwungen durch eine erneute
Aufrüstung Investitionen im eigenen Land anzuregen, was
den Steuerzahler wieder mehr Geld kostet oder wie von
unserer Regierung durch das Sparpaket abgefedert wird und
die realen Nettolöhne absenkt und Preise steigen
läßt, was im Endeffekt wieder den "kleinen Mann"
trifft. So versucht man der schleichenden Deflation im
eigenen Land Herr zu werden. Nach Theorie sorgt dieses
für mehr Beschäftigung, was sich aber nur mit
entsprechendem Wirtschaftswachstum auch umsetzen
läßt, was aber in Deutschland mittlerweile bei
mindestens 5% liegen müßte um einen Effekt zu
erzielen ! Mit der Vertragsunterzeichnung zur "Innovation,
Investition und Wirtschaftlichkeit in der Bundeswehr"
erhofft man sich diesen Impuls. Doch wofür brauchen wir
diese ganze High Tech Rüstung, wenn wir eigentlich
keinen Feind oder eine Bedrohung mehr haben ?
Russland
hat in einer starken Inflationskrise ähnliche Probleme
wie der Westen und braucht den wirtschaftlichen Aufschwung
durch Aufrüstung und natürlich die entsprechende
Rendite durch den Krieg. Russland hat dem Westen angedroht
sich aus dem Finanzsystem der G8 herauszulösen und sich
vom Währungssystem abzukoppeln, da es nicht in der Lage
ist sich von den Schulden und seiner Inflation aus eigener
Kraft zu befreien. Daher ist der Tschetschenien Krieg auch
ein Ausdruck von ohnmächtiger desolater Finanzpolitik
aus der sich Putin nicht anders helfen kann um auf der einen
Seite die bevorstehenden Dumawahlen zu gewinnen, aber auch
gleichzeitig dem Westen einen auszuwischen kann. Denn der
Westen kommt in eine moralische Falle. Auf der einen Seite
kann der Westen, wie im Fall von Kosovo, nicht einfach
zusehen, wenn der Westen seine Glaubwürdigkeit in
Menschenrechtsanliegen behalten will. Er muß zumindest
die Kredite des Internationalen Währungsfonds für
Russland stornieren, was auch Deutschland und die meisten
europäischen Staaten fordern, aber die USA auf keinen
Fall will. Die Stornierung der Kredite würde die
Deflationskrise nur im Westen vorantreiben. Deutschland
versucht sich durch inländische Investition durch
Aufrüstung nach beiden Seiten hin abzusichern (im Falle
einer Zunahme der Deflationskrise genauso wie im Falle eines
Krieges), aber die USA setzt auf Eskalation des Krieges und
einer militärischen Einmischung durch die NATO, was nur
einen Krieg im Ernstfall mit Russland bedeutet. Die OSZE hat
keine wirkliche Macht und wird im Vermittlungsversuch
scheitern, da vor allem Russland überhaupt nicht
gewillt ist darauf einzugehen. Verständlich in der
Situation, denn Russland kann aus rein finanz- und
wirtschaftspolitischer "Vernunft" nur ein Deflationskollaps
der westlichen Welt helfen um wieder auf die Beine zu
kommen. Die Krise für die westliche Welt ist also so
oder so vorgezeichnet. Wie wird sich die westliche Welt
entscheiden ?
"Kein
Krieg gegen Banditen"
SPD-Politiker
Scheer: Es geht vor allem um den Zugriff auf das kaspische
Öl
Interview
in DIE WELT v. 31.1.2000
Der
Tschetschenien-Konflikt liefert nach Ansicht des SPD-
Bundestagsabgeordneten und alternativen
Nobelpreisträgers Hermann Scheer einen Vorgeschmack auf
brutal eskalierende Ressourcenkriege. Durch steten
Ressourcenschwund und ständig steigenden globalen
Energieverbrauch würden die Länder zu
Überlebenskämpfen gezwungen. Dies bestätige
auch die Nato- Strategie, die eine weltweite Sicherung der
Energie- und Rohstoffressourcen im Blick habe. Mit Scheer,
der im vergangenen Jahr für seinen "unermüdlichen
Einsatz zur weltweiten Förderung der Sonnenenergie" in
Stockholm ausgezeichnet wur de, sprach Lena Pawlovsky.
DIE
WELT: Herr Scheer, Sie sehen den Einsatz russischer
Truppen in Tschetschenien weniger als einen Krieg gegen
Banditen und Mörder, als um Ressourcen?
Hermann
Scheer: Der Tschetschenien-Krieg ist Teil eines
zunehmenden Ressourcenkonfliktes. Das war schon im ersten
Tschetschenien-Krieg der Fall. Auch damals war es zu
vereinfachend, von einem Befreiungskampf eines kleinen
Volkes gegen das große zu sprechen. Es ging vor allem
um die Frage, wer den Zugriff auf die direkt durch Grosny
verlaufende Erdölpipeline und damit eine Beteiligung an
den Einnahmen hat.
DIE
WELT: Und heute?
Scheer:
Was gegenwärtig in Tschetschenien stattfindet,
erscheint als Aufflackern des politischen Islamismus. Doch
das ist geschürt. Solche Stimmungen sind von Nutzen bei
dem Vorhaben, die kaukasischen und transkaukasischen
Erdöl- und Erdgasquellen priviligiert zu
erschließen - unter Ausgrenzung der russischen
Interessen. Jüngstes Beispiel ist der in Gegenwart von
US- Präsident Bill Clinton geschlossene Vertrag
zwischen der Türkei, Aserbaidschan und Georgien
über den Bau einer Pipeline von Baku nach Ceyhan.
DIE
WELT: Kasachstan und Turkmenistan sicherten auf dem
OSZE-Gipfel in Istanbul zu, ihr Öl über diese neue
Route zu liefern.
Scheer:
Wenn Russland völlig aus dem Spiel gebracht wird, weil
seine Pipelines nicht mehr benutzt werden und ihm Einnahmen
verloren gehen, führt das zu einer Störung das
Verhältnisses mit Russland. Dadurch dass Regionen, die
früher zur Sowjetunion gehörten, als westliches
Interessengebiet definiert werden, weil es dort Ressourcen
gibt, verliert man einen konstruktiven Einfluss auf die
russische Regierung. Schon jetzt sind die Öl- und
Gasförderländer Kaukasiens und Transkaukasiens
Nato- Kooperationsländer - mit der Option auf eine
spätere Mitgliedschaft. Das treibt Russland in eine
sich radikalisierende Position.
DIE
WELT: Damit birgt die Region um das Kaspische Meer, in
der eines der weltweit größten
Erdölvorkommen von rund 200 Milliarden Barrel Öl
vermutet wird, erhebliches Konfliktpotenzial?
Scheer:
Das zeigten schon die Vorfälle innerhalb Georgiens,
zwischen Aserbaidschan und Armenien um die Enklave Berg-
Karabach und in Tadschikistan, wo nach außen zwei
Clans um die Macht kämpfen. Es geht dort längst um
Ressourcen. Es wird so getan, als gäbe es einige
irrationale Glaubensführer und ein paar orthodoxe
Altkommunisten, die um den politischen Einfluss
kämpfen. Hinter all diesen Konflikten steckt - wer auch
immer daran partizipiert - der Kampf um die Beteiligung am
Ressourcengeschäft, dem größten
Geschäft der Welt.
DIE
WELT: Wo drohen weitere Gefahren?
Scheer:
Der Tschetschenien-Krieg liefert nur einen Vorgeschmack auf
künftig eskalierende Ressourcenkonflikte. Die Kurve der
abnehmenden Verfügbarkeit fossiler Reserven und jene
des steigenden globalen Verbrauchs kreuzen sich aller
Voraussicht nach zwischen 2030 und 2040. Das sind die
Weltkrisenpunkte. Es muss alles darangesetzt werden, dass
wir sie nicht erreichen. Sonst kommt es zu zahllosen lokalen
Konflikten, die eine Region nach der anderen ins Chaos
stürzen. Auch werden China und Indien, die zusammen
mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung stell en und
einen riesigen Importbedarf an Energie mit zweistelligen
Zuwachsraten haben, nicht zulassen, dass sich die
Länder Westeuropas und die USA, die heute schon 75
Prozent der Weltressourcen verbrauchen für 10 Prozent
der Weltbevölkerung, auch noch der letzten Ressourcen
vor ihrer Haustür bedienen.
DIE
WELT: Sondern?
Scheer:
China und Indien werden versuchen, dagegen einen Machtfaktor
zu bilden zusammen mit Russland. Das sind drei
Atommächte, die zusammen 40 Prozent der
Weltbevölkerung stellen. Ich befürchte seit
einigen Jahren das Entstehen eines Dreierbündnisses.
Primakow hat das nun vor wenigen Wochen vorgeschlagen.
Logische Konsequenz wäre eine nach Asien verschobene
Neuauflage einer Blockkonfrontation zwischen Amerika und
Europa einerseits und der eurasischen Region andererseits,
die zum Hauptkampfplatz um die zur Neige gehenden Ressourcen
werden könnte und zugleich ein Nord-Süd-Konflikt
ist.
(c)
Die WELT online, http://www.welt.de
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