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 siehe auch: Babytragen kann heilsam sein, Willi Maurer
Die verschüttete Quelle des Friedens (pdf.format), Willi Maurer

 

Der Mensch - Ein "Tragling"

 

Die Wiege der Gewalt - oder das weggelegte, ohnmächtige Baby im Gewalttäter

 

 von Willi Maurer

 pdf.format

Wenn Belzebub agiert feiert der Teufel Urständ

Die Hintergründe des Holocausts sind kaum aufgearbeitet und wieder recken junge Männer und Staatsoberhäupter, den Hass im Blick, ihren Arm zum Knüppelschlag oder Bombenwurf. Während die einen noch reden über Ursachen und Wirkungen, Geld locker gemacht wird und Untersuchungskommissionen eingesetzt werden, greift der Hass um sich, Opfer und Wunden hinter sich lassend. Dieser Artikel zeigt auf, dass Gewalttendenzen an einem Ort keimen, wo niemand die bösen Geister vermuten würde und dass sie jederzeit - oft durch gezielte Falschinformation - zur Entladung gebracht werden können. Zu den apokalyptisch anmutenden Terrorakten in Amerika und den Vorgängen um den G-8-Gipfel in Genua vorliegend einige Überlegungen zur Gewaltprävention.

 

Hand aufs Herz! - wer von uns hat nicht schon befriedigt zur Kenntnis genommen, wenn Störenfriede oder Rechtsbrecher durch Gewaltandrohung, -anwendung, oder gar Terrorakte in die Schranken verwiesen wurden? Als Erziehungsberechtigte, Lehrer, Politiker, Parlamentarier, Staatsoberhäupter scheinen viele Menschen gute Gründe zu haben, not-wendigerweise Gewalt anzuwenden. So stossen die ersten Worte von Präsident Bush "Wir werden die Schuldigen bestrafen" (womit in der Vergangenheit immer eine Art Sippenhaft ganzer Staaten gemeint war) nach dem fürchterlichen Terroranschlag auf die Symbole der weltbeherrschenden Macht, vielerorts auf grosse Sympathie. Dies schafft einen Zugzwang der Vernunft und gesunder Reflexion kaum noch Spielraum lässt. Dazu kommt, dass der Boden auf dem rassistische und religiöse Vorurteile wachsen ohnehin schon - durch die Art der Berichterstattung in den Massenmedien - präpariert ist.

Dies trägt zu einer ungeheuren Unfähigkeit zur Einsicht und einer Arroganz gegenüber allen Menschen die von der amerikanischen Machtpolitik überfahren wurden und werden, bei.

Nur wenige Alternativmedien wagen zu vermerken, dass die USA ebenfalls an "staatsunterstütztem Terrorismus", wie Bush die aktuellen Anschläge bezeichnet, beteiligt waren. Denken wir nur an die Opfer der Sklaverei; der flächendeckenden Entlaubung mit "Agent Orange" in Vietnam (in deren Folge noch heute die Böden verseucht sind und viele Kinder mit Missbildungen geboren werden); an das Vertuschen des Massakers von My Lai; an das Zusammenbomben ziviler Anlagen im Irak, in Serbien, im Kosovo, und der pharmazeutischen Fabrik im Sudan; an die Handelsblockade gegen den Irak und Kuba, die zu grosser Not der Zivilbevölkerung führte und die Kindersterblichkeit massiv erhöhte; an die amerikanischen Ausbildungscamps für die Folterer Chiles und Argentiniens die das Verschwinden von Tausenden von Desaparecidos auf dem Gewissen haben.

Das AlterNet bringt es mit folgender Formulierung auf den Punkt: "Die USA sind weltweit in so viel Blutvergiessen verwickelt - oft mit noch höheren Opferzahlen, aber mit weniger Kameras vor Ort als heute -, dass man sich der Einsicht nicht verschliessen kann: die Gefühle, die wir jetzt haben - Angst, Verletzlichkeit, Wut - sind genau die Gefühle, welche die aktuellen Angriffe überhaupt motiviert haben".

 

Ich wünsche dass wir die aktuelle Katastrophe als Anlass nehmen, ALLE Opfer von Gewaltakten in unser Mitgefühl einzubeziehen, also auch die 35615 Kinder, die laut FAO am Tag der Terrorakte den Hungertod gestorben sind, und dies als Anlass nehmen um eine tiefe Reflexion betreffend unserer eingefleischten Neigung zu Straf- und Racheaktionen, einzuleiten.

Blenden wir etwas zurück:

Auch die Steinewerfer der Achtundsechziger und der kleine Teil der gewalttätigen DemonstrantInnen am G-8-Gipfel in Genua machen ehrenwerte Gründe geltend.

Das gleiche Politlager, das den grünen deutschen Außenminister Joschka Fischer damals, als er zum Entsetzen seiner Parteibasis eine Nato-Intervention in Bosnien und im Kosovo guthiess, mit Lob überschüttete, machte ihm das frühere Steinewerfen zum Vorwurf. Wenn wir in Betracht ziehen, dass die Nato-Intervention unter Missachtung des geltenden Völkerrechtes und der UNO-Menschenrechtskonvention geschah, scheint der Nato-Einsatz dem Werfen von Steinen nicht unähnlich.

Gibt es vielleicht gar keinen so grossen Unterschied zwischen den Steinewerfern von Damals, und den Nato-Bombenwerfern von Heute? Oder zwischen den brutal knüppelnden Polizisten und den brandschatzenden Black Block in Genua? Oder zwischen Präsident Bush und dem von ihm vermuteten Terroristen Bin Laden? Etwas scheint ihnen allen gemeinsam zu sein: Es sind Menschen, die ihrem Gefühl der Ohnmacht gegenüber einem Machtblock, der die Bedürfnisse einer Gruppe von Menschen übergeht oder gewaltsam bekämpft, in einer emotional geschürten Gewaltaktion Ausdruck geben.

 

Manipulation und Verführung

Es gehört dazu, dass gezielte Falschinformationen und Verheimlichungen gewisser Nachrichtenagenturen (zum Beispiel bezüglich der Rambouillet-Verträge, die nicht nur für Milosevic, sondern für jeden Staatsmann unannehmbar gewesen wären) die öffentliche Meinung so beeinflussen, dass es schlussendlich gerechtfertigt erscheinen mag, den Teufel mit dem Belzebub (ein Name hinter dem sich ebenfalls der Teufel versteckt) auszutreiben. Das kennen wir bestens aus der Zeit des Nationalsozialismus und auch des Vietnamkrieges. So geschah es auch in Genua. Vor allem die von Berlusconi kontrollierten Fernsehkanäle (Canale4, Canale5), in Italien die meistgeschauten, manipulierten die öffentliche Meinung bewusst derart, so dass der Grossteil der ItalienerInnen im Nachhinein glaubt, die Polizei sei Garant dafür gewesen, dass die G-8-Mächtigen Beschlüsse fassen konnten, die nicht nur den Ärmsten dieser Welt, sondern auch einem weltweiten Demokratisierungsprozess zugute kommen würden.

Berlusconi betonte in seiner Abschlussrede vor Journalisten und Fernsehkameras, dass es dem Genoa-Social- mit seinen Gewaltaktionen nicht gelungen sei, diese positiven Beschlüsse zu verhindern. Die nächtliche Razzia im -Hauptquartier habe den Beweis geliefert, dass sich unter den angeblich friedlichen DemonstrantInnen in Wirklichkeit die Randalierer des Black Block versteckt hielten.

 

Linksäugigkeit

Doch auch bei linkslastigen Medien ist Vorsicht am Platze. Manipulative Informationen, und damit eine Anheizung der Gewaltspirale ist auch bei ihnen an der Tagesordnung. So wurde der von einem Polizisten erschossene Demonstrant zum "hingerichteten" Opfer erhoben. Wer aufgrund solcher Informationen unhinterfragt nach Rache schreit, gewalttätig wird, oder "Assassini" (Mörder) skandiert, erweckt den Eindruck, genauso so manipuliert wie die Gegenseite zu sein.

Wohlgemerkt, ich ziehe nicht in Zweifel, dass das Vorgehen der Polizei gegenüber den friedfertigen DemonstrantInnen eine organisierte Schlächterei war. Doch gerade der Fall des Demonstranten, der erschossenen wurde als er im Begriffe war, einen Feuerlöscher (der auch Explosivstoffe hätte enthalten können) ins Fenster eines Polizeiwagens zu wuchten, ist ein offensichtlich (bezogen auf die Darstellung des Hergangs in den TV-Medien) schlechtes Beispiel um der Polizei Mord vorzuwerfen. Dennoch versuchen Unverbesserliche, aus dem toten Demonstranten einen Märtyrer zu kreieren.

 

Belzebub "Gegengewalt"

Wir müssen uns immer wieder die Frage nach der Herkunft dieser beidseitigen Gewaltbereitschaft stellen. Wir alle, die wir mit der einen oder anderen Seite sympatisieren, tendieren dazu uns ein Feindbild zurechtzulegen, das uns Gegengewalt als berechtigt erscheinen lässt. Menschen die sich ohnmächtig fühlen, greifen leicht zur Gewalt um damit das Gefühl der Ohnmacht zu vermeiden. Gewaltanwendung endet immer in einer Spirale von Gewalt, in der jeder versucht, den Teufel mit Belzebub auszutreiben.

Wer sich, aus was ihm für edlen Motiven auch immer, mit belzebubischer Gegengewalt einlässt, oder mit ihr sympatisiert, trägt aus frühester Kindheit stammende Verletzungen seiner Menschenwürde in sich. Damit verbunden ist auch eine Art Schwur, alles vorzukehren, um nie mehr so ohnmächtig sein zu müssen wie bei der prägenden Erfahrung damals. Immer wenn die alten (verdrängten) Gefühle der Ohnmacht angerührt werden (zum Beispiel angesichts von Menschenrechtsverletzungen und Terroranschlägen - aber auch in Liebesbeziehungen, wenn sich PartnerInnen verweigern) - immer dann versuchen wir diese Gefühle zu vermeiden, indem wir zur Anwendung von seelischer oder körperliche Gewalt, oder zu apokalyptisch anmutenden Abschreckungsstrategien greifen.

Der eben beschriebene Mechanismus ist aktiv im Spiel, wenn Neo-Nazis, Skinheads, Hooligans, FremdenhasserInnen, TerroristInnen - aber auch staatliche Kräfte wie die Polizei und das Militär - sich zu Gewaltorgien hinreissen lassen. Da entlädt sich die Rache für verdrängtes, in frühester Kindheit erfahrenes, ohnmächtig erduldetes Unrecht. Ein entsprechend hochstilisiertes Feindbild lässt in ihrem Empfinden rohe Gewalt, eine sogenannte Endlösung, ja gar einen Holocaust, als gerechtfertigt erscheinen. Im Polizei- und Militärdienst können Menschen mit entsprechend geprägten Anlagen ihre Gewalttendenzen gar auf "legale" Weise ausleben, wie dies in Genua einmal mehr anschaulich geschehen ist.

Wir dürfen es nicht dabei belassen, die oft schwere Jugendzeit dieser Menschen zu analysieren und dann darauf hinzuweisen, dass andere mit einer vergleichbaren Geschichte einen positiven Weg eingeschlagen hätten. Eine viel tiefer gehende Analyse der Bewegegründe zur Gewaltbereitschaft ist notwendig. Tiefenpsychologische Forschungen zeigen, dass in uns allen ein verdrängtes Gewaltpotential angelegt ist. Es hat einen ursächlichen Zusammenhang mit der (Un)Sitte, dass Babies nach der Geburt nicht von der Mutter am Körper getragen werden, sondern weggelegt werden. In einem solchen Fall sind die allerersten Lebenserfahrungen von uns Menschen Schmerz, Verlassenheit und Ohnmacht. Wir spalten diese Gefühle jedoch ab, da sie allzu unaushaltbar sind.

 

Vergessene Bedürfnisse (ein persönliches Beispiel)

Ich erinnere mich, wie ich als heranwachsendes Kind mein Sehnen nach Liebe auf eine Weise zum Ausdruck brachte, die meinen Eltern unverständlich und lästig war, mir oft gar Strafe eintrug. Resigniert fügte ich mich und erhielt dann für mein sogenanntes Bravsein Liebesbezeugungen. Doch tief in mir bohrte die Gewißheit, dass dieser Preis, den ich erbrachte, um die Zugehörigkeit nicht zu verlieren (es stand die Drohung im Raum, mich in ein Erziehungsheim abzuschieben), von meinen Eltern zu Unrecht gefordert wurde. Wir befanden uns in einem für alle schmerzlichen Teufelskreis. Er fand seinen Höhepunkt, als ich mich, elf Jahre alt, mit Vaters Militärkarabiner vor meine Eltern stellte und von ihnen forderte, geliebt zu werden. Sie beteuerten, mich lieb zu haben. Ausdruck ihrer Liebe sei, dass ich ein Dach über dem Kopf, ein eigenes Bett, genug zu essen und ein Fahrrad hätte - Dinge, welche viele Kinder auf dieser Welt entbehrten. Nicht wissend, was Liebe anderes hätte sein können, legte ich das Gewehr zur Seite.

Erst als Erwachsener fand ich (in zahlreichen Therapiesitzungen) Zugang zu meinem wirklichen Bedürfnis: Ich wollte genauso auf oder in die Arme genommen werden wie mein jüngerer Bruder. Wäre ich nur imstande gewesen, dies meinen Eltern mitzuteilen, sie hätten mich gewiss liebend in ihre Arme geschlossen. Doch sie blieben ahnungslos, und ich fühlte mich ausgeschlossen.

Aber wie kam es zu dieser Unfähigkeit, Bedürfnisse mitzuteilen? Die schmerzliche Wahrheit: Ich wurde unmittelbar nach meiner Geburt, wie viele Säuglinge, von meiner Mutter getrennt und ganz allein in ein Zimmer gelegt. Die ersten Stunden in meinem Leben verbrachte ich alleine, von wühlenden Schmerzen in den Eingeweiden gepeinigt. Langsam wurde ich steif und kalt. Als meine Mutter mich schliesslich aufnahm, fühlte ich mich taub und fremd. Meine wahren Bedürfnisse waren in den "Untergrund" getaucht, Sie regierten mich von dorther: Fortan war ich schwierig, verweigernd und brachte sie, die eine gute Mutter sein wollte, an die Grenzen ihrer Geduld. Meine diffusen Gefühlsäusserungen beantwortete sie mit wütenden Blicken, Klapsen - schließlich legte sie mich unsanft ins Bettchen zurück. Mir blieb nur verzweifeltes Weinen, Resignation und die prägende Überzeugung, dass ich mit Gefühls- und Bedürfnisäusserungen erst recht meine Zugehörigkeit verlöre. So kam es, dass ich auch später, obwohl der Worte fähig, nicht im Stande war, meinen wirklichen Bedürfnissen Ausdruck zu geben.

Könnte es sein, dass nicht nur Neo-Nazis und Skinheads, sondern alle Menschen die zur Gewalt greifen oder mit Gewalttätern insgeheim solidarisch sind, in einem ähnlichen Kreislauf gefangen sind? Hat die im Zunehmen begriffene Gewaltbereitschaft und der Rassenhass etwas mit dem Verlust der Zugehörigkeit in frühester Kindheit zu tun?

 

Die Wiege der Gewalt: Bewusstseinsnotstand der Gesellschaft

Meine langjährige Erfahrung mit Gefühls- und Körperarbeit zeigt, dass bei GewalttäterInnen immer solche frühen Kindheitserfahrungen am Wirken sind. Menschen, deren Zugehörigkeitsbedürfnis in frühester Kindheit übergangen wurde, reagieren später in Situationen, in denen die Mutter sich andern Personen zuwendet, mit Wut. Da die Äusserung dieser Wut mit Liebesentzug, Schlägen oder Wegweisung bestraft wird, werden die meisten Kinder "brav". Einige lassen sich nicht kleinkriegen, hassen zutiefst die Macht der Mutter (später auch die des Vaters), über ihre Zugehörigkeit bestimmen zu können, und fühlen sich schliesslich durch unzählige Wiederholungen der Ursituation, in ihrer Menschenwürde so gekränkt, dass sie beschliessen, sich zu rächen.

Einige rächen sich an der Gesellschaft (die als Stellvertreterin für die Mutter der frühesten Kindheit herhält), indem sie ihre Gesetzte missachten, ihre symbolischen Werte beschmutzen, die gesellschaftliche Friedensidylle und ihre Ideale zerstören. Der World Trade Tower und das Pentagon sind extreme Beispiele dafür.

Einige rächen sich an anders aussehenden und anders denkenden Menschen oder an einer privilegiert scheinenden Minderheit (zum Beispiel an Asylsuchenden, um die sich der Staat kümmert). Darin manifestiert sich noch ein weiterer Bewegfaktor: Wer die Erfahrung in sich trägt, als Säugling weggelegt worden zu sein, reagiert bei der Ankunft eines Geschwisterchens, das scheinbar genau das bekommt, was man selber so schmerzlich vermisst hat, mit Eifersuchtsgefühlen. Wenn nun das für das Kind rechtmässie Aufbegehren Bestrafung und Ausschluss zur Folge hat, so wandelt sich die Eifersucht in mörderischen Hass. Es ist dieser alte Hass, der später in Form von Knüppelschlägen, Messerstichen, Gewehrschüssen, dem Werfen von Molotov-Coktails und Bomben zum Ausbruch kommt, und so im Extremfall, in einem Holocaust Urständ feiert. Im Kreise von solchen ExtremistInnen, die einander gegenseitig durch protzende Gewalttaten bestätigen und hochschaukeln, finden die in frühester Kindheit Ausgeschlossenen das, was sie immer vermissten: Zugehörigkeit und den Beifall Gleichgesinnter.

Kein Tag vergeht ohne Schlagzeilen wie "Skinheads, Neonazis, extreme Rechte im Vormarsch" oder "Terrorakt in...). PolitikerInnen verkünden lauthals, dass diese Tendenzen zu bekämpfen seien, doch von Nachdenken über Präventionsmassnahmen ist weit und breit keine Rede - nur davon, den Kampf aufzunehmen. Wen wunderts: Wirkliche Präventionsmassnahmen können nur von Menschen in die Wege geleitet werden, die zuvor durch einen Bewusstwerdungsprozess die Entstehungsgeschichte des Problems erkannt haben!

Ein grosser Irrtum wäre es, zu glauben, dass wir "Bravgewordenen" frei von Gewalt wären. Unsere Gewalt ist jedoch schwerlich als solche erkennbar: In Beziehungen ist es üblich, unhinterfragt seelische Gewalt in Form von Liebesentzug, Schweigen und Rückzug anzuwenden. Eine der verheerendsten menschlichen Gewalttaten ist jedoch das Weglegen von Babies und die Verweigerung des körperlich-sinnlichen Kontaktes mit der Mutter. Es ist jedoch falsch, die Schuld daran, den Müttern anzulasten. In Wirklichkeit zeigt sich im Weglegen der Babies der Bewusstseinsnotstand einer Gesellschaft, die ihre Geringschätzung der Mutterrolle gegenüber nicht nur in der Wortwahl, sondern auch mit dem Stimmzettel zum Ausdruck bringt - wie es das Abstimmungsresultat zur "Mutterschaftsversicherung" in der Schweiz, aufgezeigt hat. Mutterschaft ist kein Störfall, sondern eine zu würdigende Aufgabe im Sinne wirklicher Friedensarbeit. Und da wäre ein garantierter Grundlohn am Platze - mehr noch: Eine soziale Freistellung auch für Väter in der ersten Lebensphase ihres Kindes.

 

Der Mensch - Ein Tragling

Trotz Einzug der sanften, natürlichen Geburt rät ein Grossteil des Pflegepersonals den Müttern nach wie vor, ihr Baby nachtsüber in ein separates Bettchen oder sogar in ein Säuglingszimmer wegzulegen. So setzt sich ein seit Jahrhunderten verhängnisvoll wirkender Teufelskreis fort. Diesen Teufelskreis können wir nur unterbrechen, wenn wir imstande sind, uns in das seelische Erleben eines Neugeborenen einzufühlen. Dazu einige Anhaltspunkte: Der Mensch kommt als Tragling zur Welt, ein Indiz dafür sind die Klammerreflexe beim Neugeborenen. Wird sein tiefstes Bedürfnis, nämlich am Leib der Mutter getragen zu sein, nicht wahrgenommen, ist sein Zugehörigkeitsgefühl für immer gestört oder belastet.

Von den Säugetieren wissen wir, welch verheerende Konsequenzen es hat, wenn das Imprinting, das heisst, der prägende, alle Sinne umfassende Kontakt zwischen Mutter und Neugeborenem kurz nach der Geburt verhindert wird: Sie erkennen einander nicht mehr als zugehörig. Damit ist die ausschlaggebende Zeit für die prägenden Sinneskontakte verpasst, die in Mutter und Säugling jene intuitiven und natürlichen Verhaltensweisen auslösen, die beiden Freude und Erfüllung garantieren und dem heranwachsenden Menschen den Boden für eine gesunde Ich-Entfaltung bereiten. Tragischerweise ist in unserem Kulturkreis die Anzahl der Mütter, die ihre Babys während der ersten Monate praktisch ununterbrochen bei sich tragen, verschwindend klein.

Hier möchte ich anmerken, dass allein das Tragen des Babys, ohne liebevolle emotionale Zuwendung, genauso schlimm sein kann, wie es liegen zu lassen. Es gibt inzwischen viele Mütter und Väter die sich ihrem Baby liebevoll zuwenden. Hätten sie das Bewusstsein um die Wichtigkeit des Babytragens, würden sie es kaum weglegen. Immerhin: Ihre Zuwendung wirkt heilend, so das das Kind seinen Schmerz nicht verdrängen muss.

Einheit und Liebe sind in uns Menschen als natürliche Gaben angelegt - falls wir sie nicht aus Unachtsamkeit und Unwissenheit im Keime zerstören. Doch genau dies geschah in unserem Kulturkreis im Verlaufe vieler Generationen. Dabei setzten kirchliche Machtpolitik, gesellschaftliche Zwänge und ärztliche Ratschläge die Leitplanken, wonach Kleinkinder möglichst früh lernen sollten, dass ihre Bedürfnisse nicht Vorrang haben und sie lernen müssen, sich dem Willen ihrer Eltern unterzuordnen.

Erst wenn wir unser Bewusstsein für den immensen Schmerz und die Gott-Verlassenheit öffnen, die ein so behandeltes Baby erdulden muss, sind wir fähig tiefere Zusammenhänge zu erkennen. Dann erfassen wir die Tragweite der frühkindlichen Spaltung und die daraus entstehenden Folgekosten auf psychischer und materieller Ebene, und den Teufelskreis in dem wir uns gesellschaftlich und politisch befinden.

 

Unheilvolle Missverständnisse

Sowohl Mythen als auch die heiligen Schriften weisen in verschlüsselter Form immer wieder auf die Abspaltung von der paradiesischen Ganzheit hin, und trotzdem werden die wegweisenden Bezüge nicht wirklich erkannt. Laut dem Basler Familientherapeuten Franz Renggli war schon in den Mythen der Sumerer fünftausend Jahre vor Christus die Trennung des Babys von der Mutter das Hauptthema. Es ist jedoch nicht die Geburt, die uns aus dem paradiesischen Uterus vertreibt und Spaltung hervorruft wie Mythendeuter bisher immer wieder annahmen. Renggli kommt so wie ich zum Schluss, dass durch das Weglegen der Babies im Anschluss an die Geburt, die heilende Verarbeitung des traumatischen Geburtserlebnisses in der liebevollen Geborgenheit am Körper der Mutter, verhindert wird. So ist die erste prägenden Lebenserfahrung Verlassenheit, und der Schmerz darüber ist so gross, dass Abspaltung not-wendig ist. Das ist die wahre Herkunft unserer Abgespaltenheit.

Wie kommt es nun, dass wir bis in die heutige Zeit erst das zerstören, was wir anschliessend zu heilen versuchen?

Mythen und heilige Schriften werden als Metapher - dem Bewusstseinsstand des interpretierenden Menschen - entsprechend ausgelegt. Daher die Krux: Nur wer imstande ist, sich in das seelische Erleben eines Neugeborenen einzufühlen, ist auch imstande, Mythen und heilige Schriften in voller Tiefe zu entschlüsseln. Dies ist der Grund, warum bisher keine, wenn auch noch so raffinierte, religiöse und philosophische Auslegung zu einem wirklichen Weltfrieden beigetragen hat.

Es wäre Aufgabe der Religion, Wege aufzuzeigen, die aus dem Chaos herausführen. Warum das bisher nicht geschah, zeigt das eindrückliche Beispiel des Bibelschreibers und Reformbegründers Martin Luther.

In seiner zweifellos ehrenwerten Absicht, sein Kirchenvolk vor Unheil zu bewahren, vertrat er die Meinung, Kleinkinder müssten als Erstes lernen, allein sein zu können. Er kam zum Schluss, dass ihr Weinen mit allen Mitteln zu unterbinden sei. Wenn dies nicht gelinge, sei anzunehmen, dass es sich um einen Wechselbalg (in den Grimmschen Märchen ein - oft verhextes - untergeschobenes Kind) handeln könnte, und dann könne es angebracht sein, diesen totzuschlagen um sich vor dem Teufel zu schützen.

Welch schizophrener Irrsinn: Mütter legten (und legen) ihr Kind aufgrund kirchlicher Ratschläge zur Seite, und wenn es in äusserster Verzweiflung weint, um damit sein Bedürfnis nach der Mutter zu äussern, wird es von autoritätsgläubigen Menschen (die infolge ihrer eigenen Kindheitsverletzung von ihren ursprünglichen Gefühlen abgespalten leben) verkannt.

Skinheads, Neonazis, aber auch prügelnde Polizisten und wild um sich schiessende Militärs und ihre SymphatisantInnen sind auf ähnliche Art von Idealen irregeleitet wie Martin Luther und seine AnhängerInnen: Beide versuchen aufgrund eines Irrglaubens das zu zerstören, was ihrer Meinung nach eine Gefahr für das ihre und unsrige persönliche Wohl ist. Der Nährboden für das Anklammern an solcher Art Irrglauben ist in der frühkindlichen Erfahrung des Weggelegt-worden-Seins angelegt. Die dabei erfahrene Ohnmacht haben wir abgespalten. Als Erwachsene tendieren wir daher leicht dazu, Gewalt anzuwenden, wenn in uns Ohnmachtsgefühle angerührt werden.

 

Eldorado für Global-Player

Verlassenheit wird in unserem Kulturkreis mit symbolischem Ersatz besänftigt: Erst mit dem Schnuller und der Babyflasche, mit Spielsachen und Süssigkeiten, dann mit Rauchwaren, Rausch-, Betäubungs- und Genussmittel, sowie mit exzessiven Konsum- und Modegewohnheiten, mit Ferien weit weg vom grauen Alltag. Besondere Urständ feiert jedoch der Mobilitätswahn, denn er bietet ideale Möglichkeiten, dem schmerzlichen Hier und Jetzt, in welchem sich das alte getrübte Zugehörigkeitsgefühl bemerkbar machen könnte, zu entrinnen.

Diese Versuche, den Mangel zu besänftigen, bilden die Grundlage für ein weltumspannendes Eldorado an Ausbeutungsmöglichkeiten für Multinationale Gesellschaften. Die Globalisierung ebnet ihnen den Weg zur scham- und skrupellosen Ausbeutung der materiellen und menschlichen Ressourcen dieser Welt. Doch diese Ausbeutung versteckt sich hinter dem Deckmantel der Demokratisierung, der emporgejubelten Privatisierung, der Liberalisierung, der Freiheit.

Wer von den Zukurzgekommenen die auf der Sonnenseite des Planeten Erde leben, möchte nicht, in Anbetracht von so grossartigen positiven Schlagwörtern, mit dem Vorreiter USA mitpreschen?! Wenn da nur nicht diese Spielverderber wären die gegen all dieses Positve sind! Ja... da kippt die Meinung derjenigen Menschen, die ihren inneren (aus früher Kindheit rührenden Mangel) durch den Konsum jener Massenmedien die im Besitze der Mächtigen sind, kompensieren.

In der Rolle des Global-Players mausert sich die Habgier gewisser Manager in Multi-Diensten zu einer Tugend.

Habgier wird in ökonomischen Lehrbüchern als angeboren dargestellt, nicht verwunderlich, denn die Entstehungsituation, nämlich der Mangel in frühester Kindheit, ist und bleibt der Schulwissenschaft verschlossen. Dies aus folgenden Gründen:

a) Dorthin wo soviel Mangel herrscht, will keiner mehr hin. Denn der emotionelle Preis, den es bedeutet diese Selbsterfahrung auf sich zu nehmen, ist für die meisten Menschen zu hoch.

b) Es gibt nur wenige Menschen die aus dem Wiedererleben frühester traumatischer Kindheitserfahrungen, überhaupt im Stande sind, auf ausschliesslich subjektive Weise Zeugnis darüber abzulegen, was es bedeutet, als Neugeborenes zur Seite gelegt worden zu sein.

Wir haben es in der Hand dies zu ändern, indem wir uns der Gewaltbereitschaft in uns zu stellen beginnen und in Betracht ziehen, wirkliche Präventivmassnahmen zu fördern. Die wichtigste davon ist, die ursprünglichen menschlichen Bedürfnissen zu erkennen und Neugeborene dorthin zu legen, wo sie hingehören: an den Leib ihrer Mutter.

Doch da kann es notwendig sein, dass werdende Eltern erst einmal mit ihrem eigenen inneren Kind Kontakt finden. Das bedeutet z.B. dass die postpartale Depression bei Müttern als das erkannt wird was sie ist: ein Zeichen für das Berührtsein des eigenen inneren, zu kurz gekommenen Kindes. Dasselbe gilt für Väter die mit (oft hinter rationalen Argumenten versteckter) Eifersucht auf die Zuwendung ihrer Partnerin zum Baby, reagieren. Wenn Eltern (und Pflegepersonal) dies zu erkennen beginnen, kann ihnen eine liebevolle kompetente Hilfe bei der Trauerarbeit, zur Annahme ihr inneren Kindes, von grossem Nutzen sein.

Erst wenn Schmerz und Ohnmacht als Botschafter von etwas Übergangenem erkannt werden, öffnen sich Möglichkeiten zur wirklichen Gewaltprävention.


BABYTRAGEN KANN HEILSAM SEIN

Willi Maurer

Zugehörigsein ist ein zentrales Bedürfnis das in unserem Kulturkreis seit Jahrtausenden im Keime erstickt wird. Der Preis dafür ist hoch, doch kaum erkennbar für Menschen, die keine Rückverbindung haben. Neugeborene Menschenwesen können uns zur Rückbesinnung bringen - falls wir bereit sind uns berühren zu lassen.

Getragen von der Aufbruchstimmung der 68er Jahre und der Erkenntnis, welcher Isolierung und Überforderung Mütter und Väter in unserer leistungsorientierten Industriegesellschaft ausgesetzt sind, fanden wir, eine Anzahl Frauen, Männer und Kinder, uns zu einer Wohn- und Arbeitsgemeinschaft zusammen. Rückblickend wird mir immer bewusster, dass meine grössten Lehrmeister die Kinder waren.

Unser Haus war damals auch offen für Menschen, die, auf der Flucht vor den schrecklichen Brutalitäten in Chile, in die Schweiz gelangten. Eine dieser Frauen trug ihren Säugling immer bei sich am Körper. Sie hätte von uns einen Kinderwagen geschenkt haben können. Das kam für sie nicht in Frage. Damals wusste ich noch nicht, welche Konsequenzen das (Nicht-)Getragenwerden für uns Menschen hat. Doch das was ich sah war eindrücklich: Ihr Kind, das sehr aufgeweckt Anteil am unmittelbaren Geschehen nahm, weinte niemals, es teilte seine Bedürfnisse durch suchende Mimik und Gesten mit, und die Mutter nahm sofort wahr, was es brauchte. Trotz all ihrer Entwurzelung herrschte tiefster Friede. Woher nahm diese Frau soviel Kraft? Vielleicht aus der Tatsache, dass sie selber als Kind getragen worden ist?

Unsere Kinder reagierten intuitiv auf ihre Weise: Nicht nur die kleinen, auch die älteren Kinder verlangten nach Babyflaschen und Windeln und spielten damit tagelang, und nahmen dabei wechselnd die Rolle der sorgsamen Mutter und dem bedürftigen Baby ein. Gaben sie einander das, was sie in ihrer ersten Lebenszeit so sehr vermisst hatten? In ihrem Spiel schrien sie vorerst wie gewohnt mit quäkenden Babystimmchen. Da aber sofort bei anderen die Bereitschaft angerührt war, sich liebevoll, so wie sie das bei der chilenischen Mutter sahen, um den Schreihals zu kümmern, verstummte das Weinen bald, und es herrschte schliesslich... tiefste Zufriedenheit. Es war beeindruckend, wie schliesslich alle, zusammengekuschelt, an ihren Babyflaschen nuckelten.

Einige Tage später fand die Mutter eine Wohngelegenheit bei Bekannten und war dran, sich von uns verabschieden. Nina, ein Mädchen das eben gerade zu sprechen begann, meldete sich zu Wort und verkündete, dass sie Luca (so hiess auch das Baby der Chilenin) heisse und mitgehen wolle. Ninas wirkliche und die «neue» Mutter erklärten sich einverstanden, und so wurde ihr ein kleines Bündelchen mit Pyjama und Wegzehrung gepackt, das sie stolz umhängte. Erst zwei Tage später kündigte sie übers Telefon an, dass sie nun wieder Nina heisse und nach Hause zurückkehren möchte. Dann, bei ihrer Ankunft, verkündete sie freudestrahlend, dass sie - wie Luca - an der Brust habe trinken dürfen. Nina hatte als Kleinkind nur die Babyflasche bekommen, da ihrer Mutter im Spital geraten wurde, auf das Stillen zu verzichten. Dass Nina es wagen konnte, sie zu verlassen, ohne Angst haben zu müssen, dann nicht mehr erwünscht zu sein, schien für mich das Resultat einer liebevollen Betreuung.

Das Aufblühen dieser Kinder mitzuerleben, gab mir damals, in einer Zeit wo ich selber noch nicht in Kontakt war mit meinem eigenen inneren Kind, die Kraft, mich auf die Suche zu begeben. Nach langjähriger tiefer Selbsterfahrung in verschiedenen holistischen Therapieformen hatte ich die Gelegenheit, zusammen mit einem Dutzend (teilweise angehenden) Therapeuten und Therapeutinnen, für die Dauer eines Jahres einen Forschungs- und Lebenskreis zu bilden. Wir hielten uns täglich während 6 Stunden (während einigen 10tägigen Intensivphasen gar rund um die Uhr) im selben Raum auf. Wir alle handelten in Eigenverantwortung, die Rollen von Klient oder Therapeut wechselnd (also ohne entsprechendes Machtgefälle). Wir brachten unsere Konflikte emotional und körperlich zum Ausdruck und loteten unser Gefühlsleben bis zu den tiefsten Wurzeln, auf frühkindlicher, geburtlicher und vorgeburtlicher Ebene, aus. Bestimmte Abmachungen, garantierten uns dabei Schutz vor äusseren Verletzungen.

Wir machten dabei erstaunliche Erfahrungen, die deutlich aufzeigten, dass hinter dem, was in unserem Kulturkreis unter Sexualität verstanden wird (und oft mit Macht und Eifersucht gekoppelt ist), etwas ganz anderes liegt als wir denken: Nämlich der Wunsch unseres verdrängten inneren Babys, die Mutter zu erreichen. Bei der Frau ist dabei meistens die Sehnsucht vorherrschend, vom Mann gehalten zu werden (wie sie das von der Mutter gebraucht hätte). Beim Mann ist es meistens der (oft gewaltsame) Versuch die von der Frau gewünschten Grenzen zu überwinden. Er versucht damit seine insgeheime Ohnmacht zu kaschieren. Eine Ohnmacht mit der er meistens erst dann in Kontakt kommt, wenn die enttäuschte Frau sich verschliesst oder verweigert. Dann ist in ihm (unbewusst) der Schmerz der frühesten Kindheit, des Weggelegtwordenseins, angerührt. Mann und Frau böte sich hier Gelegenheit, Kontakt mit ihrem inneren, abgespaltenen Baby Kontakt zu finden, würden sie sich nicht in eine(n) neue(n) ParterIn verlieben.

Die Tragik von uns Menschen ist, dass wir unsere Abgespaltenheit vom Fühlen, durch wissenschaftliche Erklärungsversuche der Geheimnisse des Lebens, zu kompensieren versuchen. Je weiter wir vom Gefühl entfernt sind und je grösser unser Unglück ist, desto grösser scheint unser Glauben in un-be-griffenes Wissen zu sein. Nur so ist es möglich, dass trotz dem Einzug der sanften Geburt, Babys nach wie vor von ihren Müttern getrennt und weggelegt werden.

Wie kommt es, dass dieser verheerende Mechanismus über Jahrtausende hinweg seine Wirkung entfalten kann. Wie kommt es, dass sowohl Mythen als auch die Heiligen Schriften in verschlüsselter Form immer wieder auf die Abspaltung von der paradiesischen Ganzheit hinweisen, und trotzdem die wegweisenden Bezüge zur Zeugung, Geburt, und erste prägende Lebenserfahrung sowie, als Folge davon, die Suche des gespaltenen Menschen nach Ganzheit nicht erkannt wird? Laut Franz Renggli war schon in den Mythen der Sumerer, also 5000 J.v.Chr., die Trennung des Babys von der Mutter das Hauptthema. Wie kommt es, dass wir seit damals bis in die heutige Zeit, erst das zerstören was wir anschliessend zu heilen versuchen?

Mythen und heilige Schriften sind Metaphern, deren Interpretation immer vom Bewusstsheitsgrad des interpretierenden Menschen beeinflusst ist. Daher die Krux: Nur diejenigen Menschen, die sich in das seelische Erleben eines Neugeborenen einfühlen können, sind im Stande, diese Geschichten in ihrer vollen Tiefe entschlüsseln zu können. Wenn dieses Bewusstsein fehlt, geschieht es, dass Prediger Bibelworte zitieren, die dazu auffordern wie die Kinder zu werden, und dabei keine Ahnung haben, wie irdisch nahe das in der Bibel verheissene Königreich sein könnte wenn wir das tatsächlich tun würden. Folgende Anhaltspunkte könnten uns den Weg weisen: Der Mensch kommt als Tragling zur Welt, ein Indiz sind die Klammerreflexe beim Neugeborenen. Wird sein tiefstes Bedürfnis nicht wahrgenommen, nämlich am Leib der Mutter getragen zu sein, ist sein Zugehörigkeitsgefühl für immer gestört. Von den Säugetieren wissen wir, welch verheerende Konsequenzen es hat, wenn das Imprinting, d.h. der prägende, alle Sinne umfassende Kontakt zwischen Mutter und Neugeborenem im Anschluss an die Geburt verhindert ist: Sie erkennen einander nicht mehr als zugehörig.

In vielen von unseren Krankenhäusern empfiehlt das Pflegepersonal den Müttern nach wie vor, ihr Baby nachtsüber in ein separates Bettchen oder sogar in ein Säuglingszimmer wegzulegen. Damit ist die ausschlaggebende Zeit für die prägenden Sinneskontakte verpasst, die in Mutter und Säugling jene intuitiven und natürlichen Verhaltensweisen auslösen, die beiden Freude und Erfüllung garantiert, und im Kind ein Urvertrauen entstehen lässt. Später, zur werdenden Mutter herangewachsen, bildet genau dieses gesunde Urvertrauen die Basis, um sich durchzusetzen, wenn theoriegläubige Menschen ihr empfehlen das Baby wegzulegen.

Mutterfreuden können jedoch trotz aller guten Absicht getrübt werde, und zwar dann, wenn das angekommene Baby in der Mutter den (bislang verdrängten) Schmerz über all das Vermisste aus der eigenen Kindheit anrührt. Dann ist Grund zur Trauer! Sie will gelebt sein und Ausdruck finden im Weinen und im Grollen. Dies führt zum Erkennen des eigenen inneren kleinen Kindes, das genauso erkannt und ans Herz genommen sein möchte wie das gerade Geborene. Mütter, die in diesem Bedürfnis keine liebevolle Unterstützung finden oder sich gegen diese tiefen Gefühle sträuben, erleben oft eine postpartale Depression (die Schulwissenschaft konnte bis heute kein befriedigendes Erklärungsmodell dazu liefern).

Wenn die Trauerarbeit der Mutter (und des Vaters, der sonst zum Rivalen des Neugeborenen wird) nicht stattfinden kann, wird das Kind zu einem Störfaktor in der Paarbeziehung. Dann wird das Baby mit seinen Bedürfnisäusserungen in Form von Weinen (von der Schulwissenschaft hilflos als 3-Monats-Kolik bezeichnet) die Eltern schnell überfordern. In ihrer Hilflosigkeit neigen sie dazu, sich ausgerechnet des am zerstörerischten wirkenden Machtmittels zu bedienen, jenem das seit Jahrtausenden das Unheil auf die nächste Generation überträgt: Abschieben ins Kinderzimmer, um endlich Ruhe zu haben. So kommt es, dass die meisten Menschen unseres Kulturkreises unbewusst die Angst vor dem Verlassenwerden in sich tragen.

Verlassenheit wird in unserem Kulturkreis mit symbolischem Ersatz besänftigt: Erst Schnuller, Babyflasche, Spielsachen; später Süssigkeiten, Rauchwaren, Rausch- Betäubungs- und Genussmittel, sowie exzessive Konsum- und Modegewohnheiten, Ferien weit weg vom grauen Alltag. Besondere Urständ feiert jedoch der Mobilitätswahn, denn er bietet ideale Möglichkeiten, dem schmerzlichen Hier und Jetzt, in welchem sich das alte Verlassenheitsgefühl bemerkbar machen würde, zu entrinnen. Auch die Habsucht, von der führenden Ökonomen überzeugt sind, dass sie dem Menschen angeboren ist, und die im Shareholder- und Globalisierungsbusiness zur willkommenen Eigenschaft des erfolgversprechenden Managers werden kann, steht in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem seelischen Mangel in frühester Kindheit. Wer hätte gedacht, dass auch das militärische Wettrüsten einen Bezug haben könnte zur totalen Ohnmacht des Babys, das liegengelassen wurde und für seine Verzweiflungschreie gar mit Klapsen bestraft wurde? Könnten atomare Abschreckungsstrategien ein Versuch sein, alles vorzukehren um nie mehr eine solche Machtlosigkeit erdulden zu müssen wie im früheren Verlasssenwordensein?

Könnte unsere Jagd nach billigen Konsumgütern und in deren Folge die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen bei uns und in Billiglohnländern, etwas mit der Kompensation eines frühen Mangels zu tun haben? Wir sind bereit für Waffen Milliarden auszugeben, während wir bei der dringend not-wendigen Unterstützung von Mutter und Kind die Sparschraube ansetzen. Sind dabei in frühester Kindheit entstandene Ängste im Spiel, die (geschürt durch Kampagnen in den Massenmedien) uns solche Entscheide treffen lassen? Meine Erfahrungen im Verlaufe 20-jähriger Arbeit, erst als leitendes Teammitglied eines Pilotprojektes für drogengefährdete (oft straffällig gewordene) Jugendliche, später als Leiter von Selbsterfahrungsgruppen, lassen mich zum Schluss kommen, dass solche Zusammenhänge bestehen.

Kinder die weggelegt werden, sind in ihrer Menschenwürde gekränkt. Kränkung führt leicht zu einer Schwächung des Immunsystems oder zur Neigung Unfallrisiken einzugehen; nicht selten aber auch zur Inszenierung von Situationen, die es ermöglichen sich (unbewusst) für früh erlittene Ohnmacht zu rächen. Ersteres widerspiegelt sich in unseren Krankheits- und Unfallstatistiken, aber auch in der zunehmenden Zahl von Menschen, die an Depressionen leiden oder Suizidgefährdet sind; letzteres in Pornographie, Gewaltakten und Fremdenhass.

Erst wenn wir unser Bewusstsein für diese tieferen Zusammenhänge und die daraus entstehenden Folgekosten öffnen, erfassen wir die Tragweite der frühkindlichen Spaltung, die gesellschaftlich und politisch in einem Teufelskreis endet. Religion (Rückverbindung) müsste Wege aufzeigen die da wieder hinausführen. Warum das bisher nicht geschah zeigt das eindrückliches Beispiel des Bibelschreibers und Begründers einer Reformbewegung, Martin Luther. In seiner zweifellos ehrenwerten Absicht, sein Kirchenvolk vor Unheil zu bewahren, vertrat er die Meinung, dass Kleinkinder als Erstes lernen müssten, allein sein zu können. Er kam zum Schluss, dass ihr Weinen mit allen Mitteln zu unterbinden sei. Wenn dies nicht gelang, sei anzunehmen, dass es sich um einen Wechselbalg (in den Grimm'schen Märchen ein - oft verhextes - untergeschobenes Kind) handeln würde, und dann sei es angebracht - um sich vor dem Teufel zu schützen - ihn totzuschlagen.

Gläubige Mütter legten fortan, aufgrund von Ratschlägen kirchlicher Autoritäten (in früheren Jahrhunderten auch aus sozialer Not, oder Geringschätzung der Kinderbetreuung), ihr Kind zur Seite. Der Grund seines verzweifelten Weinens (die lebensbedrohende Verlassenheit und das Bedürfnis nach Nähe), wurde von Menschen, die wie Martin Luther (infolge der eigenen Kindheitsverletzung) vom Gefühl abgespalten waren, nicht erkannt. Anhand dieser schizophrenen Situation sehen wir, wie selbst Religion ein untaugliches Mittel ist, um einen Ausweg zu finden.

Eine Ausnahme findet sich in Bali (vor allem bei der von unserer Zivilisation noch unberührten Landbevölkerung). Ein religiöses Gebot sagt, dass Kinder in den ersten drei Lebensmonaten den Boden nicht berühren dürfen. So werden sie am Körper der Mutter getragen. Eine Bekannte die sich dort aufhielt, war zutiefst berührt durch die Harmonie und Friedfertigkeit dieses Volkes, und stellte zudem fest, dass dort Säuglinge, wenn nicht wirklicher körperlicher Schmerz vorliegt, kaum 5 Minuten im Tag weinen.

Unsere Gesellschaft ist immer noch zutiefst Ahnungslos, wie sehr die Trennung von Mutter und Kind unser ganzes Handeln prägt. Es braucht einen allumfassenden Bewusstseinsprozess und eine Aufarbeitung unseres eigenen Defizites um den Wert des Tragens von Babys erkennen zu können. Es bedeutet nicht, dass Mütter sich selbstlos aufopfern. Es geht darum dass Mütter sozial getragen werden und wir soziales Leben so gestalten dass sie mit ihren Kindern, teilhaben können. Hier möchte ich anmerken, dass allein das Tragen des Babys, ohne liebevolles emotionales Präsentsein, genauso schlimm sein kann, wie es liegen zu lassen. Es gibt inzwischen viele Mütter und Väter die sich zwar ihrem Baby liebevoll zuwenden, es aber in der Nacht trotzdem weg, ins Kinderzimmer legen. Hätten sie das Bewusstsein um die Wichtigkeit des Babytragens, würden sie sicherlich anders handeln. Immerhin: Ihre Zuwendung wirkt heilend, so dass das Kind seinen Schmerz nicht verdrängen muss.

Einheit und Liebe sind in uns Menschen als natürliche Gaben angelegt - falls wir sie nicht aus Unachtsamkeit im Keime zerstören. Kinder könnten uns Erwachsenen den Weg aufzeigen - zum eigenen inneren Kind - und zu einer friedlicheren Welt.

 

Willi Maurer begleitet seit zwanzig Jahren suchende Menschen mit Gefühls- u. Körperarbeit und unterrichtet Aikido verbunden mit meditativer Gymnastik. Informationen dazu auf der homepage http://home.sunrise.ch/maurer_. Im ökologisch, sozial, spirituell und politisch verbindenden Netzwerk "Holon" (www.holon.ch) betreut W. Maurer das Ressort Tiefenpsychologische Zusammenhänge.

Ausführlich dargestellt hat W. Maurer seine aus einem aussergewöhnlichen Selbsterfahrungsprozess und seiner Arbeit mit gewalttätigen Jugendlichen gewonnenen Erkenntnisse im Buch "Zugehörigkeit. Der verpasste Augenblick &endash; ist er nachholbar?"; erschienen im Selbstverlag (zu beziehen bei Buch2000, 8912 Obfelden, oder direkt beim Autor: Willi Maurer, Doné, 6994 Aranno)

"BEGEHRTE FRÜCHTE" - Öko-spiritueller Wander-Workshop

Kollektives Rollenspiel zur Globalisierungsthematik, mit Willi Maurer

In Zeiten der Globalisierung, Privatisierung und der damit verbundenen Machtverschiebung, scheint es dem Individuum immer schwerer, seine Mitverantwortung und Mitbestimmung für das Geschehen auf dieser Welt wahrzunehmen. Das von Willi entwickelte Rollenspiel "Begehrte Früchte", gefolgt von einer gelenkten Fantasie in frühe Kindheitssituationen, führt zu tiefgehenden Reflexionen über:

• Psychologische Hintergründe, die unser Denken, Handeln und Fühlen und damit unsere Wahl der Konsumgüter beeinflussen.

• Die Herkunft unserer Ängste, die uns manipulierbar machen; des innerern Mangels, der uns verführbar macht; die Sehn-Sucht, die uns Träumen nachhängen lässt; des Gefühles der Machtlosigkeit, das uns resignieren lässt.

• Unsere Macht, über die wir als KonsumentInnen verfügen.

"Begehrte Früchte": Wander-Workshop (Dauer: 2-3 Std.), auf Anfrage, für Gruppen mit mind. 15 TeilnehmerInnen.

Info: Willi Maurer, Doné, CH-6994 Aranno (http://home.sunrise.ch/maurer_) e-mail: wimaurer@smile.ch

 

Weitere Bücher zum Thema:

Kirkilionis, Evelin: "Ein Baby will getragen sein"; Kösel.

Liedloff, Jean: "Auf der Suche nach dem verlorenen Glück"; Beck'sche Reihe.

Renggli, Franz: "Der Ursprung der Angst. Antike Mythen und das Trauma der Geburt"; Walter-Verlag

Luther, Vom Teufel und seinen Werken, Walch

 

Baby-Tragetuch-Kurse, Tragetücher:

Susi Milz, Lana Schweiz, Sonnenbergstr. 19, 9036 Grub, E-mail: info@tragetuch.ch, Internet: www.babytragen.com

Kindertragwesten:

Katharina Reichmuth, Eschenstr. 10, 9533 Kirchberg, E-mail: info@carryme.ch, Internet www.carryme.ch

 

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Emanzipation Humanum, Version 11. 2001, Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt, Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere Sprachen erwünscht, Kürzungen und Änderungen nach Absprache möglich.

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