siehe
auch: Babytragen
kann heilsam sein,
Willi Maurer
Die
verschüttete Quelle des
Friedens
(pdf.format), Willi Maurer
Der
Mensch - Ein "Tragling"
Die
Wiege der Gewalt - oder das weggelegte, ohnmächtige
Baby im Gewalttäter
von
Willi Maurer
pdf.format
Wenn
Belzebub agiert feiert der Teufel
Urständ
Die
Hintergründe des Holocausts sind kaum aufgearbeitet und
wieder recken junge Männer und Staatsoberhäupter,
den Hass im Blick, ihren Arm zum Knüppelschlag oder
Bombenwurf. Während die einen noch reden über
Ursachen und Wirkungen, Geld locker gemacht wird und
Untersuchungskommissionen eingesetzt werden, greift der Hass
um sich, Opfer und Wunden hinter sich lassend. Dieser
Artikel zeigt auf, dass Gewalttendenzen an einem Ort keimen,
wo niemand die bösen Geister vermuten würde und
dass sie jederzeit - oft durch gezielte Falschinformation -
zur Entladung gebracht werden können. Zu den
apokalyptisch anmutenden Terrorakten in Amerika und den
Vorgängen um den G-8-Gipfel in Genua vorliegend einige
Überlegungen zur Gewaltprävention.
Hand
aufs Herz! - wer von uns hat nicht schon befriedigt zur
Kenntnis genommen, wenn Störenfriede oder Rechtsbrecher
durch Gewaltandrohung, -anwendung, oder gar Terrorakte in
die Schranken verwiesen wurden? Als Erziehungsberechtigte,
Lehrer, Politiker, Parlamentarier, Staatsoberhäupter
scheinen viele Menschen gute Gründe zu haben,
not-wendigerweise Gewalt anzuwenden. So stossen die ersten
Worte von Präsident Bush "Wir werden die Schuldigen
bestrafen" (womit in der Vergangenheit immer eine Art
Sippenhaft ganzer Staaten gemeint war) nach dem
fürchterlichen Terroranschlag auf die Symbole der
weltbeherrschenden Macht, vielerorts auf grosse Sympathie.
Dies schafft einen Zugzwang der Vernunft und gesunder
Reflexion kaum noch Spielraum lässt. Dazu kommt, dass
der Boden auf dem rassistische und religiöse Vorurteile
wachsen ohnehin schon - durch die Art der Berichterstattung
in den Massenmedien - präpariert ist.
Dies
trägt zu einer ungeheuren Unfähigkeit zur Einsicht
und einer Arroganz gegenüber allen Menschen die von der
amerikanischen Machtpolitik überfahren wurden und
werden, bei.
Nur
wenige Alternativmedien wagen zu vermerken, dass die USA
ebenfalls an "staatsunterstütztem Terrorismus", wie
Bush die aktuellen Anschläge bezeichnet, beteiligt
waren. Denken wir nur an die Opfer der Sklaverei; der
flächendeckenden Entlaubung mit "Agent Orange" in
Vietnam (in deren Folge noch heute die Böden verseucht
sind und viele Kinder mit Missbildungen geboren werden); an
das Vertuschen des Massakers von My Lai; an das
Zusammenbomben ziviler Anlagen im Irak, in Serbien, im
Kosovo, und der pharmazeutischen Fabrik im Sudan; an die
Handelsblockade gegen den Irak und Kuba, die zu grosser Not
der Zivilbevölkerung führte und die
Kindersterblichkeit massiv erhöhte; an die
amerikanischen Ausbildungscamps für die Folterer Chiles
und Argentiniens die das Verschwinden von Tausenden von
Desaparecidos auf dem Gewissen haben.
Das
AlterNet bringt es mit folgender Formulierung auf den Punkt:
"Die USA sind weltweit in so viel Blutvergiessen verwickelt
- oft mit noch höheren Opferzahlen, aber mit weniger
Kameras vor Ort als heute -, dass man sich der Einsicht
nicht verschliessen kann: die Gefühle, die wir jetzt
haben - Angst, Verletzlichkeit, Wut - sind genau die
Gefühle, welche die aktuellen Angriffe überhaupt
motiviert haben".
Ich
wünsche dass wir die aktuelle Katastrophe als Anlass
nehmen, ALLE Opfer von Gewaltakten in unser Mitgefühl
einzubeziehen, also auch die 35615 Kinder, die laut FAO am
Tag der Terrorakte den Hungertod gestorben sind, und dies
als Anlass nehmen um eine tiefe Reflexion betreffend unserer
eingefleischten Neigung zu Straf- und Racheaktionen,
einzuleiten.
Blenden
wir etwas zurück:
Auch
die Steinewerfer der Achtundsechziger und der kleine Teil
der gewalttätigen DemonstrantInnen am G-8-Gipfel in
Genua machen ehrenwerte Gründe geltend.
Das
gleiche Politlager, das den grünen deutschen
Außenminister Joschka Fischer damals, als er zum
Entsetzen seiner Parteibasis eine Nato-Intervention in
Bosnien und im Kosovo guthiess, mit Lob
überschüttete, machte ihm das frühere
Steinewerfen zum Vorwurf. Wenn wir in Betracht ziehen, dass
die Nato-Intervention unter Missachtung des geltenden
Völkerrechtes und der UNO-Menschenrechtskonvention
geschah, scheint der Nato-Einsatz dem Werfen von Steinen
nicht unähnlich.
Gibt
es vielleicht gar keinen so grossen Unterschied zwischen den
Steinewerfern von Damals, und den Nato-Bombenwerfern von
Heute? Oder zwischen den brutal knüppelnden Polizisten
und den brandschatzenden Black Block in Genua? Oder zwischen
Präsident Bush und dem von ihm vermuteten Terroristen
Bin Laden? Etwas scheint ihnen allen gemeinsam zu sein: Es
sind Menschen, die ihrem Gefühl der Ohnmacht
gegenüber einem Machtblock, der die Bedürfnisse
einer Gruppe von Menschen übergeht oder gewaltsam
bekämpft, in einer emotional geschürten
Gewaltaktion Ausdruck geben.
Manipulation
und Verführung
Es
gehört dazu, dass gezielte Falschinformationen und
Verheimlichungen gewisser Nachrichtenagenturen (zum Beispiel
bezüglich der Rambouillet-Verträge, die nicht nur
für Milosevic, sondern für jeden Staatsmann
unannehmbar gewesen wären) die öffentliche Meinung
so beeinflussen, dass es schlussendlich gerechtfertigt
erscheinen mag, den Teufel mit dem Belzebub (ein Name
hinter dem sich ebenfalls der Teufel versteckt)
auszutreiben. Das kennen wir bestens aus der Zeit des
Nationalsozialismus und auch des Vietnamkrieges. So geschah
es auch in Genua. Vor allem die von Berlusconi
kontrollierten Fernsehkanäle (Canale4, Canale5), in
Italien die meistgeschauten, manipulierten die
öffentliche Meinung bewusst derart, so dass der
Grossteil der ItalienerInnen im Nachhinein glaubt, die
Polizei sei Garant dafür gewesen, dass die
G-8-Mächtigen Beschlüsse fassen konnten, die nicht
nur den Ärmsten dieser Welt, sondern auch einem
weltweiten Demokratisierungsprozess zugute kommen
würden.
Berlusconi
betonte in seiner Abschlussrede vor Journalisten und
Fernsehkameras, dass es dem Genoa-Social- mit seinen
Gewaltaktionen nicht gelungen sei, diese positiven
Beschlüsse zu verhindern. Die nächtliche Razzia im
-Hauptquartier habe den Beweis geliefert, dass sich unter
den angeblich friedlichen DemonstrantInnen in Wirklichkeit
die Randalierer des Black Block versteckt
hielten.
Linksäugigkeit
Doch
auch bei linkslastigen Medien ist Vorsicht am Platze.
Manipulative Informationen, und damit eine Anheizung der
Gewaltspirale ist auch bei ihnen an der Tagesordnung. So
wurde der von einem Polizisten erschossene Demonstrant zum
"hingerichteten" Opfer erhoben. Wer aufgrund solcher
Informationen unhinterfragt nach Rache schreit,
gewalttätig wird, oder "Assassini" (Mörder)
skandiert, erweckt den Eindruck, genauso so manipuliert wie
die Gegenseite zu sein.
Wohlgemerkt,
ich ziehe nicht in Zweifel, dass das Vorgehen der Polizei
gegenüber den friedfertigen DemonstrantInnen eine
organisierte Schlächterei war. Doch gerade der Fall des
Demonstranten, der erschossenen wurde als er im Begriffe
war, einen Feuerlöscher (der auch Explosivstoffe
hätte enthalten können) ins Fenster eines
Polizeiwagens zu wuchten, ist ein offensichtlich (bezogen
auf die Darstellung des Hergangs in den TV-Medien)
schlechtes Beispiel um der Polizei Mord vorzuwerfen. Dennoch
versuchen Unverbesserliche, aus dem toten Demonstranten
einen Märtyrer zu kreieren.
Belzebub
"Gegengewalt"
Wir
müssen uns immer wieder die Frage nach der Herkunft
dieser beidseitigen Gewaltbereitschaft stellen. Wir alle,
die wir mit der einen oder anderen Seite sympatisieren,
tendieren dazu uns ein Feindbild zurechtzulegen, das uns
Gegengewalt als berechtigt erscheinen lässt. Menschen
die sich ohnmächtig fühlen, greifen leicht zur
Gewalt um damit das Gefühl der Ohnmacht zu vermeiden.
Gewaltanwendung endet immer in einer Spirale von Gewalt, in
der jeder versucht, den Teufel mit Belzebub
auszutreiben.
Wer
sich, aus was ihm für edlen Motiven auch immer, mit
belzebubischer Gegengewalt einlässt, oder mit ihr
sympatisiert, trägt aus frühester Kindheit
stammende Verletzungen seiner Menschenwürde in sich.
Damit verbunden ist auch eine Art Schwur, alles vorzukehren,
um nie mehr so ohnmächtig sein zu müssen wie
bei der prägenden Erfahrung damals. Immer wenn die
alten (verdrängten) Gefühle der Ohnmacht
angerührt werden (zum Beispiel angesichts von
Menschenrechtsverletzungen und Terroranschlägen - aber
auch in Liebesbeziehungen, wenn sich PartnerInnen
verweigern) - immer dann versuchen wir diese Gefühle zu
vermeiden, indem wir zur Anwendung von seelischer oder
körperliche Gewalt, oder zu apokalyptisch anmutenden
Abschreckungsstrategien greifen.
Der
eben beschriebene Mechanismus ist aktiv im Spiel, wenn
Neo-Nazis, Skinheads, Hooligans, FremdenhasserInnen,
TerroristInnen - aber auch staatliche Kräfte wie die
Polizei und das Militär - sich zu Gewaltorgien
hinreissen lassen. Da entlädt sich die Rache für
verdrängtes, in frühester Kindheit erfahrenes,
ohnmächtig erduldetes Unrecht. Ein entsprechend
hochstilisiertes Feindbild lässt in ihrem Empfinden
rohe Gewalt, eine sogenannte Endlösung, ja gar einen
Holocaust, als gerechtfertigt erscheinen. Im Polizei- und
Militärdienst können Menschen mit entsprechend
geprägten Anlagen ihre Gewalttendenzen gar auf "legale"
Weise ausleben, wie dies in Genua einmal mehr anschaulich
geschehen ist.
Wir
dürfen es nicht dabei belassen, die oft schwere
Jugendzeit dieser Menschen zu analysieren und dann darauf
hinzuweisen, dass andere mit einer vergleichbaren Geschichte
einen positiven Weg eingeschlagen hätten. Eine viel
tiefer gehende Analyse der Bewegegründe zur
Gewaltbereitschaft ist notwendig. Tiefenpsychologische
Forschungen zeigen, dass in uns allen ein verdrängtes
Gewaltpotential angelegt ist. Es hat einen ursächlichen
Zusammenhang mit der (Un)Sitte, dass Babies nach der Geburt
nicht von der Mutter am Körper getragen werden, sondern
weggelegt werden. In einem solchen Fall sind die allerersten
Lebenserfahrungen von uns Menschen Schmerz, Verlassenheit
und Ohnmacht. Wir spalten diese Gefühle jedoch ab,
da sie allzu unaushaltbar sind.
Vergessene
Bedürfnisse (ein persönliches
Beispiel)
Ich
erinnere mich, wie ich als heranwachsendes Kind mein Sehnen
nach Liebe auf eine Weise zum Ausdruck brachte, die meinen
Eltern unverständlich und lästig war, mir oft gar
Strafe eintrug. Resigniert fügte ich mich und erhielt
dann für mein sogenanntes Bravsein Liebesbezeugungen.
Doch tief in mir bohrte die Gewißheit, dass dieser
Preis, den ich erbrachte, um die Zugehörigkeit nicht zu
verlieren (es stand die Drohung im Raum, mich in ein
Erziehungsheim abzuschieben), von meinen Eltern zu Unrecht
gefordert wurde. Wir befanden uns in einem für alle
schmerzlichen Teufelskreis. Er fand seinen Höhepunkt,
als ich mich, elf Jahre alt, mit Vaters
Militärkarabiner vor meine Eltern stellte und von ihnen
forderte, geliebt zu werden. Sie beteuerten, mich lieb zu
haben. Ausdruck ihrer Liebe sei, dass ich ein Dach über
dem Kopf, ein eigenes Bett, genug zu essen und ein Fahrrad
hätte - Dinge, welche viele Kinder auf dieser Welt
entbehrten. Nicht wissend, was Liebe anderes hätte sein
können, legte ich das Gewehr zur Seite.
Erst
als Erwachsener fand ich (in zahlreichen Therapiesitzungen)
Zugang zu meinem wirklichen Bedürfnis: Ich wollte
genauso auf oder in die Arme genommen werden wie mein
jüngerer Bruder. Wäre ich nur imstande gewesen,
dies meinen Eltern mitzuteilen, sie hätten mich gewiss
liebend in ihre Arme geschlossen. Doch sie blieben
ahnungslos, und ich fühlte mich
ausgeschlossen.
Aber
wie kam es zu dieser Unfähigkeit, Bedürfnisse
mitzuteilen? Die schmerzliche Wahrheit: Ich wurde
unmittelbar nach meiner Geburt, wie viele Säuglinge,
von meiner Mutter getrennt und ganz allein in ein Zimmer
gelegt. Die ersten Stunden in meinem Leben verbrachte ich
alleine, von wühlenden Schmerzen in den Eingeweiden
gepeinigt. Langsam wurde ich steif und kalt. Als meine
Mutter mich schliesslich aufnahm, fühlte ich mich taub
und fremd. Meine wahren Bedürfnisse waren in den
"Untergrund" getaucht, Sie regierten mich von dorther:
Fortan war ich schwierig, verweigernd und brachte sie, die
eine gute Mutter sein wollte, an die Grenzen ihrer Geduld.
Meine diffusen Gefühlsäusserungen beantwortete sie
mit wütenden Blicken, Klapsen - schließlich legte
sie mich unsanft ins Bettchen zurück. Mir blieb nur
verzweifeltes Weinen, Resignation und die prägende
Überzeugung, dass ich mit Gefühls- und
Bedürfnisäusserungen erst recht meine
Zugehörigkeit verlöre. So kam es, dass ich auch
später, obwohl der Worte fähig, nicht im Stande
war, meinen wirklichen Bedürfnissen Ausdruck zu
geben.
Könnte
es sein, dass nicht nur Neo-Nazis und Skinheads, sondern
alle Menschen die zur Gewalt greifen oder mit
Gewalttätern insgeheim solidarisch sind, in einem
ähnlichen Kreislauf gefangen sind? Hat die im Zunehmen
begriffene Gewaltbereitschaft und der Rassenhass etwas mit
dem Verlust der Zugehörigkeit in frühester
Kindheit zu tun?
Die
Wiege der Gewalt: Bewusstseinsnotstand der
Gesellschaft
Meine
langjährige Erfahrung mit Gefühls- und
Körperarbeit zeigt, dass bei GewalttäterInnen
immer solche frühen Kindheitserfahrungen am Wirken
sind. Menschen, deren Zugehörigkeitsbedürfnis in
frühester Kindheit übergangen wurde, reagieren
später in Situationen, in denen die Mutter sich andern
Personen zuwendet, mit Wut. Da die Äusserung dieser Wut
mit Liebesentzug, Schlägen oder Wegweisung bestraft
wird, werden die meisten Kinder "brav". Einige lassen sich
nicht kleinkriegen, hassen zutiefst die Macht der Mutter
(später auch die des Vaters), über ihre
Zugehörigkeit bestimmen zu können, und fühlen
sich schliesslich durch unzählige Wiederholungen der
Ursituation, in ihrer Menschenwürde so gekränkt,
dass sie beschliessen, sich zu rächen.
Einige
rächen sich an der Gesellschaft (die als
Stellvertreterin für die Mutter der frühesten
Kindheit herhält), indem sie ihre Gesetzte missachten,
ihre symbolischen Werte beschmutzen, die gesellschaftliche
Friedensidylle und ihre Ideale zerstören. Der World
Trade Tower und das Pentagon sind extreme Beispiele
dafür.
Einige
rächen sich an anders aussehenden und anders denkenden
Menschen oder an einer privilegiert scheinenden Minderheit
(zum Beispiel an Asylsuchenden, um die sich der Staat
kümmert). Darin manifestiert sich noch ein weiterer
Bewegfaktor: Wer die Erfahrung in sich trägt, als
Säugling weggelegt worden zu sein, reagiert bei der
Ankunft eines Geschwisterchens, das scheinbar genau das
bekommt, was man selber so schmerzlich vermisst hat, mit
Eifersuchtsgefühlen. Wenn nun das für das Kind
rechtmässie Aufbegehren Bestrafung und Ausschluss zur
Folge hat, so wandelt sich die Eifersucht in
mörderischen Hass. Es ist dieser alte Hass, der
später in Form von Knüppelschlägen,
Messerstichen, Gewehrschüssen, dem Werfen von
Molotov-Coktails und Bomben zum Ausbruch kommt, und so im
Extremfall, in einem Holocaust Urständ feiert. Im
Kreise von solchen ExtremistInnen, die einander gegenseitig
durch protzende Gewalttaten bestätigen und
hochschaukeln, finden die in frühester Kindheit
Ausgeschlossenen das, was sie immer vermissten:
Zugehörigkeit und den Beifall
Gleichgesinnter.
Kein
Tag vergeht ohne Schlagzeilen wie "Skinheads, Neonazis,
extreme Rechte im Vormarsch" oder "Terrorakt in...).
PolitikerInnen verkünden lauthals, dass diese Tendenzen
zu bekämpfen seien, doch von Nachdenken über
Präventionsmassnahmen ist weit und breit keine Rede -
nur davon, den Kampf aufzunehmen. Wen wunderts: Wirkliche
Präventionsmassnahmen können nur von Menschen in
die Wege geleitet werden, die zuvor durch einen
Bewusstwerdungsprozess die Entstehungsgeschichte des
Problems erkannt haben!
Ein
grosser Irrtum wäre es, zu glauben, dass wir
"Bravgewordenen" frei von Gewalt wären. Unsere Gewalt
ist jedoch schwerlich als solche erkennbar: In Beziehungen
ist es üblich, unhinterfragt seelische Gewalt in Form
von Liebesentzug, Schweigen und Rückzug anzuwenden.
Eine der verheerendsten menschlichen Gewalttaten ist
jedoch das Weglegen von Babies und die Verweigerung des
körperlich-sinnlichen Kontaktes mit der Mutter. Es
ist jedoch falsch, die Schuld daran, den Müttern
anzulasten. In Wirklichkeit zeigt sich im Weglegen der
Babies der Bewusstseinsnotstand einer Gesellschaft, die ihre
Geringschätzung der Mutterrolle gegenüber nicht
nur in der Wortwahl, sondern auch mit dem Stimmzettel zum
Ausdruck bringt - wie es das Abstimmungsresultat zur
"Mutterschaftsversicherung" in der Schweiz, aufgezeigt hat.
Mutterschaft ist kein Störfall, sondern eine zu
würdigende Aufgabe im Sinne wirklicher Friedensarbeit.
Und da wäre ein garantierter Grundlohn am Platze - mehr
noch: Eine soziale Freistellung auch für Väter in
der ersten Lebensphase ihres Kindes.
Der
Mensch - Ein Tragling
Trotz
Einzug der sanften, natürlichen Geburt rät ein
Grossteil des Pflegepersonals den Müttern nach wie vor,
ihr Baby nachtsüber in ein separates Bettchen oder
sogar in ein Säuglingszimmer wegzulegen. So setzt sich
ein seit Jahrhunderten verhängnisvoll wirkender
Teufelskreis fort. Diesen Teufelskreis können wir nur
unterbrechen, wenn wir imstande sind, uns in das seelische
Erleben eines Neugeborenen einzufühlen. Dazu einige
Anhaltspunkte: Der Mensch kommt als Tragling zur Welt, ein
Indiz dafür sind die Klammerreflexe beim Neugeborenen.
Wird sein tiefstes Bedürfnis, nämlich am Leib der
Mutter getragen zu sein, nicht wahrgenommen, ist sein
Zugehörigkeitsgefühl für immer gestört
oder belastet.
Von
den Säugetieren wissen wir, welch verheerende
Konsequenzen es hat, wenn das Imprinting, das heisst, der
prägende, alle Sinne umfassende Kontakt zwischen Mutter
und Neugeborenem kurz nach der Geburt verhindert wird: Sie
erkennen einander nicht mehr als zugehörig. Damit ist
die ausschlaggebende Zeit für die prägenden
Sinneskontakte verpasst, die in Mutter und Säugling
jene intuitiven und natürlichen Verhaltensweisen
auslösen, die beiden Freude und Erfüllung
garantieren und dem heranwachsenden Menschen den Boden
für eine gesunde Ich-Entfaltung bereiten.
Tragischerweise ist in unserem Kulturkreis die Anzahl der
Mütter, die ihre Babys während der ersten Monate
praktisch ununterbrochen bei sich tragen, verschwindend
klein.
Hier
möchte ich anmerken, dass allein das Tragen des Babys,
ohne liebevolle emotionale Zuwendung, genauso schlimm sein
kann, wie es liegen zu lassen. Es gibt inzwischen viele
Mütter und Väter die sich ihrem Baby liebevoll
zuwenden. Hätten sie das Bewusstsein um die Wichtigkeit
des Babytragens, würden sie es kaum weglegen. Immerhin:
Ihre Zuwendung wirkt heilend, so das das Kind seinen Schmerz
nicht verdrängen muss.
Einheit
und Liebe sind in uns Menschen als natürliche Gaben
angelegt - falls wir sie nicht aus Unachtsamkeit und
Unwissenheit im Keime zerstören. Doch genau dies
geschah in unserem Kulturkreis im Verlaufe vieler
Generationen. Dabei setzten kirchliche Machtpolitik,
gesellschaftliche Zwänge und ärztliche
Ratschläge die Leitplanken, wonach Kleinkinder
möglichst früh lernen sollten, dass ihre
Bedürfnisse nicht Vorrang haben und sie lernen
müssen, sich dem Willen ihrer Eltern
unterzuordnen.
Erst
wenn wir unser Bewusstsein für den immensen Schmerz und
die Gott-Verlassenheit öffnen, die ein so behandeltes
Baby erdulden muss, sind wir fähig tiefere
Zusammenhänge zu erkennen. Dann erfassen wir die
Tragweite der frühkindlichen Spaltung und die daraus
entstehenden Folgekosten auf psychischer und materieller
Ebene, und den Teufelskreis in dem wir uns gesellschaftlich
und politisch befinden.
Unheilvolle
Missverständnisse
Sowohl
Mythen als auch die heiligen Schriften weisen in
verschlüsselter Form immer wieder auf die Abspaltung
von der paradiesischen Ganzheit hin, und trotzdem werden die
wegweisenden Bezüge nicht wirklich erkannt. Laut dem
Basler Familientherapeuten Franz Renggli war schon in den
Mythen der Sumerer fünftausend Jahre vor Christus die
Trennung des Babys von der Mutter das Hauptthema. Es ist
jedoch nicht die Geburt, die uns aus dem paradiesischen
Uterus vertreibt und Spaltung hervorruft wie Mythendeuter
bisher immer wieder annahmen. Renggli kommt so wie ich zum
Schluss, dass durch das Weglegen der Babies im Anschluss an
die Geburt, die heilende Verarbeitung des traumatischen
Geburtserlebnisses in der liebevollen Geborgenheit am
Körper der Mutter, verhindert wird. So ist die erste
prägenden Lebenserfahrung Verlassenheit, und der
Schmerz darüber ist so gross, dass Abspaltung
not-wendig ist. Das ist die wahre Herkunft unserer
Abgespaltenheit.
Wie
kommt es nun, dass wir bis in die heutige Zeit erst das
zerstören, was wir anschliessend zu heilen
versuchen?
Mythen
und heilige Schriften werden als Metapher - dem
Bewusstseinsstand des interpretierenden Menschen -
entsprechend ausgelegt. Daher die Krux: Nur wer imstande
ist, sich in das seelische Erleben eines Neugeborenen
einzufühlen, ist auch imstande, Mythen und heilige
Schriften in voller Tiefe zu entschlüsseln. Dies ist
der Grund, warum bisher keine, wenn auch noch so
raffinierte, religiöse und philosophische Auslegung zu
einem wirklichen Weltfrieden beigetragen hat.
Es
wäre Aufgabe der Religion, Wege aufzuzeigen, die aus
dem Chaos herausführen. Warum das bisher nicht geschah,
zeigt das eindrückliche Beispiel des Bibelschreibers
und Reformbegründers Martin Luther.
In
seiner zweifellos ehrenwerten Absicht, sein Kirchenvolk vor
Unheil zu bewahren, vertrat er die Meinung, Kleinkinder
müssten als Erstes lernen, allein sein zu können.
Er kam zum Schluss, dass ihr Weinen mit allen Mitteln zu
unterbinden sei. Wenn dies nicht gelinge, sei anzunehmen,
dass es sich um einen Wechselbalg (in den Grimmschen
Märchen ein - oft verhextes - untergeschobenes Kind)
handeln könnte, und dann könne es angebracht sein,
diesen totzuschlagen um sich vor dem Teufel zu
schützen.
Welch
schizophrener Irrsinn: Mütter legten (und legen) ihr
Kind aufgrund kirchlicher Ratschläge zur Seite, und
wenn es in äusserster Verzweiflung weint, um damit sein
Bedürfnis nach der Mutter zu äussern, wird es von
autoritätsgläubigen Menschen (die infolge ihrer
eigenen Kindheitsverletzung von ihren ursprünglichen
Gefühlen abgespalten leben) verkannt.
Skinheads,
Neonazis, aber auch prügelnde Polizisten und wild um
sich schiessende Militärs und ihre SymphatisantInnen
sind auf ähnliche Art von Idealen irregeleitet wie
Martin Luther und seine AnhängerInnen: Beide versuchen
aufgrund eines Irrglaubens das zu zerstören, was ihrer
Meinung nach eine Gefahr für das ihre und unsrige
persönliche Wohl ist. Der Nährboden für das
Anklammern an solcher Art Irrglauben ist in der
frühkindlichen Erfahrung des Weggelegt-worden-Seins
angelegt. Die dabei erfahrene Ohnmacht haben wir
abgespalten. Als Erwachsene tendieren wir daher leicht dazu,
Gewalt anzuwenden, wenn in uns Ohnmachtsgefühle
angerührt werden.
Eldorado
für Global-Player
Verlassenheit
wird in unserem Kulturkreis mit symbolischem Ersatz
besänftigt: Erst mit dem Schnuller und der
Babyflasche, mit Spielsachen und Süssigkeiten, dann mit
Rauchwaren, Rausch-, Betäubungs- und Genussmittel,
sowie mit exzessiven Konsum- und Modegewohnheiten, mit
Ferien weit weg vom grauen Alltag. Besondere Urständ
feiert jedoch der Mobilitätswahn, denn er bietet ideale
Möglichkeiten, dem schmerzlichen Hier und Jetzt, in
welchem sich das alte getrübte
Zugehörigkeitsgefühl bemerkbar machen könnte,
zu entrinnen.
Diese
Versuche, den Mangel zu besänftigen, bilden die
Grundlage für ein weltumspannendes Eldorado an
Ausbeutungsmöglichkeiten für Multinationale
Gesellschaften. Die Globalisierung ebnet ihnen den Weg zur
scham- und skrupellosen Ausbeutung der materiellen und
menschlichen Ressourcen dieser Welt. Doch diese Ausbeutung
versteckt sich hinter dem Deckmantel der Demokratisierung,
der emporgejubelten Privatisierung, der Liberalisierung, der
Freiheit.
Wer
von den Zukurzgekommenen die auf der Sonnenseite des
Planeten Erde leben, möchte nicht, in Anbetracht von so
grossartigen positiven Schlagwörtern, mit dem Vorreiter
USA mitpreschen?! Wenn da nur nicht diese Spielverderber
wären die gegen all dieses Positve sind! Ja... da kippt
die Meinung derjenigen Menschen, die ihren inneren (aus
früher Kindheit rührenden Mangel) durch den Konsum
jener Massenmedien die im Besitze der Mächtigen sind,
kompensieren.
In
der Rolle des Global-Players mausert sich die Habgier
gewisser Manager in Multi-Diensten zu einer
Tugend.
Habgier
wird in ökonomischen Lehrbüchern als angeboren
dargestellt, nicht verwunderlich, denn die
Entstehungsituation, nämlich der Mangel in
frühester Kindheit, ist und bleibt der
Schulwissenschaft verschlossen. Dies aus folgenden
Gründen:
a)
Dorthin wo soviel Mangel herrscht, will keiner mehr hin.
Denn der emotionelle Preis, den es bedeutet diese
Selbsterfahrung auf sich zu nehmen, ist für die meisten
Menschen zu hoch.
b)
Es gibt nur wenige Menschen die aus dem Wiedererleben
frühester traumatischer Kindheitserfahrungen,
überhaupt im Stande sind, auf ausschliesslich
subjektive Weise Zeugnis darüber abzulegen, was es
bedeutet, als Neugeborenes zur Seite gelegt worden zu
sein.
Wir
haben es in der Hand dies zu ändern, indem wir uns der
Gewaltbereitschaft in uns zu stellen beginnen und in
Betracht ziehen, wirkliche Präventivmassnahmen zu
fördern. Die wichtigste davon ist, die
ursprünglichen menschlichen Bedürfnissen zu
erkennen und Neugeborene dorthin zu legen, wo sie
hingehören: an den Leib ihrer Mutter.
Doch
da kann es notwendig sein, dass werdende Eltern erst einmal
mit ihrem eigenen inneren Kind Kontakt finden. Das bedeutet
z.B. dass die postpartale Depression bei Müttern als
das erkannt wird was sie ist: ein Zeichen für das
Berührtsein des eigenen inneren, zu kurz gekommenen
Kindes. Dasselbe gilt für Väter die mit (oft
hinter rationalen Argumenten versteckter) Eifersucht auf die
Zuwendung ihrer Partnerin zum Baby, reagieren. Wenn Eltern
(und Pflegepersonal) dies zu erkennen beginnen, kann ihnen
eine liebevolle kompetente Hilfe bei der Trauerarbeit, zur
Annahme ihr inneren Kindes, von grossem Nutzen sein.
Erst
wenn Schmerz und Ohnmacht als Botschafter von etwas
Übergangenem erkannt werden, öffnen sich
Möglichkeiten zur wirklichen
Gewaltprävention.
BABYTRAGEN
KANN HEILSAM SEIN
Willi
Maurer
Zugehörigsein
ist ein zentrales Bedürfnis das in unserem Kulturkreis
seit Jahrtausenden im Keime erstickt wird. Der Preis
dafür ist hoch, doch kaum erkennbar für Menschen,
die keine Rückverbindung haben. Neugeborene
Menschenwesen können uns zur Rückbesinnung bringen
- falls wir bereit sind uns berühren zu
lassen.
Getragen
von der Aufbruchstimmung der 68er Jahre und der Erkenntnis,
welcher Isolierung und Überforderung Mütter und
Väter in unserer leistungsorientierten
Industriegesellschaft ausgesetzt sind, fanden wir, eine
Anzahl Frauen, Männer und Kinder, uns zu einer Wohn-
und Arbeitsgemeinschaft zusammen. Rückblickend wird mir
immer bewusster, dass meine grössten Lehrmeister die
Kinder waren.
Unser
Haus war damals auch offen für Menschen, die, auf der
Flucht vor den schrecklichen Brutalitäten in Chile, in
die Schweiz gelangten. Eine dieser Frauen trug ihren
Säugling immer bei sich am Körper. Sie hätte
von uns einen Kinderwagen geschenkt haben können. Das
kam für sie nicht in Frage. Damals wusste ich noch
nicht, welche Konsequenzen das (Nicht-)Getragenwerden
für uns Menschen hat. Doch das was ich sah war
eindrücklich: Ihr Kind, das sehr aufgeweckt Anteil am
unmittelbaren Geschehen nahm, weinte niemals, es teilte
seine Bedürfnisse durch suchende Mimik und Gesten mit,
und die Mutter nahm sofort wahr, was es brauchte. Trotz all
ihrer Entwurzelung herrschte tiefster Friede. Woher nahm
diese Frau soviel Kraft? Vielleicht aus der Tatsache, dass
sie selber als Kind getragen worden ist?
Unsere
Kinder reagierten intuitiv auf ihre Weise: Nicht nur die
kleinen, auch die älteren Kinder verlangten nach
Babyflaschen und Windeln und spielten damit tagelang, und
nahmen dabei wechselnd die Rolle der sorgsamen Mutter und
dem bedürftigen Baby ein. Gaben sie einander das, was
sie in ihrer ersten Lebenszeit so sehr vermisst hatten? In
ihrem Spiel schrien sie vorerst wie gewohnt mit
quäkenden Babystimmchen. Da aber sofort bei anderen die
Bereitschaft angerührt war, sich liebevoll, so wie sie
das bei der chilenischen Mutter sahen, um den Schreihals zu
kümmern, verstummte das Weinen bald, und es herrschte
schliesslich... tiefste Zufriedenheit. Es war beeindruckend,
wie schliesslich alle, zusammengekuschelt, an ihren
Babyflaschen nuckelten.
Einige
Tage später fand die Mutter eine Wohngelegenheit bei
Bekannten und war dran, sich von uns verabschieden. Nina,
ein Mädchen das eben gerade zu sprechen begann, meldete
sich zu Wort und verkündete, dass sie Luca (so hiess
auch das Baby der Chilenin) heisse und mitgehen wolle. Ninas
wirkliche und die «neue» Mutter erklärten
sich einverstanden, und so wurde ihr ein kleines
Bündelchen mit Pyjama und Wegzehrung gepackt, das sie
stolz umhängte. Erst zwei Tage später
kündigte sie übers Telefon an, dass sie nun wieder
Nina heisse und nach Hause zurückkehren möchte.
Dann, bei ihrer Ankunft, verkündete sie
freudestrahlend, dass sie - wie Luca - an der Brust habe
trinken dürfen. Nina hatte als Kleinkind nur die
Babyflasche bekommen, da ihrer Mutter im Spital geraten
wurde, auf das Stillen zu verzichten. Dass Nina es wagen
konnte, sie zu verlassen, ohne Angst haben zu müssen,
dann nicht mehr erwünscht zu sein, schien für mich
das Resultat einer liebevollen Betreuung.
Das
Aufblühen dieser Kinder mitzuerleben, gab mir damals,
in einer Zeit wo ich selber noch nicht in Kontakt war mit
meinem eigenen inneren Kind, die Kraft, mich auf die Suche
zu begeben. Nach langjähriger tiefer Selbsterfahrung in
verschiedenen holistischen Therapieformen hatte ich die
Gelegenheit, zusammen mit einem Dutzend (teilweise
angehenden) Therapeuten und Therapeutinnen, für die
Dauer eines Jahres einen Forschungs- und Lebenskreis zu
bilden. Wir hielten uns täglich während 6 Stunden
(während einigen 10tägigen Intensivphasen gar rund
um die Uhr) im selben Raum auf. Wir alle handelten in
Eigenverantwortung, die Rollen von Klient oder Therapeut
wechselnd (also ohne entsprechendes Machtgefälle). Wir
brachten unsere Konflikte emotional und körperlich zum
Ausdruck und loteten unser Gefühlsleben bis zu den
tiefsten Wurzeln, auf frühkindlicher, geburtlicher und
vorgeburtlicher Ebene, aus. Bestimmte Abmachungen,
garantierten uns dabei Schutz vor äusseren
Verletzungen.
Wir
machten dabei erstaunliche Erfahrungen, die deutlich
aufzeigten, dass hinter dem, was in unserem Kulturkreis
unter Sexualität verstanden wird (und oft mit Macht und
Eifersucht gekoppelt ist), etwas ganz anderes liegt als wir
denken: Nämlich der Wunsch unseres verdrängten
inneren Babys, die Mutter zu erreichen. Bei der Frau ist
dabei meistens die Sehnsucht vorherrschend, vom Mann
gehalten zu werden (wie sie das von der Mutter gebraucht
hätte). Beim Mann ist es meistens der (oft gewaltsame)
Versuch die von der Frau gewünschten Grenzen zu
überwinden. Er versucht damit seine insgeheime Ohnmacht
zu kaschieren. Eine Ohnmacht mit der er meistens erst dann
in Kontakt kommt, wenn die enttäuschte Frau sich
verschliesst oder verweigert. Dann ist in ihm (unbewusst)
der Schmerz der frühesten Kindheit, des
Weggelegtwordenseins, angerührt. Mann und Frau
böte sich hier Gelegenheit, Kontakt mit ihrem inneren,
abgespaltenen Baby Kontakt zu finden, würden sie sich
nicht in eine(n) neue(n) ParterIn verlieben.
Die
Tragik von uns Menschen ist, dass wir unsere Abgespaltenheit
vom Fühlen, durch wissenschaftliche
Erklärungsversuche der Geheimnisse des Lebens, zu
kompensieren versuchen. Je weiter wir vom Gefühl
entfernt sind und je grösser unser Unglück ist,
desto grösser scheint unser Glauben in un-be-griffenes
Wissen zu sein. Nur so ist es möglich, dass trotz dem
Einzug der sanften Geburt, Babys nach wie vor von ihren
Müttern getrennt und weggelegt werden.
Wie
kommt es, dass dieser verheerende Mechanismus über
Jahrtausende hinweg seine Wirkung entfalten kann. Wie kommt
es, dass sowohl Mythen als auch die Heiligen Schriften in
verschlüsselter Form immer wieder auf die Abspaltung
von der paradiesischen Ganzheit hinweisen, und trotzdem die
wegweisenden Bezüge zur Zeugung, Geburt, und erste
prägende Lebenserfahrung sowie, als Folge davon, die
Suche des gespaltenen Menschen nach Ganzheit nicht erkannt
wird? Laut Franz Renggli war schon in den Mythen der
Sumerer, also 5000 J.v.Chr., die Trennung des Babys von der
Mutter das Hauptthema. Wie kommt es, dass wir seit damals
bis in die heutige Zeit, erst das zerstören was wir
anschliessend zu heilen versuchen?
Mythen
und heilige Schriften sind Metaphern, deren Interpretation
immer vom Bewusstsheitsgrad des interpretierenden Menschen
beeinflusst ist. Daher die Krux: Nur diejenigen Menschen,
die sich in das seelische Erleben eines Neugeborenen
einfühlen können, sind im Stande, diese
Geschichten in ihrer vollen Tiefe entschlüsseln zu
können. Wenn dieses Bewusstsein fehlt, geschieht es,
dass Prediger Bibelworte zitieren, die dazu auffordern wie
die Kinder zu werden, und dabei keine Ahnung haben, wie
irdisch nahe das in der Bibel verheissene Königreich
sein könnte wenn wir das tatsächlich tun
würden. Folgende Anhaltspunkte könnten uns den Weg
weisen: Der Mensch kommt als Tragling zur Welt, ein Indiz
sind die Klammerreflexe beim Neugeborenen. Wird sein
tiefstes Bedürfnis nicht wahrgenommen, nämlich am
Leib der Mutter getragen zu sein, ist sein
Zugehörigkeitsgefühl für immer gestört.
Von den Säugetieren wissen wir, welch verheerende
Konsequenzen es hat, wenn das Imprinting, d.h. der
prägende, alle Sinne umfassende Kontakt zwischen Mutter
und Neugeborenem im Anschluss an die Geburt verhindert ist:
Sie erkennen einander nicht mehr als
zugehörig.
In
vielen von unseren Krankenhäusern empfiehlt das
Pflegepersonal den Müttern nach wie vor, ihr Baby
nachtsüber in ein separates Bettchen oder sogar in ein
Säuglingszimmer wegzulegen. Damit ist die
ausschlaggebende Zeit für die prägenden
Sinneskontakte verpasst, die in Mutter und Säugling
jene intuitiven und natürlichen Verhaltensweisen
auslösen, die beiden Freude und Erfüllung
garantiert, und im Kind ein Urvertrauen entstehen
lässt. Später, zur werdenden Mutter
herangewachsen, bildet genau dieses gesunde Urvertrauen die
Basis, um sich durchzusetzen, wenn theoriegläubige
Menschen ihr empfehlen das Baby wegzulegen.
Mutterfreuden
können jedoch trotz aller guten Absicht getrübt
werde, und zwar dann, wenn das angekommene Baby in der
Mutter den (bislang verdrängten) Schmerz über all
das Vermisste aus der eigenen Kindheit anrührt. Dann
ist Grund zur Trauer! Sie will gelebt sein und Ausdruck
finden im Weinen und im Grollen. Dies führt zum
Erkennen des eigenen inneren kleinen Kindes, das genauso
erkannt und ans Herz genommen sein möchte wie das
gerade Geborene. Mütter, die in diesem Bedürfnis
keine liebevolle Unterstützung finden oder sich gegen
diese tiefen Gefühle sträuben, erleben oft eine
postpartale Depression (die Schulwissenschaft konnte bis
heute kein befriedigendes Erklärungsmodell dazu
liefern).
Wenn
die Trauerarbeit der Mutter (und des Vaters, der sonst zum
Rivalen des Neugeborenen wird) nicht stattfinden kann, wird
das Kind zu einem Störfaktor in der Paarbeziehung. Dann
wird das Baby mit seinen Bedürfnisäusserungen in
Form von Weinen (von der Schulwissenschaft hilflos als
3-Monats-Kolik bezeichnet) die Eltern schnell
überfordern. In ihrer Hilflosigkeit neigen sie dazu,
sich ausgerechnet des am zerstörerischten wirkenden
Machtmittels zu bedienen, jenem das seit Jahrtausenden das
Unheil auf die nächste Generation überträgt:
Abschieben ins Kinderzimmer, um endlich Ruhe zu haben. So
kommt es, dass die meisten Menschen unseres Kulturkreises
unbewusst die Angst vor dem Verlassenwerden in sich tragen.
Verlassenheit
wird in unserem Kulturkreis mit symbolischem Ersatz
besänftigt: Erst Schnuller, Babyflasche, Spielsachen;
später Süssigkeiten, Rauchwaren, Rausch-
Betäubungs- und Genussmittel, sowie exzessive Konsum-
und Modegewohnheiten, Ferien weit weg vom grauen Alltag.
Besondere Urständ feiert jedoch der
Mobilitätswahn, denn er bietet ideale
Möglichkeiten, dem schmerzlichen Hier und Jetzt, in
welchem sich das alte Verlassenheitsgefühl bemerkbar
machen würde, zu entrinnen. Auch die Habsucht, von der
führenden Ökonomen überzeugt sind, dass sie
dem Menschen angeboren ist, und die im Shareholder- und
Globalisierungsbusiness zur willkommenen Eigenschaft des
erfolgversprechenden Managers werden kann, steht in einem
ursächlichen Zusammenhang mit dem seelischen Mangel in
frühester Kindheit. Wer hätte gedacht, dass auch
das militärische Wettrüsten einen Bezug haben
könnte zur totalen Ohnmacht des Babys, das
liegengelassen wurde und für seine Verzweiflungschreie
gar mit Klapsen bestraft wurde? Könnten atomare
Abschreckungsstrategien ein Versuch sein, alles vorzukehren
um nie mehr eine solche Machtlosigkeit erdulden zu
müssen wie im früheren
Verlasssenwordensein?
Könnte
unsere Jagd nach billigen Konsumgütern und in deren
Folge die ausbeuterischen Arbeitsbedingungen bei uns und in
Billiglohnländern, etwas mit der Kompensation eines
frühen Mangels zu tun haben? Wir sind bereit für
Waffen Milliarden auszugeben, während wir bei der
dringend not-wendigen Unterstützung von Mutter und Kind
die Sparschraube ansetzen. Sind dabei in frühester
Kindheit entstandene Ängste im Spiel, die
(geschürt durch Kampagnen in den Massenmedien) uns
solche Entscheide treffen lassen? Meine Erfahrungen im
Verlaufe 20-jähriger Arbeit, erst als leitendes
Teammitglied eines Pilotprojektes für
drogengefährdete (oft straffällig gewordene)
Jugendliche, später als Leiter von
Selbsterfahrungsgruppen, lassen mich zum Schluss kommen,
dass solche Zusammenhänge bestehen.
Kinder
die weggelegt werden, sind in ihrer Menschenwürde
gekränkt. Kränkung führt leicht zu einer
Schwächung des Immunsystems oder zur Neigung
Unfallrisiken einzugehen; nicht selten aber auch zur
Inszenierung von Situationen, die es ermöglichen sich
(unbewusst) für früh erlittene Ohnmacht zu
rächen. Ersteres widerspiegelt sich in unseren
Krankheits- und Unfallstatistiken, aber auch in der
zunehmenden Zahl von Menschen, die an Depressionen leiden
oder Suizidgefährdet sind; letzteres in Pornographie,
Gewaltakten und Fremdenhass.
Erst
wenn wir unser Bewusstsein für diese tieferen
Zusammenhänge und die daraus entstehenden Folgekosten
öffnen, erfassen wir die Tragweite der
frühkindlichen Spaltung, die gesellschaftlich und
politisch in einem Teufelskreis endet. Religion
(Rückverbindung) müsste Wege aufzeigen die da
wieder hinausführen. Warum das bisher nicht geschah
zeigt das eindrückliches Beispiel des Bibelschreibers
und Begründers einer Reformbewegung, Martin Luther. In
seiner zweifellos ehrenwerten Absicht, sein Kirchenvolk vor
Unheil zu bewahren, vertrat er die Meinung, dass Kleinkinder
als Erstes lernen müssten, allein sein zu können.
Er kam zum Schluss, dass ihr Weinen mit allen Mitteln zu
unterbinden sei. Wenn dies nicht gelang, sei anzunehmen,
dass es sich um einen Wechselbalg (in den Grimm'schen
Märchen ein - oft verhextes - untergeschobenes Kind)
handeln würde, und dann sei es angebracht - um sich vor
dem Teufel zu schützen - ihn totzuschlagen.
Gläubige
Mütter legten fortan, aufgrund von Ratschlägen
kirchlicher Autoritäten (in früheren Jahrhunderten
auch aus sozialer Not, oder Geringschätzung der
Kinderbetreuung), ihr Kind zur Seite. Der Grund seines
verzweifelten Weinens (die lebensbedrohende Verlassenheit
und das Bedürfnis nach Nähe), wurde von Menschen,
die wie Martin Luther (infolge der eigenen
Kindheitsverletzung) vom Gefühl abgespalten waren,
nicht erkannt. Anhand dieser schizophrenen Situation sehen
wir, wie selbst Religion ein untaugliches Mittel ist, um
einen Ausweg zu finden.
Eine
Ausnahme findet sich in Bali (vor allem bei der von unserer
Zivilisation noch unberührten Landbevölkerung).
Ein religiöses Gebot sagt, dass Kinder in den ersten
drei Lebensmonaten den Boden nicht berühren
dürfen. So werden sie am Körper der Mutter
getragen. Eine Bekannte die sich dort aufhielt, war zutiefst
berührt durch die Harmonie und Friedfertigkeit dieses
Volkes, und stellte zudem fest, dass dort Säuglinge,
wenn nicht wirklicher körperlicher Schmerz vorliegt,
kaum 5 Minuten im Tag weinen.
Unsere
Gesellschaft ist immer noch zutiefst Ahnungslos, wie sehr
die Trennung von Mutter und Kind unser ganzes Handeln
prägt. Es braucht einen allumfassenden
Bewusstseinsprozess und eine Aufarbeitung unseres eigenen
Defizites um den Wert des Tragens von Babys erkennen zu
können. Es bedeutet nicht, dass Mütter sich
selbstlos aufopfern. Es geht darum dass Mütter sozial
getragen werden und wir soziales Leben so gestalten dass sie
mit ihren Kindern, teilhaben können. Hier möchte
ich anmerken, dass allein das Tragen des Babys, ohne
liebevolles emotionales Präsentsein, genauso schlimm
sein kann, wie es liegen zu lassen. Es gibt inzwischen viele
Mütter und Väter die sich zwar ihrem Baby
liebevoll zuwenden, es aber in der Nacht trotzdem weg, ins
Kinderzimmer legen. Hätten sie das Bewusstsein um die
Wichtigkeit des Babytragens, würden sie sicherlich
anders handeln. Immerhin: Ihre Zuwendung wirkt heilend, so
dass das Kind seinen Schmerz nicht verdrängen
muss.
Einheit
und Liebe sind in uns Menschen als natürliche Gaben
angelegt - falls wir sie nicht aus Unachtsamkeit im Keime
zerstören. Kinder könnten uns Erwachsenen den Weg
aufzeigen - zum eigenen inneren Kind - und zu einer
friedlicheren Welt.
Willi
Maurer begleitet seit zwanzig Jahren suchende Menschen
mit Gefühls- u. Körperarbeit und unterrichtet
Aikido verbunden mit meditativer Gymnastik. Informationen
dazu auf der homepage http://home.sunrise.ch/maurer_.
Im ökologisch, sozial, spirituell und politisch
verbindenden Netzwerk "Holon" (www.holon.ch)
betreut W. Maurer das Ressort Tiefenpsychologische
Zusammenhänge.
Ausführlich
dargestellt hat W. Maurer seine aus einem
aussergewöhnlichen Selbsterfahrungsprozess und
seiner Arbeit mit gewalttätigen Jugendlichen
gewonnenen Erkenntnisse im Buch "Zugehörigkeit.
Der verpasste Augenblick &endash; ist er
nachholbar?"; erschienen im Selbstverlag (zu beziehen
bei Buch2000, 8912 Obfelden, oder direkt beim Autor:
Willi Maurer, Doné, 6994 Aranno)
"BEGEHRTE
FRÜCHTE" - Öko-spiritueller
Wander-Workshop
Kollektives
Rollenspiel zur Globalisierungsthematik, mit Willi
Maurer
In
Zeiten der Globalisierung, Privatisierung und der
damit verbundenen Machtverschiebung, scheint es dem
Individuum immer schwerer, seine Mitverantwortung und
Mitbestimmung für das Geschehen auf dieser Welt
wahrzunehmen. Das von Willi entwickelte Rollenspiel
"Begehrte Früchte", gefolgt von einer gelenkten
Fantasie in frühe Kindheitssituationen,
führt zu tiefgehenden Reflexionen
über:
Psychologische Hintergründe, die unser Denken,
Handeln und Fühlen und damit unsere Wahl der
Konsumgüter beeinflussen.
Die Herkunft unserer Ängste, die uns
manipulierbar machen; des innerern Mangels, der uns
verführbar macht; die Sehn-Sucht, die uns
Träumen nachhängen lässt; des
Gefühles der Machtlosigkeit, das uns resignieren
lässt.
Unsere Macht, über die wir als KonsumentInnen
verfügen.
"Begehrte
Früchte": Wander-Workshop (Dauer: 2-3 Std.), auf
Anfrage, für Gruppen mit mind. 15
TeilnehmerInnen.
Info:
Willi Maurer, Doné, CH-6994 Aranno
(http://home.sunrise.ch/maurer_)
e-mail: wimaurer@smile.ch
Weitere
Bücher zum Thema:
Kirkilionis,
Evelin: "Ein Baby will getragen sein";
Kösel.
Liedloff,
Jean: "Auf der Suche nach dem verlorenen
Glück"; Beck'sche Reihe.
Renggli,
Franz: "Der Ursprung der Angst. Antike Mythen und das
Trauma der Geburt"; Walter-Verlag
Luther,
Vom Teufel und seinen Werken, Walch
Baby-Tragetuch-Kurse,
Tragetücher:
Susi
Milz, Lana Schweiz, Sonnenbergstr. 19, 9036 Grub,
E-mail:
info@tragetuch.ch,
Internet: www.babytragen.com
Kindertragwesten:
Katharina
Reichmuth, Eschenstr. 10, 9533 Kirchberg, E-mail:
info@carryme.ch,
Internet www.carryme.ch
Emanzipation
Humanum,
Version 11. 2001, Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt,
Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe
und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere
Sprachen erwünscht, Kürzungen und Änderungen
nach Absprache möglich.
http://emanzipationhumanum.de/deutsch/tragling.html
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