Plädoyer
für die Abkehr vom Dienst am Kapital und für die
Hinwendung
zu den sozialen Notwendigkeiten auf der Erde
Peter
Kafka
hat
am 10.10.1997 einen freien Redebeitrag mit dem
Titel:
Anmerkungen
zur Überwindung der globalen
Beschleunigungskrise
bei
dem Symposium Gesellschaft und Bildung im 21.
Jahrhundert" des hessischen Kultusministerium in Wiesbaden
gehalten
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Peter
Kafkas Plädoyer für einen sich vom Dienst am
Kapital abkehrenden und sich den den sozialen
Notwendigkeiten auf der Erde zuwendenden Orientierungswandel
ist beachtenswert.
Im
Folgenden sind einige seiner Gedankengänge lose
zitierend herausgegriffen, um auf den Wert einer
Lektüre des ganzen aufmerksam zu machen:
Läßt
sich die Marktwirtschaft vom Kapitalismus
befreien?
(...)
...Selbst
Repräsentanten und Diener der Macht spüren,
daß Gesellschaft und Biosphäre am Abrutschen
sind. Bis in ihre Festreden hinein leiden sogar die
Sensibleren unter den Politikern durchaus an der eigenen
Mitwirkung als Schmiermittel. Nur empfinden fast alle das
Geschehen als praktisch zwangsläufig. Die Macht
organisiert sich heute vor allem durch den Aberglauben, es
handle sich hier um quasi naturgesetzliche Abläufe. So
erscheint es aus der Sicht der gegenwärtigen
Realität als unrealistisch oder utopisch, den Untergang
durch Übergang zu etwas ganz anderem ersetzen zu
wollen. Den sogenannten Realisten fehlt bekanntlich der
Möglichkeitssinn. Wecken wir ihn durch einen Blick auf
die Geschichte - die
Schöpfungsgeschichte....
(...)
..."Radikale
Systemveränderung" erscheint nach den geschichtlichen
Erfahrungen so unvorstellbar, daß keine
Aufbruchsstimmung mehr aufkommen mag. Die Verzagtheit wird
nur zu überwinden sein, wenn ein tragfähiges
Fundament sichtbar wird, das ohne tiefen Fall erreichbar
ist. So gehört zu den Bildungszielen des nächsten
Jahrhunderts zunächst ein gewissermaßen
"fundamentalistischer" Ansatz für die
Selbstorganisation unserer Freiheit. Noch mehr als
seinerzeit bei der Überwindung der Sklaverei oder den
Adelsprivilegien werden dabei heiligste Denkgewohnheiten zu
revidieren sein. Lassen Sie mich das Unerhörte gleich
zu Beginn aussprechen: Die immer schnellere, global
gewordene Konkurrenz um Lebensgrundlagen muß
überwunden werden. Und dazu gehört die
Überwindung des Aberglaubens ans Gottesgnadentum des in
fremde Lebensgrundlagen investierten
Eigentums....
(...)
...Unser
eigenes Tun richtet insgesamt mehr Schaden als Nutzen an.
Die Weisen sagen noch immer: Das reale Sozialprodukt, die
sogenannte Wertschöpfung. Was sind das für Werte,
die wir da schaffen? Offenbar dient die wirtschaftliche
Aktivität in entwickelten Ländern überwiegend
nicht mehr dem Wohl der Bürger. Wenn das reale
Bruttosozialprodukt nicht wächst, geht es uns
schlechter! Mit anderen Worten: Tun wir heuer das gleiche
wie voriges Jahr, so geht's bergab. Warum nur, wenn wir
dauernd Werte schaffen? Falls uns nicht ständig von
außen Gewalt angetan wird, muß das wohl
bedeuten: Tun wir mehr vom Gleichen, um so das Sozialprodukt
wachsen zu lassen, wird's also noch schneller bergab gehen -
nicht wahr? Was muß heute eigentlich wachsen, damit es
uns besser geht?...
(...)
...Deshalb
ist es besonders wichtig, klarzumachen, daß das Ende
des absurden Vermögenswachstums (dem ja
großenteils nicht einmal wirkliche Wertschöpfung
sondern ein Zerstörungsprozeß zugrunde liegt),
die Einführung von Bürgergeld und Grundrente und
die radikale Steuerreform nicht etwa "die Wirtschaft
schädigen" würden. Ganz im Gegenteil: Eine
wirtschaftliche Blüte würde einsetzen, wenn die
Fessel der Kapitalbedienung gesprengt wäre. Sogar das
auf übliche Weise gemessene Sozialprodukt wüchse
zunächst beträchtlich, weil wieder alle viel
stärker am Wirtschaftsprozeß teilnehmen
könnten. Was gibt es heute nicht für einen
gewaltigen Bedarf an Gütern und Dienstleistungen bei
jenen, die sich fast nichts leisten können, weil sie
arbeitslos sind oder einen so großen Teil ihres
Einkommens ins Vermögenswachstum anderer stecken
müssen. Man erinnere sich: Etwa drei Viertel der
durchschnittlichen Miete entfallen bei uns auf Zinsen,
dienen also dem Vermögenswachstum anderer. Auf
Iängere Sicht freilich könnte und dürfte das
Sozialprodukt nur langsam wachsen - weil ja wirkliche
Wertschöpfung nur im Zeitmaßstab der
Generationenfolge gelingen kann....
(...)
...So
fallen täglich - täglich an die zwei Milliarden
Mark Erträge an deutschen Vermögen
an....
(...)
Nun
zum Umgang mit den "leistungslosen Einkommen". Wenn solche
möglich sind, stellen sie natürlich eine
gemeinsame Kulturleistung dar und sollten deshalb dazu
dienen, die Grundbedürfnisse aller Bürger zu
decken - vor allem zunächst die der Kinder, Kranken und
Alten. Was die Gesellschaft heute durch die sogenannte
Kapitalbedienung in Form von Zinsen und anderen
Erträgen als "Sozialhilfe für die Reichen"
aufbringt, um deren Vermögen wachsen zu lassen, das
sollte also den Grundstock eines "Bürgergeldes" bilden.
Die Summe all dieser leistungslosen Einkommen ist nicht
einmal den Finanzspezialisten recht bekannt, aber sie
dürfte heute in Deutschland in der Nähe des
gesamten Steueraufkommens liegen. Dieses entspricht pro Kopf
fast zehntausend Mark jährlich, also an die zweitausend
Mark monatlich pro bezahlten Arbeitsplatz. Über diese
Art von "Beschäftigungsnebenkosten", die - von der
Miete bis zur Bedienung der Staatsverschuldung - in jeder
Zahlung versteckt sind und beim zunehmenden Abwürgen
unserer Wirtschaft die weitaus wichtigste Rolle spielen,
wagt noch immer kaum jemand zu sprechen....
(...)
...Gegen
die Macht aufstehen können nur jene, die nicht alle
Kraft zum Ringen um die bloße Existenz brauchen und
die doch noch etwas anderes im Kopf und im Herzen haben als
die Gier, selbst zu den Mächtigen zu gehören. Noch
sind das bei uns viele, und immer mehr von ihnen beginnen
sich der Schlagworte der Anführer zu schämen, weil
deren innere Widersprüche und Machtansprüche so
schamlos offensichtlich werden. Ist es vorstellbar,
daß genügend viele ihre Fähigkeiten nicht
zum Gebrauch der Ellenbogen einsetzen wollen, sondern zum
Mittragen des Ganzen? Dann ergäbe sich schnell eine
neue "Meinungsführerschaft", und ein Wettlauf nach
lebensfähigeren gesellschaftlichen Leitbildern
könnte einsetzen....
(...)
...Hier
ist die Front, an der wir eine Spitzenposition einnehmen
sollten! Dazu verpflichten uns Europäer das
Verursacherprinzip und unsere freiheitliche Verfassung. Nur
in den reichen Ländern ist der Wandel ohne Gewalt
möglich, allein durch die Ausbreitung gesunden
Menschenverstands, den auch die Medien der Mächtigen
nicht ganz zum Schweigen bringen können. Weil es immer
weniger sind, die fast alles besitzen, wird das angeblich so
unpopuläre Rütteln an Besitzständen
populär werden und hoffentlich auf dem ganz normalen
Wege demokratischer Gesetzgebung zu fundamentalem Wandel
führen...
(...)
...Die
politische Verfassung derart weiterentwickelter Vereinter
Nationen wird den Weltfrieden sichern und auch die innere
politische Entartung der Mitglieder verhindern. Die
Weltverfassung wird also auch einzelnen und Gruppen gewisse
Grundrechte garantieren - wie die Menschenrechte und einige
Minimalregeln zur Sicherung dezentraler Demokratie.
Darüber hinaus aber wird die Vereinheitlichung nicht
wachsen, sondern wieder abnehmen. Große Länder
werden wieder mehr föderale Strukturen entwickeln, vor
allem auch dort, wo ohnehin noch ethnische und sprachliche
Eigenheiten lebendig sind oder wiederbelebt werden
können. Wo Macht über Nachbarn oder eigene
Minderheiten verfassungsmäßig ausgeschlossen ist,
erlischt zwar die Konkurrenz um Macht, aber nicht etwa der
Drang nach Abgrenzung. Auch in Familien geht es doch nicht
darum, etwa sämtliche Individuen zu einem einzigen
Organismus zu verschmelzen. Die Vielfalt ist ja, wie wir
sahen, schon systemtheoretisch gesehen Grundvoraussetzung
allen evolutionären Fortschritts. Und gesunder
Nationalstolz ist keineswegs etwas unerfreuliches, wenn er
sich nicht gegen andere richten kann - und wenn er, wie der
Stolz des seelisch gesunden Individuums, im rechten
Gleichgewicht mit angemessener Scham steht....
(...)
...An
dieser Stelle der Diskussion bringen interessierte
Industrien und Wissenschaftler natürlich den "Mythos
vom Hunger", ins Spiel: Wenn wir nicht risikofreudiger sind,
hat die Menschheit keine Überlebenschance! Aber das ist
längst widerlegt. Nicht nur die berüchtigten
"grünen Spinner", sondern auch Forschergruppen der
amerikanischen Akademie der Wissenschaften haben in
detaillierten Studien gezeigt: Fast überall auf der
Erde könnten die Menschen sich auch heute und morgen
mit ziemlich altmodischer Landwirtschaft von Erträgen
des eigenen Landes ernähren - wobei freilich auch
vielfältige, lokal angepaßte Verbesserungen
möglich sind, die keine Gefahren heraufbeschwören
würden....
(...)
...Es
gehört zu den wesentlichen Bildungszielen des kommenden
Jahrhunderts, bezüglich solcher Fragen das ideologische
Chaos in den Köpfen durch ein logisches Fundament zu
ersetzen. Wie bei allen kritischen Fragen unserer Zeit geht
es hier nicht um "Meinungsstreit" angesichts einer Menge
beliebiger Möglichkeiten, sondern ums Tasten nach
Leitideen, die zunächst wenigstens die logischen
Voraussetzungen von Lebensfähigkeit
erfüllen....
(...)
...Wie
und wo das geschehen könnte? Über die Details
eines so komplexen "Phasenübergangs" kann man schlecht
plausibel spekulieren. Das Muster aber, dem das Ganze
zustreben und in das es schließlich "umkippen" wird,
beginnt sich bereits abzuzeichnen. Es enthält
sämtliche Farben unseres politischen Spektrums in
ziemlich ausgewogener Mischung. Herausleuchtend ist
allerdings das Orange - jener Übergang zwischen Rot und
Gelb, der an die Ideen gewaltloser Anarchisten erinnert (-
nicht an deren schwarze Fahne). Recht verstanden bedeutet ja
deren "Herrschaftslosigkeit" nicht etwa Chaos, sondern
solidarische Selbstorganisation der Freiheit aller gegen
staatliche und wirtschaftliche Macht - also genau das, was
ich hier "Freiheit des siebten Tages" nenne. Von Hörern
meiner Vortrage habe ich gelernt, daß Piotr Kropotkin
und Gustav Landauer offenbar auf sehr ähnliche Spuren
geraten waren wie ich. Erstaunlich wäre das nicht, denn
um diese Freiheit ringen Menschen seit mehr als zwei
Jahrtausenden. Freilich ist erst in den fast 80 Jahren seit
der Ermordung Landauers (im Münchener Gefängnis)
die globale Beschleunigungskrise in ihr Endstadium getreten,
und so ist sicherlich über alle Details neu
nachzudenken....
(...)
...Freilich
- Minderwertsteuern, Größenbegrenzungssteuem,
Abschaffung der Subventionierung des Kapitals - lauter
Schranken in diesem Märchenland der goldenen Jahre des
21. Jahrhunderts! Ist das alles nicht doch Ausdruck strenger
Regulierung? Es kommt doch nicht von allein! In der Tat.
Auch die befreiende Kulturleistung des siebten Tages wird
selbstverständlich eine Folge von
Selbstbeschränkung sein - wie jeder gelungene Schritt
der Selbstorganisation im Schöpfungsprozeß - wie
immer, wenn eine attraktive Gestalt gefunden wird, die nicht
so bald wieder verlassen werden muß. Fast alles, was
gut war, bleibt ja. Das Falsche, das nicht mehr
Lebensfähige ist es, was beschränkt wird. Jammern
wir nicht länger über die kapitalistischen und
neoliberalen Lehren, die uns weismachen, an der komplexesten
Front im Raum der Möglichkeiten seien das Wachstum der
Vermögen und des klassischen Sozialprodukts geeignete
Kriterien für die Beurteilung der Lebensfähigkeit.
Lachen wir endlich darüber, und verlassen wir diese
Ideen. Sie mögen ein unvermeidbares Stück des
Weges durch die Kindheit der Menschengesellschaft gewesen
sein - sich aber im Erwachsenwerden weiterhin an solche
Ideen zu klammern, das ist kindisch.
Hier
das komplette Dokument:
Peter
Kafka - Anmerkungen zur Überwindung der Globalen
Beschleunugungskrise
Von
Peter Kafka's Büchern ist noch im Handel:
Gegen
den Untergang - Schöpfungsprinzip und globale
Beschleunigungskrise, Carl-Hanser- Verlag,
München/Wien 1994
Vergleiche
u.a. auch seine Vortragstexte:
"Geld
oder Leben - Zur Befreiung der Marktwirtschaft vom
Kapitalismus" in: Markt und Sinn -Dominiert der Markt
unsere Werte? (Florian Müller, Michael Müller,
Hrsg.) Campus Verlag, Frankfurt/New York 1996,
"Das
sogenannte Energieproblem" in: Selbstorganisation
-Jahrbuch für Komplexität in den Natur-. Sozial-
und Geisteswissenschaften Band 8, 1997. Evolution und
lrreversibilität (H.-J. Krug, L Pohlmann, Hrsg.) Verlag
Duncker & Humblot; Berlin 1998
Emanzipation
Humanum,
Version 3. 00 , Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt,
Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe
und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere
Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen
nach Absprache möglich.
http://emanzipationhumanum.de/deutsch/vision2.html
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