Die
Zivilisation entlarvt sich als staatlich sanktionierter
Vandalismus nicht nur in den naturgeschützen Gebieten
von Arktis bis Regenwald und von Meerestiefe bis Weltall,
nein, nun ist auch der Bereich der geistig-intellektuellen
Auseinandersetzung bedroht:
"Political Correctness" erhebt die Lüge zur
Norm!
Plädoyer
für eine neue Qualität des
Mensch-Seins
von
Wolfgang Fischer
(
spanisch
) ( englisch
) ( pdf.format
)
Wir
wähnen uns aufgeklärt. Seit geraumer Zeit sind die
Zusammenhänge von Zeugung und Entstehung neuen Lebens
Allgemeinwissen. Bekannt ist u.a. auch, daß
Frösche eben Frösche zeugen und Vögel
Vögel. Aus einem befruchteten Dinosaurierei
schlüpften kleine Dinosaurier genauso wie aus einem
befruchteten Schimpansenei ein junger Schimpanse entsteht.
An
diesem Zusammenhang besteht kein Zweifel oder besser gesagt,
bestand kein Zweifel. Denn im Juni des Jahres 2001 behauptet
doch immerhin der Präsident der
Max-Planck-Gesellschaft, daß für ihn eine
befruchtete menschliche Eizelle kein Mensch sei!
Es
ist nun nicht so, daß dieser herausragende Vertreter
des Wissenschaftsapparats seine Behauptung aus Gründen
des Nichtwissens aufstellt. Nein, er weiß, daß
sich aus einer befruchteten menschlichen Eizelle bis heute
nichts anderes als ein Mensch entwickelt hat. Er weiß
es, behauptet jedoch, diese Eizelle sei kein Mensch. Warum
tut er das? Er möchte der gentechnischen Forschung das
Gewissen erleichtern und Kritiker derselben verunsichern. Er
will anderen weismachen, Kannibalismus sei kein
Kannibalismus, wenn es nur einen Vorteil bringt (denn wo
liegt der Unterschied zwischen dem Essen der Artgenossen und
dem sonstigen Verwerten ihrer Zellen?). Er will andere
glauben machen, daß die befruchtete menschliche
Eizelle, die Kombination also von Eizelle und Spermium, erst
zu einem späteren Zeitpunkt menschlich würde. Was
ist sie denn bis dahin? Pflanzlich? Neutral?
Neo-liberal?
Reine
Willkür ist hier am Werk, angetrieben von
verantwortungsloser Profit- und Allmachtsgier. Denn was
noch, außer der Eizelle der Mutter und dem Spermium
des Vaters, sollte das menschliche Kind ausmachen? Ein
göttlicher Nebelhauch etwa so 2 Wochen nach der
Befruchtung? Arme Wissenschaft! Solch ein Gedanke aus deinem
Munde im 21. Jahrhundert! Warum nur wirfst du dich derart
kritiklos in den Rachen des Mammons?
Halt!
ruft jetzt eine Stimme, es geht ja hier nicht um
Kannibalismus, sondern um Heilung zukünftigen Lebens.
Ja, stimmt das denn überhaupt?
Die
Kirchen sagten jüngst im Zusammenhang mit der
Gentechnik-Problematik: Heilung nicht um jeden Preis! Wer
sagt uns denn, daß die Gentechnik überhaupt
irgendein Heil bringt? Versprach die Atomtechnologie
seinerzeit nicht auch, sämtliche Energieprobleme
für alle Zukunft zu lösen?
Wir
scheinen tatsächlich zurück in die Zeiten
babylonischer Verwirrung zu sinken. Sind wir nun Menschen
oder sind wir es (noch) nicht? Ethik oder Bioethik ist
gleich die nächste Frage! Gerade so, als wenn es eine
Ethik außerhalb des Lebens gäbe, also zwei
Ethiken? So wie es neben den Kriegen der Schurkenstaaten
auch gerechte und humanitäre Kriege geben soll? Hier
die gesetzlosen Schurkenstaaten und dort die selbstgerechten
Allianzen des Geldes!
Hier
die Markthoheit und das Ablehnen sozial begründeter
Subventionen und dort die Steuerfreiheit für alle
Konzerne, die unsere Umwelt und Arbeitskraft plündern
und gleichzeitig ihre Gewinne astronomisch steigern! Das ist
die Ethik der Macht und des Geldes, unter deren
Verantwortung derzeit der Erdball verwüstet wird.
Diese
Ethik wird heute von der Nation (1),
die im rücksichtslosen Verbrauch an Ressourcen einen
Spitzenplatz einnimmt und unbelehrbar erscheint, sogar in
den Status der Heiligkeit versetzt und unter Anwenden
repressiver Maßnahmen weltweit exportiert! Nach dem
Scheitern des Multilateralen
Abkommens für
Investitionen
(MAI) werden dieselben Ansätze jetzt bilateral und
über WTO-Regulierungen gegen den Widerstand der
Bevölkerungen verbreitet! Ein neues Feindbild wird
aufgebaut, indem diejenigen, die gegen die Zerstörung
unserer Lebensgrundlagen und sozialen Absicherungen
demonstrieren, pauschal kriminalisiert werden. Ursache und
Wirkung werden bewußt verwechselt: diejenigen, die die
Bedrohungen thematisieren, werden zur Bedrohung
erklärt. Die Aggressionsspirale wird durch
systemhörige Medien dadurch begünstigt, daß
über "Randale" mehr berichtet wird als über
inhaltliche Gegenpositionen. Letztendlich wird die Lage
dadurch unüberschaubar, daß versucht wird,
staatlich inszenierten Vandalismus - wie zuletzt in Genua -
bestimmten Gruppen von Demonstranten in die Schuhe zu
schieben (2).
Die
allgemeine Orientierungslosigkeit zeigt sich
konsequenterweise auch dort, wo Mörder einerseits als
Freiheitskämpfer unterstützt und gefeiert werden,
andernorts aber als Rebellen verfolgt werden. Während
Jugoslawien zur "Stabilisierung des Balkans" NATO-Truppen
auf eigenem souveränem Territorium dulden sollte und
wegen Ablehnung dieses Ansinnens mit einem
"humanitären" Luftkrieg bedacht wurde, der die
tatsächlichen Nöte der Menschen in der Region nur
verschärfte und einen Frieden in weite Ferne
rückte, terrorisiert der Krieg in Nahost seit
Jahrzehnten weiterhin unbehelligt die dortige
Bevölkerung. Hier stören sich die Moralapostel
Washingtons nicht an der konsequenten Ablehnung Israels,
ausländische Beobachter zu akzeptieren. Zweierlei
Maß widerlegt allüberall auf dem Globus die
vorgespielte Aufrichtigkeit der Weltmacht, die, den Namen
Gottes im Munde führend, vorgibt, den Kampf gegen das
Böse auszutragen!
Das
rationale Argumentieren in all den problematischen
Themenbereichen wie Atom, Gen, Lebensmittel, Luft, Wasser,
Bundeswehreinsatz etc. führt auch innenpolitisch zu
sprachlichen Verwirrspielen ohne Ende. Die Schlagzeile "Der
deutschen Wirtschaft droht Stillstand" (Süddeutsche
Zeitung v. 11.7. 2001) belegt exemplarisch die sprachliche
Verwirrtaktik der Medien. Ein Sportjounalist dagegen
käme nie auf die Idee, bei einem Läufer, der seine
Geschwindigkeit nicht mehr zu steigern vermag und
gleichbleibend schnell, vielleicht auch etwas langsamer
liefe, vom Stehenbleiben und drohenden Zusammenbruch des
Athleten zu sprechen. Der Satz liest sich, als drohe der
Stillstand aller Räder, Schlote und Geldströme.
Beabsichtigt oder nicht, wird der lesende Bürger
verunsichert und verängstigt. Er verliert seine
kritische Aufmüpfigkeit", wird folgsam. Eine
andere Schlagzeile vom gleichen Tag: "Deutsche sollen auf
Lohn und Urlaub verzichten" (Die Welt) unterstreicht diese
Zielrichtung.
Ein
weiteres Instrument der Verwirrung ist das Interpretieren
von Statistiken im Sinne derer, die am langen Hebel sitzen.
Kausale
Zusammenhänge werden solange unter Hinweis auf fehlende
wissenschaftliche Beweise bestritten, bis es ohnehin zu
spät ist, und dann konnte dies angeblich "nach
menschlichem Ermessen und mit an Sicherheit grenzender
Wahrscheinlichkeit" nicht verhindert werden. Alles bleibt
beim Alten.
Ein
möglichst breites Thematisieren der verbrieften
Grundrechte, z.B. des Rechts auf Unversehrtheit (Art.
2,2 GG), kann die Diskrepanz zwischen Anspruch und
Wirklichkeit aufzeigen. Das Trinkwasser z.B. ist ja nicht
von sich aus allein mittlerweile vielfach ungenießbar,
sondern deshalb, weil der politische Schutz desselben der
Profitgier der Verschmutzer (hier speziell der Agro-Chemie)
untergeordnet bleibt. Und so sieht es aus gleichem Grunde
überall aus: industriell "verfeinerte" Lebensmittel
werden potentiell giftig, die Luft wird "angereichert" mit
unüberschaubaren Schadstoffen, alles durchdringende
Strahlung aus radioaktiven und elektromagnetischen Quellen
nimmt laufend zu, die Atmosphäre wird aus ihrer
lebensnotwendigen Balance gebracht, multifaktoriell bedingte
Erkrankungen und Befindlichkeitsstörungen werden
unbeherrschbar.
Eine
tiefgreifende Wertedebatte ist notwendig, um deutlich werden
zu lassen, daß der Schutz des Lebens und der Natur
Vorrang hat vor allen anderen Interessen. Es geht nicht an,
daß unser Grundgesetz weiterhin durch Gesetze
entstellt wird, die dem Geist des Grundgesetzes
widersprechen. Dieser Tendenz muß sich das
Bundesverfassungsgericht entgegenstellen. Andernfalls
könnten wir das GG ehrlicherweise gleich aus dem
Fenster schmeißen und uns der tagtäglichen
Neubestimmung durch die überlassen, deren Eid "Nutzen
zu mehren und Schaden abzuhalten" weder den Abbau der
historisch gewachsenen sozialen Errungenschaften noch die
Zerstörung der ökologischen Gleichgewichte
verhindert hat: die Politiker und ihre hochpotenten
Auftraggeber aus dem Bereich der Weltkonzerne. Die Weite der
Sicherheitszonen zum "Schutze" von Politikern bei ihren
Globalisierungstreffen spiegelt ihre inhaltliche Entfernung
von den tatsächlichen politischen Notwendigkeiten und
ihre Entfremdung von den Wählern wieder.
Denn
daß der Bürger nicht mehr der Herr der Lage ist,
bekommen wir ständig bewiesen. Nehmen wir z.B. die
Problematik mit der PDS. Diese politische Partei wird von
den anderen Parteien behandelt, als wenn sie Abschaum
wäre. Dabei wird mitunter völlig übersehen,
daß sie demokratisch gewählt, einen nicht
unerheblichen Prozentsatz unserer Mitbürger vertritt.
Sind diese Mitbürger denn auch der letzte Abschaum?
Dann sollten die so denkenden Politiker der "etablierten
Parteien" dies auch offen aussprechen, obwohl auf diese
Weise keine Kultur der demokratischen Auseinandersetzung
praktiziert wird.
Alternative
Meinungen und Positionen dürfen nicht mit den Methoden
des Kalten Kriegs durch Ausgrenzen, Denunzieren oder
Kriminalisieren angegangen werden.
Parteien
und Politiker, die auf dem Boden des GG wirken, sollten sich
auch auf diesem Boden bewegen können und in ihrer
politischen Auseinandersetzung durch Programme, die den
Geist des GG hoch halten und zu verwirklichen suchen,
hervortreten und Anhänger gewinnen. Der mündige
Bürger, der lt. Art. 20 GG seine Souveränität
durch Wahl und Abstimmung ausübt, könnte endlich,
nach 52 Jahren Existenz des Grundgesetzes, Wirklichkeit
werden!
Nur
in der offenen, vorbehaltlosen Auseinandersetzung,
orientiert am Allgemeinwohl in globaler Dimension
können wir Lösungen zu all den Problemen finden,
die uns derzeit bedrohen, ob wir sie nun sehen wollen oder
nicht. Den Beweis für einen sich verbreitenden
lebensgefährlichen Realitätsverlust liefern wir
uns selbst, wenn z.B. in der gegenwärtigen
Globalisierungspolitik der WTO die virtuelle Welt der
Aktienkurse oder die künstlich geschaffenen Handels-
und Marktgesetze den Naturgesetzen gleichgestellt werden
oder gar höher eingeschätzt werden als die
tatsächlichen Erfordernisse der Umwelt und die
Notwendigkeiten unserer sozialen Wirklichkeiten. Will die
Demokratie in Zukunft Bestand haben, so müssen ihre die
Bürger vertretenden Organe sämtliche Weltbank-,
WTO- und IWF- Zielsetzungen auf den Prüfstand setzen,
da diesen bislang jegliche demokratische Legitimation fehlt.
Werden die vom "Runden
Tisch des Kapitals"
diktierten Richtlinien erst einmal hinterfragt
(3),
dann zeigen sie sehr schnell ihre asozialen und die Natur
zerstörenden Wirkungen.
Nur
in der Orientierung unseres Handelns am Wohl aller Menschen
und am Wohl der Natur mit ihren allseitig abhängigen
Gleichgewichten verhindern wir sowohl den Unmenschen wie
auch den weiteren Niedergang des Lebens. Eine
Globalisierung, die des Menschen Errungenschaften, wie
Gesellschaft, Markt und Wirtschaft, wieder dem globalen
Leben unterwirft, und nicht umgekehrt (4),
wird wie von selbst eine höhere Qualität des
Menschlichen hervorbringen.
-
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(1)
Die USA stellen 5% der Weltbevölkerung und verbrauchen
25% der Weltenergie
(2) Die taktischen Gründe einer solchen
in totalitären Staaten bewährten perfiden
Strategie liegen zunächst darin, die
Öffentlichkeit gegen die Demonstranten und deren
Anliegen aufzubringen und dann, die Front der Demonstranten
zu brechen (divide et impera!). Schließlich liefert
die derart aufgeheizte Situation auch die Argumente für
ein weiteres Militarisieren der Polizeikräfte und
für Einschränkungen demokratischer Grundrechte
usw. (siehe
auch hier)
(3) Das schottische Parlament wird eine
weltweit erste Debatte über das Allgemeine Abkommen
über Handel und Dienstleistungen (GATS) abhalten
(4) Die historische Entwicklung der
wirtschaftswissenschaftlichen Theorien als bestimmende
Faktoren der jeweiligen gesellschaftlichen Realität hat
Bernd Senf in seinem Buch "Die blinden Flecken der
Ökonomie, Wirtschaftstheorien in der Krise, dtv, 2001"
leicht verständlich beschrieben. (
inhaltliche Zusammenschau
hier
)
Literaturvorschlag:
- Belen Balanya, Ann Doherty, Olivier Hoedeman, Adam Ma'
anit & Erik Wesselius, EUROPE INC: Regional &
Global Restructuring and the Rise of Corporate Power.
London, Pluto Press, 2000
deutsch: "Konzern Europa - Die unkontrollierte Macht der
Unternehmen", 392 Seiten, Broschur, sFr/DM 36.-; öS
263.- (ab 2002: 18 Euro), ISBN: 3-85869-216-6, Rotpunkt
Verlag
- Veronika Bennholdt-Thomsen, Nick Faraclas und Claudia von
Werlhof (Hg), There is an Alternative. Subsistence and
worldwide Resistance to Corporate Globalization, London,
zed press, 2001
- Luca Di Blasi, Bernd Goebel und Vittorio Hösle (Hg),
Nachhaltigkit in der Ökologie, Wege in eine
zukunftsfähige Welt, Verlag C.H.Beck, 2001
- Michel Chossudovsky, Global brutal, Der entfesselte
Welthandel, die Armut, der Krieg, Zweitausendeins,
2002
- Michel Chossudovsky, Die Entwaffnung der Neuen
Weltordnung, [http://gib.squat.net/millenium/seattle-and-more.html]
- Maria Mies, Globalisierung von unten, Rotbuch
Verlag Hamburg, 2001
- Saral Sarkar, Die nachhaltige Gesellschaft, Eine
kritische Analyse der Systemalternativen, Rotpunkt
Zürich, 2001
- Conrad Schuhler, Unter Brüdern, Die USA, Europa
und die Neuordnung der Welt, PapyRossa, 2003
Übersicht
eigener Beiträge
(alle
Beiträge als pdf.Dokument,
58 Seiten, 370 KB):
Am Freitag, den 20. Juli 2001 wurde der 23
jährige Antifaschist CARLO GUILANI in Genua auf offener
Strasse von der Polizei ermordet. Er hatte, wie viele
Tausende Menschen aus praktisch der ganzen Welt an den
Demonstrationen gegen den G8-Regierungsgipfel in Genua
teilgenommen. Im Laufe der Kundgebungen trafen Staatsgewalt
und DemonstrantInnen immer wieder aufeinander. Carlo starb
an zwei Kopfschüssen und wurde anschliessend noch von
einem Polizeifahrzeug überrollt. Der Mörder von
Carlo ist Mitglied einer faschistoiden
paramilitärischen Polizeieinheit in Italien.
Die
Kundgebungen gegen den G8-Gipfel wurden von fast allen
bürgerlichen Medien als Anti-Globalisierungsdemos
heruntergespielt und die TeilnehmerInnen als
gewaltbereite AnarchistInnen" diffamiert. Die
Herrschenden und ihre Lakaien (also die bürgerlichen
Medien) haben keinerlei Interesse daran den wahren Charakter
dieser internationalen Protestbewegungen darzustellen.
Nämlich, dass es beileibe nicht nur um Globalisierung
geht (also die Schaffung internationaler Zusammenhänge,
ohne jegliche staatliche Kontrolle), sondern dass es auch
eine Protestbewegung gegen den Kapitalismus
(Neoliberalismus), gegen Rassismus, Faschismus und
Ausgrenzung und gegen staatliche Justizbarbarei ist. Es ist
ziemlich deutlich, dass die Herrschenden mittlerweile
ziemlich Schiss vor der breiten Protestbewegung haben, vor
jenen Menschen, die auch ein wenig mitreden wollen, wenn es
um ihre eigene Zukunft geht. Die Regierenden hingegen wollen
alleine herrschen und über das Los von Millionen von
Menschen entscheiden. Es geht ihnen nicht, wie sie es gerne
darstellen, um das Wohlergehen aller Menschen auf dieser
Erde, sondern einzig und alleine um die Profitmaximierung
und die Durchsetzung ihrer Interessen. Auf dem Weg dorthin
sind die zahlreichen sogenannten
GlobalisierungsgegnerInnen" ihnen
selbstverständlich ein Dorn im Auge. Zumal sich hier
seit langem einmal wieder Menschen trauen gegen die
Regierungschef aufmüpfig zu werden. Dies können
und dürfen die Herrschenden selbstverständlich
nicht zulassen, weil immerhin besteht doch die Gefahr, dass
auch allen anderen BürgerInnen die Augen geöffnet
werden und diese merken wer die Hauptschuld an der wirkliche
Misere trägt: die Reichen und Herrschenden.
Aus
diese Grund setzen sie alles daran, dass die internationale
Protestbewegung vom Rest der Bevölkerung isoliert
bleibt. Die Mittel sind allseits bekannt: Diffamierung der
Bewegung als terroristische Gefahr für Frieden und
Ordnung, Versuche die Bewegung an sich in
gewaltbereite" und gewaltfreie" zu spalten und
zu entsolidarisieren, massive physische und psychische
Repressionen (Festnahmen, Prügelorgien der Polizei
usw.), bis hin zur Ermordung von
RegierungsgegnerInnen.
Was
sich in Göteborg bereits angekündigt hat (dort
wurden 5 Menschen von der Polizei angeschossen), hat sich in
Genua nun scheinbar gänzlich durchgesetzt: der brutale,
gnadenlose Kampf gegen alle radikale
RegierungskritikerInnen. Was auf dem Europol Treffen im
Frühling in Madrid vereinbart wurde, wurde nun in
Göteborg getestet und in Genua in die Tat umgesetzt.
Die FeindInnen werden ausschliesslich im linken bis
linksradikalen Lager ausgemacht.
Mittlerweile
beschränken sich die Herrschenden mit ihrer Repression
nicht mehr nur auf die radikale Linke (AnarchistInnen,
Autonome usw.), sondern greifen auch etwas liberalere linke
Gruppierungen und Einrichtungen an (Medienzentrum des Genoa
Social und das Gebäude wo Indymedia einquartiert war).
Diese Angriffe sind Taktik und verfolgen das Ziel, die
Bewegung einzuschüchtern und zu spalten. Auch soll
versucht werden Zusammenhänge zu der verpönten
radikalen Linken herzustellen, in der Hoffnung die
Glaubwürdigkeit dieser legal arbeitenden Gruppen so zu
untermauern. Um ihr brutales, menschenverachtendes Vorgehen
ein wenig zu legitimieren stellen Polizei, Justiz und
bürgerliche Medien viele DemonstrantInnen als
regelrechte TerroristInnen dar, sozusagen als Gefahr
für die demokratische" Gesellschaftsordnung, die
es mit allen erdenklichen Mitteln zu schützen gilt.
Dass Polizei und Geheimdienste aus aller Welt sich unter die
DemonstrantInnen mischen und diese zu Gewalttaten
provozieren und aufwiegeln, wird dabei bewusst verheimlicht.
Polizei und Militär beschützen die Herrschenden
und ihr Kapital, und nicht die Bevölkerung vor
irgendwelchen anarchistischen TerroristInnen", wie es
gerne dargestellt wird. Es ist nicht unsere Absicht mit
Carlo einen Märtyrer zu stilisieren, schon allein aus
dem Grund weil Carlo sicherlich nicht der erste Tote dieses
Systems ist. Tagtäglich sterben Menschen an den
EU-Aussengrenzen, tagtäglich sterben Menschen an
Hunger, tagtäglich werden Menschen auf der Welt von
Regierungen verschleppt und ermordet. Und doch hat dieser
Mord eine gänzlich neue Qualität (zumindest
für Europa), weil er am hellen Tag, auf offener Strasse
passiert ist (Anwesenheit der Presse) und Carlo sichtlich
als Regierungsgegner erkennbar war.
Wir
wehren uns gegen die Repressionen durch den Staat, und auch
gegen die Versuche die internationale Protestbewegung zu
spalten! Wir wehren uns gegen die Diffamierung der
anarchistischen Bewegung! Organisiert Protestkundgebungen
vor italienischen Botschaften, Konsulaten, Banken usw. Zeigt
der Welt, dass wir uns diesen Mord nicht gefallen
lassen!
Anarchist
Black Cross Luxembourg
Brief
einer Mutter - 12.01.2002
Die
italienische Tageszeitung La Repubblica berichtete in der
Ausgabe v. 01.01.2002 über den Tod des Jugendlichen
Giacomo Reggiani aus Genua, der von einem 14jährigen
Dealer mit einer zertrümmerten Flasche im Streit
erstochen wurde. Die Mutter von Carlo schrieb einen Brief an
die Mutter von Giacomo, die beide das gleiche Unglück
zu tragen haben. Er wurde bei L' Unità von Adelaide
Gaggio veröffentlicht. Wir geben ihn hier v.a. deshalb
übersetzt wieder, weil er ein einzigartiges Dokument
des solidarischen Umgangs der Menschen in Genua und eines
hohen politischen und menschlichen Bewusstseins
darstellt.
Liebe
Alberta,
Wir
kennen uns nicht, aber durch die Repubblica vom
vergangenen Freitag wurden wir zusammengebracht. Das
hätten wir nicht freiwillig getan, ich
weiß. Wir wurden zusammengebracht, weil jemand
unsere Söhne ermordete. Ich musste sofort denken:
Der Schmerz ist derselbe, die Ursache nicht. Der Tod
von Giacomo ist ein schreckliches Ereignis. Ich
dachte: Er wurde von einem unglückseligen Jungen
ermordet, einem Ausgegrenzten, von einem Jungen, dem
die Wurzeln ausgerissen wurden. Bevor er zum
Mörder wurde, wurde er zuerst Opfer.
Der
Tod von Carlo war ein angekündigter Tod. Ich
werde mir den Fehler nie verzeihen können, nicht
rechtzeitig begriffen zu haben, dass in unserer Stadt
lange schon vorbereitet wurde, was dann geschehen ist:
von der Piazza Manin bis zur Via Tolemaide, von der
Piazza Alimonda bis zur Scuola Diaz, von Foce bis zu
Bolzaneto
.In
der Nacht wissen wir beide jedoch was die Nacht
bedeutet. Wenn die anderen schlafen und wir nicht
gezwungen werden, eine Stärke zu zeigen, die wir
nicht hätten, wenn sie nicht ausschließlich
aus der Liebe für unsere Kinder käme, in der
Nacht denke ich über meinen Fehler nach. Wer hat
die Hand des Mannes bewaffnet, der meinen Carlo
umbrachte. Wer erlaubte oder befahl direkt die
Verwüstungen, die in unserer Stadt angerichtet
wurden, um dann die Gewalt und den Mord in jenen
Junitagen zu rechtfertigen. Es ist der gleiche, der im
Namen von Profit und Macht, Menschen in Hunger und
Elend stürzt, dass sie gezwungen sind zu
emigrieren. Andere lässt er ungebildet und
unkritisch, sodass sie unfähig sind, ihr Leben in
die eigene Hand zu nehmen.
Ich
kenne dich nicht persönlich Alberta, doch ich
stehe dir nahe. Ich habe in diesen Monaten gelernt,
dass die Nähe der Menschen gut tut. Ja, es gibt
so viele brave Menschen, so viele wunderbare junge
Menschen, für welche die Mühe wert ist, fest
zu bleiben. Ich bin nicht gläubig, aber ich
denke, dass wir für sie - wie Jesus Christus
lehrte - beginnen sollten, die Händler aus dem
Tempel zu treiben, will sagen aus unserem Leben, aus
unserer Welt, und das, bevor es zu spät
ist.
Ich
umarme Dich
die
Mamma von Carlo
(Übersetzung:
Günter Melle)
Emanzipation
Humanum,
Version 2. 2002, Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt,
Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe
und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere
Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen
nach Absprache möglich.

http://emanzipationhumanum.de/deutsch/politik8.html
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