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- - - GATS: ein gezielt herbeigeführter SUPER GAU für Demokratie und Gesellschaft - - -

Stoppt GATS!

Die Welt ist keine Ware

Wilhelm Neurohr

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Der drohende Ausverkauf unserer Städte und Gemeinden durch multinationale Dienstleistungskonzerne als Folge des WTO/GATS-Abkommens (1)

Wir haben es heute mit gewaltigen Finanzspekulationen auf den Kapitalmärkten zu tun. Die Börsen setzen weltweit etwa 1500 Milliarden US-Dollar täglich auf den Finanzmärkten um, 1970 waren es noch 70 Milliarden. Dass mittlerweile der bisher kommerziell noch unausgeschöpfte Dienstleistungsmarkt ins Visier genommen wird, d.h. die öffentlichen Dienstleistungen weltweit, speziell die vielfältigen kommunalen Dienstleistungen, hat damit etwas zu tun. Denn aus der Sicht der Spekulanten entziehen diese öffentlichen Einrichtungen den privaten Finanzspekulationen Unsummen an Geldern.

Es gibt diverse Veröffentlichungen mit Schätzungen und Spekulationen, die davon ausgehen, dass weltweit z.B. mit der Trinkwasserversorgung über 1 Billion Dollar erzielt werden könnten. Im Gesundheitswesen rechnet man mit ca. 2 Billionen Dollar jährlich - und im Bildungsbereich sogar mit bis zu 3,5 Billionen Dollar. Schon allein die national beschränkte "Riester-Rente" hat 35 Milliarden DM auf den Finanzmärkten zugunsten der kommerziellen Versicherungskonzerne freigesetzt. Es ist also zu ahnen, welche Begehrlichkeiten dahinterstecken, wenn nunmehr auch der breitgefächerte kommunale und regionale Dienstleistungssektor noch zusätzlich für den Kapitalmarkt erobert werden soll.

Schon lange, bevor das jetzt in Rede stehende GATS-Abkommen der Welthandelsorganisation (WTO) - mit dem ja nun sämtliche öffentliche Dienstleistungen aller Art zur handelbaren Ware erklärt werden und letztendlich auch der Mensch selber zur Ware wird - als internationales Regierungsabkommen unter Dach und Fach ist, war die Kommunalpolitik schon lange gezwungen, diesem Abkommen den Weg zu ebnen. Das GATS-Abkommen läuft deshalb weit geöffnete Türen ein. Die Zerfallsprozesse der öffentlichen Einrichtungen und die Privatisierungswelle sind ja gerade auch in Deutschland längst voll im Gange.

Das hat sehr viel damit zu tun, dass ja eine Steuerreform in verschiedenen Stufen durchgezogen worden ist - eingeleitet bereits von der früheren Regierung, besonders "nachhaltig" dann von der jetzigen rot-grünen Regierungskoalition umgesetzt - die zur Folge hat, dass die meisten Kommunen und die öffentliche Hand insgesamt sozusagen finanziell "ausgeblutet" sind. Zwar gibt es sicherlich Unterschiede zwischen einer prosperierenden Landeshauptstadt wie Stuttgart - mit einem starken Dienstleistungssektor als Behördenstandort, einer gesunden Mittelstandsstruktur und einer Konzentration von Industriebetrieben - und den Städten und Gemeinden etwa in den neuen Bundesländern. Es gibt aber bundesweit bereits eine große Zahl von Kommunen, die nicht weit von der Pleite entfernt sind.

Besonders krass erleben wir das bei uns im Ruhrgebiet: Es gibt hier kaum noch eine Stadt oder Großstadt oder einen Kreis im Ruhrgebiet, der auf gesunder finanzieller Basis steht und seine Finanzen noch in Ordnung hat. Das sind inzwischen fast alles sogenannte Haushaltssicherungsgemeinden, die von den Aufsichtsbehörden in den Einnahmen und Ausgaben und in ihrem Finanzverhalten streng kontrolliert werden. Die Kommunen können keine Investitionen mehr selbständig tätigen, sondern nur das Allernötigste mit Genehmigung der Aufsichtsbehörden tun. Damit ist kommunales Handeln praktisch unmöglich gemacht und brachgelegt. Es gibt keine politischen Gestaltungsmöglichkeiten und Handlungsspielräume mehr. Als Ausweg aus diesem Dilemma scheint man momentan nur die Privatisierung der Dienstleistungen zu sehen. Statt die Ursachen zu analysieren, wird an den Symptomen kuriert.

Eine wirksame Gemeindefinanzreform, wie sie von den kommunalen Spitzenverbänden und der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di seit langem gefordert wird, ist nicht in Sicht und wohl auch politisch nicht gewollt. In dieser Situation sehen sich die Kommunen, denen insbesondere die gewerblichen Steuereinnahmen weggebrochen sind, wohl oder übel gezwungen, sich von ihren öffentlichen Dienstleistungseinrichtungen und -angeboten zu trennen, und zwar von sämtlichen sogenannten "freiwilligen" Dienstleistungen einschließlich derjenigen mit Gemeinnützigkeitscharakter, also den nicht gesetzlichen "Pflichtleistungen". Letztere werden auch abgesenkt in den Qualitäts- und Leistungsstandards.

Kommerzialisierungswelle raubt kommunale Handlungs- und Gestaltungsspielräume: Verarmung der öffentlichen Haushalte und Niedergang des örtlichen Gemeinwesens

So geraten die Kommunen in einen weiteren Teufelskreis: Je mehr Dienstleistungen eingeschränkt oder aufgegeben werden, desto mehr bricht auch die zweite Säule der Gemeindefinanzierung weg, nämlich die Gebühreneinnahmen, die bisher für die erbrachten Dienstleitungen erhoben wurden. Das kassieren dann stattdessen die kommerziellen Anbieter in Form erhöhter Preise für zumeist verschlechterte Leistungen. Die Verarmung der öffentlichen Haushalte und der Niedergang des Gemeinwesens nehmen so ihren Lauf.

Deshalb überrollt jetzt diese Privatisierungswelle als Kommerzialisierungswelle sozusagen das Land. Aber auch ohne Not werden öffentliche Dienstleitungen, die vielleicht noch aufrechterhalten werden könnten z.B. mit alternativen Trägermodellen, aufgegeben, aus vorauseilendem Gehorsam oder neoliberaler Gesinnung von solchen Kommunalpolitikern, die dem amerikanischen Zeitgeist erlegen sind. Diese Abwärts-Entwicklungen sind derzeit in vollem Gange.

In den Osterferien war ich einige Tage an der Nordseeküste und bekam dort mit, dass der Kreis Nordfriesland seine drei kreiseigenen kommunalen Krankenhäuser nicht etwa stufenweise privatisieren will, sondern sozusagen über Nacht in einem einzigen Akt unmittelbar an eine große Kapitalgesellschaft komplett verkauft. Zwar gibt es noch verzweifeltes Bemühen des dortigen ver.di-Gewerkschaftsbezirkes, zusammen mit der Öffentlichkeit dagegenzuhalten, aber die Verträge sind offenbar schon so gut wie unter Dach und Fach. Weder die Bürger noch die Patienten sind gefragt worden, geschweige denn das Personal, das einfach wie eine Ware an diese auswärtige Kapitalgesellschaft mitverkauft wird.

Kommerzialisierung der kommunalen Wasser- und Energieversorgung nahezu abgeschlossen

Ein besonders sensibler Bereich ist die Trinkwasserversorgung. Wir haben bei uns im Ruhrgebiet mit der Gelsenwasser AG das wohl größte Trinkwasserversorgungsunternehmen der Bundesrepublik, das alleine im Ruhrgebiet und in angrenzenden Regionen 7 Millionen Menschen versorgt, aber auch noch in anderen Regionen tätig ist. Es handelte sich immer schon um eine Aktiengesellschaft, allerdings mit einer Mehrheit der kommunalen Anteilseigner. Nunmehr sind die Kommunen dabei, aus ihrer Haushaltsnot heraus und wegen der erzwungenen Haushaltskonsolidierung ihre Aktienanteile ganz oder teilweise an Private zu verkaufen. Je größer die Finanznot wurde, desto stärker wurden die Erwägungen, ihre Aktien komplett zu verkaufen und damit die regionale Wasserversorgung zu kommerzialisieren. Gelsenwasser plant nun den Gang an die Börse. - Die Folgen für die Wasserverbraucher kann man sich unschwer ausmalen. Interessanterweise ist im Vorstand von Gelsenwasser eine ehemalige grüne Bundespolitikerin gelandet, Gundula Röstel, die dort mit ihrem Umweltressort für die Vorstands- und Geschäftspolitik des kommerziellen Wasserversorgungskonzerns mit verantwortlich ist.

Das Gleiche lief bereits kürzlich mit dem Verkauf der kommunalen Anteile am regionalen Energieversorgungsunternehmen VEW/RWE. Mit dem Verkaufserlös konnten die Kommunen im Ruhrgebiet wenigstens wieder kleinere Investitionen tätigen, allerdings schwerpunktmäßig für kommunale und regionale Wirtschaftsförderung, d.h. es handelte sich eigentlich wieder um Subventionen zugunsten kommerzieller Unternehmen. In einzelnen Städten kamen Diskussionen auf über den Verkauf der kommunalen Stadtwerke. Jegliches "Tafelsilber" in Form von Gebäuden und Grundstücken haben die Ruhrgebietskommunen in ihrer Finanznot schon veräußert. Damit berauben sie sich selber ihrer Handlungs-, Gestaltungs- und Einflussmöglichkeiten. In Münster haben es die Beschäftigten im Zusammenwirken mit ver.di und der Öffentlichkeit geschafft, per Unterschriftensammlungen, Straßenaktionen und Bürgerbegehren im Stadtrat den Verkauf der Stadtwerke als öffentliches Nahverkehrsunternehmen zu verhindern.

Die jüngsten Debatten und Verhandlungen drehen sich nun um die kommunale und regionale Abfallentsorgung im Ruhrgebiet. Erst letzte Woche war ich als Gewerkschafts- und Personalratsvertreter in einem Arbeitskreis des ver.di-Landesbezirkes NRW damit befasst, durch einen kommunalen Abfallentsorgungsverbund mehrerer Städte und Kreise des Ruhrgebietes den Zugriff durch kommerzielle Monopolisten zu verhindern. In den Stadträten und Kreistagen hat es sehr kontroverse Debatten und teilweise Kampfabstimmungen gegeben. Die Landes-CDU NRW möchte am liebsten die Abfallentsorgung komplett an Private geben. Nach dem Korruptions- und Parteispendenskandal in Köln im Zusammenhang mit privaten Abfallentsorgungsfirmen hat dann allerdings die ganze Diskussion eine Wende zugunsten des kommunalen Abfallentsorgungsverbundes genommen, so dass auf Bürgerinteressen und Preisgestaltungen, auf die Umweltstandards sowie Arbeits- und Sozialstandards für die Beschäftigten weiterhin Einfluss genommen werden kann.

Prinzip der Solidarität auf Gegenseitigkeit wird ersetzt durch das Prinzip der privaten Zahlungsfähigkeit: Es droht das Ende der Gemeinnützigkeit und Gemeinwohlorientierung

Diese konkreten Beispiele aus meinem Umfeld erwähne ich auch, um zu verdeutlichen, dass im Geiste des GATS-Abkommens und im Vorgriff darauf, bewusst und unbewusst oder auch erzwungenermaßen, sozusagen aus vorauseilendem Gehorsam und neoliberalem Zeitgeist, die Liberalisierungswelle schon längst im Gange ist. Wenn GATS in vollem Umfang in Kraft getreten ist, dann sind eigentlich schon 50% des Feldes beackert und erledigt. Es ist dann nicht mehr gar so viel, was übrigbleibt. Das Prinzip der Solidarität auf Gegenseitigkeit wird dann fast vollständig ersetzt sein durch das Prinzip der privaten Zahlungsfähigkeit.

Schon derzeit ist das kommunale Gemeinwesen nur deshalb aufrechtzuerhalten, weil 30 bis 40% der Bürger gemeinnützig tätig sind und sich ehrenamtlich für ihr Gemeinwesen engagieren. Durch GATS wird aber auch dieser Non-Profit-Sektor künftig gefährdet sein, weil öffentliche Gelder oder Personaleinsätze für gemeinnützige Aufgaben immer dann als unzulässige Subventionierung gelten würden, wenn kommerzielle Anbieter mit der gleichen Dienstleistung auf den Markt wollen. Die öffentlichen Anbieter haben dann zurückzutreten oder Sanktionen in Kauf zu nehmen.

Während sich die Kommunen und andere öffentliche Träger einschließlich Wohlfahrtsverbände im Moment noch dem Wettbewerb mit privaten kommerziellen Anbietern stellen können oder teilweise müssen, wird es künftig also einen absoluten Vorrang für die kommerziellen Anbieter geben, d.h. jedes Mal dann, wenn ein privater Anbieter in bestimmter Qualität möglicherweise zertifiziert eine Dienstleistung erbringt, hat sich die Kommune oder der gemeinnützige Träger zurückzuziehen und dem Privaten das Feld zu überlassen, andernfalls sind Sanktionen auch wegen unzulässiger Subventionierung zu befürchten. Es können dann auch die kommerziellen Anbieter öffentliche Zuschüsse oder Fördergelder im Sinne der Gleichbehandlung beanspruchen und auch alle sonstigen Begünstigungen wie bevorzugte Genehmigungen etc. für sich reklamieren - es sei denn, die Kommune verzichtet auch für ihre eigenen oder gemeinnützigen Einrichtungen auf eine Finanzierungshilfe oder Personalgestellung.

Das GATS-Abkommen wirkt also auch in den Bereich hinein, der weniger das staatliche oder kommunale Engagement betrifft - davon ist ja schon nicht mehr allzu viel übriggeblieben - sondern greift jetzt auch stark in den Bereich hinein, der auf kommunaler Ebene besonders stark ausgeprägt ist: in das gemeinwohlorientierte Betätigungsfeld der Gemeinnützigen, der freien Träger, der Eltern- und Bürgerinitiativen mit selbstverwalteten Einrichtungen, die Dienstleistungen selber organisieren und in Eigenverantwortung erbringen. Zudem wird GATS noch viele negative Nebeneffekte erbringen z.B. in bezug auf die Sozial- und Umweltstandards, auf Verbraucherschutz, Arbeitsschutz und sogar auf Stadtentwicklung und städtebauliche Gestaltung. Bestehende gesetzliche Einschränkungen - z.B. für nicht integrierte Einkaufszentren auf grüner Wiese zugunsten der Innenstadtentwicklung - sollen laut GATS aufgehoben werden usw. Es gibt ja auch schon seit längerem nach dem Bundesbaugesetz anstelle der Aufstellung von Bebauungsplänen durch Gemeinden das Instrument der sogenannten Vorhaben- und Investitionspläne, mit dem private Investoren die städtebauliche Gestaltung über vereinfachte Verfahren vorgeben und die Gemeinden deren Pläne nur noch formalrechtlich vollziehen und so ihre eigene Planungshoheit einschränken.

Öffentliche Dienstleistungen werden gebetsmühlenartig in Misskredit gebracht und die Privatisierung als Allheilmittel gepriesen - Haben Dienstleistungen Warencharakter?

Hält man sich vor Augen, was alles beispielhaft hier Genannte in der Konsequenz bedeutet, so ahnt man das komplette Ende der öffentlichen Dienstleistungen und öffentlichen Rechtsgestaltungen und damit auch der Gemeinwohlorientierung, zugunsten der bloßen Profitorientierung. Der Kerngedanke der kommunalen Selbstverwaltung - als "demokratische Keimzelle des Staates", wie schon jedes Schulkind lernt - war ja ursprünglich der, dass die örtliche Gemeinschaft ihre Versorgungsangelegenheiten selber eigenverantwortlich und nicht fremdbestimmt regelt. Darum muss man sich das, was jetzt passiert, deutlich vor Augen halten: Der Gemeinschaftssinn geht verloren.

Man erlebt ja täglich, wenn man nur die Zeitung aufschlägt, dass da gebetsmühlenartig seit Jahren - eigentlich schon seit Anfang der 90-er Jahre - die öffentlichen Dienstleistungen schlecht geredet werden. Sie werden pauschal als ineffizient verdammt, ja, sie werden sozusagen in Misskredit gebracht, diskreditiert, und als Allheilmittel wird dann die Privatisierung (soll heißen: Kommerzialisierung) gepriesen. Und die Kommunen, teils aus Überzeugung, teils aus den Zwängen heraus, wie aufgezeigt, sind auch eifrig dabei, ihre Dienstleistungen, wo immer möglich, zu privatisieren, auszugründen oder Outsourcing zu betrieben.

Wir haben bei uns in Recklinghausen - ich bin ja dort in der Kreisverwaltung auch als Personalratsvorsitzender tätig - Unternehmensberater im Hause. Sie haben vom Kreistag und der Verwaltungsführung den Auftrag für fast 1 Mio. DM erhalten, ohne Tabus alles betriebswirtschaftlich zu durchforsten, was sich überhaupt an Verwaltungsdienstleistungen einsparen oder privatisieren lässt, ohne irgendeine Vorgabe zur Beachtung gemeinwohlorientierter Interessen. Da wird einiges zu erwarten sein an heiklen Vorschlägen, so dass sich auch hier der Trend beschleunigen wird, mit dem die Privatisierungswelle die Kommunen lawinenartig überrollt. Würde man einmal vollständig Bilanz ziehen, was in den letzten 7 Jahren auf dem Sektor schon alles passiert ist, ich glaube, das wäre eine sehr erschreckende Bilanz.

In diesem Zusammenhang muss man immer wieder die Frage ansprechen, was denn Dienstleistungen von Menschen für Menschen überhaupt sind. Haben die überhaupt Warencharakter? Kann man da von Produkten und dergleichen sprechen? Das ist eine Diskussion, die sehr intensiv, aber einseitig geführt wurde landauf, landab in fast allen Kommunalverwaltungen, die ja gewisse Modernisierungs- und Reformprozesse durchlaufen haben, z.T. unter dem Arbeitstitel "Neue Steuerung". Danach sollen ja die Kommunalverwaltungen wie ein privatwirtschaftlich agierender Betrieb arbeiten, mit Produktbildungen, Produkten usw. Dabei wurde alles mögliche, auch die sozialen Dienstleistungen, die Beratungs- und Gesundheitsdienstleistungen, die Bildungsdienstleistungen etc. als Produkte definiert und mit bestimmten Kennziffern versehen, die dann quantifizierte Qualitätskriterien sein sollen und dergleichen mehr.

Das Verlorengehen des Bewusstseins davon, was eigentlich menschliche Beziehungsdienstleistungen sind, ist allenthalben feststellbar. Wir versuchen deshalb in Recklinghausen ein Projekt im Rahmen der Lokalen Agenda 21 aufzuziehen, im Gebäude der alten Feuerwache in der historischen Altstadt, in dem wir uns vor allen Dingen um ein Bewusstsein für die Ethik von Dienstleistungsbeziehungen, für "ethische Dienstleistungen" nach bestimmten Kriterien bemühen wollen, die dann auch in der Feuerwache angeboten werden sollen. Das Ganze ist zugleich gedacht als Agenda-Zentrum, als Nachhaltigkeitszentrum, als Bürgerzentrum und Treffpunkt für die Zivilgesellschaft vor Ort, wo wir an dieser Frage der örtlichen Dienstleistungen auch im Sinne von "global denken und lokal handeln" bewusstseinsmäßig wie auch ganz praktisch arbeiten wollen.

Das sind natürlich kleine Versuche und bescheidene Ansätze , bei denen man gar nicht absehen kann, was mit solchen Modellen passiert, wenn GATS verbindlich ist. Kann man dann so etwas wie eine GATS-freie Zone ausrufen und einfach trotzig seine Dienstleistungen weiterhin anbieten, abwartend, was denn dann wohl an Sanktionen kommt? Das ist jetzt noch Zukunftsmusik und vielleicht wird niemand einen so wenig profitablen Kleinbereich in Frage stellen. Es ist aber wichtig, denke ich, in den örtlichen Gemeinschaften an solchen Themen konkret und ernsthaft zu arbeiten. Denn das Bedenkliche und Bedrohliche, was momentan feststellbar ist, das ist eigentlich das abnehmende oder fehlende Bewusstsein für öffentliche Verantwortung, für öffentliche Interessen und Bedürfnisse der Menschen. Auch bei den Kommunalpolitikern, so merkt man in Diskussionen, schwindet immer mehr dieses Bewusstsein für die Bedeutung und den Kerngedanken der kommunalen Selbstverwaltung, der immer mehr verwässert und diffuser wird.

Verfassungsrechtliche Garantien für die kommunale Selbstverwaltung: Eigene Verantwortung und Zuständigkeit der Bürger für öffentliche Aufgaben in Gemeinwohlorientierung vor Ort

Was ist die rechtliche, speziell die verfassungsrechtliche Seite der Sache? In der Kommunalverfassung sind drei Prinzipien für die kommunale Selbstverwaltung genannt, die deren verloren gegangenen Ursprungsgedanken zum Ausdruck bringen; zudem gibt es Besitzstandsgarantien für Gemeinden und Kreise als untere demokratische Ebenen nach dem Grundgesetz. Wenn GATS in der letzten Konsequenz kommen würde, dann könnten wir die partizipatorische Basisdemokratie vor Ort fast gänzlich vergessen, ebenso das Gemeinnützigkeits- und Selbstverwaltungsprinzip. Das GATS-Abkommen ist deshalb eindeutig verfassungswidrig.

Von Gesetzes wegen heißt es in der Kommunalverfassung ganz deutlich: Die örtliche Gemeinschaft regelt alle Angelegenheiten der Daseinsvorsorge in eigener Verantwortung und Zuständigkeit. Also alle Angelegenheiten der kompletten Daseinsvorsorge werden durch die örtliche Gemeinschaft selber geregelt in ganz eigener Zuständigkeit. Das muss nicht unbedingt heißen, auch alles in eigener Trägerschaft durchzuführen, sondern die Gemeinde kann selber regeln, wie sie das ausgestaltet: ob sie das der Eigeninitiative der Bürger überlässt, ob sie also das Subsidiaritätsprinzip zum Zuge kommen lässt - sie muss nur verantwortlich dafür sorgen, dass die Daseinsvorsorge vor Ort gewährleistet ist und die Versorgung funktioniert. Das ist ein ganz wichtiges Prinzip, welches die Kommunalverfassung ausdrückt und eine Fremdbestimmung von außen oder von oben wie z.B. durch GATS ausschließt. (Ich beziehe mich unmittelbar auf die Kommunalverfassung von NRW, diese ist jedoch gleich- oder ähnlichlautend in den anderen Bundesländern.)

Dann gibt es ein zweites, mindestens ebenso wichtiges Prinzip, was die Zuständigkeit der Gemeinden angeht. Da heißt es: Die Gemeinden fördern das Wohl ihrer Einwohner in freier Selbstverwaltung durch ihre von der Bürgerschaft gewählten Organe. Hier ist also vom Wohl der Bürge die Rede, von freier Selbstverwaltung und vom Demokratieprinzip. Die von der Bürgerschaft gewählten, demokratisch legitimierten Organe regeln alle diese Fragen der Daseinsvorsorge und der örtlichen Infrastruktur. Da ist also nicht die Rede davon, dass die Organe der WTO diese Rolle der örtlichen Kommunen und der dortigen Selbstverwaltungsorgane zentral übernehmen, sondern es bleibt unter der Autonomie der kommunalen Selbstverwaltungsebene, und einziger Maßstab ist das Wohl der Einwohner und nicht die betriebswirtschaftliche Gewinnmaximierung.

Schließlich gibt es ein drittes, wichtiges Prinzip, das den Wirkungskreis der Gemeinden angeht: Die Gemeinden sind in ihrem Gebiet die ausschließlichen Träger der öffentlichen Verwaltung. Ausschließlich! Es gibt keine anderen Träger, was die eigentlichen Verwaltungsaufgaben der kommunalen Selbstverwaltung ausmacht - das machen ausschließlich die Gemeinden selber! Jetzt müsste man sich darüber unterhalten, was unter "öffentlicher Verwaltung" zu verstehen ist und wie sie sich abgrenzt. Die klassischen Verwaltungsdienstleistungen gehören sicherlich in Gänze dazu, erst recht die hoheitlichen Aufgaben. Die Verfechter von GATS oder der Kommerzialisierungs- und Privatisierungsideologie haben es ja mittlerweile nicht nur auf diejenigen Dienstleistungen abgesehen, bei denen man sogar darüber streiten könnte, ob eine Kommune das erbringen soll, sondern sie dringen ja längst auch in die hoheitlichen oder rechtlichen Aufgabenfelder und Tätigkeiten der Kommunen ein. Bei uns in Recklinghausen hat z.B. das europaweite Leihwagenunternehmen Sixt versucht, die behördliche KFZ-Zulassung selber "kostensparend" für bundesweite Zulassungen zu übernehmen und den Rechtsstandpunkt eingenommen, es würde reichen, wenn ein einzelner Beamter in den Firmenräumen den letzten hoheitlichen Akt des bloßen Abstempelns durch die Firmenmitarbeiter kontrollieren würde: Vertreter der Straßenverkehrsbehörden als Handlanger der Privatfirmen.

Also öffentliche Verwaltung scheint auch im bisherigen Hoheitsbereich kein Tabu mehr für die Kommerzialisierer mit ihren Eigeninteressen zu sein, die z.B. längst auch in manchen Gemeinden die kompletten Baugenehmigungsverfahren anbieten oder den lukrativen Einstieg in die Sozialhilfe-Dienstleistungen anstreben, analog den privaten Arbeitsvermittlern. Auch wissen wir ja, dass es im Sicherheitsbereich längst private Dienste gibt mit eigenen Uniformen usw. Das wäre die letzte Konsequenz in Form der Kommerzialisierung des Staates und des Rechtswesens, das hier ausgehebelt werden soll, sind doch die amtlichen Kontrollen und Auflagen im Gemeinwohlinteresse den Privaten ohnehin ein Dorn im Auge und Angriffspunkt für angebliche "Bürokratie" und "Behördenwillkür" des "Wasserkopfes öffentlicher Dienst". Gerade im rechtlichen Bereich wird also der Staat mit seinen Ebenen angegriffen, also nicht nur dort, wo er sich vielleicht tatsächlich fragwürdig im Kultur- oder Wirtschaftsbereich selber betätigt.

Der Ausverkauf unserer Gemeinden durch verfassungswidrige Entwicklungen und Entscheidungen: Kann vom Widerstandsrecht nach dem Grundgesetz Gebrauch gemacht werden?

Die drei genannten wesentlichen Prinzipien der Kommunalverfassung werden noch ergänzt durch den wichtigen rechtlichen Hinweis, dass Eingriffe in die Rechte der Gemeinden nur durch Gesetz zulässig sind. Also dasjenige, was durch GATS geplant ist und auf uns zukommt, ist rechtlich unzulässig und verfassungswidrig! Das nimmt scheinbar niemand wahr und greift auch keiner an oder auf. Wie gesagt: die Selbstverwaltung wird ausschließlich durch den Willen der örtlichen Bürgerschaft bestimmt, dort findet die Willensbildung statt, und gegen diesen Willen hat nichts anderes stattzufinden durch äußere Einflüsse von oben.

Schließlich heißt es noch nahezu gleichlautend in den Kommunalverfassungen aller Bundesländer: Die Gemeinden schaffen die für ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Versorgung ihrer Einwohner erforderlichen öffentlichen Einrichtungen. Die Gemeinden schaffen diese also und niemand sonst, in welcher Organisationsform oder Selbstverwaltungslösung auch immer. Es ist also die ausschließliche Zuständigkeit der Gemeinden und es gibt einen Passus in der Gemeindeordnung und in den Kreisordnungen, dass aus dringendem öffentlichem Interesse sich die Gemeinden sogar wirtschaftlich betätigen dürfen, also außerhalb ihrer Rechtszuständigkeiten sich auch in den Wirtschaftssektor hineinbegeben dürfen, wenn es das öffentliche Wohl oder Interesse erfordert. Die Gemeinden dürfen also auch auf den Markt gehen.

Nun müsste gefragt werden, wie geht die Politik eigentlich vor dem Hintergrund von GATS mit diesen rechtlichen Vorgaben und deren Verfassungscharakter um? Es wird doch Verfassungsrecht schleichend gebrochen, und kaum jemand nimmt das wahr oder lehnt sich dagegen auf. Die Bürger sind größtenteils noch nicht informiert, weil die Kommunalverwaltungen und -parlamente ihrer gesetzlichen Unterrichtungspflicht gegenüber den Bürgern nicht nachkommen. Viele Politiker oder Verwaltungschefs sind selber ahnungslos oder arglos. Dabei passieren derzeit Dinge und Entwicklungen, die nach meiner persönlichen Auffassung die Anwendung des im Grundgesetz verankerten Widerstandsrechtes rechtfertigen würden! Es darf nicht vergessen werden, dass GATS im Zuge der neoliberalen Globalisierung kein Naturereignis ist, das unabänderlich über die Menschen hereinbricht, sondern Entscheidungsträger aus den Regierungsebenen, Ministerrunden und EU-Gremien sind daran willentlich und wissentlich beteiligt, ohne dafür eine parlamentarisch- demokratische Legitimation zu haben.

Abhängigkeit und Zersetzung der kommunalen Selbstverwaltung im Zuge des "virtuellen Rathauses"

Ich will noch kurz einen zweiten Gefährdungszweig für die Kommunen aufzeigen, der im Moment auch durch die Gazetten geistert unter dem Begriff: "Virtuelles Rathaus / E-Government". Das ist auf den ersten Blick ein Vorhaben, das sich für die Bürger, Kunden und Klientel öffentlicher Verwaltungen und Dienstleistungen interessant und bürgerorientiert anhört. Wer will nicht im Sinne von Service-Verbesserung bequemer Weise sich über das Internet bestimmte Behördengänge ersparen und Antragsverfahren abwickeln, vielleicht Formulare abrufen und einreichen oder Auskünfte und Beratungen elektronisch einholen? Demnächst gibt es auch die digitale Signatur und dann kann man unterschriftsreif seine Verwaltungsangelegenheiten von zu Hause abwickeln. So weit, so gut. Das gehört zur Verwaltungsmodernisierung sicherlich dazu und zur Befriedigung der Bürgerinteressen wie auch zur Zeit- und Kostenersparnis im Interesse der kommunalen Haushalte. Oder wird es vielleicht unter dem Strich teurer?

Was sich hinter dem virtuellen Rathaus in den weit verzweigten Netzwerken und Abläufen tut, ist das eigentlich Bedenkliche. Dort, wo die netzfähigen Dienstleistungen entwickelt und angeboten werden, sind natürlich wie beim Wettlauf zwischen Hase und Igel die internationalen Dienstleistungskonzerne schon längst am Werke, die dort über die Lizenzen und als Netzbetreiber die Kommunen gewaltig in ihre Abhängigkeit bringen. Die Kommunen sind ja darauf angewiesen, sich dieser Netze zu bedienen und die Lizenzen teuer zu kaufen. Aber nicht nur das, sie gehen noch einen wesentlichen Schritt weiter: Die privaten kommerziellen Anbieter möchten in großen Teilen auch die Inhalte, welche bislang die Kommunalverwaltungen ihren Bürgern anbieten, von Beratungen bis zum Antragswesen, gleich selber erledigen und in Rechnung stellen. Künftig muss man sich das virtuelle Rathaus als weit verzweigtes Netzwerk vorstellen, weit über die Kommunal- und Landesgrenzen hinausreichend, in dem verschiedene Erarbeiter und Anbieter von Dienstleistungen Angebote ins Netz einspeisen, - Erarbeiter und Anbieter, die dann keine öffentlichen Einrichtungen mehr sind, sondern überwiegend kommerzielle Betreiber.

Für die Bürgerinnen und Bürger ist dann nicht mehr identifizierbar, ob es die eigene Kommunalverwaltung vor Ort war, die da ihre Dienste anbietet, oder ob von irgendwoher eine andere Stelle das ins Netz eingespeist hat, bis hin zur wahrscheinlichen Standardisierung der kommunalen Angebote für alle Gemeinden durch zentrale Anbieter. Im Sinne von Verwaltungskooperation oder -vereinfachung lässt sich sicherlich über manches nachdenken, was die Technik an neuen Möglichkeiten und Leistungs- oder Qualitäts- und Serviceverbesserungen bietet, aber es droht hier die schleichende Auflösung der Identität und Steuerbarkeit der eigenen Kommunalverwaltung vor Ort und deren Anonymisierung und Zernetzung. Bereits jetzt gib es Überlegungen, Sozialhilfe-Dienstleistungen oder Bauberatung durch zentrale Stellen über das Netz vornehmen zu lassen u. v. m. Das "virtuelle Rathaus" ist erklärtermaßen auch ein großes Rationalisierungsprogramm zur Einsparung von 30 bis 50% der Arbeitsplätze in den Kommunalveraltungen, langfristig sogar noch mehr. Laut Grundgesetz hat aber jeder Zugang zu öffentlichen Ämtern, die es dann aber in gewohnter Form nicht mehr geben wird.

Von daher wird manches von ganz anderem Geist und Interesse getragen sein als bisher, mit einer ganz anderen Zielrichtung und unbeeinflussbar durch die örtliche Gemeinschaft oder deren gewählten Gemeinderäte. Hinter dem virtuellen Verwaltung verbirgt sich dann keineswegs mehr das örtliche Rathaus, so dass man fragen kann: Was bleibt dann von der kommunalen Selbstverwaltung noch übrig?

Die Entmachtung der Kommunalparlamente und das Ende der partizipatorischen Basisdemokratie

Bislang haben wir noch die gewählten Kommunalparlamente als bürgerschaftliche Entscheidungsorgane, deren politischer Einfluss und Gestaltungsspielraum bereits verlorengegangen ist, nachdem die vielen Privatisierungs- und Ausgründungsmaßnahmen dazu geführt haben, dass die Entscheidungen außerhalb der Parlamente in Verwaltungs- und Aufsichtsräten fallen. Auch die Streichung der meisten freiwilligen kommunalen Aufgaben und die finanzielle Beschränkung auf die gesetzlichen Pflichtaufgaben haben die Gemeinderäte zu bloßen Verwaltungsräten degradiert. Wir erleben den Verlust öffentlicher und parlamentarischer Kontrolle und Beauftragung.

Die in Aufsichts- und Verwaltungsräte entsandten Ratsherren (Ratsdamen sind dort seltener vertreten) sind nicht wie Delegierte an Beschlüsse oder Weisungen der Kommunalparlamente gebunden, sondern nur ihren jeweiligen Gremien verpflichtet. Sie können also nicht in den Zwang genommen werden, bestimmte Ratsbeschlüsse dort auch zu vertreten und den Willen der Bürgerschaft und ihrer Organe zu vollziehen. Auch wenn die Vertreter sich faktisch oft politisch rückversichern, so ist das rechtlich jedenfalls nicht abgesichert und durch die Rechtsprechung inzwischen auch so klargestellt worden. Es verliert also der Gemeinderat immer mehr an Einflussmöglichkeiten nicht nur bei den ausgegründeten städtischen Eigenbetrieben, sondern erst recht bei den privatisierten Einrichtungen.

Bei uns im Kreistag von Recklinghausen ist man für diese späte Einsicht wach geworden anlässlich der Diskussion um die neuen Fahrpläne für den Hauptbahnhof Recklinghausen durch die privatisierte Bahn AG. Es ging zwar hier nicht um eine kommunale Aufgabe, obwohl ja die Regionalstrecken auch kommunal übernommen werden könnten, aber die politischen Folgen von Privatisierungen generell wurden schlagartig bewusst. Ohnmächtig diskutierte der Kreistag die rein betriebswirtschaftlichen Überlegungen der Bahn AG, den Hauptbahnhof einer Großstadt mit 130.000 Einwohnern für eine Region mit 700.000 Einwohnern - vergleichbar mit Stuttgart - sowohl als Intercity-Haltepunkt zu vernachlässigen als auch vom S-Bahn oder regionalen Taktverkehr abzuhängen. Ganz so schlimm kam es dann nach hilflosen Protesten und Resolutionen doch nicht - sonst könnte ich nicht mehr problemlos von Recklinghausen zu Vorträgen nach Stuttgart fahren - aber es wurde die knochenharte betriebswirtschaftliche Denkungsart des Bahnunternehmens deutlich, das auf regionalwirtschaftliche oder gemeinwohlorientierte Interessen der Bevölkerung und der Regionalversorgung keinerlei Rücksicht zu nehmen gewillt war. Die Recklinghäuser Nachbarstadt Herten mit über 70.000 Einwohnern hat nach wie vor überhaupt keinen Bahnanschluss für Personenverkehr mehr, inmitten eines Ballungsraumes, der sich jetzt unter dem Titel "Ruhrstadt" mit Weltstädten wie Paris oder New York messen will und vom Transrapid träumt.

Diese Erfahrung kann man übertragen auf andere, kommunale oder regionale Bereiche, die jetzt noch originäre Zuständigkeiten der Städte und Kreise sind und demnächst in private Hände übergehen. Ähnliches erlebte man bei der Abfallentsorgung, wo die Privaten erst mit Dumpingpreisen eingestiegen sind, um den Kommunen und Bürgern günstigere Entsorgungskosten und -preise zu suggerieren, um nach der Privatisierung als Monopolisten mit drastischen Preissteigerungen zuzuschlagen und obendrein die Arbeitsbedingungen der einstigen Kommunalbeschäftigten ebenso drastisch zu verschlechtern, von den früheren Umweltstandards erst gar nicht zu reden.

Das nahende Ende der kommunalen Selbstverwaltung - Welche Wertschätzung genießen die öffentlichen Dienste bei den Bürgern, werden diese für ihre Erhaltungkämpfen?

Vor dem Hintergrund des Geschilderten - es sind ja alles Realitäten und eingetretene oder unmittelbar absehbare Entwicklungen, also keine Schwarzmalereien - wage ich die Prognose, dass es in absehbarer Zeit die kommunale Selbstverwaltung in der gewohnten Form nicht mehr geben wird. Wir werden die kommunale Selbstverwaltungsebene wahrscheinlich als öffentlichen, gemeinwohlorientierten und räumlich orientierten Sektor nicht mehr wiedererkennen und mit ihr auch nicht mehr die klassischen Verwaltungshierarchien und demokratischen Ebenen mit ihrem föderativen Aufbau: kommunale Selbstverwaltungsebene, Regional- oder Bezirksebene, Landesebene, Bundesebene. Ein verbliebener Rest an öffentlichen Dienstleistungen wird über ein Netzwerk in Kooperation und Durchmischung mit privaten Anbietern erhalten bleiben, sich aber von den kommerziellen Angeboten und Grundhaltungen kaum noch unterscheiden. Der Löwenanteil der bisher noch verbliebenen öffentlichen Dienstleistungen wird privatisiert, d. h kommerzialisiert oder eingeschränkt, teilweise auch aufgegeben sein. Absehbar sind bei dem, was übrigbleibt, auch die geringen Mitgestaltungsmöglichkeiten im öffentlichen Interesse. Privates und öffentliches Interesse wird noch mehr gleichgesetzt als bisher schon.

Das ist die negative Variante, eine Art Horrorszenario. Ob sich das so verwirklicht oder nicht, hängt natürlich davon ab, wie sehr die Menschen wieder eine Wertschätzung entwickeln für ihre selbst gestaltbaren und selbst verwalteten öffentlichen, gemeinwohlorientierten und gemeinnützigen Dienstleistungen in den örtlichen Lebenszusammenhängen und -gemeinschaften und für die basisdemokratischen Mitgestaltungsmöglichkeiten. Denn eine soziale, kulturelle und wirtschaftliche Erneuerung vor dem Hintergrund des neoliberalen Zeitgeistes wird ganz wesentlich von der Initiative, der Eigenverantwortung und dem Gemeinsinn der Menschen in den Städten und Gemeinden abhängen, wo sich jeder Einzelne individuell einbringen kann. Wir müssen wissen: GATS ist ein Angriff auf Freiheit, Gerechtigkeit und Solidarität!

Handlungsmöglichkeiten und -notwendigkeiten und Alternativen: GATS muss verhindert werden zugunsten eigenverantwortlicher Gemeinwesengestaltung

Was kann man jetzt tun kann gegen diese bedenklichen und erschütternden Entwicklungen? Ich will hierzu nur kurz berichten und andeuten, was wir in Recklinghausen versuchen. Die Menschen in anderen Städten werden ihre spezifischen Handlungsmöglichkeiten ausloten müssen.

Wir haben im Zusammenwirken von Attac, ver.di und Agenda 21 verschiedene Aufklärungen gestartet. Auf einer Personalversammlung für die 1400 Beschäftigen meiner Kreisverwaltung im Ruhrfestspielhaus sowie in unserer Betriebszeitung habe ich über die drohenden Gefahren durch GATS schon voriges Jahr informiert, ebenso in interkommunalen Personalrätekonferenzen und in den Gremien von ver.di - immerhin die größte Einzel- und Dienstleistungsgewerkschaft der Welt - beginnend in den Bezirksvorständen bis hinauf zum Landesvorstand NRW. Wir werden auch mit dem ver.di-Bundesvorsitzenden Frank Bsirske das Thema GATS diskutieren.

Mit der lokalen Agenda 21 in Recklinghausen bringen wir in Kürze das Thema GATS in die Runden Tische ein mit dem Ziel, das auch in den Stadtrat und Kreistag zu transportieren, verbunden vielleicht mit Unterschriftenaktionen und einem Bürgerantrag an den Rat, eine Unterrichtung der Bürgerschaft gemäß Gemeindeordnung einzufordern. Mit der Attac-Ortsgruppe planen wir im Bundestagswahlkampf im September eine öffentliche Podiumsdiskussion mit den heimischen Bundestags- und Europa-Abgeordneten über das Thema GATS, nachdem wir anlässlich der Privatisierung der Trinkwasserversorgung durch die Gelsenwasser AG bereits mit kreativen Straßenaktionen auf die spezielle Problematik aufmerksam gemacht hatten, durchaus mit starker Beachtung durch die Lokalpresse.

Danach wenden wir uns der berechtigten Frage nach den Alternativen zu. Angedeutet hatte ich ja bereits unser Bestreben im Rahmen der lokalen Agenda 21, mit unserem Projekt "Alte Feuerwache" als Zentrum von Bürgeraktivitäten in Recklinghausen Modelle und Bewusstsein zu entwickeln für den Dienstleistungsgedanken allgemein und für ethische Dienstleistungen (und wir wollen solche dann auch anbieten) und für das Subsidiaritätsprinzip. In der Kreisverwaltung versuche ich, ein Bewusstsein über die Chancen und Möglichkeiten der "Bürgerkommune" zu entwickeln. Das alles sind lokale und regionale Versuche, den menschenfeindlichen Bestrebungen von GATS aus zivilgesellschaftlicher Initiative etwas entgegenzustellen, damit die Diktatur der Märkte nicht auch noch die verbliebenen kommunalen Dienstleistungen zur Handelsware degradiert und öffentliche Dienstleitungen sogar für illegal erklärt, damit die Basisdemokratie nicht beseitigt wird und nicht ein faktisches Sozialstaatsverbot und ein Betätigungsverbot für die Kommen eintritt. Es geht also um die Prinzipien und die Zukunft einer solidarischen Gesellschaft und eines sozialen Gemeinwesens! Denn der Zugang zu Gesundheits-, Sozial-, Bildungs- und Versorgungseinrichtungen und zu bezahlbaren Wohnungen usw. sind Menschenrechte, gegen die mit GATS verstoßen würde. Deshalb ist die Individualisierung der globalen Verantwortung auf lokaler Ebene vonnöten. Eine andere Welt ist nur dann möglich, wenn mit Veränderungen vor Ort begonnen wird.

Es handelt sich um die im Rundbrief Nr. 9 vom Netzwerk gegen Konzernherrschaft und neoliberale Politik veröffentlichte überarbeitete Fassung eines Vortrags, gehalten im 3, Stuttgart, Freitag, 12. April 2002. Erstveröffentlichung in: Rundbrief Dreigliederung des sozialen Organismus, 13. Jg., Heft 2, Juni 2002, hg. von der Initiative Netzwerk Dreigliederung, Haußmannstr. 44a, 70188 Stuttgart, E-Mail: netzwerk@sozialimpulse.de, Internet: www.sozialimpulse.de. Der Verfasser war Abteilungsleiter für Stadt-, Regional- und Landesplanung ist jetzt freigestellt als Personalratsvorsitzender in einer Kreisverwaltung mit 1400 Beschäftigten sowie Sprecher des interkommunalen Personalrätearbeitskreises, stellv. Bezirksvorsitzender des ver.di-Fachbereiches Gemeinden sowie Mitglied im Lenkungskreis der Lokalen Agenda 21 und Agenda-Beauftragter der Kreisverwaltung Recklinghausen; beteiligte sich an den Gründungsvorbereitungen einer ATTAC-Ortsgruppe, publizierte früher in kommunalpolitischen Fachzeitschriften und war Mitbegründer eines Bürger. Seit über 10 Jahren im Netzwerk Dreigliederung mitwirkend.

siehe auch: Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus! Demokratie - nach Abraham Lincoln: Regierung des Volkes, durch das Volk und für das Volk - Gedanken, Fragen und Perspektiven, Wolfgang Fischer (pdf.version)
- Aufruf zur Unterschriftensamlung in ganz Österreich
„UG 2002: Nicht in unserem Namen!" Hochschulreform ja, aber in die umgekehrte Richtung, Warum das UG 2002 den Aufgaben von Hochschule und Wissenschaft in heutiger Zeit gerade nicht gercht wird - Innsbrucker Protestkomitee gegen UG02 unter Verwendung eines Beitrages von Univ.-Prof. Dr. Claudia von Werlhof, Innsbruck (Nov. 2002) [pdf.version]
NEIN zur neo-liberalen Privatisierung der Schulen und Universitäten!, Rede zum Streiktag der Universität Innsbruck am 24.04.2002, Claudia von Werlhof (pdf.version)
GATS - Die Kommerzialisierung der Menschlichkeit? Ein neuer Anlauf zur Selbstentmachtung der Politik, Jürgen Grahl ( pdf.version ) 3.2003


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Emanzipation Humanum, Version 7. 2002, Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt, Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen nach Absprache möglich.

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