Holocaust,
einzigartig oder nicht
-
welche Lehren ergeben sich aus der
Geschichte?
(pdf.Dokument)
siehe
auch: The
Unreporting of Iraq,
A
hidden Holocaust,
by David Cromwell
21st
Century Genocide: A
Mission of Peace to
Iraq,
by David Edwards
Christian
Simmerts Papier
zur NS-Zwangsrabeiter - Entschädigung hat zur im
folgenden dokumentierten Debatte im Debattenverteiler von
BasisGrün
geführt. Die Debattenbeiträge wurden leicht
redaktionell bearbeitet.
1.)
WF an Simmert und BasisGrün
Debattenverteiler:
Der
Artikel zur Debatte um Holocaust und Zwangsarbeit hat
versucht viele wichtige Aspekte zu berücksichtigen.
Auch den der Zukunft. Hierzu gehört m.E. aber auch das
Thematisieren ähnlich gearteter grausamer Taten an
anderen Orten und durch andere Menschen zu verschiedenen
Zeiten.
Ganz
konkret denke ich z.B. an den agent orange Biozid seitens
der US Streitkräfte in Asien. Wie kürzlich eine
STERN Bild-Reportage deutlich machte, denken die USA
überhaupt nicht an Wiedergutmachung. Der Bogen der
Grausamkeiten ließe sich sehr weit spannen:
Kolonialmassaker allüberall um nur ein Stichwort zu
nennen.
Wenn
die Deutschen an wahrhafte Wiedergutmachung denken, dann
müssen ähnlich geartete Grausamkeiten ebenfalls
zum Thema der Wiedergutmachung an die Öffentlichkeit
gebracht und ins Bewußtsein gehoben werden, sonst
wirkt die Aktion erstens verlogen und zweitens könnte
die fatale Frage aufkommen: wieso immer nur wir?
(zurück zu 4.)
2.)
Zu 1.
(KS an WF):
Ich
halte es für ausgesprochen dumm (bestenfalls), wenn
immer wieder in Diskussionen über den Holocaust oder
wenn auch nur das Stichwort 'deutscher Massenmord an Juden'
genannt, die Verbrechen anderer Völker (soweit es
überhaupt Sinn macht, von Verbrechen von Völkern
zu reden) erwähnt werden. Es muß nicht mal
heißen, "die anderen haben aber auch..." - es ist so
schon fürchterlich genug...
Anscheinend
benötigen viele immer noch diese absurde
Gewissensberuhigung, als wenn ein Verbrechen dadurch
relativiert werden könnte, weil es andere - in
einzelnen Dimensionen - ähnliche Verbrechen schon gab.
Die deutschen Verbrechen an den Juden stehen einzigartig in
der Geschichte da - in ihrer kalten und technologischen
Perfektion, in der moralischen Beteiligung einer bis auf
winzige Minderheiten involvierten deutschen
Bevölkerung, um nur zwei herausragende Charakteristika
zu nennen. Walser ist noch so halbwegs in die Schranken
gewiesen worden, als er Sachen sagte, die die deutschen
Verbrechen an den Juden relativierten, in dem er das
schlechte Gewissen (als "moralische Keule" oder wie er es
nannte) entsorgen wollte. Es sollte - finde ich - kein
schlechtes Gewissen sein, denn mein Gewissen regt sich bei
dem, was ich selbst tue und zu verantworten habe, aber ein
immer wieder neues Erschrecken und Erschaudern vor dem, zu
was Menschen fähig waren und sind. Das sollte - nicht
institutionalisiert, sondern auf der persönlichen,
intimen Ebene - immer wieder und für alle Zukunft wach
gehalten werden !
3.)
Zu 2.
(WF an KS):
Lieber
Klaus, entweder hab ich mich falsch ausgedrückt oder Du
hast etwas völlig anders verstanden als ich es meine.
Es kann hier NIE um ein Relativieren gehen. Es kann NUR
darum gehen, aus der Geschichte zu lernen; neben dem
Wiedergutmachen selbstverständlich soweit das
überhaupt möglich ist!
Ja,
es stimmt, daß das deutsche Verbrechen an den Juden
eine besondere Aufmerksamkeit erfordert. Wie soll aber
dieses Verbrechen moralisch gesühnt werden können,
wenn andere Verbrechen nicht ebenfalls thematisiert werden?
Eine wahrhafte Sühne des einen mit Hoffnung auf einen
Lernprozeß für die Zukunft ohne das andere zu
berücksichtigen ist sicher nur dem Schizophrenen
möglich! Das Verbrechen an den Millionen schwarzen
Sklaven, an der Sklaverei bis heute, das Verbrechen an den
nordamerikanischen Indianern, der lateinamerikanischen und
weltweiten indigenen Bevölkerung, das Verbrechen an den
Frauen bis heute, die eiskalt platzierten Atombomben von H.
und N., weitere Kriegsverbrechen, das Wegschauen vom AIDS
betroffenen afrikanischen Kontinent (die Reihe ist leider
lange fortsetzbar) - all diese Verbrechen schreien nach
Gleichbehandlung!
Wir
stimmen ja in der Bewertung des Holocaust völlig
überein! Denn der kalt-traurige Schauder im
Bewußtsein meiner obigen Aufzählung
läßt mich nie los! Deutet das etwa auf Dummheit
(bestenfalls) meinerseits? (zurück zu 6.)
4.)
Zu 1.
(JP an WF):
Was
soll an der Stiftung, wie sie ist, verlogen
wirken?
Etwas
anderes ist verlogen. Wer Kolonialmassaker anderer mit der
Vernichtung der europäischen Juden in Verbindung
bringen will oder "ähnlich geartete Grausamkeiten"
anführt, der will immer die Shoa relativieren, die
deutsche Verantwortung vor der ganzen Welt auf diese Weise
abschwächen und sich in die Gesellschaft der
Revisionisten begeben.
Bitte
über die Gaskammern und die industrielle Verarbeitung
von Millionen Menschen zu Seife nachdenken und dann erst
eine Mail schreiben.
5.)
Zu 4.
(WF an JP):
Ich
weiß nicht was an der Stiftung verlogen ist - habe so
etwas auch nie gemeint. Das Verlogen bezog sich auf eine
Zahlungsbereitschaft der betroffenen Industrie aufgrund zu
erwartender wirtschaftlicher Nachteile. Es wird ja leider
immer noch nicht aus Einsicht in das gesetzte Unrecht heraus
bezahlt, oder? Das geht ja wohl klar aus dem Simmert Papier
heraus. Verlogen ist das vor dem Hintergrund des
jahrzehntelange Abwehren nachträglichen Bezahlens all
der Betroffenen. Wie viele sind bereits verstorben, ohne
einen Pfennig gesehen zu haben? Das, zum einen, ist
verlogen! Verlogen wirkt darüberhinaus das, was ich in
der Antwort an S. bereits angesprochen habe: Wie soll dieses
Verbrechen an den Juden moralisch gesühnt werden
können, wenn andere Verbrechen nicht ebenfalls
thematisiert werden? Eine wahrhafte Sühne des einen mit
Hoffnung auf einen Lernprozeß für die Zukunft
ohne das andere zu berücksichtigen ist sicher nur dem
Schizophrenen möglich!
Das
Verbrechen an den Millionen schwarzen Sklaven, an der
Sklaverei bis heute, das Verbrechen an den
nordamerikanischen Indianern, der lateinamerikanischen und
weltweiten indigenen Bevölkerung, das Verbrechen an den
Frauen bis heute, die eiskalt platzierten Atombomben von H.
und N., weitere Kriegsverbrechen, das Wegschauen vom AIDS
betroffenen afrikanischen Kontinent (die Reihe ist leider
lange fortsetzbar) - all diese Verbrechen schreien nach
Gleichbehandlung und Thematisierung!
Nochmals,
es kann hier NIE um ein Relativieren gehen. Es kann NUR
darum gehen, aus der Geschichte zu lernen; neben dem
Wiedergutmachen selbstverständlich soweit so etwas
überhaupt möglich ist!
Eines
verstehe ich wirklich nicht. Wie kann der Hinweis auf andere
Genozide oder gar Biozide mißverstanden werden mit der
vermeintlichen Absicht, "die deutsche Verantwortung vor der
ganzen Welt auf diese Weise abschwächen zu wollen und
sich in die Gesellschaft der Revisionisten begeben zu
wollen"? Ich will doch das Gegenteil: nicht nur deutsche
Verantwortung sondern Verantwortung aller, die sich am Leben
vergreifen!
Jörg,
habe ich mich denn tatsächlich derart
mißverständlich ausgedrückt oder liegt mein
moralischer Anspruch anderen Menschen bereits dermaßen
fern, daß sie mich mißverstehen?
Ich
denke sehr viel über die Thematik nach und mir sind die
darüberhinaus die aktuellen Parallen sehr bewußt:
das heutige Weltwirtschaftssystem verarbeitet Milliarden von
Menschen zu Tode, wobei allerdings einige Tausend
tatsächlich daran verdienen.
6.)
Zu 3.
(KS an WF):
Stell
Dir mal folgende Situation vor:
Dein
Kind wurde gerade von einem Autofahrer totgefahren. Der
steht da, ganz traurige Miene und sagt zu Dir: "Ja, ja, ich
weiß wie das ist, die Tochter meiner Schwester ist
letztes Jahr beim Skifahren tödlich
verunglückt..."
Vielleicht
verstehst Du jetzt, was ich meine.
Wenn
Du verschiedenes, das eine gewisse Ähnlichkeit hat, in
ein und demselben Zusammenhang nennst, stellst Du beides
auf's selbe Niveau - das ist ganz unausweichlich. Ob Du das
nun beabsichtigst oder nicht, ist unwesentlich. Wenn Du
nicht spürst oder verstehst, daß das schrecklich
ist, hast Du da einen ganz heftigen schwarzen Fleck in der
Optik !
Noch
etwas: Wenn Du auf einen inneren Zusammenhang zwischen den
verschiedenen Völkerverbrechen hinweisen willst,
verstehe ich schon, was Du meinst. Vielleicht sind wir da
auch nicht ganz einer Meinung, denn ich bin der Ansicht,
jeder Mord, jede Mißachtung von Leben hat eine
gemeinsame Wurzel in einem Syndrom der Lebensfeindlichkeit.
Aber darüber muß mensch unter diesem Thema
reden.
Eine
ganz andere Frage ist, ob Sühne überhaupt
möglich ist und was das überhaupt sein soll. Ich
kann mir darunter sinnvollerweise - abseits von
religiösen Konzepten der Selbstschädigung als
einer Art Kompensationsgeschäft - nur vorstellen,
daß ich, wenn ich mich in irgendeinem Sinne schuldig
gemacht habe, erstens mal als Grundlage versuche, den
angerichteten Schaden so weit möglich wieder
auszugleichen (was bei einem Mord fast völlig
unmöglich ist) und weiter - im eigentlichen Sinne -
versuche, mein Leben grundlegend so zu ändern,
daß mir etwas vergleichbares nie wieder passieren
kann.
Gerade
unter diesem Aspekt scheint mir das gesamte heutige
Sühnegetue völlig daneben: Denn die
Einzigartigkeit des Holocaust und die Pseudo-Übernahme
der Schuld wird gerade dazu benutzt, sich selbst zu
beschwichtigen, wir Heutigen hätten ja gar nichts mehr
damit zu tun, unsere heutigen Gesellschaften seien ja sooo
zivil, daß ein Rückfall in die Barbarei zwar
nicht undenkbar - deshalb die ritualisierten
Gedenkveranstaltungen, Mahnmahle etc. - aber doch inzwischen
sehr unwahrscheinlich sei. Die gesellschaftlichen
Repräsentanten weisen mit dem Finger auf die Neonazis
(die anderen) oder auf Haider (der andere) - und dabei
gerät völlig aus dem Blickwinkel, daß die
Barbarei in einer ihrer schlimmsten Manifestationen,
nämlich dem Krieg, angefangen vom Falklandkrieg der
Maggie Thatcher, über den Golfkrieg bis zum Kosovokrieg
schon wieder Einzug in die westlichen "Kultur"-Nationen
gefunden hat...
Und
dazu noch in einer anderen menschenverachtenden
Manifestation: dem Abschieben von Asylsuchenden, das in
einem Umfang von der jetzigen "rot-grünen" Regierung
weiterbetrieben wird, das dem der Kohlregierung nicht
nachsteht.
Wenn
Du mein Verständnis von Sühne (ich würd's
nicht mit diesem mißverständlichen Wort
bezeichen) verstehst, kannst Du vielleicht auch
nachvollziehen, daß ich Deinen Formulierungen: "Wie
soll dieses Verbrechen moralisch gesühnt werden
können, wenn andere Verbrechen nicht ebenfalls
thematisiert werden? Eine wahrhafte Sühne des einen mit
Hoffnung auf einen Lernprozeß für die Zukunft
ohne das andere zu berücksichtigen ist sicher nur dem
Schizophrenen möglich! " nicht zustimmen
kann.
Wenn
ich etwas gestohlen habe, kann ich versuchen, mich zu
ändern, damit ich in Zukunft frei davon werde.
Grundlegend gehört dazu, daß ich Stehlen
allgemein als falsch bewerte, aber dazu muß ich nicht
thematisieren, daß die grüne
Bundestagsabgeordnete 'Sowieso' letztes Jahr in jenem
Kaufhaus einen Lippenstift geklaut hat...
Du
konstruierst Dir da etwas zusammen, um Deinen
(unbewußten ?) Wunsch andere Völkerverbrechen im
Zusammenhang mit dem Holocaust nennen zu wollen, zu
rationalisieren. (zurück zu 15.
oder
16.))
7.)
Zu 6.
(WF an KS):
Klaus,
Du zielst irgendwie völlig an meiner Argumentation
vorbei. Um bei dem obigen Beispiel zu bleiben: Der
Todesfahrer zeigt sich bis ins Mark erschüttert. Neben
Schuldbekenntnis und versuchter Trostspende widmet er sein
Leben der Durchsetzung einer Risiko-Minimierung des
Autofahrens. Er plädiert für
Geschwindigkeitsbegrenzungen etc. - er geht an die
URSACHEN!
Ein
Verbrechen A zu benennen darf doch nicht daran hindern das
Verbrechen B zu sehen? Bei wem ist denn da der blinde
Fleck?
Was
DeineAusführungen von Noch
etwas... bis ...der Kohlregierung nicht
nachsteht"
angeht, herrscht weitgehend Konsens zwischen uns.
Noch
ein Wort zu moralisch gesühnt". Darunter verstehe
ich in diesem Kontext: Hintergründe und
Zusammenhänge, Schuldverstrickungen und Motivationen
klar zu analysieren und zu benennen und das ursächlich
Erkannte bewußt in die Kultur einzuarbeiten auf
daß sich Ähnliches nicht wiederhole.
Ich
gehe davon aus, daß trotz aller vordergründiger
Bekenntnisse in dieser Richtung ein aufrichtiger Wille
fehlt, den Tatsachen ins Auge zu schauen und die geforderten
Konsequenzen zu ziehen. Denn nach wie vor werden Emotionen,
die auch den Holocaust begünstigt haben, politisch
eiskalt berechnend instrumentalisiert. Sündenböcke
werden allüberall gemästet anstatt an die Wurzeln
der Probleme zu gehen.
Lippenstiftklau
und Verbrechen am Leben, welch ein Zusammenhang?!
Mir
geht es wirklich nicht um BENENNEN von Holocaust und anderen
Untaten im Zusammenhang, mir geht es einzig um die
GEMEINSAMEN ursächlichen Hintergründe:
Lebensverachtung, Machtstreben, Materialismus,
(religiöser) Separatismus etc.
Klaus,
nach dem was Du schreibst denke ich, daß wir
prinzipiell nicht so weit auseinander liegen.
Ich möchte eigentlich mehr erreichen
als nur das was Du forderst, ist denn das zuviel verlangt?
Gerade der Ungeheuerlichkeit des Holocaust wegen wären
wir Deutschen aufgerufen, grundsätzliche psychologisch
analytische Arbeit zu leisten und die Ergebnisse in
beispielhafter Gesellschaftspolitik umzusetzen. Ist das zu
weit geträumt in einer Zeit da das Berlin-Deutschland
großmachtpolitische Traditionen wiederaufgreift?
Daß dies im europäischen Rahmen geschieht
verbessert die Lage der ausgegrenzten Menschen leider nicht.
(zurück zu 16.
oder 18.)
8.)
Zu W F mit der Bitte um Kenntnisnahme der Fakten von
PH:
Im
Zweiten Weltkrieg unter dem Druck von Bombenangriffen und
Niederlagen wurde es den Nationalsozialisten möglich,
die Gesellschaft tendenziell totalitär zu
reorganisieren; Judenverfolgung und -ermordung (Die
Mikrokosmen der hauptstädtischen Kulturen Mitteleuropas
fanden sich wieder im Mikrokosmos der Todesfabriken. Kaum
jemand kannte bis dahin die Namen - Maidanek, Chelmno,
Treblinka, Sobibor, Auschwitz. Aber dies waren die
wirklichen Hauptstädte des Nazi-Reichs. Ein Lebensraum
als Totenreich.), Massenterror, Massenmobilisierung und eine
forcierte, Rüstung produzierende Zwangswirtschaft
(allerdings unter Beibehaltung des
Rentabilitätsprinzips!) leitete einen strukturellen
Wandel im politisch-gesellschaftlichen System ein, der nun
in den SS-Staat mündete, in dem die SS nicht nur
Terrorinstrument, sondern immer mehr auch selbständiger
und dominierender politischer, ökonomischer
(SS-Wirtschaftsunternehmen) und militärischer Faktor
(Waffen-SS) wurde. Die sich auflösenden Institutionen
des Staates UND der Gesellschaft gingen im "Massnahmenstaat"
unter - selbst die nationalistische Ideologie wurde jetzt
immer mehr einem europäisch-arischen Rassengedanken und
Rassenwahn jenseits von "deutscher Nation" und "Deutscher
Volksgemeinschaft" untergeordnet. Mit dem Ende des "totalen
Kriegs" in der "totalen Niederlage" am 8.5.45 brach nicht
nur der "SS-Staat" zusammen, sondern wurde auch eine Periode
der deutschen Geschichte abgeschlossen, die vor und im
Zweiten Weltkrieg bis zu 50 Millionen Menschen - Soldaten
und Zivilisten, politisch und rassisch Verfolgte - als Opfer
forderte.
Administrativ
organisierter und industriell durchgeführter Massen-
und Volkermord, diesen mit "Verbrechen an den Millionen
schwarzen Sklaven, an der Sklaverei bis heute, das
Verbrechen an den nordamerikanischen Indianern, der
lateinamerikanischen und weltweiten indigenen Bevoelkerung,
das Verbrechen an den Frauen bis heute, die eiskalt
platzierten Atombomben von H. und N., weitere
Kriegsverbrechen, das Wegschauen vom AIDS betroffenen
afrikanischen Kontinent" vergleichen zu wollen, die
"ursächlichen Hintergründe" auf "Lebensverachtung,
Machtstreben, Materialismus, (religiöser) Separatismus"
reduzieren zu wollen, wie Wolfgang Fischer es tut, weil es
ihm offenbar um nicht mehr als "moralische Sühne" geht,
was immer das praktisch sein mag, ist mir völlig
unverständlich.
9.)
Zu 8.
(WF an PH):
Lieber
Peter, ich weiß um all die von Dir aufgezählten
Details, vielen Dank trotzdem für Deine Antwort, denn
die Diskussion bringt vielleicht Klarheit in ein dunkles
Kapitel.
An
keiner Stelle bestreite ich die unglaubliche Schuld auf
Seite derer, die das ganze damals inszeniert haben. Was
lernen wir aber daraus, wenn wir heute vor lauter
monolithischer Erstarrung angesichts solcher Untaten und
Todesstrategien den Blick für die dahinterliegenden
Bedingungen vergessen zu schärfen um Analogien erkennen
zu können?
Wo
denn fehlt im Zusammenhang mit der Versklavung der
Schwarzafrikaner der von Dir angeprangerte Systematismus?
Wo? Glaubst Du denn etwa, das alles kam schicksalhaft
über die Menschen schwarzer Hautfarbe? Gar gottgegeben?
Oder am Beispiel des Schicksals der nordamerikanischen
Indianer, wo fehlt da der "administrativ organisierte"
Untergang? Gleiches gilt für das Beispiel der indigenen
Bevölkerung Lateinamerikas und alle anderen von mir
genannten Beispiele. Es geht nie um Gleichberechtigung
sondern um gewaltsam angeeigneten VORTEIL: Mann über
Frau, reich über arm, Macht gegen alle. Das ist doch
System, oder? Das lohnt sich doch zu hinterfragen, oder? Wir
sollten heute doch weiter gehen wollen als der Ansatz der
Psychoanalyse, die immer nur ein besseres Anpassen des
Einzelnen an die Bedingungen zu erreichen sucht, niemals
aber deren Überwinden.
In
den zentralen Bemühungen der modernen
Globalisierungsstrategen sehe ich ebenfalls einen
strukturellen Wandel im politisch-gesellschaftlichen System
(des Erdballs) einsetzen, der nun in den
Kapital-Global-Staat zu münden droht, in dem das
Kapital nicht nur Terrorinstrument, sondern immer mehr auch
selbständiges und dominierendes politisches,
ökonomisches Alleinregulativ zu werden droht (Deine
Worte leicht abgewandelt).
Was
entwickelte sich denn aus dem "europäisch-arischen
Rassengedanken und Rassenwahn"? Es ist doch nichts anderes
als die Vorstellung derer, die heute versuchen die Welt im
Sinne des Kapitals gegen die Menschen zu
regieren.
"Die
Armut unseres Jahrhunderts ist mit keinem anderen
vergleichbar. Sie ist nicht wie früher,
natürliches Resultat von Entbehrungen, sondern Resultat
von PRIORITÄTEN, die die Reichen dem Rest der Welt
diktiert haben." (John Berger, "Cada vez que decimos adios",
Ediciones de la Flor, Argentinien 1997)
Für
einige Menschen steht der Planet offen, doch für
Millionen Menschen ist die Welt ein Nichtort und sie ziehen
umherirrend von einem Teil zum anderen. Die organisierte
Kriminalität (vormals SS) bildet das Rückrat der
Rechtssysteme sowie der Regierungen. Es gibt genügend
Literatur darüber, daß viele Köpfe der SS in
die USA gebracht ihre "Intelligenz" in ein strategisches
Denken und Handeln haben einbauen lassen, das heute die
gesamte Welt in ein Konzentrationslager zu verwandeln sucht.
Wo fehlt da die von Dir angesprochene Systematik, wo der
Zwang, wo der Terror? Die Nazis zerstörten auch nicht
um des Zerstören willen, sie sahen einen Vorteil. Nicht
anders ist es heute.
Alles
fein säuberlich in einer Tradition, die ich
weitergehend hinterfragt und analysiert haben möchte
als es mit Mahnmalen, Geldzahlungen und rührseligen
Reden getan ist. Die Realität beweist, daß all
das viel zu wenig ist.
Wird
Dir mein Anliegen nun verständlicher?
10.
PhH zu dem Thema:
Die
Neo-Nazis haben mit ihrer Auschwitz-Relativierung einen ganz
schlimmen Erfolg erzielt: Sie haben einen der Wege
blockiert, über den in der dt. Zivilgesellschaft der
Holocaust aufgearbeitet wird.
Nämlich:
Als Reaktion auf diese Relativierung, die nur als
Ent-Schuldung dienen soll, ist ein Tabu gegen jeglichen
Vergleich von Verbrechen entstanden.
Im
Historikerstreit 1986, das ich im Auftrag des
Holocaust-Museums in Washington aufgearbeitet habe, gab es
ein Satz von der "Gegenseite" -- Nolte, Stürmer, usw.
-- den ich nicht von der Hand weisen konnte, wie ich beim
meisten, was diese Meute rauskotzte, durchaus konnte. Ich
weiß jetzt nicht wer genau es geschrieben hat, aber
der Satz lautet:
"Von
Unvergleichbarem lernt man nichts."
Ich
denke das stimmt. Daher sage ich nach wie vor: "Der
Völkermord der Nazis ist einmalig" aber nicht
"unvergleichbar." Kein einziger hat nämlich 6 Millionen
erschossen, sondern jeder einen oder Hundert oder Tausend.
Und selbst wenn man Höß (Hess?) heranzieht, der
für die Vergasung von 1 Millionen Juden verantwortlich
zeichnete und dieses uberwachte, so will ich trotzdem nicht
den kleinen SS-Mann aus den Augen verlieren, der "nur" ein
paar hundert umbrachte. Wie konnten so viele ihren Teil dazu
beitragen? Das ist die wirklich wichtige Frage. Und die
Antwort darauf findet man nicht nur in Deutschland in der 1.
Hälfte dieses Jahrhunderts.
So
viele Menschen wie ein einziger SS-Mann hat z.B. eben auch
ein Seemann umgebracht, der die gestapelten schwarzen
Gefangenen (von ihm gefangen) vor seinen Augen verrecken sah
und von diesen dann täglich ein Dutzend über Bord
warf -- die Glücklichen, verglichen mit dem Los der
meisten überlebenden. Es gab keine "Alliierten" die
diesen Holocaust beendeten. Er ging weiter, 300 Jahre lang.
Dadurch wurde, buchstäblich, die Schöngeisterei,
die wir unsere Zivilisation nennen, und die, wie wir meinen,
sowas auch verbietet, finanziert. Dadurch und durch den
Völkermord an den Indianern. Und alle wußten es.
Sie hielten es auch nicht für verwerflich, außer
Rousseau und ein paar andere. Napoleon, Erbe der franz.
Revolution, kämpfte lange und hart gegen die
Sklavenbefreiungsbewegung auf Haiti. Er hat sie auch
wiederversklavt, nachdem irgendwelche linke Spinner
während der Revolution sie alle befreit
hatten.
Dies
alles ist eine Infragestellung der dunkelen Seite unserer
Zivilisation. Der Holocaust bedingt auch eine
Infragestellung, eine andere: Nicht die, nach ihrem
übelen Ursprung sondern die, nach ihrer Wirkung. Aber
diese beide Themen schließen sich nicht aus,
"relativieren" sich auch nicht, sondern ergänzen
sich.
In
den USA sind es u.a. die Juden gewesen, die em
engagiertesten für die Gleichberechtigung der Schwarzen
kämpften. Andererseits war der einzige Jude mit
Kabinettsrang im US-Bürgerkrieg der Finanzminister der
Sklavenhalter-Konföderation (des "Südens").
Trotzdem überwog der erste Faktor, die Schwarzen in der
Bürgerrechtsbewegung vergaßen Finanzminister
Benjamin und erinnerten sich an die "Befreiungstheologie"
der Sklavenzeit, die v.a. auf den Auszug der Juden aus
Ägypten unter Moses basierte, auf dieser Basis
schmiedete man ein Bündnis gegen die
Rassendiskriminierung.
Erst
ab '68 entdeckten die Schwarzen ihre
3.-Welt-Solidarität mit den Palästinensern; nun
war es nur eine linke Minderheit der Juden, die die
Solidarität aufrechterhielten, nun gab es auch in den
USA eine hässliche Aufrechnung -- so nach dem Motto:
"Hört doch auf mit dem Gejammere über
Auschwitz,
was interessiert es uns, wenn sich Weiße ausnahmsweise
mal gegenseitig umbringen? Das Sklavensystem war viel
schlimmer, wir leiden jetzt noch darunter und euch geht es
Danke."
Das
hat sich Gottseidank nun etwas gelegt. Es wird Zeit, eine
produktive Diskussion über dieses Thema zu
eröffnen, in den USA und auch und gerade hier, aber
auch überall. Diese muß die Gräben und die
Tabus überwinden, die eine Diskussion unmöglich
machen, die v.a. gruppen- bzw. nationspezifisch sind, denn
die Diskussion muß im Gegenteil universell
verlaufen.
Gruppenspezifisch
-- nämlich deutsch-spezifisch -- ist eben ein Verbot
der vergleichenden Historie. Denn auch der Holocaust
fällt nicht außerhalb des Rahmens menschlichen
Tuns, muß also innerhalb dieses Rahmens aufarbeitbar
sein. Alles andere verneint die zivilisatorischen
Grundsätze, gegen die die Nazis gekämpft
haben.
V.a.
sollten wir lernen, daß der Holocaust UNSERE
Katastrophe ist. Es ist nicht das schlimmste "der ganzen
Weltgeschichte" -- sowas kann es gar nicht geben, denn die
Beurteilung eines solchen Vorgangs spielt IMMER im Rahmen
einer Zivilisation ab. Nur dieser Rahmen bietet den
Maßstab für eine Beurteilung. Die Menschen
außerhalb Europas/ Nordamerikas haben einen anderen
Rahmen, wer weiß, z.B. in Japan, denn überhaupt,
was der Unterschied zwischen Juden und Christen ist? (Meist
wird z.B. bei uns die Zahl der Weltkriegstoten mit 50
Millionen angegeben. Auf diese Zahl kommt man nur, wenn man
die fast gleich große Zahl der Toten in Ostasien
wegläßt.) Damit will ich aber auch nichts
relativieren, sondern im Gegenteil: den Maßstab setzen
für einen Dialog, der zu einen weltweiten Rahmen
führt, der nicht nur von uns Europäern festgelegt
wird.
Aber
ein letzter Satz -- ein sachlicher Ton muß auch her.
Wer die endlos erweiterbare Liste historischer Verbrechen
plakativ anschlägt und mit dem Verweis "nicht nur der
Holocaust ..." seinem Gegenüber um die Ohren haut, darf
sich nicht wundern, wenn er damit die Tabu-erhaltende
Holzhammer-Reaktion hervorruft (8.).
11.)
zu 10.
(WF an PhH):
Das
sehe ich genauso, Phill. Ich sehe, Du hast den Punkt, auf
den es mir ankommt, verstanden. Es ist tatsächlich
fatal, wenn die hintergründigen Zusammenhänge auf
denen diese für die Mehrheit der Menschen sich
nachteilig auswirkende Zivilisation aufbaut, weiterhin nicht
thematisiert und damit nicht hinterfragt und damit
perpetuiert werden.
12.)
zu 10.
(JP an PhH):
Eine
harte Forderung, denn ich kenne niemanden, der das
größte aller Verbrechen "aufarbeiten"
könnte. Denn es konnte mir bisher
niemand erklären, wie es zum Holocaust kommen konnte.
Was für ein Mensch muß das sein, der den
Holocaust erklären kann? Erst wer das Geschehen
vollständig erklären kann, kann aber wagen,
es zu vergleichen. Wer es trotzdem tut, der
nimmt zwangsläufig eine utilitaristische Perspektive
ein, etwa die Perspektive von (Mit)tätern die sich um
die künftige Effizienz von Massentötungsmethoden
Sorgen machen, oder von Sympathisanten der Täter, die
sich an der Erarbeitung wissenschaftlich verbrämter
Strichlistenmethoden zur präzisen Nummerierung ihrer
Opfer ergötzen. Deshalb fällt der Holocaust zwar
in den Rahmen menschlichen Tuns, aber nicht in den Rahmen
des Tuns, was sich kraft menschlicher Vernunft erklären
ließe; es fällt aber auch nicht in die absolute
Unerklärbarkeit, was einer irrationalen Mystifizierung
Vorschub leisten würde und den Widerstand gegen die
Wiederholung der Geschichte sinnlos erscheinen ließe.
Statt "Aufarbeitung" ist vielmehr ein
ständiges Bemühen nötig, das
niemals zu Ende gehen wird.
Zur
Entmystifizierung: Nicht urplötzlich auftauchende
"Nazis" waren es, wie uns unsere LehrerInnen weismachen
wollen, sondern es waren ganz normale Deutsche, die die
Taten in Gang setzten und der gesamten menschlichen
Zivilisation den Krieg erklärten. Der Begriff "Nazi"
ist eine Schutzvokabel gewesen, den die Deutschen in der
Nachkriegszeit und die damalige junge 68er-Generation
brauchten, um mit ihrer Kollektivscham nicht umgehen zu
müssen. Die Dritte Generation hat das
Verkrampfen nicht mehr nötig, sie kann mit der
Kollektivscham anders umgehen.
Die
jetzt im Bundestag beschlossene Entschädigung der
ZwangsarbeiterInnen hat nicht sehr viel mit dem Holocaust zu
tun. Es handelt sich um ein anderes Kapitel aus der
NS-Herrschaft. Zwangsarbeit wurde in schätzungsweise
über 10.000 Lagern im ganzen ehemaligen Reichsgebiet
von ca. 10-12 Mio. Menschen geleistet. In fast jedem Ort in
Deutschland gab es ein oder mehrere Lager, die ganze
deutsche Bevölkerung in Form von Staat und Wirtschaft
wirkte an diesen Verbrechen mit oder wurde Zeuge der
Verbrechen. Die überwiegende Mehrzahl der
Zwangsarbeiter waren PolInnen, RussInnen, UkrainerInnen. Die
Entschädigung soll für entgangene Löhne
für geleistete Arbeit in deutschen Unternehmen bezahlt
werden. Streng genommen sind es Reparationsforderungen vor
allem der osteuropäischen Staaten, die aber nach dem
2+4-Vertrag juristisch nicht mehr möglich sind. Ich
schäme mich, daß es den Deutschen bis zum
heutigen Tage noch nicht gelungen ist, sich dieser
Verantwortung anzunehmen. (zurück zu 19.)
13.)
Zu 12.
(WF an JP):
..
vielmehr ein ständiges Bemühen nötig, das
niemals zu Ende gehen wird."
Amen!
Klingt ja äußerst fatalistisch, klingt wie: die
Menschen waren immer böse, werden also immer böse
bleiben. Oder: Arm und reich gab es immer, wird auch immer
so bleiben. Sehr bequem einerseits und zudem eine Garantie
zum Erhalt des status quo!
...Die
Dritte Generation hat das Verkrampfen nicht mehr nötig,
sie kann mit der Kollektivscham anders
umgehen."
Muß
sie auch, denn ein längerer verkrampft erstarrter Blick
auf die Schlange ist der sichere Untergang des
Kaninchens!
-
Kolonialisierung - Nazi-Lebensraumkonzeption - US Grand Area
Concept -Globalisierung (ausführlich nachzulesen bei
Dieterich: Ironien der Weltgeschichte: Strukturparalellen
zwischen Nazi-Lebensraum und Erster/Dritter Welt heute in
"Das Fünfhundertjährige Reich" von Höfer,
Dieterich, Meyer -
14.)
Zu 12.
(PhH an JP):
...es
zu vergleichen."
Das
ist Unsinn, denn es trifft ganz offensichtlich für kein
anderes Phänomen zu. Bei allem anderen prüfen wir
die die Gegebenheiten und die Beweismittel, vergleichen
(jawohl!!) diese mit bekanntem und fällen ERST DANN
unser Urteil, formulieren unsere Analyse.
...Wer
es trotzdem tut, der ..."
Ein
schlimmer Vorwurf, den Du durch nichts belegst, den ich aber
nur mit der schlimmsten kirchlichen Mystifizierung
vergleichen kann, etwa "Gottes Wege sind unergründlich,
wer den Hochmut besitzt, sie zu erkunden, ist des Teufels,
für ihn halten wir eine Grillfete bereit."
...das
niemals zu Ende gehen wird."
Meine
Einwände hast Du jetzt wohl selber erahnt und versuchst
schnell noch zurückzurudern -- keine "absolute
Unerklärbarkeit" -- Also wat nu? Deine Antwort: Wir
sind alle kleine Mönche, die uns "ständig
bemühen" Gott näher zu kommen, obwohl wir wissen,
daß das "niemals zu Ende gehen wird".
...Zur
Entmystifizierung: Nicht urplötzlich auftauchende
"Nazis" ..."
Also:
Du hast doch eine Antwort auf die unantwortbare Frage. Der
Holocaust ist erklärbar aus der deutschen
Normalität. Damit sind wir an einer Kreuzung,
können einen von 2 Wegen einschlagen. Wir können
das auf sich beruhen lassen, sagen die Deutschen sind
schlimme Finger, außer die, die Konkret lesen und die,
die man selbst persönlich kennt und mag, und die
"Verhinderung von Deutschland" zu seinem Hauptziel
küren. Dann hat man so ungefähr die Methode
angewandt, die die Nazis bei den Juden angewandt haben, was
allerdings für die betroffenen Deutschen überhaupt
nicht schlimm ist, weil sie nicht gefährdet sind, aber
man macht sich selbst ziemlich lächerlich; und
außerdem führt das politisch ins Abseits, was man
sehr klar sehen kann, wenn man die Katastrophenvorhersagen
liest, die etwa vor 10 Jahren z.B. in Konkret und
ähnlichen Blättern erschienen, wonach Deutschland
jetzt längst irgendwelche Kriege angefangen haben
müßte und halb oder ganz faschistisch sein
müßte (an einem der regelmäßig
stattfinden US-Kriegen in untergeordneter Stellung
teilnehmen ist da eine ziemlich schwache
Bestätigung).
Der
2. Weg ist, aufarbeiten. Ganz einfach. Untersuchen, wie
Menschen sowas tun. Und dann stellen wir fest, daß es
auch andere tun, auch wenn der Gesamtrahmen nicht dem Horror
dieses einen Falles gleichkommt.
Denn
es gibt eben neben der Parole der "Unvergleichbarkeit" bzw
(besser:) "Einmaligkeit" auch noch die andere sehr gute
"Wehret den Anfängen!" Wer aber den Holocaust zum
unvergleichbaren Casus sui generis erklärt und jeden,
der diese Erklärung in Frage stellt, so in Grund und
Boden verflucht, wie du es hier getan hast, der kann doch
irgendwelche Anfänge eigentlich nicht erkennen. Denn
kein Anschlag auf ein Asylbewerberheim ist in irgendeiner
Weise nur annähernd auf eine Stufe mit Auschwitz zu
stellen.
Und
trotzdem hat niemand was dagegen, wenn man, richtigerweise,
die Täter Nazis schimpft und sie als faschistische
Gefahr für Demokratie und auch Zivilisation einstuft.
Das ist ja das eigenartige: Jeder, der die "Vergleiche"
verbieten will, hat natürlich selber Vergleiche, auf
die er nicht verzichten will. Da wird schlimm Schindluder
getrieben. Eine Zeitlang war, in den Augen rechter Juden,
jeder, der nur die geringste Kritik an Israel übte, ein
Antisemit und zwar Träger der einzigen wirklich
relevanten Form des Antisemitismus in der Nachkriegszeit,
daher auch ein Erbe Hitlers.
Zur
wissenschaftlichen, rationalistischen Aufarbeitung ist daher
auch keine Alternative.
Die
Dritte Generation hat das Verkrampfen nicht mehr nötig,
sie kann mit der Kollektivscham anders
umgehen."
Anders
als Du, meinst du wohl. Hoffentlich. Aber DARF sie es, aus
Deiner Sicht auch?
15.)
Zu 6.-14.
(KS an alle):
Liebe
Leute! Ich habe den Eindruck, daß hier zwei
grundlegend verschiedene Dinge durcheinandergemischt werden:
Zum einen die Frage, wie es zu beurteilen
ist, wenn in Diskussionen oder diskutierte Papiere über
den Holocaust oder allgemeiner über deutsche
Greueltaten in der Nazizeit (hier ein Papier über die
Zwangsarbeiter und das Gezerre um
"Entschädigungs"-zahlungen) ohne jede rationale
Begründung das Thema 'Verbrechen anderer Völker'
eingebracht wird. In diesem Fall ist das
unbewußte (manchmal auch bewußte) Motiv
Gewissensentlastung durch Relativieren.
Eine
ganz andere Frage ist es, wenn in einer Diskussion (aktuell
oder schriftlich niedergelegt) das Thema Ursachen des
Holocaust, Ursachen des Nationalsozialismus, des Faschismus,
des Antisemitismus auf der Tagesordnung steht.
Wichtig
ist dabei, sich der Zweideutigkeit des deutschen Wortes
'vergleichen' bewußt zu sein. Wenn ich in der Chemie
die Eigenschaften des Metalls Aluminium verstehen will, ist
es sinnvoll, es mit anderen Metallen und deren chemischer
Struktur zu vergleichen. Ich betrachte verschiedene Dinge
mit einem gemeinsamen Charakteristikum - nämlich Metall
zu sein. Hierbei ist klar, bei einer solchen Diskussion
niemand Verschiedenes gleichsetzen will.
Wenn
ich die Wahscheinlichkeit, Opfer einer Reaktorkatastrophe zu
werden mit der, von einem Meteoriten erschlagen zu werden,
vergleiche, betrachte ich zwei abstrakte Größen
(z.B. 1 zu 10 Millionen) und setze sie gleich - oder
verneine deren Gleichheit. Bei diesem 'Vergleichen' ist also
meine Absicht auf das Gleichsetzen - oder Verneinen der
Gleichheit - gerichtet.
Nun
werden sicher gleich (fast) alle, die in Situationen, in
denen gar nicht nach einer Erklärung des Holocaust
gefragt war, mit Vergleichen daherkamen, behaupten, ihnen
ginge es gar nicht um das Gleichsetzen, sondern um das
Vergleichen, um zu erklären... Das ist menschlich
verständlich, denn (fast) alle, die sich angegriffen
fühlen, reagieren mit Verteidigung oder Gegenangriff.
Aber darüber zu diskutieren wäre müßig,
denn ich kann niemandem in den Kopf schauen und ihr oder ihm
die unterstellte Motivation beweisen !
Weiter
wird die ganze Angelegenheit noch mehr dadurch vernebelt,
weil - gelegentlich von beiden Seiten - damit argumentiert
wird, der Holocaust sei nicht erklärbar. Auch hier ist
es müßig, darüber zu steiten, ob
erklärbar oder auch nicht. Denn es ist - nach meiner
bescheidenen Meinung - nötig, zu versuchen, das zu
erklären und zu verstehen, was ich für die Zukunft
verhindern will. Und es ist eine Binsenweisheit, daß
jede Erklärung (jedenfalls wissenschaftliche und nicht
religiöse) nur eine Teilerklärung und
Annäherung an die Wahrheit sein kann.
Völlig
untauglich sind in diesem Zusammenhang (finde ich) solche
Vokabeln wie 'aufarbeiten' oder gar 'abarbeiten', weil sie
suggerieren, wir könnten uns auf diese Weise des Themas
entledigen - nach dem Motto: Abgearbeitet und
ab in die Ablage der Geschichte... (zurück zu
17.)
16.)
Zu 7.
(KS an WF):
Lieber
Wolfgang! Und Du gehst völlig an meiner
Kritik vorbei! Du faßt das wirklich als versuchte
Trostspende auf? Erzähle diese Geschichte mal irgendwem
und frage, wie sie oder er diesen Versuch versteht und
empfindet. Dieser Vergleich mit dem Tod der Tochter seiner
Schwester ist doch völlig daneben - soetwas kann doch
kein empfindender Mensch in einer solchen Situation sagen -
außer um das eigene Gewissen zu beschwichtigen. Wie
sehr Du Dich mit dem Fahrer aus dieser Geschichte
identifizierst, läßt sich auch daran ersehen,
daß Du von 'Todesfahrer' schreibst und ihm eine Schuld
zuschreibst, die ich in der Geschichte bewußt
offengelassen habe. Aus der Geschichte geht nicht hervor, ob
der Fahrer vielleicht tatsächlich nur Tempo 30 gefahren
ist und das Kind so unglücklich gegen das Auto prallte,
daß es sofort tot war... (Die Frage der Schuld ist in
diesem Zusammenhang unwesentlich - im Gegensatz zum
Schuldgefühl) Soll er nun in Zukunft nicht mehr
Autofahren als Konsequenz? Mir ist vor etlichen Jahren
folgendes passiert: mein Sohn, damals 3 Jahre, rannt (aus
Unachtsamkeit? eigene Schuld ) gegen das sehr langsam
fahrende Auto eines jungen Mädchens, das gerade seinen
Führerschein gemacht hatte. Er brüllte wie am
Spieß und erst später stellte sich heraus,
daß es nur.ein Schock und völlig unbedeutende
physische Verletzungen, Hämatome,.waren... Auf was ich
hinaus will ? Das Mädchen fühlte sich - wie ich
fand - grundlos schuldig, fragte öfter telefonisch nach
dem Befinden meines Sohnes, wäre aber mit Sicherheit
niemals auf die Idee gekommen durch Vergleiche mit anderen
Unglücksfällen zu trösten (oder zu
relativieren).
Ein
Verbrechen A zu benennen darf doch nicht daran hindern das
Verbrechen B zu sehen? Bei wem ist denn da der blinde
Fleck?"
Darum
geht's auch nicht - es nicht geht darum, Verbrechen B zu
sehen oder auch nicht zu sehen. Es geht darum, in welcher
Situation darüber geredet werden kann und in welcher
nicht!
moralisch
gesühnt soll hier heißen...."
Ist
dann 'Schindlers Liste' von Steven Spielberg auch
"Sühne" in Deinem Verständnis? Ich finde, da
weichst Du den Begriff ein bißchen arg weit auf und
formst in völlig nach deinem Gusto um.
...ist
denn das zuviel verlangt?"
Nein.
Wir haben durchaus dasselbe Ziel (will ich jedenfalls mal
annehmen). Aber so wie Du es in diesem Zusammenhang gemacht
hast, ist es dem Ziel abträglich!
17.)
Zu 15.
und 16.
(WF an KS/alle):
Und
Du gehst völlig an meiner Kritik
vorbei!"
Ja
mag sein, zugegeben, denn ich wollte weniger übers
Autofahren und zufällige Schuld/Unschuld sprechen als
über ein systematisches Morden, sei es kurzfristig per
Gaskammer oder sei es langfristig durch den Hungertod.
In beiden Fällen sehe ich als
Motivation den Vorteil einer definierten Gruppe von
Menschen: einmal waren es die Strategen des III.Reichs und
im anderen Fall sind es die Strategen, die meinen, das Recht
zu besitzen, die Welt nach ihrem elitären Willen auf
Kosten der Lebensbasis und der großen Mehrheit der
Menschen zu formen.
Hier
zeigt eine konsequente Fortsetzung einer patriarchal
faschistischen Denkweise und nekrophilen Lebensauffassung,
auf die ich aufmerksam machen will.
...Verbrechen
B zu sehen oder auch nicht zu sehen. Es geht darum, in
welcher Situation darüber geredet werden kann und in
welcher nicht!"
Und
wer soll/will denn da den Zensor spielen?
Ist
dann 'Schindlers Liste' von Steven Spielberg auch
"Sühne" in Deinem Verständnis? Ich finde, da
weichst Du den Begriff ein bißchen arg weit auf und
formst in völlig nach Deinem Gusto um."
In
der Tat, Spielbergs Film ist eine kleine Facette des Ganzen.
Leider mangelt es "Kultur oder Zivilisation" noch weit an
ähnlichen Einsichten und ethischen
Handlungsnormen.
...Aber
so wie Du es in diesem Zusammenhang gemacht hast, ist es dem
Ziel
abträglich!"
Aus
Deiner Sichtweise womöglich abträglich, aber
dennoch, lassen wir uns nicht entmutigen!
...wie
es zu beurteilen ist, wenn in
Diskussionen..."
Da
ja die Redefreiheit noch besteht ist es wohl erlaubt
Assoziationen, auch wenn sie ungewöhnlich erscheinen
mögen, zur Diskussion zu stellen.
..In
diesem Fall ist das unbewußte (manchmal auch
bewußte) Motiv Gewissensentlastung durch
Relativieren."
Starke
Behauptung zu auch meiner Motivation! Woher nimmst Du Dir
das Recht zu diesem Urteil?
....Abgearbeitet
und ab in die Ablage der Geschichte..."
Was
hast Du gegen aufarbeiten? Ist Dir das zu aktiv, gar zu
positiv? Und glaubst Du erst gar nicht an die
Möglichkeit, die Spaltungen der menschlichen Psyche
einestages zu überwinden mit dem Ziel der menschlichen
Emanzipation von all der Destruktivität, die im
Zusammenhang dieser Diskussion benannt wurde? (zurück
zu 20.)
18.)
Zu 7.
(FM an WF):
Lieber
Wolfgang, ich glaube, ich verstehe Deinen point. Ich nehme
an dir geht es um möglichst umfassende Trauerarbeit.
Aber würden bei einer beharrlichen, die Langfristigkeit
eines so ungeheuren Trauerprozesses berücksichtigenden
und deshalb geduldigen Arbeit an der Bewusstwerdung dieses
monströsen Verbrechens nicht die Ursachen der
menschlichen Nekrophilie (E.Fromm)
überhaupt thematisiert werden müssen und sich
dabei en passant die Ursachen für den Massenmord an den
Armeniern, Indianern, Hutus und Tutsis, kambodschanischen
Brillenträgern und nicht zu vergessen Roma und Sinti
automatisch miterledigen? Man kann diese dabei NENNEN, aber
die Gefahr, die die anderen Diskussionsteilnehmer benennen,
dass Dir dies als Aufrechnung ausgelegt werden könnte,
ist vielleicht grösser als die Gefahr, die du benennst,
nämlich die Gefahr sich den Vorwurf
einzuhandeln, dass wir Deutschen uns immer nur für die
deutschen Verbrechen interessierten. Und warum nicht? Das
ist doch leicht zu umgehen, indem das alte Sprichwort, jeder
möge zunächst vor seiner Tür kehren, zur
Abwehr jedes Verdachts von Provinzialismus oder Borniertheit
oder mangelnder Sensibilität gegen fremde Verbrechen
verwendet werden kann. Ich denke auch, es ist nicht
nationalistisch, wenn wir uns auf unsere eigene Horrorstory
beschränken (ich finde es im Zusammenhang mit dem
Mahnmal sogar wichtig!). Denn diese niemals AUFZUARBEITENDE
Geschichte HAT doch eine universale Dimension! Beste
Gruesse, und ich versichere Dir meinen Respekt vor Deiner
Meinung! (zurück zu 21.)
19.)
Zu 12.
(RL an JP):
....Denn
es konnte mir bisher niemand......., das niemals zu Ende
gehen wird."
Was
heisst denn das bitte konkret?
Der
Begriff 'Holocaust' ist - wie die Ausdrücke 'Shoah'
(Der Begriff 'Shoah' wird im Protokoll der Verhandlungen des
Volksrates des Staates Israel vom 16. 05. 1948, S. 24, 4.
Sitzung 14. 05. 1948 zur Legitimation der
Staatsgründung verwendet. Inzwischen hat dieses
Selbstverständnis gerade in der jüngeren
israelischen Bevölkerung sämtliche jüdischen
Geschichtsereignisse und Geschichtsmythen (Annahme der Tora
am Berge Sinai, Exodus, Zerstörung des Tempels,
2.Exodus) an Bedeutung übertroffen. Desto weiter das
historische Ereignis der Ermordung der europäischen
Juden zurückliegt, desto grösser wird nicht die
historische Distanz oder sachliche Betrachtungsweise,
sondern die mythische Wirkung. In Israel wird diese -
generell zu beobachtende - Tendenz auch noch bewusst
gepflegt und benutzt.) oder 'Der Dritte Churban' - nicht
geschichtswissenschaftlich sondern theologisch.
Dem
historischen Ereignis - der Verleumdung, Diskriminierung,
Entrechtung, Enteignung, Verfolgung, Vertreibung und
Ermordung der europäischen Juden - wird durch solche
Termini gleich eine - recht fragwürdige - Sinndeutung
unterschoben. Deren Verwendern dürfte zumeist -
inbesondere im Hinblick auf den religiösen Kontext der
Begriffe - der ursprüngliche Sinn unklar sein. Leider
haben diese Begrifflichkeiten inzwischen - zumeist
völlig unreflektiert - auch Eingang in Texte von
FachhistorikerInnen gefunden, so, als sei 'Holocaust' quasi
eine adäquate Kurzformel fuer die Ereignisse und nicht
ein problematisches Deutungskonzept.
Zeitgleich
mit der Karriere des Begriffes stiegen auch jene Schriften
an, welche sich fast ausschliesslich nur noch auf der
Metaebene angestrebter Sinndeutung mit der
einschlägigen Geschichte befassten. Gunnar Heinsohn hat
etliche davon in seinem Buch "Warum Auschwitz" (Reinbeck
1995) treffend portraitiert.
Da
aber nur wenige dies so decodieren können, liegt in der
Verwendung eines - dann ja unverständlichen - Begriffes
etwas von dem, was man als Teil der wachsenden
Mythologisierung des Ereignisses sehen kann. Damit ist nicht
eine absichtsvolle Verfälschung historischer Tatsachen
gemeint, sondern, dass der Verlust von Unmittelbarkeit -
statt durch Quellennähe - durch metaphorische und
mythologische Konstitution einer (unveränderlichen)
'ewigen Wahrheit' ersetzt wird.
Zur
Entmystifizierung: Nicht urploetzlich auftauchende "Nazis"
waren es, wie uns unsere LehrerInnen weismachen wollen,
sondern es waren ganz normale Deutsche, die die Taten in
Gang setzten und der gesamten menschlichen Zivilisation den
Krieg erklaerten. [...]"
Das
Letztere ist sichtlich ein argumentatives Goldhagen-Derivat.
Die Debatte um sein monokausales Buch ist eine andere
Baustelle.
Zurück
zur Ausgangsthese: Selbstverstaendlich lässt sich
die Ermordung der europäischen Juden erforschen.
Reitlinger, Hilberg und Yahil haben in unterschiedlichen
Jahrzehnten dazu Standardwerke veröffentlicht. Zu jeder
NS-Organisation gibt es inzwischen auch Regionalstudien. Der
Nationalsozialismus hat Hekatomben von Dokumenten
hinterlassen. Trotzdem ist die Epoche 1933-1945 die
inzwischen am Besten erforschte Epoche der
Menschheitsgeschichte.
Trotzdem
war der Blick oft nur interessegeleitet: Kommunisten
glaubten - mit zutreffendem Verweis auf die Ruhrlade -
simpel die NS-Bewegung als Verschwörung des
Monopolkapitals entlarvt zu haben. Dabei wurde u.a.
geflissentlich unterschlagen, dass
etliche
Plakate
der Revolutionszeit in Russland den karikierten Kapitalisten
mit dezidiert antisemitischen Klischees ausstaffierten.
Neuere Untersuchungen, über antisemitische Klischees in
sozialdemokratischen Presseorganen des Kaiserreiches legen
nahe, auch hier deutlicher zu differenzieren. Die Politik
der Weimarer KPD, die Sozialdemokratie als Sozialfaschisten
zu diffamieren, wurde dann 1945 noch als angeblich gezogene
'Lehre aus der Geschichte' zur Legitimation der
Zwangsvereinigung von KPD und SPD benutzt.
Protestantische
und katholische Kirchenfunktionäre werden auch heute
nicht müde, als Ursache des NS den "Abfall von Gott"
auszumachen, also den Agnostikern und Atheisten den
Katholiken Hitler in die Schuhe zu schieben. Dabei wird die
kirchliche Kooperation mit der Diktatur ebenso geschönt
[der katholische Theologe Heinrich Missalla hat
kürzlich nachgewiesen, dass etliche Kriegspredigten
katholischer Bischöfe in von der Kirche herausgegebenen
Nachkriegseditionen ohne Kennzeichnung um sehr
einschlägige Sätze gekürzt wurden - soviel
zum Thema 'Aufrichtigkeit des MEA CULPA'], wie der
christliche Antijudaismus als Wurzel des Antisemitismus
unterschlagen. Besonders entgeht ihnen aber dabei, wie sehr
der Nationalsozialismus als Organisation wie als Ideologie
nach kirchlichen Vorbildern quasireligiös gestrickt
ist. So manche Hitlerrede ist mit liturgischen
Versatzstücken gespickt.
Die
Affinität diverser freireligiöser und
neuheidnischer Gruppierungen zum Nationalsozialismus, z.T.
mit erschreckend langer Nachkriegstradition, ist auch erst
in den letzten 20 Jahren erforscht worden.
Wenn
sich mal jemand die Mühe machte, von der
freidenkerischen Diskussion Anfang des Jahrhunderts - um
selbstbestimmtes Sterben-, die personellen
Kontinuitäten zu deren wissenschaftlichen Schülern
zu ziehen, dürfte man auf einige einschlägige
Selektionsmediziner
stossen
- in der Weise, in der der aufgeklärte bürgerliche
Humanismus durch biologistische Argumentationen ersetzt
wurde.
Konservative
setz(t)en gerne ueber die Totalitarismustheorie
Nationalsozialismus und Stalinismus gleich, und
incorporier(t)en damit den Antikommunismus, der es ja alten
Nazis leichter machte, sich in der Bundesrepublik des kalten
Krieges zurechtzufinden. Dieses Ideologem hat kurioserweise
das Ende des Ostblockes überlebt. Natürlich wird
damit von der historischen Allianz zwischen Konservatismus
und Nationalsozialismus (Tag von Potsdam)
abgelenkt.
Gerne
wurde eine intellektuelle Minderbemitteltheit den Nazis
attestiert und gönnerhaft belächelt, obgleich doch
gerade viele junge und gebildete Wissenschaftler
glühende Anhänger der Nazis gewesen sind.
Überhaupt hat die neuere Sozialgeschichte eine hohe
Übereinstimmung der damaligen Bevölkerung mit der
allgemeinen NS-Politik nachgewiesen - da war nicht die
Mehrheit in der 'inneren Emigration'! Und Zehntausende waren
sogar direkt an der Durchführung von NS-Verbrechen
beteiligt.
Kurz:
Die zahlreichen monokausalen Interpretationsversuche sagen
meist mehr über die Interpreten als über das
Interpretierte - wobei wir wieder bei Goldhagen
wären!
Die
Toten sind tot - denen hilft nun heute gar nichts mehr. Das
Leid ist auch überhaupt nicht beseitigbar. Es hat
stattgefunden, die Orte des Terrors sind aufsuchbar, aber
das Leid schwebt nicht wolkig irgendwie herum.
Die
Diskussion um das Berliner Mahnmal ist so aufschlussreich,
wie der ästhetische Lösungsversuch unzureichend
bleiben musste.
Aufgabe
der Wissenschaft ist es, die Ereignisse, ihre Ursachen und
Folgen möglichst präzise und umfassend zu
erforschen und erhellend zu präsentieren. Letzteres
wird aber von einer deutlich auf Medienwirksamkeit
angewiesenen Ausstellungskultur weitgehend dominiert.
Niemand ausserhalb der Fachwissenschaft hat 1977 Christian
Streits Dissertation - über das Verhalten der Wehrmacht
gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen - zur Kenntnis
genommen. Auch die quellenreiche Berliner Ausstellung -
über den Krieg gegen die Sowjetunion - fand eher
geringe öffentliche Aufmerksamkeit. Erst die
Ausstellung des Hamburger Institutes fuer Sozialforschung
('Reemtsma') hat Wirbel ausgelöst. Und in Hamburg war
man so leichtfertig, Bildquellen als blosse effekthaschende
Illustration zu begreifen und - ohne ausreichende
Klärung - diese Ereignissen zuzuordnen, von denen sie
aber teilweise - wie sich nachträglich herausstellte -
gar nicht stammten. In der Öffentlichkeit konnte der
Eindruck entstehen, als seien die durch Textquellen ja
ausreichend belegten Ereignisse plötzlich selbst
fraglich geworden. Sehr lange haben die Ausstellungsmacher
die sachlich fundierte Kritik gar nicht einmal
ernstgenommen. Das passiert, wenn Fachwissenschaft im
handwerklichen schludert, da man glaubt, ja einer eh
'wahren' These zu dienen. Und so wurde den
Mythenzerstörern der These von der 'Sauberkeit der
Wehrmacht', ihre eigene Verstrickung in eine mythische
Betrachtungsweise der NS-Verbrechen zum
Verhängnis.
20.)
Zu 17.
(KS an WF):
....Hungertod.
In beiden Fällen sehe ich als Motivation den Vorteil
."
'Vorteil'
- Ich sehe, wir stehen in unseren Versuchen, den Holocaust
zu verstehen, doch auf recht verschiedenen Positionen. Ich
bin der Ansicht, daß wir neben bewußten Motiven
auch unbewußte mit berücksichtigen müssen.
In der Gesamtheit der Motive bewerte ich die
tatsächlichen oder auch darüberhinausgehend, die
Vorteile, die sich die Deutschen (incl. explizite Nazis) aus
dem Völkermord an den Juden versprachen, als wenig
bedeutend ein. Das weit überwiegende Hauptgewicht der
Motivation lag in einem irrationalen (durchaus auch
Erklärungen zugänglichen) Judenhaß. Und auch
wiederum nur ein Teil dieser irrationalen Motivation ist
durch ihre kompensatorische Funktion erklärbar... Und:
vergessen wir nicht die Morde an Sinti und Roma,
Homosexuellen und aufgrund psychischer oder politischer
Begründungen oder Scheinbegründungen
Ausgesonderten...
Wenn
Du einerseits dem von mir genannten Gesamtnenner aller
Motive, dem Syndrom der Lebensfeindlichkeit, als
grundlegendem Motiv hinter allen irrationalen ("die Juden
sind die Parasiten unter den Völkern",...) und
(vordergründig) rationalen ("Wir holen uns deren Gold")
Motive, also einem zutiefst irrationalen, zustimmst, ist mir
unverständlich, wie Du andererseits so platt mit
"Vorteil" argumentieren kannst.
....definierten
Gruppe von Menschen: einmal waren es die Strategen
des......"
'die
Strategen' - das ist mir ein bißchen zu nebulös !
Auch an anderen Stellen hatte ich schon den Eindruck,
daß Du es Dir mit dem Ziehen von Parallelen (die ich
durchaus in vielen Bereichen zu erkennen glaube) zu einfach
machst.
Hier
zeigt eine konsequente Fortsetzung einer patriarchal
faschistischen Denkweise und nekrophilen Lebensauffassung,
auf die ich aufmerksam machen will."
Wenn
Du ein Wort wie 'nekrophil' benutzt, vermute ich, daß
Du es hier im Sinne benutzt - wie es z.B. Erich Fromm
geprägt hat. Hast Du Dich mit solchen
Erklärungsansätzen näher beschäftigt?
Auch Deine Zusammenziehung 'patriarchal faschistisch'
verweist auf einen - meines Erachtens grundlegenden -
Zusammenhang. So formuliert könnte es allerdings auch
als plumpe und (allein schon historisch betrachtet) grotesk
falsche Gleichsetzung miß(?)verstanden
werden.
...lassen
wir uns nicht entmutigen!"
Da
sind wir uns einig (zurück zu 22.)
21.)
Zu 18.
(WF an FM):
......die
Ursachen der menschlichen Nekrophilie (E.Fromm)
überhaupt thematisiert werden müssen
"
Ja
eben daran hat sich ja die Diskussion entzunden: daran,
daß ich gesagt habe, daß das Aufarbeiten des
Einen nur dann wirklich gelingen kann, wenn wir uns auch mit
den anderen Untaten und Geisteshaltungen beschäftigen.
...nämlich
die Gefahr sich den Vorwurf einzuhandeln, dass wir Deutschen
uns immer nur für die deutschen Verbrechen
interessierten."
Lieber
Frank, auf eine solche Gefahr hinzuweisen lag nie in meiner
Absicht. Jeder mag das Objekt seiner Beschäftigung
selbst bestimmen. Wogegen ich mich wehre ist der Vorwurf,
der Ungeheuerlichkeit des Holocaust die Spitze nehmen zu
wollen, allein dadurch, daß ich auf andere Untaten
hinweise.
Auf
die Dunkelseiten der Menschheit, d.h. ihrer "politischen
Entscheidungsträger und Meinungsmacher im Laufe der
Geschichte" weise ich doch nur deshalb hin, um auf
identische Ursachen aufmerksam zu machen. Denn wenn diese
Ursachen nicht erkannt werden, bleibt uns in Zukunft auch
nur der Bau weiterer Mahnmale! Weißt Du, ich habe den
Sinn der dörflichen Kriegsmahnmale NIE verstanden. Ich
hab mir gesagt: wenn die Menschen es mit diesen Mahnmalen
wirklich ernst meinen, wie können sie da jemals wieder
für einen Krieg sein? Solange wir unser Gewissen
lediglich selbstgefällig beruhigen, brauchen wir uns
über die Persistenz des Bösen in uns nicht zu
wundern.
..Denn
diese niemals AUFZUARBEITENDE Geschichte HAT doch eine
universale Dimension!"
Niemals??
Ich hoffe im Sinne zukünftiger Generationen, daß
es sehr wohl gelingt, die Geschichte aufzuarbeiten, gerade
wegen der universalen Dimension und Bedeutung!
22.)
Zu 20.
(WF an KS):
...'Vorteil'
- Ich sehe, wir stehen in unseren Versuchen, den Holocaust
zu versehen, doch auf recht verschiedenen
Positionen."
Mißverständnis!
s.u.
....Das
weit überwiegende Hauptgewicht der Motivation lag in
einem irrationalen (durchaus auch Erklärungen
zugänglichen) Judenhaß.
Judenhaß,
klar - ich sprach doch vom z.B. Sündenbockmästen,
das auch noch heute als politisches Instrument aktuell
geblieben ist!
...
so platt mit "Vorteil" argumentieren kannst."
Ich
sehe im "Vorteil" nicht nur den materiellen. Zum "Vorteil"
zähle ich genauso den vermeintlichen Vorteil, all das
also, was sich auch unbewußt abspielt.
...waren
es die Strategen.[...].sind es die
Strategen...."
Ich
ziele hier nicht ausschließlich auf Personen, sondern
genauso auf Denkweisen, Weltbilder und Vorstellungen. Denn
woher kommen denn die Motivationen über deren
Destruktionspotential wir hier diskutieren? Sie wurzeln in
den Vorstellungen, Ängsten und Hoffnungen all derer,
die so und nicht anders handeln. Daher auch mein Hinweis auf
die unheilige Allianz von Patriarchat und Faschismus mit dem
Ergebnis der Nekrophilie i.S. E.Fromms.
Du
hast an dem Punkt vorbei geschaut, weshalb ich Steven
Spielberg einbrachte. Vielleicht weißt Du es auch
einfach nicht: Steven Spielberg ist jüdischer
Abstammung!"
Daß
Steven Spielberg jüdischer Abstammung ist weiß
ich. Warum sollte er nicht zum Sühnebewußtsein
der (deutschen) Öffentlichkeit durch sein in meinen
Augen gut gemachtes Werk facettenartig beitragen
können? Wie gesagt, "moderner Kultur und Zivilisation"
mangelt es noch weit an wahrer Menschlichkeit, oder etwa
nicht?
Danke
für die Geduld, die auch Du mit in die Debatte
bringst.
23.)
einziger weiblicher Kommentar zur Debatte (MV an
WF):
Hi,
in letzter Zeit hatte ich den Kopf zu voll mit anderen
Sachen (...), um zu o.g. Subject eine durchdachte
Stellungnahme zu schreiben. Aber ich wollte dir doch mal
schnell schreiben, dass ich ganz gut verstanden habe, worum
es dir ging - und es einfach nicht fassen konnte, was manche
Leute da alles an üblen Absichten reindeuten! Es ist
schon traurig: So beschissen, wie die Verhältnisse in
der Welt sind, muss man immer noch mit blödsinnigem
Geflame rechnen - selbst von anderen Linken - wenn man es
wagt, nach den Ursachen zu fragen...
Aber
die Debatte fand ich dann zumindest mal wieder gut und
lesenswert, insofern fühl´ dich mal ruhig
ermutigt, auch weiterhin über die Tagespolitik
hinauszudenken.
Übrigens
haben vor längerer Zeit schon Feministinnen darauf
hingewiesen, dass die Nazis nicht überraschend (per Ufo
oder so) in Deutschland auftauchten, sondern dass die
dahinterliegende Denkweise eine lange Tradition in unserer
"Kultur" hat. Das ist an Einzelpunkten auch konkret
nachgewiesen worden, z.B. am Thema Bevölkerungspolitik
u.a. von Ingrid Strobl (Strange Fruit), die wohl niemand
verdächtigen mag, irgendwas verdrängen zu wollen,
da sie auch sehr gute Bücher über den
jüdischen Widerstand zur Nazizeit veröffentlicht
hat (z.B. "Sag nie, du gehst den letzten Weg"). Auch in
Bezug auf Psychiatrie und Umgang mit Behinderten ist die
Tradition der Ausmerzungspolitik immer wieder aufgezeigt
worden (z.B. Monika u. Götz Aly u. Morlind Tumler:
Kopfkorrektur
Emanzipation
Humanum,
Version 7. 2000, Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt,
Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe
und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere
Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen
nach Absprache möglich.
http://emanzipationhumanum.de/deutsch/politik5.html
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