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Holocaust, einzigartig oder nicht

- welche Lehren ergeben sich aus der Geschichte?

(pdf.Dokument)

 siehe auch: The Unreporting of Iraq, A hidden Holocaust, by David Cromwell
21st Century Genocide: A Mission of Peace to Iraq, by David Edwards

Christian Simmerts Papier zur NS-Zwangsrabeiter - Entschädigung hat zur im folgenden dokumentierten Debatte im Debattenverteiler von BasisGrün geführt. Die Debattenbeiträge wurden leicht redaktionell bearbeitet.

1.) WF an Simmert und BasisGrün Debattenverteiler:

Der Artikel zur Debatte um Holocaust und Zwangsarbeit hat versucht viele wichtige Aspekte zu berücksichtigen. Auch den der Zukunft. Hierzu gehört m.E. aber auch das Thematisieren ähnlich gearteter grausamer Taten an anderen Orten und durch andere Menschen zu verschiedenen Zeiten.

Ganz konkret denke ich z.B. an den agent orange Biozid seitens der US Streitkräfte in Asien. Wie kürzlich eine STERN Bild-Reportage deutlich machte, denken die USA überhaupt nicht an Wiedergutmachung. Der Bogen der Grausamkeiten ließe sich sehr weit spannen: Kolonialmassaker allüberall um nur ein Stichwort zu nennen.

Wenn die Deutschen an wahrhafte Wiedergutmachung denken, dann müssen ähnlich geartete Grausamkeiten ebenfalls zum Thema der Wiedergutmachung an die Öffentlichkeit gebracht und ins Bewußtsein gehoben werden, sonst wirkt die Aktion erstens verlogen und zweitens könnte die fatale Frage aufkommen: wieso immer nur wir? (zurück zu 4.)

2.) Zu 1. (KS an WF):

Ich halte es für ausgesprochen dumm (bestenfalls), wenn immer wieder in Diskussionen über den Holocaust oder wenn auch nur das Stichwort 'deutscher Massenmord an Juden' genannt, die Verbrechen anderer Völker (soweit es überhaupt Sinn macht, von Verbrechen von Völkern zu reden) erwähnt werden. Es muß nicht mal heißen, "die anderen haben aber auch..." - es ist so schon fürchterlich genug...

Anscheinend benötigen viele immer noch diese absurde Gewissensberuhigung, als wenn ein Verbrechen dadurch relativiert werden könnte, weil es andere - in einzelnen Dimensionen - ähnliche Verbrechen schon gab. Die deutschen Verbrechen an den Juden stehen einzigartig in der Geschichte da - in ihrer kalten und technologischen Perfektion, in der moralischen Beteiligung einer bis auf winzige Minderheiten involvierten deutschen Bevölkerung, um nur zwei herausragende Charakteristika zu nennen. Walser ist noch so halbwegs in die Schranken gewiesen worden, als er Sachen sagte, die die deutschen Verbrechen an den Juden relativierten, in dem er das schlechte Gewissen (als "moralische Keule" oder wie er es nannte) entsorgen wollte. Es sollte - finde ich - kein schlechtes Gewissen sein, denn mein Gewissen regt sich bei dem, was ich selbst tue und zu verantworten habe, aber ein immer wieder neues Erschrecken und Erschaudern vor dem, zu was Menschen fähig waren und sind. Das sollte - nicht institutionalisiert, sondern auf der persönlichen, intimen Ebene - immer wieder und für alle Zukunft wach gehalten werden !

3.) Zu 2. (WF an KS):

Lieber Klaus, entweder hab ich mich falsch ausgedrückt oder Du hast etwas völlig anders verstanden als ich es meine. Es kann hier NIE um ein Relativieren gehen. Es kann NUR darum gehen, aus der Geschichte zu lernen; neben dem Wiedergutmachen selbstverständlich soweit das überhaupt möglich ist!

Ja, es stimmt, daß das deutsche Verbrechen an den Juden eine besondere Aufmerksamkeit erfordert. Wie soll aber dieses Verbrechen moralisch gesühnt werden können, wenn andere Verbrechen nicht ebenfalls thematisiert werden? Eine wahrhafte Sühne des einen mit Hoffnung auf einen Lernprozeß für die Zukunft ohne das andere zu berücksichtigen ist sicher nur dem Schizophrenen möglich! Das Verbrechen an den Millionen schwarzen Sklaven, an der Sklaverei bis heute, das Verbrechen an den nordamerikanischen Indianern, der lateinamerikanischen und weltweiten indigenen Bevölkerung, das Verbrechen an den Frauen bis heute, die eiskalt platzierten Atombomben von H. und N., weitere Kriegsverbrechen, das Wegschauen vom AIDS betroffenen afrikanischen Kontinent (die Reihe ist leider lange fortsetzbar) - all diese Verbrechen schreien nach Gleichbehandlung!

Wir stimmen ja in der Bewertung des Holocaust völlig überein! Denn der kalt-traurige Schauder im Bewußtsein meiner obigen Aufzählung läßt mich nie los! Deutet das etwa auf Dummheit (bestenfalls) meinerseits? (zurück zu 6.)

4.) Zu 1. (JP an WF):

Was soll an der Stiftung, wie sie ist, verlogen wirken?

Etwas anderes ist verlogen. Wer Kolonialmassaker anderer mit der Vernichtung der europäischen Juden in Verbindung bringen will oder "ähnlich geartete Grausamkeiten" anführt, der will immer die Shoa relativieren, die deutsche Verantwortung vor der ganzen Welt auf diese Weise abschwächen und sich in die Gesellschaft der Revisionisten begeben.

Bitte über die Gaskammern und die industrielle Verarbeitung von Millionen Menschen zu Seife nachdenken und dann erst eine Mail schreiben.

5.) Zu 4. (WF an JP):

Ich weiß nicht was an der Stiftung verlogen ist - habe so etwas auch nie gemeint. Das Verlogen bezog sich auf eine Zahlungsbereitschaft der betroffenen Industrie aufgrund zu erwartender wirtschaftlicher Nachteile. Es wird ja leider immer noch nicht aus Einsicht in das gesetzte Unrecht heraus bezahlt, oder? Das geht ja wohl klar aus dem Simmert Papier heraus. Verlogen ist das vor dem Hintergrund des jahrzehntelange Abwehren nachträglichen Bezahlens all der Betroffenen. Wie viele sind bereits verstorben, ohne einen Pfennig gesehen zu haben? Das, zum einen, ist verlogen! Verlogen wirkt darüberhinaus das, was ich in der Antwort an S. bereits angesprochen habe: Wie soll dieses Verbrechen an den Juden moralisch gesühnt werden können, wenn andere Verbrechen nicht ebenfalls thematisiert werden? Eine wahrhafte Sühne des einen mit Hoffnung auf einen Lernprozeß für die Zukunft ohne das andere zu berücksichtigen ist sicher nur dem Schizophrenen möglich!

Das Verbrechen an den Millionen schwarzen Sklaven, an der Sklaverei bis heute, das Verbrechen an den nordamerikanischen Indianern, der lateinamerikanischen und weltweiten indigenen Bevölkerung, das Verbrechen an den Frauen bis heute, die eiskalt platzierten Atombomben von H. und N., weitere Kriegsverbrechen, das Wegschauen vom AIDS betroffenen afrikanischen Kontinent (die Reihe ist leider lange fortsetzbar) - all diese Verbrechen schreien nach Gleichbehandlung und Thematisierung!

Nochmals, es kann hier NIE um ein Relativieren gehen. Es kann NUR darum gehen, aus der Geschichte zu lernen; neben dem Wiedergutmachen selbstverständlich soweit so etwas überhaupt möglich ist!

Eines verstehe ich wirklich nicht. Wie kann der Hinweis auf andere Genozide oder gar Biozide mißverstanden werden mit der vermeintlichen Absicht, "die deutsche Verantwortung vor der ganzen Welt auf diese Weise abschwächen zu wollen und sich in die Gesellschaft der Revisionisten begeben zu wollen"? Ich will doch das Gegenteil: nicht nur deutsche Verantwortung sondern Verantwortung aller, die sich am Leben vergreifen!

Jörg, habe ich mich denn tatsächlich derart mißverständlich ausgedrückt oder liegt mein moralischer Anspruch anderen Menschen bereits dermaßen fern, daß sie mich mißverstehen?

Ich denke sehr viel über die Thematik nach und mir sind die darüberhinaus die aktuellen Parallen sehr bewußt: das heutige Weltwirtschaftssystem verarbeitet Milliarden von Menschen zu Tode, wobei allerdings einige Tausend tatsächlich daran verdienen.

6.) Zu 3. (KS an WF):

Stell Dir mal folgende Situation vor:

Dein Kind wurde gerade von einem Autofahrer totgefahren. Der steht da, ganz traurige Miene und sagt zu Dir: "Ja, ja, ich weiß wie das ist, die Tochter meiner Schwester ist letztes Jahr beim Skifahren tödlich verunglückt..."

Vielleicht verstehst Du jetzt, was ich meine.

Wenn Du verschiedenes, das eine gewisse Ähnlichkeit hat, in ein und demselben Zusammenhang nennst, stellst Du beides auf's selbe Niveau - das ist ganz unausweichlich. Ob Du das nun beabsichtigst oder nicht, ist unwesentlich. Wenn Du nicht spürst oder verstehst, daß das schrecklich ist, hast Du da einen ganz heftigen schwarzen Fleck in der Optik !

Noch etwas: Wenn Du auf einen inneren Zusammenhang zwischen den verschiedenen Völkerverbrechen hinweisen willst, verstehe ich schon, was Du meinst. Vielleicht sind wir da auch nicht ganz einer Meinung, denn ich bin der Ansicht, jeder Mord, jede Mißachtung von Leben hat eine gemeinsame Wurzel in einem Syndrom der Lebensfeindlichkeit. Aber darüber muß mensch unter diesem Thema reden.

Eine ganz andere Frage ist, ob Sühne überhaupt möglich ist und was das überhaupt sein soll. Ich kann mir darunter sinnvollerweise - abseits von religiösen Konzepten der Selbstschädigung als einer Art Kompensationsgeschäft - nur vorstellen, daß ich, wenn ich mich in irgendeinem Sinne schuldig gemacht habe, erstens mal als Grundlage versuche, den angerichteten Schaden so weit möglich wieder auszugleichen (was bei einem Mord fast völlig unmöglich ist) und weiter - im eigentlichen Sinne - versuche, mein Leben grundlegend so zu ändern, daß mir etwas vergleichbares nie wieder passieren kann.

Gerade unter diesem Aspekt scheint mir das gesamte heutige Sühnegetue völlig daneben: Denn die Einzigartigkeit des Holocaust und die Pseudo-Übernahme der Schuld wird gerade dazu benutzt, sich selbst zu beschwichtigen, wir Heutigen hätten ja gar nichts mehr damit zu tun, unsere heutigen Gesellschaften seien ja sooo zivil, daß ein Rückfall in die Barbarei zwar nicht undenkbar - deshalb die ritualisierten Gedenkveranstaltungen, Mahnmahle etc. - aber doch inzwischen sehr unwahrscheinlich sei. Die gesellschaftlichen Repräsentanten weisen mit dem Finger auf die Neonazis (die anderen) oder auf Haider (der andere) - und dabei gerät völlig aus dem Blickwinkel, daß die Barbarei in einer ihrer schlimmsten Manifestationen, nämlich dem Krieg, angefangen vom Falklandkrieg der Maggie Thatcher, über den Golfkrieg bis zum Kosovokrieg schon wieder Einzug in die westlichen "Kultur"-Nationen gefunden hat...

Und dazu noch in einer anderen menschenverachtenden Manifestation: dem Abschieben von Asylsuchenden, das in einem Umfang von der jetzigen "rot-grünen" Regierung weiterbetrieben wird, das dem der Kohlregierung nicht nachsteht.

Wenn Du mein Verständnis von Sühne (ich würd's nicht mit diesem mißverständlichen Wort bezeichen) verstehst, kannst Du vielleicht auch nachvollziehen, daß ich Deinen Formulierungen: "Wie soll dieses Verbrechen moralisch gesühnt werden können, wenn andere Verbrechen nicht ebenfalls thematisiert werden? Eine wahrhafte Sühne des einen mit Hoffnung auf einen Lernprozeß für die Zukunft ohne das andere zu berücksichtigen ist sicher nur dem Schizophrenen möglich! " nicht zustimmen kann.

Wenn ich etwas gestohlen habe, kann ich versuchen, mich zu ändern, damit ich in Zukunft frei davon werde. Grundlegend gehört dazu, daß ich Stehlen allgemein als falsch bewerte, aber dazu muß ich nicht thematisieren, daß die grüne Bundestagsabgeordnete 'Sowieso' letztes Jahr in jenem Kaufhaus einen Lippenstift geklaut hat...

Du konstruierst Dir da etwas zusammen, um Deinen (unbewußten ?) Wunsch andere Völkerverbrechen im Zusammenhang mit dem Holocaust nennen zu wollen, zu rationalisieren. (zurück zu 15. oder 16.))

7.) Zu 6. (WF an KS):

Klaus, Du zielst irgendwie völlig an meiner Argumentation vorbei. Um bei dem obigen Beispiel zu bleiben: Der Todesfahrer zeigt sich bis ins Mark erschüttert. Neben Schuldbekenntnis und versuchter Trostspende widmet er sein Leben der Durchsetzung einer Risiko-Minimierung des Autofahrens. Er plädiert für Geschwindigkeitsbegrenzungen etc. - er geht an die URSACHEN!

Ein Verbrechen A zu benennen darf doch nicht daran hindern das Verbrechen B zu sehen? Bei wem ist denn da der blinde Fleck?

Was DeineAusführungen von „Noch etwas... bis ...der Kohlregierung nicht nachsteht" angeht, herrscht weitgehend Konsens zwischen uns.

Noch ein Wort zu „moralisch gesühnt". Darunter verstehe ich in diesem Kontext: Hintergründe und Zusammenhänge, Schuldverstrickungen und Motivationen klar zu analysieren und zu benennen und das ursächlich Erkannte bewußt in die Kultur einzuarbeiten auf daß sich Ähnliches nicht wiederhole.

Ich gehe davon aus, daß trotz aller vordergründiger Bekenntnisse in dieser Richtung ein aufrichtiger Wille fehlt, den Tatsachen ins Auge zu schauen und die geforderten Konsequenzen zu ziehen. Denn nach wie vor werden Emotionen, die auch den Holocaust begünstigt haben, politisch eiskalt berechnend instrumentalisiert. Sündenböcke werden allüberall gemästet anstatt an die Wurzeln der Probleme zu gehen.

Lippenstiftklau und Verbrechen am Leben, welch ein Zusammenhang?!

Mir geht es wirklich nicht um BENENNEN von Holocaust und anderen Untaten im Zusammenhang, mir geht es einzig um die GEMEINSAMEN ursächlichen Hintergründe: Lebensverachtung, Machtstreben, Materialismus, (religiöser) Separatismus etc.

Klaus, nach dem was Du schreibst denke ich, daß wir prinzipiell nicht so weit auseinander liegen. Ich möchte eigentlich mehr erreichen als nur das was Du forderst, ist denn das zuviel verlangt? Gerade der Ungeheuerlichkeit des Holocaust wegen wären wir Deutschen aufgerufen, grundsätzliche psychologisch analytische Arbeit zu leisten und die Ergebnisse in beispielhafter Gesellschaftspolitik umzusetzen. Ist das zu weit geträumt in einer Zeit da das Berlin-Deutschland großmachtpolitische Traditionen wiederaufgreift? Daß dies im europäischen Rahmen geschieht verbessert die Lage der ausgegrenzten Menschen leider nicht. (zurück zu 16. oder 18.)

8.) Zu W F mit der Bitte um Kenntnisnahme der Fakten von PH:

Im Zweiten Weltkrieg unter dem Druck von Bombenangriffen und Niederlagen wurde es den Nationalsozialisten möglich, die Gesellschaft tendenziell totalitär zu reorganisieren; Judenverfolgung und -ermordung (Die Mikrokosmen der hauptstädtischen Kulturen Mitteleuropas fanden sich wieder im Mikrokosmos der Todesfabriken. Kaum jemand kannte bis dahin die Namen - Maidanek, Chelmno, Treblinka, Sobibor, Auschwitz. Aber dies waren die wirklichen Hauptstädte des Nazi-Reichs. Ein Lebensraum als Totenreich.), Massenterror, Massenmobilisierung und eine forcierte, Rüstung produzierende Zwangswirtschaft (allerdings unter Beibehaltung des Rentabilitätsprinzips!) leitete einen strukturellen Wandel im politisch-gesellschaftlichen System ein, der nun in den SS-Staat mündete, in dem die SS nicht nur Terrorinstrument, sondern immer mehr auch selbständiger und dominierender politischer, ökonomischer (SS-Wirtschaftsunternehmen) und militärischer Faktor (Waffen-SS) wurde. Die sich auflösenden Institutionen des Staates UND der Gesellschaft gingen im "Massnahmenstaat" unter - selbst die nationalistische Ideologie wurde jetzt immer mehr einem europäisch-arischen Rassengedanken und Rassenwahn jenseits von "deutscher Nation" und "Deutscher Volksgemeinschaft" untergeordnet. Mit dem Ende des "totalen Kriegs" in der "totalen Niederlage" am 8.5.45 brach nicht nur der "SS-Staat" zusammen, sondern wurde auch eine Periode der deutschen Geschichte abgeschlossen, die vor und im Zweiten Weltkrieg bis zu 50 Millionen Menschen - Soldaten und Zivilisten, politisch und rassisch Verfolgte - als Opfer forderte.

Administrativ organisierter und industriell durchgeführter Massen- und Volkermord, diesen mit "Verbrechen an den Millionen schwarzen Sklaven, an der Sklaverei bis heute, das Verbrechen an den nordamerikanischen Indianern, der lateinamerikanischen und weltweiten indigenen Bevoelkerung, das Verbrechen an den Frauen bis heute, die eiskalt platzierten Atombomben von H. und N., weitere Kriegsverbrechen, das Wegschauen vom AIDS betroffenen afrikanischen Kontinent" vergleichen zu wollen, die "ursächlichen Hintergründe" auf "Lebensverachtung, Machtstreben, Materialismus, (religiöser) Separatismus" reduzieren zu wollen, wie Wolfgang Fischer es tut, weil es ihm offenbar um nicht mehr als "moralische Sühne" geht, was immer das praktisch sein mag, ist mir völlig unverständlich.

9.) Zu 8. (WF an PH):

Lieber Peter, ich weiß um all die von Dir aufgezählten Details, vielen Dank trotzdem für Deine Antwort, denn die Diskussion bringt vielleicht Klarheit in ein dunkles Kapitel.

An keiner Stelle bestreite ich die unglaubliche Schuld auf Seite derer, die das ganze damals inszeniert haben. Was lernen wir aber daraus, wenn wir heute vor lauter monolithischer Erstarrung angesichts solcher Untaten und Todesstrategien den Blick für die dahinterliegenden Bedingungen vergessen zu schärfen um Analogien erkennen zu können?

Wo denn fehlt im Zusammenhang mit der Versklavung der Schwarzafrikaner der von Dir angeprangerte Systematismus? Wo? Glaubst Du denn etwa, das alles kam schicksalhaft über die Menschen schwarzer Hautfarbe? Gar gottgegeben? Oder am Beispiel des Schicksals der nordamerikanischen Indianer, wo fehlt da der "administrativ organisierte" Untergang? Gleiches gilt für das Beispiel der indigenen Bevölkerung Lateinamerikas und alle anderen von mir genannten Beispiele. Es geht nie um Gleichberechtigung sondern um gewaltsam angeeigneten VORTEIL: Mann über Frau, reich über arm, Macht gegen alle. Das ist doch System, oder? Das lohnt sich doch zu hinterfragen, oder? Wir sollten heute doch weiter gehen wollen als der Ansatz der Psychoanalyse, die immer nur ein besseres Anpassen des Einzelnen an die Bedingungen zu erreichen sucht, niemals aber deren Überwinden.

In den zentralen Bemühungen der modernen Globalisierungsstrategen sehe ich ebenfalls einen strukturellen Wandel im politisch-gesellschaftlichen System (des Erdballs) einsetzen, der nun in den Kapital-Global-Staat zu münden droht, in dem das Kapital nicht nur Terrorinstrument, sondern immer mehr auch selbständiges und dominierendes politisches, ökonomisches Alleinregulativ zu werden droht (Deine Worte leicht abgewandelt).

Was entwickelte sich denn aus dem "europäisch-arischen Rassengedanken und Rassenwahn"? Es ist doch nichts anderes als die Vorstellung derer, die heute versuchen die Welt im Sinne des Kapitals gegen die Menschen zu regieren.

"Die Armut unseres Jahrhunderts ist mit keinem anderen vergleichbar. Sie ist nicht wie früher, natürliches Resultat von Entbehrungen, sondern Resultat von PRIORITÄTEN, die die Reichen dem Rest der Welt diktiert haben." (John Berger, "Cada vez que decimos adios", Ediciones de la Flor, Argentinien 1997)

Für einige Menschen steht der Planet offen, doch für Millionen Menschen ist die Welt ein Nichtort und sie ziehen umherirrend von einem Teil zum anderen. Die organisierte Kriminalität (vormals SS) bildet das Rückrat der Rechtssysteme sowie der Regierungen. Es gibt genügend Literatur darüber, daß viele Köpfe der SS in die USA gebracht ihre "Intelligenz" in ein strategisches Denken und Handeln haben einbauen lassen, das heute die gesamte Welt in ein Konzentrationslager zu verwandeln sucht. Wo fehlt da die von Dir angesprochene Systematik, wo der Zwang, wo der Terror? Die Nazis zerstörten auch nicht um des Zerstören willen, sie sahen einen Vorteil. Nicht anders ist es heute.

Alles fein säuberlich in einer Tradition, die ich weitergehend hinterfragt und analysiert haben möchte als es mit Mahnmalen, Geldzahlungen und rührseligen Reden getan ist. Die Realität beweist, daß all das viel zu wenig ist.

Wird Dir mein Anliegen nun verständlicher?

10. PhH zu dem Thema:

Die Neo-Nazis haben mit ihrer Auschwitz-Relativierung einen ganz schlimmen Erfolg erzielt: Sie haben einen der Wege blockiert, über den in der dt. Zivilgesellschaft der Holocaust aufgearbeitet wird.

Nämlich: Als Reaktion auf diese Relativierung, die nur als Ent-Schuldung dienen soll, ist ein Tabu gegen jeglichen Vergleich von Verbrechen entstanden.

Im Historikerstreit 1986, das ich im Auftrag des Holocaust-Museums in Washington aufgearbeitet habe, gab es ein Satz von der "Gegenseite" -- Nolte, Stürmer, usw. -- den ich nicht von der Hand weisen konnte, wie ich beim meisten, was diese Meute rauskotzte, durchaus konnte. Ich weiß jetzt nicht wer genau es geschrieben hat, aber der Satz lautet:

"Von Unvergleichbarem lernt man nichts."

Ich denke das stimmt. Daher sage ich nach wie vor: "Der Völkermord der Nazis ist einmalig" aber nicht "unvergleichbar." Kein einziger hat nämlich 6 Millionen erschossen, sondern jeder einen oder Hundert oder Tausend. Und selbst wenn man Höß (Hess?) heranzieht, der für die Vergasung von 1 Millionen Juden verantwortlich zeichnete und dieses uberwachte, so will ich trotzdem nicht den kleinen SS-Mann aus den Augen verlieren, der "nur" ein paar hundert umbrachte. Wie konnten so viele ihren Teil dazu beitragen? Das ist die wirklich wichtige Frage. Und die Antwort darauf findet man nicht nur in Deutschland in der 1. Hälfte dieses Jahrhunderts.

So viele Menschen wie ein einziger SS-Mann hat z.B. eben auch ein Seemann umgebracht, der die gestapelten schwarzen Gefangenen (von ihm gefangen) vor seinen Augen verrecken sah und von diesen dann täglich ein Dutzend über Bord warf -- die Glücklichen, verglichen mit dem Los der meisten überlebenden. Es gab keine "Alliierten" die diesen Holocaust beendeten. Er ging weiter, 300 Jahre lang. Dadurch wurde, buchstäblich, die Schöngeisterei, die wir unsere Zivilisation nennen, und die, wie wir meinen, sowas auch verbietet, finanziert. Dadurch und durch den Völkermord an den Indianern. Und alle wußten es. Sie hielten es auch nicht für verwerflich, außer Rousseau und ein paar andere. Napoleon, Erbe der franz. Revolution, kämpfte lange und hart gegen die Sklavenbefreiungsbewegung auf Haiti. Er hat sie auch wiederversklavt, nachdem irgendwelche linke Spinner während der Revolution sie alle befreit hatten.

Dies alles ist eine Infragestellung der dunkelen Seite unserer Zivilisation. Der Holocaust bedingt auch eine Infragestellung, eine andere: Nicht die, nach ihrem übelen Ursprung sondern die, nach ihrer Wirkung. Aber diese beide Themen schließen sich nicht aus, "relativieren" sich auch nicht, sondern ergänzen sich.

In den USA sind es u.a. die Juden gewesen, die em engagiertesten für die Gleichberechtigung der Schwarzen kämpften. Andererseits war der einzige Jude mit Kabinettsrang im US-Bürgerkrieg der Finanzminister der Sklavenhalter-Konföderation (des "Südens"). Trotzdem überwog der erste Faktor, die Schwarzen in der Bürgerrechtsbewegung vergaßen Finanzminister Benjamin und erinnerten sich an die "Befreiungstheologie" der Sklavenzeit, die v.a. auf den Auszug der Juden aus Ägypten unter Moses basierte, auf dieser Basis schmiedete man ein Bündnis gegen die Rassendiskriminierung.

Erst ab '68 entdeckten die Schwarzen ihre 3.-Welt-Solidarität mit den Palästinensern; nun war es nur eine linke Minderheit der Juden, die die Solidarität aufrechterhielten, nun gab es auch in den USA eine hässliche Aufrechnung -- so nach dem Motto: "Hört doch auf mit dem Gejammere über

Auschwitz, was interessiert es uns, wenn sich Weiße ausnahmsweise mal gegenseitig umbringen? Das Sklavensystem war viel schlimmer, wir leiden jetzt noch darunter und euch geht es Danke."

Das hat sich Gottseidank nun etwas gelegt. Es wird Zeit, eine produktive Diskussion über dieses Thema zu eröffnen, in den USA und auch und gerade hier, aber auch überall. Diese muß die Gräben und die Tabus überwinden, die eine Diskussion unmöglich machen, die v.a. gruppen- bzw. nationspezifisch sind, denn die Diskussion muß im Gegenteil universell verlaufen.

Gruppenspezifisch -- nämlich deutsch-spezifisch -- ist eben ein Verbot der vergleichenden Historie. Denn auch der Holocaust fällt nicht außerhalb des Rahmens menschlichen Tuns, muß also innerhalb dieses Rahmens aufarbeitbar sein. Alles andere verneint die zivilisatorischen Grundsätze, gegen die die Nazis gekämpft haben.

V.a. sollten wir lernen, daß der Holocaust UNSERE Katastrophe ist. Es ist nicht das schlimmste "der ganzen Weltgeschichte" -- sowas kann es gar nicht geben, denn die Beurteilung eines solchen Vorgangs spielt IMMER im Rahmen einer Zivilisation ab. Nur dieser Rahmen bietet den Maßstab für eine Beurteilung. Die Menschen außerhalb Europas/ Nordamerikas haben einen anderen Rahmen, wer weiß, z.B. in Japan, denn überhaupt, was der Unterschied zwischen Juden und Christen ist? (Meist wird z.B. bei uns die Zahl der Weltkriegstoten mit 50 Millionen angegeben. Auf diese Zahl kommt man nur, wenn man die fast gleich große Zahl der Toten in Ostasien wegläßt.) Damit will ich aber auch nichts relativieren, sondern im Gegenteil: den Maßstab setzen für einen Dialog, der zu einen weltweiten Rahmen führt, der nicht nur von uns Europäern festgelegt wird.

Aber ein letzter Satz -- ein sachlicher Ton muß auch her. Wer die endlos erweiterbare Liste historischer Verbrechen plakativ anschlägt und mit dem Verweis "nicht nur der Holocaust ..." seinem Gegenüber um die Ohren haut, darf sich nicht wundern, wenn er damit die Tabu-erhaltende Holzhammer-Reaktion hervorruft (8.).

11.) zu 10. (WF an PhH):

Das sehe ich genauso, Phill. Ich sehe, Du hast den Punkt, auf den es mir ankommt, verstanden. Es ist tatsächlich fatal, wenn die hintergründigen Zusammenhänge auf denen diese für die Mehrheit der Menschen sich nachteilig auswirkende Zivilisation aufbaut, weiterhin nicht thematisiert und damit nicht hinterfragt und damit perpetuiert werden.

12.) zu 10. (JP an PhH):

Eine harte Forderung, denn ich kenne niemanden, der das größte aller Verbrechen "aufarbeiten" könnte. Denn es konnte mir bisher niemand erklären, wie es zum Holocaust kommen konnte. Was für ein Mensch muß das sein, der den Holocaust erklären kann? Erst wer das Geschehen vollständig erklären kann, kann aber wagen, es zu vergleichen. Wer es trotzdem tut, der nimmt zwangsläufig eine utilitaristische Perspektive ein, etwa die Perspektive von (Mit)tätern die sich um die künftige Effizienz von Massentötungsmethoden Sorgen machen, oder von Sympathisanten der Täter, die sich an der Erarbeitung wissenschaftlich verbrämter Strichlistenmethoden zur präzisen Nummerierung ihrer Opfer ergötzen. Deshalb fällt der Holocaust zwar in den Rahmen menschlichen Tuns, aber nicht in den Rahmen des Tuns, was sich kraft menschlicher Vernunft erklären ließe; es fällt aber auch nicht in die absolute Unerklärbarkeit, was einer irrationalen Mystifizierung Vorschub leisten würde und den Widerstand gegen die Wiederholung der Geschichte sinnlos erscheinen ließe. Statt "Aufarbeitung" ist vielmehr ein ständiges Bemühen nötig, das niemals zu Ende gehen wird.

Zur Entmystifizierung: Nicht urplötzlich auftauchende "Nazis" waren es, wie uns unsere LehrerInnen weismachen wollen, sondern es waren ganz normale Deutsche, die die Taten in Gang setzten und der gesamten menschlichen Zivilisation den Krieg erklärten. Der Begriff "Nazi" ist eine Schutzvokabel gewesen, den die Deutschen in der Nachkriegszeit und die damalige junge 68er-Generation brauchten, um mit ihrer Kollektivscham nicht umgehen zu müssen. Die Dritte Generation hat das Verkrampfen nicht mehr nötig, sie kann mit der Kollektivscham anders umgehen.

Die jetzt im Bundestag beschlossene Entschädigung der ZwangsarbeiterInnen hat nicht sehr viel mit dem Holocaust zu tun. Es handelt sich um ein anderes Kapitel aus der NS-Herrschaft. Zwangsarbeit wurde in schätzungsweise über 10.000 Lagern im ganzen ehemaligen Reichsgebiet von ca. 10-12 Mio. Menschen geleistet. In fast jedem Ort in Deutschland gab es ein oder mehrere Lager, die ganze deutsche Bevölkerung in Form von Staat und Wirtschaft wirkte an diesen Verbrechen mit oder wurde Zeuge der Verbrechen. Die überwiegende Mehrzahl der Zwangsarbeiter waren PolInnen, RussInnen, UkrainerInnen. Die Entschädigung soll für entgangene Löhne für geleistete Arbeit in deutschen Unternehmen bezahlt werden. Streng genommen sind es Reparationsforderungen vor allem der osteuropäischen Staaten, die aber nach dem 2+4-Vertrag juristisch nicht mehr möglich sind. Ich schäme mich, daß es den Deutschen bis zum heutigen Tage noch nicht gelungen ist, sich dieser Verantwortung anzunehmen. (zurück zu 19.)

13.) Zu 12. (WF an JP):

 „.. vielmehr ein ständiges Bemühen nötig, das niemals zu Ende gehen wird."

Amen! Klingt ja äußerst fatalistisch, klingt wie: die Menschen waren immer böse, werden also immer böse bleiben. Oder: Arm und reich gab es immer, wird auch immer so bleiben. Sehr bequem einerseits und zudem eine Garantie zum Erhalt des status quo!

„...Die Dritte Generation hat das Verkrampfen nicht mehr nötig, sie kann mit der Kollektivscham anders umgehen."

Muß sie auch, denn ein längerer verkrampft erstarrter Blick auf die Schlange ist der sichere Untergang des Kaninchens!

- Kolonialisierung - Nazi-Lebensraumkonzeption - US Grand Area Concept -Globalisierung (ausführlich nachzulesen bei Dieterich: Ironien der Weltgeschichte: Strukturparalellen zwischen Nazi-Lebensraum und Erster/Dritter Welt heute in "Das Fünfhundertjährige Reich" von Höfer, Dieterich, Meyer -

14.) Zu 12. (PhH an JP):

„...es zu vergleichen."

Das ist Unsinn, denn es trifft ganz offensichtlich für kein anderes Phänomen zu. Bei allem anderen prüfen wir die die Gegebenheiten und die Beweismittel, vergleichen (jawohl!!) diese mit bekanntem und fällen ERST DANN unser Urteil, formulieren unsere Analyse.

„...Wer es trotzdem tut, der ..."

Ein schlimmer Vorwurf, den Du durch nichts belegst, den ich aber nur mit der schlimmsten kirchlichen Mystifizierung vergleichen kann, etwa "Gottes Wege sind unergründlich, wer den Hochmut besitzt, sie zu erkunden, ist des Teufels, für ihn halten wir eine Grillfete bereit."

„...das niemals zu Ende gehen wird."

Meine Einwände hast Du jetzt wohl selber erahnt und versuchst schnell noch zurückzurudern -- keine "absolute Unerklärbarkeit" -- Also wat nu? Deine Antwort: Wir sind alle kleine Mönche, die uns "ständig bemühen" Gott näher zu kommen, obwohl wir wissen, daß das "niemals zu Ende gehen wird".

„...Zur Entmystifizierung: Nicht urplötzlich auftauchende "Nazis" ..."

Also: Du hast doch eine Antwort auf die unantwortbare Frage. Der Holocaust ist erklärbar aus der deutschen Normalität. Damit sind wir an einer Kreuzung, können einen von 2 Wegen einschlagen. Wir können das auf sich beruhen lassen, sagen die Deutschen sind schlimme Finger, außer die, die Konkret lesen und die, die man selbst persönlich kennt und mag, und die "Verhinderung von Deutschland" zu seinem Hauptziel küren. Dann hat man so ungefähr die Methode angewandt, die die Nazis bei den Juden angewandt haben, was allerdings für die betroffenen Deutschen überhaupt nicht schlimm ist, weil sie nicht gefährdet sind, aber man macht sich selbst ziemlich lächerlich; und außerdem führt das politisch ins Abseits, was man sehr klar sehen kann, wenn man die Katastrophenvorhersagen liest, die etwa vor 10 Jahren z.B. in Konkret und ähnlichen Blättern erschienen, wonach Deutschland jetzt längst irgendwelche Kriege angefangen haben müßte und halb oder ganz faschistisch sein müßte (an einem der regelmäßig stattfinden US-Kriegen in untergeordneter Stellung teilnehmen ist da eine ziemlich schwache Bestätigung).

Der 2. Weg ist, aufarbeiten. Ganz einfach. Untersuchen, wie Menschen sowas tun. Und dann stellen wir fest, daß es auch andere tun, auch wenn der Gesamtrahmen nicht dem Horror dieses einen Falles gleichkommt.

Denn es gibt eben neben der Parole der "Unvergleichbarkeit" bzw (besser:) "Einmaligkeit" auch noch die andere sehr gute "Wehret den Anfängen!" Wer aber den Holocaust zum unvergleichbaren Casus sui generis erklärt und jeden, der diese Erklärung in Frage stellt, so in Grund und Boden verflucht, wie du es hier getan hast, der kann doch irgendwelche Anfänge eigentlich nicht erkennen. Denn kein Anschlag auf ein Asylbewerberheim ist in irgendeiner Weise nur annähernd auf eine Stufe mit Auschwitz zu stellen.

Und trotzdem hat niemand was dagegen, wenn man, richtigerweise, die Täter Nazis schimpft und sie als faschistische Gefahr für Demokratie und auch Zivilisation einstuft. Das ist ja das eigenartige: Jeder, der die "Vergleiche" verbieten will, hat natürlich selber Vergleiche, auf die er nicht verzichten will. Da wird schlimm Schindluder getrieben. Eine Zeitlang war, in den Augen rechter Juden, jeder, der nur die geringste Kritik an Israel übte, ein Antisemit und zwar Träger der einzigen wirklich relevanten Form des Antisemitismus in der Nachkriegszeit, daher auch ein Erbe Hitlers.

Zur wissenschaftlichen, rationalistischen Aufarbeitung ist daher auch keine Alternative.

„Die Dritte Generation hat das Verkrampfen nicht mehr nötig, sie kann mit der Kollektivscham anders umgehen."

Anders als Du, meinst du wohl. Hoffentlich. Aber DARF sie es, aus Deiner Sicht auch?

15.) Zu 6.-14. (KS an alle):

Liebe Leute! Ich habe den Eindruck, daß hier zwei grundlegend verschiedene Dinge durcheinandergemischt werden: Zum einen die Frage, wie es zu beurteilen ist, wenn in Diskussionen oder diskutierte Papiere über den Holocaust oder allgemeiner über deutsche Greueltaten in der Nazizeit (hier ein Papier über die Zwangsarbeiter und das Gezerre um "Entschädigungs"-zahlungen) ohne jede rationale Begründung das Thema 'Verbrechen anderer Völker' eingebracht wird. In diesem Fall ist das unbewußte (manchmal auch bewußte) Motiv Gewissensentlastung durch Relativieren.

Eine ganz andere Frage ist es, wenn in einer Diskussion (aktuell oder schriftlich niedergelegt) das Thema Ursachen des Holocaust, Ursachen des Nationalsozialismus, des Faschismus, des Antisemitismus auf der Tagesordnung steht.

Wichtig ist dabei, sich der Zweideutigkeit des deutschen Wortes 'vergleichen' bewußt zu sein. Wenn ich in der Chemie die Eigenschaften des Metalls Aluminium verstehen will, ist es sinnvoll, es mit anderen Metallen und deren chemischer Struktur zu vergleichen. Ich betrachte verschiedene Dinge mit einem gemeinsamen Charakteristikum - nämlich Metall zu sein. Hierbei ist klar, bei einer solchen Diskussion niemand Verschiedenes gleichsetzen will.

Wenn ich die Wahscheinlichkeit, Opfer einer Reaktorkatastrophe zu werden mit der, von einem Meteoriten erschlagen zu werden, vergleiche, betrachte ich zwei abstrakte Größen (z.B. 1 zu 10 Millionen) und setze sie gleich - oder verneine deren Gleichheit. Bei diesem 'Vergleichen' ist also meine Absicht auf das Gleichsetzen - oder Verneinen der Gleichheit - gerichtet.

Nun werden sicher gleich (fast) alle, die in Situationen, in denen gar nicht nach einer Erklärung des Holocaust gefragt war, mit Vergleichen daherkamen, behaupten, ihnen ginge es gar nicht um das Gleichsetzen, sondern um das Vergleichen, um zu erklären... Das ist menschlich verständlich, denn (fast) alle, die sich angegriffen fühlen, reagieren mit Verteidigung oder Gegenangriff. Aber darüber zu diskutieren wäre müßig, denn ich kann niemandem in den Kopf schauen und ihr oder ihm die unterstellte Motivation beweisen !

Weiter wird die ganze Angelegenheit noch mehr dadurch vernebelt, weil - gelegentlich von beiden Seiten - damit argumentiert wird, der Holocaust sei nicht erklärbar. Auch hier ist es müßig, darüber zu steiten, ob erklärbar oder auch nicht. Denn es ist - nach meiner bescheidenen Meinung - nötig, zu versuchen, das zu erklären und zu verstehen, was ich für die Zukunft verhindern will. Und es ist eine Binsenweisheit, daß jede Erklärung (jedenfalls wissenschaftliche und nicht religiöse) nur eine Teilerklärung und Annäherung an die Wahrheit sein kann.

Völlig untauglich sind in diesem Zusammenhang (finde ich) solche Vokabeln wie 'aufarbeiten' oder gar 'abarbeiten', weil sie suggerieren, wir könnten uns auf diese Weise des Themas entledigen - nach dem Motto: Abgearbeitet und ab in die Ablage der Geschichte... (zurück zu 17.)

16.) Zu 7. (KS an WF):

Lieber Wolfgang! Und Du gehst völlig an meiner Kritik vorbei! Du faßt das wirklich als versuchte Trostspende auf? Erzähle diese Geschichte mal irgendwem und frage, wie sie oder er diesen Versuch versteht und empfindet. Dieser Vergleich mit dem Tod der Tochter seiner Schwester ist doch völlig daneben - soetwas kann doch kein empfindender Mensch in einer solchen Situation sagen - außer um das eigene Gewissen zu beschwichtigen. Wie sehr Du Dich mit dem Fahrer aus dieser Geschichte identifizierst, läßt sich auch daran ersehen, daß Du von 'Todesfahrer' schreibst und ihm eine Schuld zuschreibst, die ich in der Geschichte bewußt offengelassen habe. Aus der Geschichte geht nicht hervor, ob der Fahrer vielleicht tatsächlich nur Tempo 30 gefahren ist und das Kind so unglücklich gegen das Auto prallte, daß es sofort tot war... (Die Frage der Schuld ist in diesem Zusammenhang unwesentlich - im Gegensatz zum Schuldgefühl) Soll er nun in Zukunft nicht mehr Autofahren als Konsequenz? Mir ist vor etlichen Jahren folgendes passiert: mein Sohn, damals 3 Jahre, rannt (aus Unachtsamkeit? eigene Schuld ) gegen das sehr langsam fahrende Auto eines jungen Mädchens, das gerade seinen Führerschein gemacht hatte. Er brüllte wie am Spieß und erst später stellte sich heraus, daß es nur.ein Schock und völlig unbedeutende physische Verletzungen, Hämatome,.waren... Auf was ich hinaus will ? Das Mädchen fühlte sich - wie ich fand - grundlos schuldig, fragte öfter telefonisch nach dem Befinden meines Sohnes, wäre aber mit Sicherheit niemals auf die Idee gekommen durch Vergleiche mit anderen Unglücksfällen zu trösten (oder zu relativieren).

„Ein Verbrechen A zu benennen darf doch nicht daran hindern das Verbrechen B zu sehen? Bei wem ist denn da der blinde Fleck?"

Darum geht's auch nicht - es nicht geht darum, Verbrechen B zu sehen oder auch nicht zu sehen. Es geht darum, in welcher Situation darüber geredet werden kann und in welcher nicht!

„moralisch gesühnt soll hier heißen...."

Ist dann 'Schindlers Liste' von Steven Spielberg auch "Sühne" in Deinem Verständnis? Ich finde, da weichst Du den Begriff ein bißchen arg weit auf und formst in völlig nach deinem Gusto um.

„...ist denn das zuviel verlangt?"

Nein. Wir haben durchaus dasselbe Ziel (will ich jedenfalls mal annehmen). Aber so wie Du es in diesem Zusammenhang gemacht hast, ist es dem Ziel abträglich!

17.) Zu 15. und 16. (WF an KS/alle):

„Und Du gehst völlig an meiner Kritik vorbei!"

Ja mag sein, zugegeben, denn ich wollte weniger übers Autofahren und zufällige Schuld/Unschuld sprechen als über ein systematisches Morden, sei es kurzfristig per Gaskammer oder sei es langfristig durch den Hungertod. In beiden Fällen sehe ich als Motivation den Vorteil einer definierten Gruppe von Menschen: einmal waren es die Strategen des III.Reichs und im anderen Fall sind es die Strategen, die meinen, das Recht zu besitzen, die Welt nach ihrem elitären Willen auf Kosten der Lebensbasis und der großen Mehrheit der Menschen zu formen.

Hier zeigt eine konsequente Fortsetzung einer patriarchal faschistischen Denkweise und nekrophilen Lebensauffassung, auf die ich aufmerksam machen will.

„...Verbrechen B zu sehen oder auch nicht zu sehen. Es geht darum, in welcher Situation darüber geredet werden kann und in welcher nicht!"

Und wer soll/will denn da den Zensor spielen?

„Ist dann 'Schindlers Liste' von Steven Spielberg auch "Sühne" in Deinem Verständnis? Ich finde, da weichst Du den Begriff ein bißchen arg weit auf und formst in völlig nach Deinem Gusto um."

In der Tat, Spielbergs Film ist eine kleine Facette des Ganzen. Leider mangelt es "Kultur oder Zivilisation" noch weit an ähnlichen Einsichten und ethischen Handlungsnormen.

„...Aber so wie Du es in diesem Zusammenhang gemacht hast, ist es dem Ziel abträglich!"

Aus Deiner Sichtweise womöglich abträglich, aber dennoch, lassen wir uns nicht entmutigen!

„...wie es zu beurteilen ist, wenn in Diskussionen..."

Da ja die Redefreiheit noch besteht ist es wohl erlaubt Assoziationen, auch wenn sie ungewöhnlich erscheinen mögen, zur Diskussion zu stellen.

„..In diesem Fall ist das unbewußte (manchmal auch bewußte) Motiv Gewissensentlastung durch Relativieren."

Starke Behauptung zu auch meiner Motivation! Woher nimmst Du Dir das Recht zu diesem Urteil?

„....Abgearbeitet und ab in die Ablage der Geschichte..."

Was hast Du gegen aufarbeiten? Ist Dir das zu aktiv, gar zu positiv? Und glaubst Du erst gar nicht an die Möglichkeit, die Spaltungen der menschlichen Psyche einestages zu überwinden mit dem Ziel der menschlichen Emanzipation von all der Destruktivität, die im Zusammenhang dieser Diskussion benannt wurde? (zurück zu 20.)

18.) Zu 7. (FM an WF):

Lieber Wolfgang, ich glaube, ich verstehe Deinen point. Ich nehme an dir geht es um möglichst umfassende Trauerarbeit. Aber würden bei einer beharrlichen, die Langfristigkeit eines so ungeheuren Trauerprozesses berücksichtigenden und deshalb geduldigen Arbeit an der Bewusstwerdung dieses monströsen Verbrechens nicht die Ursachen der menschlichen Nekrophilie (E.Fromm) überhaupt thematisiert werden müssen und sich dabei en passant die Ursachen für den Massenmord an den Armeniern, Indianern, Hutus und Tutsis, kambodschanischen Brillenträgern und nicht zu vergessen Roma und Sinti automatisch miterledigen? Man kann diese dabei NENNEN, aber die Gefahr, die die anderen Diskussionsteilnehmer benennen, dass Dir dies als Aufrechnung ausgelegt werden könnte, ist vielleicht grösser als die Gefahr, die du benennst, nämlich die Gefahr sich den Vorwurf einzuhandeln, dass wir Deutschen uns immer nur für die deutschen Verbrechen interessierten. Und warum nicht? Das ist doch leicht zu umgehen, indem das alte Sprichwort, jeder möge zunächst vor seiner Tür kehren, zur Abwehr jedes Verdachts von Provinzialismus oder Borniertheit oder mangelnder Sensibilität gegen fremde Verbrechen verwendet werden kann. Ich denke auch, es ist nicht nationalistisch, wenn wir uns auf unsere eigene Horrorstory beschränken (ich finde es im Zusammenhang mit dem Mahnmal sogar wichtig!). Denn diese niemals AUFZUARBEITENDE Geschichte HAT doch eine universale Dimension! Beste Gruesse, und ich versichere Dir meinen Respekt vor Deiner Meinung! (zurück zu 21.)

19.) Zu 12. (RL an JP):

„....Denn es konnte mir bisher niemand......., das niemals zu Ende gehen wird."

Was heisst denn das bitte konkret?

Der Begriff 'Holocaust' ist - wie die Ausdrücke 'Shoah' (Der Begriff 'Shoah' wird im Protokoll der Verhandlungen des Volksrates des Staates Israel vom 16. 05. 1948, S. 24, 4. Sitzung 14. 05. 1948 zur Legitimation der Staatsgründung verwendet. Inzwischen hat dieses Selbstverständnis gerade in der jüngeren israelischen Bevölkerung sämtliche jüdischen Geschichtsereignisse und Geschichtsmythen (Annahme der Tora am Berge Sinai, Exodus, Zerstörung des Tempels, 2.Exodus) an Bedeutung übertroffen. Desto weiter das historische Ereignis der Ermordung der europäischen Juden zurückliegt, desto grösser wird nicht die historische Distanz oder sachliche Betrachtungsweise, sondern die mythische Wirkung. In Israel wird diese - generell zu beobachtende - Tendenz auch noch bewusst gepflegt und benutzt.) oder 'Der Dritte Churban' - nicht geschichtswissenschaftlich sondern theologisch.

Dem historischen Ereignis - der Verleumdung, Diskriminierung, Entrechtung, Enteignung, Verfolgung, Vertreibung und Ermordung der europäischen Juden - wird durch solche Termini gleich eine - recht fragwürdige - Sinndeutung unterschoben. Deren Verwendern dürfte zumeist - inbesondere im Hinblick auf den religiösen Kontext der Begriffe - der ursprüngliche Sinn unklar sein. Leider haben diese Begrifflichkeiten inzwischen - zumeist völlig unreflektiert - auch Eingang in Texte von FachhistorikerInnen gefunden, so, als sei 'Holocaust' quasi eine adäquate Kurzformel fuer die Ereignisse und nicht ein problematisches Deutungskonzept.

Zeitgleich mit der Karriere des Begriffes stiegen auch jene Schriften an, welche sich fast ausschliesslich nur noch auf der Metaebene angestrebter Sinndeutung mit der einschlägigen Geschichte befassten. Gunnar Heinsohn hat etliche davon in seinem Buch "Warum Auschwitz" (Reinbeck 1995) treffend portraitiert.

Da aber nur wenige dies so decodieren können, liegt in der Verwendung eines - dann ja unverständlichen - Begriffes etwas von dem, was man als Teil der wachsenden Mythologisierung des Ereignisses sehen kann. Damit ist nicht eine absichtsvolle Verfälschung historischer Tatsachen gemeint, sondern, dass der Verlust von Unmittelbarkeit - statt durch Quellennähe - durch metaphorische und mythologische Konstitution einer (unveränderlichen) 'ewigen Wahrheit' ersetzt wird.

„Zur Entmystifizierung: Nicht urploetzlich auftauchende "Nazis" waren es, wie uns unsere LehrerInnen weismachen wollen, sondern es waren ganz normale Deutsche, die die Taten in Gang setzten und der gesamten menschlichen Zivilisation den Krieg erklaerten. [...]"

Das Letztere ist sichtlich ein argumentatives Goldhagen-Derivat. Die Debatte um sein monokausales Buch ist eine andere Baustelle.

Zurück zur Ausgangsthese: Selbstverstaendlich lässt sich die Ermordung der europäischen Juden erforschen. Reitlinger, Hilberg und Yahil haben in unterschiedlichen Jahrzehnten dazu Standardwerke veröffentlicht. Zu jeder NS-Organisation gibt es inzwischen auch Regionalstudien. Der Nationalsozialismus hat Hekatomben von Dokumenten hinterlassen. Trotzdem ist die Epoche 1933-1945 die inzwischen am Besten erforschte Epoche der Menschheitsgeschichte.

Trotzdem war der Blick oft nur interessegeleitet: Kommunisten glaubten - mit zutreffendem Verweis auf die Ruhrlade - simpel die NS-Bewegung als Verschwörung des Monopolkapitals entlarvt zu haben. Dabei wurde u.a. geflissentlich unterschlagen, dass etliche Plakate der Revolutionszeit in Russland den karikierten Kapitalisten mit dezidiert antisemitischen Klischees ausstaffierten. Neuere Untersuchungen, über antisemitische Klischees in sozialdemokratischen Presseorganen des Kaiserreiches legen nahe, auch hier deutlicher zu differenzieren. Die Politik der Weimarer KPD, die Sozialdemokratie als Sozialfaschisten zu diffamieren, wurde dann 1945 noch als angeblich gezogene 'Lehre aus der Geschichte' zur Legitimation der Zwangsvereinigung von KPD und SPD benutzt.

Protestantische und katholische Kirchenfunktionäre werden auch heute nicht müde, als Ursache des NS den "Abfall von Gott" auszumachen, also den Agnostikern und Atheisten den Katholiken Hitler in die Schuhe zu schieben. Dabei wird die kirchliche Kooperation mit der Diktatur ebenso geschönt [der katholische Theologe Heinrich Missalla hat kürzlich nachgewiesen, dass etliche Kriegspredigten katholischer Bischöfe in von der Kirche herausgegebenen Nachkriegseditionen ohne Kennzeichnung um sehr einschlägige Sätze gekürzt wurden - soviel zum Thema 'Aufrichtigkeit des MEA CULPA'], wie der christliche Antijudaismus als Wurzel des Antisemitismus unterschlagen. Besonders entgeht ihnen aber dabei, wie sehr der Nationalsozialismus als Organisation wie als Ideologie nach kirchlichen Vorbildern quasireligiös gestrickt ist. So manche Hitlerrede ist mit liturgischen Versatzstücken gespickt.

Die Affinität diverser freireligiöser und neuheidnischer Gruppierungen zum Nationalsozialismus, z.T. mit erschreckend langer Nachkriegstradition, ist auch erst in den letzten 20 Jahren erforscht worden.

Wenn sich mal jemand die Mühe machte, von der freidenkerischen Diskussion Anfang des Jahrhunderts - um selbstbestimmtes Sterben-, die personellen Kontinuitäten zu deren wissenschaftlichen Schülern zu ziehen, dürfte man auf einige einschlägige Selektionsmediziner stossen - in der Weise, in der der aufgeklärte bürgerliche Humanismus durch biologistische Argumentationen ersetzt wurde.

Konservative setz(t)en gerne ueber die Totalitarismustheorie Nationalsozialismus und Stalinismus gleich, und incorporier(t)en damit den Antikommunismus, der es ja alten Nazis leichter machte, sich in der Bundesrepublik des kalten Krieges zurechtzufinden. Dieses Ideologem hat kurioserweise das Ende des Ostblockes überlebt. Natürlich wird damit von der historischen Allianz zwischen Konservatismus und Nationalsozialismus (Tag von Potsdam) abgelenkt.

Gerne wurde eine intellektuelle Minderbemitteltheit den Nazis attestiert und gönnerhaft belächelt, obgleich doch gerade viele junge und gebildete Wissenschaftler glühende Anhänger der Nazis gewesen sind. Überhaupt hat die neuere Sozialgeschichte eine hohe Übereinstimmung der damaligen Bevölkerung mit der allgemeinen NS-Politik nachgewiesen - da war nicht die Mehrheit in der 'inneren Emigration'! Und Zehntausende waren sogar direkt an der Durchführung von NS-Verbrechen beteiligt.

Kurz: Die zahlreichen monokausalen Interpretationsversuche sagen meist mehr über die Interpreten als über das Interpretierte - wobei wir wieder bei Goldhagen wären!

Die Toten sind tot - denen hilft nun heute gar nichts mehr. Das Leid ist auch überhaupt nicht beseitigbar. Es hat stattgefunden, die Orte des Terrors sind aufsuchbar, aber das Leid schwebt nicht wolkig irgendwie herum.

Die Diskussion um das Berliner Mahnmal ist so aufschlussreich, wie der ästhetische Lösungsversuch unzureichend bleiben musste.

Aufgabe der Wissenschaft ist es, die Ereignisse, ihre Ursachen und Folgen möglichst präzise und umfassend zu erforschen und erhellend zu präsentieren. Letzteres wird aber von einer deutlich auf Medienwirksamkeit angewiesenen Ausstellungskultur weitgehend dominiert. Niemand ausserhalb der Fachwissenschaft hat 1977 Christian Streits Dissertation - über das Verhalten der Wehrmacht gegenüber sowjetischen Kriegsgefangenen - zur Kenntnis genommen. Auch die quellenreiche Berliner Ausstellung - über den Krieg gegen die Sowjetunion - fand eher geringe öffentliche Aufmerksamkeit. Erst die Ausstellung des Hamburger Institutes fuer Sozialforschung ('Reemtsma') hat Wirbel ausgelöst. Und in Hamburg war man so leichtfertig, Bildquellen als blosse effekthaschende Illustration zu begreifen und - ohne ausreichende Klärung - diese Ereignissen zuzuordnen, von denen sie aber teilweise - wie sich nachträglich herausstellte - gar nicht stammten. In der Öffentlichkeit konnte der Eindruck entstehen, als seien die durch Textquellen ja ausreichend belegten Ereignisse plötzlich selbst fraglich geworden. Sehr lange haben die Ausstellungsmacher die sachlich fundierte Kritik gar nicht einmal ernstgenommen. Das passiert, wenn Fachwissenschaft im handwerklichen schludert, da man glaubt, ja einer eh 'wahren' These zu dienen. Und so wurde den Mythenzerstörern der These von der 'Sauberkeit der Wehrmacht', ihre eigene Verstrickung in eine mythische Betrachtungsweise der NS-Verbrechen zum Verhängnis.

20.) Zu 17. (KS an WF):

„....Hungertod. In beiden Fällen sehe ich als Motivation den Vorteil ."

'Vorteil' - Ich sehe, wir stehen in unseren Versuchen, den Holocaust zu verstehen, doch auf recht verschiedenen Positionen. Ich bin der Ansicht, daß wir neben bewußten Motiven auch unbewußte mit berücksichtigen müssen. In der Gesamtheit der Motive bewerte ich die tatsächlichen oder auch darüberhinausgehend, die Vorteile, die sich die Deutschen (incl. explizite Nazis) aus dem Völkermord an den Juden versprachen, als wenig bedeutend ein. Das weit überwiegende Hauptgewicht der Motivation lag in einem irrationalen (durchaus auch Erklärungen zugänglichen) Judenhaß. Und auch wiederum nur ein Teil dieser irrationalen Motivation ist durch ihre kompensatorische Funktion erklärbar... Und: vergessen wir nicht die Morde an Sinti und Roma, Homosexuellen und aufgrund psychischer oder politischer Begründungen oder Scheinbegründungen Ausgesonderten...

Wenn Du einerseits dem von mir genannten Gesamtnenner aller Motive, dem Syndrom der Lebensfeindlichkeit, als grundlegendem Motiv hinter allen irrationalen ("die Juden sind die Parasiten unter den Völkern",...) und (vordergründig) rationalen ("Wir holen uns deren Gold") Motive, also einem zutiefst irrationalen, zustimmst, ist mir unverständlich, wie Du andererseits so platt mit "Vorteil" argumentieren kannst.

„....definierten Gruppe von Menschen: einmal waren es die Strategen des......"

'die Strategen' - das ist mir ein bißchen zu nebulös ! Auch an anderen Stellen hatte ich schon den Eindruck, daß Du es Dir mit dem Ziehen von Parallelen (die ich durchaus in vielen Bereichen zu erkennen glaube) zu einfach machst.

„Hier zeigt eine konsequente Fortsetzung einer patriarchal faschistischen Denkweise und nekrophilen Lebensauffassung, auf die ich aufmerksam machen will."

Wenn Du ein Wort wie 'nekrophil' benutzt, vermute ich, daß Du es hier im Sinne benutzt - wie es z.B. Erich Fromm geprägt hat. Hast Du Dich mit solchen Erklärungsansätzen näher beschäftigt? Auch Deine Zusammenziehung 'patriarchal faschistisch' verweist auf einen - meines Erachtens grundlegenden - Zusammenhang. So formuliert könnte es allerdings auch als plumpe und (allein schon historisch betrachtet) grotesk falsche Gleichsetzung miß(?)verstanden werden.

„...lassen wir uns nicht entmutigen!"

Da sind wir uns einig (zurück zu 22.)

21.) Zu 18. (WF an FM):

„......die Ursachen der menschlichen Nekrophilie (E.Fromm) überhaupt thematisiert werden müssen "

Ja eben daran hat sich ja die Diskussion entzunden: daran, daß ich gesagt habe, daß das Aufarbeiten des Einen nur dann wirklich gelingen kann, wenn wir uns auch mit den anderen Untaten und Geisteshaltungen beschäftigen.

„...nämlich die Gefahr sich den Vorwurf einzuhandeln, dass wir Deutschen uns immer nur für die deutschen Verbrechen interessierten."

Lieber Frank, auf eine solche Gefahr hinzuweisen lag nie in meiner Absicht. Jeder mag das Objekt seiner Beschäftigung selbst bestimmen. Wogegen ich mich wehre ist der Vorwurf, der Ungeheuerlichkeit des Holocaust die Spitze nehmen zu wollen, allein dadurch, daß ich auf andere Untaten hinweise.

Auf die Dunkelseiten der Menschheit, d.h. ihrer "politischen Entscheidungsträger und Meinungsmacher im Laufe der Geschichte" weise ich doch nur deshalb hin, um auf identische Ursachen aufmerksam zu machen. Denn wenn diese Ursachen nicht erkannt werden, bleibt uns in Zukunft auch nur der Bau weiterer Mahnmale! Weißt Du, ich habe den Sinn der dörflichen Kriegsmahnmale NIE verstanden. Ich hab mir gesagt: wenn die Menschen es mit diesen Mahnmalen wirklich ernst meinen, wie können sie da jemals wieder für einen Krieg sein? Solange wir unser Gewissen lediglich selbstgefällig beruhigen, brauchen wir uns über die Persistenz des Bösen in uns nicht zu wundern.

„..Denn diese niemals AUFZUARBEITENDE Geschichte HAT doch eine universale Dimension!"

Niemals?? Ich hoffe im Sinne zukünftiger Generationen, daß es sehr wohl gelingt, die Geschichte aufzuarbeiten, gerade wegen der universalen Dimension und Bedeutung!

22.) Zu 20. (WF an KS):

„...'Vorteil' - Ich sehe, wir stehen in unseren Versuchen, den Holocaust zu versehen, doch auf recht verschiedenen Positionen."

Mißverständnis! s.u.

„....Das weit überwiegende Hauptgewicht der Motivation lag in einem irrationalen (durchaus auch Erklärungen zugänglichen) Judenhaß.

Judenhaß, klar - ich sprach doch vom z.B. Sündenbockmästen, das auch noch heute als politisches Instrument aktuell geblieben ist!

„... so platt mit "Vorteil" argumentieren kannst."

Ich sehe im "Vorteil" nicht nur den materiellen. Zum "Vorteil" zähle ich genauso den vermeintlichen Vorteil, all das also, was sich auch unbewußt abspielt.

„...waren es die Strategen.[...].sind es die Strategen...."

Ich ziele hier nicht ausschließlich auf Personen, sondern genauso auf Denkweisen, Weltbilder und Vorstellungen. Denn woher kommen denn die Motivationen über deren Destruktionspotential wir hier diskutieren? Sie wurzeln in den Vorstellungen, Ängsten und Hoffnungen all derer, die so und nicht anders handeln. Daher auch mein Hinweis auf die unheilige Allianz von Patriarchat und Faschismus mit dem Ergebnis der Nekrophilie i.S. E.Fromms.

„Du hast an dem Punkt vorbei geschaut, weshalb ich Steven Spielberg einbrachte. Vielleicht weißt Du es auch einfach nicht: Steven Spielberg ist jüdischer Abstammung!"

Daß Steven Spielberg jüdischer Abstammung ist weiß ich. Warum sollte er nicht zum Sühnebewußtsein der (deutschen) Öffentlichkeit durch sein in meinen Augen gut gemachtes Werk facettenartig beitragen können? Wie gesagt, "moderner Kultur und Zivilisation" mangelt es noch weit an wahrer Menschlichkeit, oder etwa nicht?

Danke für die Geduld, die auch Du mit in die Debatte bringst.

23.) einziger weiblicher Kommentar zur Debatte (MV an WF):

Hi, in letzter Zeit hatte ich den Kopf zu voll mit anderen Sachen (...), um zu o.g. Subject eine durchdachte Stellungnahme zu schreiben. Aber ich wollte dir doch mal schnell schreiben, dass ich ganz gut verstanden habe, worum es dir ging - und es einfach nicht fassen konnte, was manche Leute da alles an üblen Absichten reindeuten! Es ist schon traurig: So beschissen, wie die Verhältnisse in der Welt sind, muss man immer noch mit blödsinnigem Geflame rechnen - selbst von anderen Linken - wenn man es wagt, nach den Ursachen zu fragen...

Aber die Debatte fand ich dann zumindest mal wieder gut und lesenswert, insofern fühl´ dich mal ruhig ermutigt, auch weiterhin über die Tagespolitik hinauszudenken.

Übrigens haben vor längerer Zeit schon Feministinnen darauf hingewiesen, dass die Nazis nicht überraschend (per Ufo oder so) in Deutschland auftauchten, sondern dass die dahinterliegende Denkweise eine lange Tradition in unserer "Kultur" hat. Das ist an Einzelpunkten auch konkret nachgewiesen worden, z.B. am Thema Bevölkerungspolitik u.a. von Ingrid Strobl (Strange Fruit), die wohl niemand verdächtigen mag, irgendwas verdrängen zu wollen, da sie auch sehr gute Bücher über den jüdischen Widerstand zur Nazizeit veröffentlicht hat (z.B. "Sag nie, du gehst den letzten Weg"). Auch in Bezug auf Psychiatrie und Umgang mit Behinderten ist die Tradition der Ausmerzungspolitik immer wieder aufgezeigt worden (z.B. Monika u. Götz Aly u. Morlind Tumler: Kopfkorrektur

 


 

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Emanzipation Humanum, Version 7. 2000, Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt, Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen nach Absprache möglich.

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