Das
gesellschaftliche "Abwehr"-System
Unser
Weltbild entscheidet über die Zukunft
von
Wolfgang Fischer
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Die
Aufgaben des Immunsystems biologischer Organismen liegen zum
einen
1.
im Erkennen von Gefahren und deren Eindämmen,
zum
andern
2.
im Abwehren von Schäden
und
schließlich
3.
im Erhalt der Integrität des Organismus
-
also alles in allem im Erhalt dessen, was wir allgemein
unter Gesundheit verstehen. Gesundheit ist hier nicht als
Zustand definiert, sondern als immerwährender
Prozeß, der entweder gefördert oder empfindlich
gestört werden kann.
Ein
Teil des körperlichen Immunsystems hat über den
langen Prozeß der Evolution gelernt, Fremdes von
Eigenem bzw. Förderliches von Störendem zu
unterscheiden. Es setzt diesen Lernprozeß im
individuellen Leben fort. Aus Erfahrung weiß"
es, was eine Gefahr oder Bedrohung darstellt und es
versucht, dieses Wissen vorbehaltlos laufend aktuell zu
halten, um adäquat und flexibel reagieren zu
können und so die individuelle Gesundheit vor
Schädigungen zu bewahren.
Die
Weiterentwicklung des Primatengehirns hat nun beim Menschen
ein geistiges, im Vergleich zur Tierwelt freies und
neues" Potential geschaffen, das es notwendig macht, zum
Schutz vor destruktiven und asozialen Gedankenwelten auch
für den Bereich der Ideen und Weltbilder eine Art von
Immunsystem zu entwickeln. Und so, wie die Lernprozesse der
körperlichen Abwehr auf den Erfahrungen der Evolution
basieren, ist für ein mentales Abwehrsystem die
Erfahrung der Menschheitsgeschichte grundlegend.
Wollen
wir aus der Geschichte lernen, so kommen wir nicht umhin,
den Realitäten ins Auge zu schauen. Dabei verabschieden
wir uns von ideologisch eingefärbten Fehlsichten. Das
Erkennen der Gefahren stellt für das Immunsystem des
Individuums die Voraussetzung für ihre Abwehr dar.
Gleiches gilt für den erfolgreichen Erhalt der
Integrität der Menschheit.
Das
mentale Immunsystem entwickelt sich dort ungestört, wo
rationale und körperliche Erfahrung miteinander
verbunden bleiben. In Naturvölkern laufen Wissenserwerb
und Lebenserfahrung parallel. Trancetechniken, ob durch
Drogen induziert oder durch Atemübungen, Tanz oder
Meditation, sorgen immer für ganzheitliches Erleben.
Ratio und Empfindung sind gleichwertig miteinander
verbunden, die Voraussetzungen für körperliche und
geistige Gesundheit bleiben bewahrt.
In
unserer modernen Gesellschaft, die sich als Zivilisation
gegenüber allem Naturgebundenen abzuheben versucht, ist
ein Ungleichgewicht entstanden: die Ratio ist gegenüber
der Empfindung überbewertet, Gefühle und
Empfindungen sind negativ besetzt, gelten als
weibisch'oder schwächlich. Historisch betrachtet
begann diese Entwicklung - folgen wir der
Saharasia-These
von James DeMeo - vor etwa 4000 Jahren, als drastische
Klimaveränderungen von Afrika bis Asien friedlich
lebende Gesellschaften zu neuen Formen des Zusammenlebens
zwangen. Ob es tätsächlich diese
Veränderungen waren oder aber auch andere
Umstände, die zu einem Überbewerten der Ratio
gegenüber der Empfindung führten, wissen wir
letztlich nicht. Jedenfalls brachte die Vormachtstellung der
Ratio gegenüber der Empfindung wachsende intellektuelle
Fähigkeiten hervor. Diese verselbstständigten sich
im Laufe der Zeit jedoch und verloren ihren Bezug zu den
fundamentalen Lebensnotwendigkeiten. Dieser Verlust ist
nichts anderes als der Verlust unserer eigentlichen und
natürlichen Religion. Eine Zunahme der
Aggressivität bis hin zur offenen und bewußten
Destruktion der Natur wurde nur möglich durch ein
letztendlich systematisches Ausschalten der sensiblen
Achtung und Ehrfurcht vor dem Leben durch die Kaltherzigkeit
des menschlichen Intellekts.
Mit
diesem Empfindungsverlust ist ein natürliches Regulativ
verloren gegangen, so daß das Ungleichgewicht sich bis
ins krankhaft Destruktive verstärkt: der individuelle
Schmerz wird negiert, der soziale Schmerz wird aus der
Realität ausgeblendet. Das
Sterben der Artenvielfalt, die zunehmende
Ungenießbarkeit von Wasser, Luft und Nahrungsmitteln
samt der daraus resultierenden
Krankheiten
- all diese natürlichen Regulative in unserer Existenz
werden rationalisiert und bleiben dem Mit-Gefühl
unzugänglich. Damit verfehlen sie ihre eigentliche
Aufgabe, uns aufzurütteln und zur Änderung einer
alles verbrauchenden Lebensweise anzuhalten. Die innere
Kraft der Empfindung, die uns aufwecken und bewegen
könnte, ist abgetötet und kaltgestellt. Schmerz
und Freude als wichtige Leitplanken des Lebens"
bleiben unbeachtet. Der Quell lebensbereichernder
Intuitionen erstickt unter einem nur noch (be)rechnenden
Verstand.
So
wie der Schmerz als Regulativ von schädlichem Handeln
abhalten möchte, so will die Empfindung von Freude und
Glück richtiges (=evolutionär vorteilhaftes)
Handeln belohnen. Schmerz und Freude wollen den Menschen auf
einem sicheren Weg leiten. Ihre Fehlbarkeit liegt allein
darin, daß sie möglicherweise nicht beachtet
werden, weil wir auf anderweitige, rational-intellektuell
begründete Interessen konzentriert sind. Damit
lösen wir uns von der Realität des Augenblicks der
Empfindung und geben uns einer Orientierungslosigkeit im
Raum der Beliebigkeit preis, die der Illusion den Weg
bereitet. Die Illusionen zivilisierter' menschlicher
Gesellschaften stellen insofern einen Realitätsverlust
dar, als dass die Verflochtenheit allen Lebens und die
daraus resultierende Notwendigkeit eines globalen
Miteinanders nicht mehr oder zu wenig wahrgenommen und
berücksichtigt werden. Hierdurch wird ein sinnvolles
Reagieren und Handeln zunehmend erschwert.
Illusionen
als Visionen, die zu Realitätsverlust führen -
wodurch werden sie begünstigt?
Unsere
Neugeborenen sind im Vergleich zu denen anderer Arten am
wenigsten ohne Hilfe überlebensfähig und am
längsten auf einen nachgeburtlichen Lernprozeß
angewiesen. Das angeborene genetische Programm reicht beim
Menschen im Gegensatz zu den meisten Tierarten nicht aus, um
ein Überleben zu sichern. Und Kultur hat es noch nicht
gechafft, das soziale Gewissen im Sinne eines globalen
Überlebens zu schärfen.
In
der Tierwelt sorgen genetische Programme für ein
Überleben des Individuums und sichern damit auch den
sozialen Zusammenhang. Der Mensch hingegen wird in ein
mentales Vakuum" hineingeboren. Sein Großhirn
muß sich über einen Lernprozeß erst mit
Vorstellungen und Bildern der Realität füllen.
Damit Realität und Vorstellung übereinstimmen und
ein illusionäres Verkennen vermieden wird, ist ein
freies Lernen notwendig, ein Erfahren-Können ohne
dogmatische Einengungen oder gar Verbote. Allein ein
solchermaßen freier Erfahrungsprozeß garantiert
eine sinnvolle geistig-kulturelle Entwicklung.
Der
Zwang zum Glauben an vorgefaßte Bilder hingegen
verhindert die authentische Abbildung der Realität in
unseren Gehirnen, Vorstellungen und Träumen. Er
führt durch Verzerrung bei der Wahrnehmung zum Verlust
an Wahrhaftigkeit und damit zwangsläufig in die
Illusion, die sich bis zum Wahnsinn steigern kann.
Und
da auch die Realität einem fortlaufenden
Wandlungsprozeß unterworfen ist, verstärkt sich
das Ausmaß der illusionären Verkennung, je mehr
die mentalen Bilder und Vorstellungen dogmatisch zementiert
werden, also unveränderbar bleiben sollen.
Hier
zeigt sich, daß weiterführende politische
Ansätze sich der Frage nach dem Weltbild, insbesondere
nach der Religion stellen müssen, da es deren geistigen
Potentiale sind, die letztendlich die gesellschaftliche
Realität - im Irrsinn wie im Gesunden - prägen.
Im
christlichen Bereich führt die Vorstellung eines
Gottes, der nur den Fleißigen und Reichen liebt, zur
rücksichtslosen Ausbeutung der lebendigen wie der toten
Ressourcen unseres Planeten. Die Vorstellung von einem
erlösenden Messias bindet Selbstheilungsenergien in
lähmendem Fatalismus. Die Vorstellung von einem Gott,
der ein auserwähltes Volk bevorzugt, verhindert selbst
nach der Erfahrung des Holocaust einen Lernprozeß zur
toleranten Friedfertigkeit und gleichberechtigten
Kooperation mit Menschen, die ihrer Heimat beraubt sind. Die
Vorstellung von einem Gott, der mit Feuer und Schwert
für seine Ideen kämpft, begünstigt den
Wahnsinn des Heiligen Krieges. Die Vorstellung von einem
männlichen Gott wird zur Benachteiligung der Frauen
eingesetzt. Die Vorstellung von einem Gott außerhalb
unserer individuellen Existenz beraubt uns unserer eigenen
Verantwortung. Die mechanische Karma-Vorstellung
begünstigt den Erhalt des status quo: die Niedrigen
haben es sich selbst verdient, die Oberen sonnen sich in
Selbstgerechtigkeit! Die Vorstellungen von Reinkarnation,
von Wiedergeburten, überbewerten ein individuelles ICH
zu ungunsten einer transpersonalen Realität', der
Verbundenheit allen Seins. Die Vorstellung, getrennt von der
Natur zu existieren und über diese herrschen zu wollen,
pervertiert den Selbsterhaltungstrieb zu empfindungs- und
gnadenloser Machtsucht.
Wenn
wir Gott zunächst beiseite lassen und unsere
menschliche Existenz in ihren natürlichen Bedingtheiten
in den Mittelpunkt unseres Denkens und Forschens stellen,
können wir lernen, uns selbst gerecht zu werden, unsere
Lebensbedingungen zu fördern und unsere Zukunft zu
gewährleisten.
Nehmen
wir die überall im Kosmos gültigen und wirkenden
Naturgesetze und grübeln wir an dieser Stelle nicht
weiter über ihr Entstehen nach. Konzentrieren wir uns
auf das
Leben, von dem die Physiker uns sagen, daß es seine
Existenz auf diesem Planeten allein der Lichtenergie der
Sonne und deren Ordnungsvermögen
verdankt.
Bis zur Entstehung des Menschen hat diese Ordnungskraft -
der Entropie trotzend - ein Kontinuum fein aufeinander
abgestimmter Gleichgewichtsprozesse entfaltet. Sie sind
dadurch gekennzeichnet, daß sie insgesamt ihre
zugrundeliegende Potentialität fördern. Dadurch
entsteht eine Entwicklung vom Einfachen zum hochkomplex
Vielfachen, die ihre Richtung und Justierung
(=Gerechtigkeit) durch Rückkoppelungsprozesse
(=Religion) bewahrt.
Mit
dem Menschen ist quasi eine neue Waage im Natur-Geschehen
entstanden, die noch immer ihre Gleichgewichtsfindung nicht
voll als Aufgabe und Voraussetzung ihrer weiteren Existenz
begriffen hat: menschliche Vorstellungen, die sich im Laufe
der Geschichte herauskristallisiert haben, siedeln noch
mehrheitlich in Bereichen, denen die Zusammenhänge der
Biosphäre verborgen geblieben sind. Ja, viele werden
nach wie vor dazu benutzt, diese Zusammenhänge zu
zerstören. Damit greift die zivilisierte'
Menschheit ihre eigene Existenzgrundlage an: ein Verhalten,
das in letzter Konsequenz als geisteskrank' bezeichnet
werden kann. Die aufgezählten Beispiele religiöser
und anderer Fehlvorstellungen haben gemein, daß ihnen
allen eine ganzheitliche Zielrichtung fehlt und sie daher,
im Hinblick auf die tatsächlichen Gegebenheiten,
destruktiv sind.
Ein
vereinfachendes und verfälschendes Bild der realen
Verhältnisse entsteht auch, wenn wir der
Rationalität, wie allgemein üblich, die
Irrationalität gegenüber stellen und dadurch die
empfindsame und gefühlsmäßige Komponente
unseres Daseins unberücksichtigt lassen. Denn
rationales Handeln allein heißt noch lange nicht, in
einem übergeordneten und ganzheitlichen Sinne richtig
zu handeln. Irrationalität zeigt sich überall
dort, wo sich rationale Unwahrhaftigkeit mit Unstimmigkeit
auf der Gefühlsebene kombiniert. Wohingegen rationale
Wahrhaftigkeit und empfindungsmäßige Stimmigkeit
zu emotionaler Intelligenz' führen. Der auf
emotionalen und/oder mentalen Defiziten begründeten
Irrationalität steht die emotionale Intelligenz humaner
Reife gegenüber.
Solidarität
mit dem Leben erst beweist menschliche Reife.
Durch
Aktivieren und Nutzen aller rationalen wie sensiblen
Potentiale können wir den Zusammenhang der
übergeordneten Naturgesetze begreifen und akzeptieren
lernen. Und wir müssen lernen, sie zu befolgen, denn
sie sind unsere tatsächlichen Wurzeln und sichern unser
Überleben.
Allerdings
muß sich unser Blickwinkel dabei global weiten. Wenn
er auf elitäre Interessen beschränkt bleibt,
verletzen wir den Zusammenhang, die Ganzheit und Gesundheit
der Natur und verpassen unser Heil.
Die
Menschheitsgeschichte ist gekennzeichnet von Beispielen
dafür, wie im Dienste elitärer Minderheiten
Teil"-Erkenntnisse als Instrument gegen andere
eingesetzt werden. Ein solches ausbeuterisches Verhalten
erzeugt heute mehr als nur ein begrenztes Dilemma: es
türmt globale Bedrohungen vor uns auf. Und es kann nur
durch offene Wahrnehmung überwunden werden. Allein die
exakte Kenntnis der globalen Lebensgesetze kann sich in
ganzheitlichen ethischen Werten einer wahrhaft menschlich
gewordenen Kultur niederschlagen. Eine solche Kultur erkennt
nicht nur Klitorisbeschneidung oder Kannibalismus als
widernatürlich, sondern ebenso auch Kolonialismus,
Neo-Liberalismus und alle anderen
pseudoreligiös-ideologisch-ethischen Vorstellungen, die
gemessen am globalen Überleben allesamt kontraproduktiv
sind. Eine solche Wahrnehmung ist die Basis eines globalen
Humanismus, der sich seines Eingebettetseins in die
Bedingungen des Lebens und Überlebens voll bewußt
ist und der sein Handeln dementsprechend im Sinne aller
Beteiligten verantwortet.
Hier,
so denke ich, muß die politische Vision ansetzen, will
sie die gesellschaftliche Entwicklung in Richtung einer
weltumfassenden Solidarität unterstützen.
Politische Programme sind nur dann sozial förderlich,
wenn sie der Lebensrealität und deren Herausforderungen
gerecht werden. Religionen sind nur dann kultur-bildend,
wenn sie den Menschen wahrhafte, nachvollziehbare und
weiterführende Antworten auf ihre Fragen bieten.
Emanzipation/Befreiung und ein gesundes Weiterentwickeln
setzen geistige Beweglichkeit und Lernbereitschaft
voraus.
Dogmatismus
behindert das geistige Wachstum
Althergebrachte,
fundamentalistische und dogmatische Antworten bergen die
große Gefahr, im Laufe der Zeit rational unwahr zu
werden, wie die Irrationalität der Metaphysik. Wenn
für den christlichen Bereich überliefert ist,
wir sollten wieder so wie die Kinder werden', dann
zielt das auf deren geistige Freiheit, auf deren kindlich
großes Vorstellungsvermögen, auf deren
Fähigkeit zu staunen und zu glauben. Wir sollten unsere
inneren Visionen wieder wahr-nehmen können und ihnen
Glauben schenken. Visionen sind kulturübergreifend
ähnliche Blicke auf die Zukunft. Sie sind genährt
von der Hoffnung der Menschenseele auf Solidarität
unter den Menschen und mit der Natur. Wenn wir unseren
tiefverwurzelten Visionen und Hoffnungen von Frieden und
Geborgenheit wirklichen Glauben schenken, dann gewinnen wir
die Chance zurück, sie auch zu verwirklichen.
Es
ist genau dieser, von vorgefaßten Vorstellungen freie
und unverdorbene Glaube an uns und unsere inneren
Potentiale, der von den religiösen Institutionen der
Welt mißbraucht wird. Religiöse wie auch
politische Bevormundung vergewaltigen das
Göttliche' im Menschen und überall und
bringen mit dem Zwang zum Glauben an vorgefertigte fixe
Ideen den Unmenschen hervor, das 'eigentlich Böse'.
Erzwungenes Unterwerfen sichert mit der
gewalt-süchtigen Machtausübung den Fortbestand der
Zwietracht.
Kindlicher
Glauben" ermutigt, stärkt die eigene Meinung und
führt zu wachsender Bereitschaft, sich aktiv in Fragen
von öffentlichem Belang einzumischen. Das wird heute
immer notwendiger, da die politischen Parteien nur noch
vorgeben, sich um das Allgemeinwohl zu bemühen. Sie
haben längst solidaritätsfördernde Visionen
aus ihrem Blickfeld verloren. Sie haben sich
selbstgefällig dem Diktat des Finanzkapitals
unterworfen und versuchen, diese Unterwerfung in globaler
Dimension als alternativlos weil naturgesetzlich'
hinzustellen. Sie werden weiter in dem Maße an
Glaubwürdigkeit verlieren wie die einseitige
neo-liberale' Interessenpolitik mit ihrem
selbstgewählt eingeschränkten Horizont in
spiritueller Fehlorientierung die gesellschaftliche
Misere weiter in die Verelendung treibt.
Mit
dem Hunger der Menschen nach Antworten auf ihre sozialen
Probleme und Fragen wächst freilich auch die Gefahr
verantwortungsloser Antworten. Um die Gesellschaft gegen
diese Gefahr zu immunisieren, gilt es Visionen zu
fördern, die Zusammenhänge und Hintergründe
deutlich werden lassen. Eine kritische Meinungsbildung im
Sinne meiner obigen Ausführungen könnte zu einem
effektiven gesellschaftlichen Abwehrsystem gegen Mensch
gemachte Lebensgefährdungen heranreifen. Meine Hoffnung
ist, daß es noch genügend viele Intellektuelle
gibt, die sich aufgrund ihrer mentalen Flexibilität und
emotionalen Empathie als Vermittler der Botschaft eignen:
Alles Leben stammt aus der gleichen Quelle, und allgemeine
Kooperation ist die Basis einer gesunden Zukunft. Eine
kooperative Konkurrenz dient durch Optimieren der
gesellschaftlichen Normen der Realisierung des neu
gesteckten Ziels einer nachhaltigen Welt-Gesellschaft. Diese
ist mit dem Paradies der Religionen identisch.
Aufbauend
auf den Naturgesetzen und den Erfordernissen
ökosozialer Gesundheit zeichnet die hier dargestellte
Vision das Bild einer Gegenwart, derer der Mensch sich nicht
mehr schämen muß. Dafür ist freilich nicht
nur ein verändertes Bewußtsein entscheidend,
sondern auch ein dementsprechendes Handeln.
Die
Vision vom weltumfassenden Frieden, die Verbundenheit allen
Seins
Das
Fundament sittlichen Handelns ist die Erkenntnis der
Wirklichkeit als menschliche Voraussetzung für eine
blühende Zukunft. Ein anderes Wort für
Erkenntnis der Wirklichkeit' ist Mystik. Leider ist
Mystik ein noch kaum verbreitetes und allgemein akzeptiertes
Thema unter jenen Menschen in den Schaltzentren der Macht,
die versuchen, die Zukunft planen. Für viele
Naturvölker mit ihrem mündlich überlieferten
traditionellen Wissen und für Menschen mit der
Fähigkeit zu Mitgefühl war Mystik jedoch noch nie
etwas Fremdartiges. Leider übersieht das
wissenschaftliche Weltbild noch immer die Möglichkeiten
und den Wert einer inneren Wahrnehmung" und
läßt folglich grundlegende Zusammenhänge
außer Acht. Von daher rührt eine Respektlosigkeit
vor der Verbundenheit allen Seins, das Mißachten des
Allgemeinwohls. Das Unterstützen von
Teil"-Interessen aufkosten des Gesamtinteresses des
Lebens ist ein entscheidender Fehler, der die Tyrannei der
Macht oder Mehrheit weiterhin stärkt und eine
lebensgefährliche Bedrohung für uns alle
darstellt. Der Einsatz von Waffen zur Entscheidungsfindung
in Streitfragen hat mit Zukunftssicherung nichts
gemein. Krieg und Terror sind Ausdruck eines
süchtig-krankhaften Festhaltens an einer vernichtenden
und völlig verkommenen Lebensweise. Sie schaffen noch
mehr Unsicherheit - nie Frieden.
Hier
sehe ich weltweit die Kritiker einer konzerngesteuerten
Globalisierung, die Anti-WTO-Aktivisten, attac, ai,
Greenpeace, weed, zivile Friedenskräfte - um nur einige
Gruppierungen einer sich von unten her organisierenden
partizipatorischen Gesellschaft zu nennen - auf alternativen
und ergänzenden Wegen hin zu basisorientierter
Demokratie oder auch anderen Formen und Facetten eines
gewaltfreien gesellschaftlichen Zusammenlebens.
Freiheit,
Gleichheit, Brüderlichkeit!" war das Motto einer
Revolution in Europa.
Heute
kann dieses Motto mit der Erweiterung: Toleranz,
Gerechtigkeit und sozial-ökologische
Verträglichkeit" eine weltweite Bewegung der
Solidarität koordinieren, um dem einseitig
wirtschaftlich ausgerichteten Globalisierungstreiben eine
Gegenkraft entgegen zu setzen. Das neoliberale Dogma der
Konkurrenz aller Lebensbereiche zum Vorteil des Kapitals
führt direkt in den allgemeinen Untergang.
Erst
ein schonungsloses intellektuelles und emotionales Bewerten
des herrschenden Systems der heilig gesprochenen Gier und
Lüge und der Glorifizierung der Destruktion und des
Todes, das uns immer von Neuem in eine wachsende Misere
führen würde, hat ein Bewusstwerden unserer wahren
Verhältnisse zur Folge. Und allein das kann Engagement
und Kräfte für Veränderung zum Besseren auf
allen Ebenen gesellschaftlichen Wirkens freisetzen, auch in
den Herzen und Köpfen von Politikern und
Konzernvorständen. Die Empfindung der Dringlichkeit und
schieren Größe der globalen Notlage stellt alle
Menschen, ohne jede Ausnahme automatisch vor einen
moralischen Imperativ, der dazu auffordert und legitimiert,
widersprechende Gesetze und Sitten zu brechen. Wenn alle,
die sich ähnlich betroffen fühlen und daher
ähnlich motiviert sind, in geeinter und gleichsinniger
Anstrengung Veränderung bewirken wollen - wie
beispielsweise das praktische Umsetzen des
Verursacherprinzips -, kann daraus, wenn dies gleichzeitig
überall auf dem Globus geschieht, eine simultane
Politik (SP) entstehen, mit deren Hilfe Entscheidungen von
sozial-ökologischer Relevanz überall auf der Welt
gleichzeitig getroffen werden. Dadurch werden synergistisch
zwei entscheidende Fehler des derzeitigen Politsystems
überwunden: die vernichtende Konkurrenz und das
Bevorzugen einzelner auf Kosten der Allgemeinheit und der
Umwelt. Keine Nation, kein Konzern, kein Volk und kein
einzelner Mensch muß dabei ins Hintertreffen
geraten.
Simultane
Politik ist ein Quantensprung hinsichtlich der
Qualität eines gesellschaftlichen Handelns, das sich an
globaler Verantwortung orientiert. Probleme
könnten tatsächlich gelöst werden, der Hunger
von der Erde vertrieben werden und mit ihm alle destruktiven
Aspekte des gegenwärtig herrschenden
Gesellschaftssystems. Eine Konzentration auf solidarische
Werte in globaler Perspektive wird das Immunsystem der
Menschheit unterstützen. Das Lebenspotential wird
wieder gestärkt, indem den reaktionären,
patriarchalen Mächten der Entfremdung und Ausbeutung -
seien sie durch TNK (Transnationale Konzerne), Despoten oder
ideologisch-religiöse Fehlvorstellungen in ihren
vielfältigsten Ausprägungen verkörpert -
jegliche Unterstützung entzogen wird. Mithilfe der frei
werdenden Mittel können wir weltweit die
menschgemachten Bedrohungen der Gesundheit unseres Planeten
und seiner Bewohner abzubauen beginnen. Mentale Programme,
welche die natürlichen Abhängigkeiten des Menschen
akzeptieren, gewinnen neue, kreative Möglichkeiten und
gehen von der selbstverständlichen
Durchführbarkeit einer sozial-ökologischen
Alternative aus - denn sie ist unser aller einzige Chance
auf eine offene Zukunft.
Wir
beginnen, aktiv am Erhalt der Integrität des
Lebens zu arbeiten. Bei aller Fehlerfähigkeit des
Menschen reift das natürliche Leitsystem der Empfindung
von Schmerz und Freude - befreit von emotionaler Entfremdung
und dogmatischer Verblendung - zu einem mentalen Immunsystem
heran. Ausdruck und Merkmal eines funktionsfähigen
mentalen Immunsystems sind Empfindungen und Intuitionen, die
uns davor schützen, aus menschlichen Fehlern
unmenschliche Systeme zu machen.
--
> Paul Hawken: Blessed
Unrest
Simultane
Politik ISPO:
http://www.simpol.org/dossiers/dossier-Al/html-Al/interface-Al.html
oder kurz: http://emanzipationhumanum.de/downloads/simpol.pdf
siehe
auch: Was
können wir wirklich wissen? Naturwissenschaftliche
Erkenntnis und Erfahrung von
Wirklichkeit,
Hans Peter Dürr
weitere
Beiträge: http://emanzipationhumanum.de/deutsch/titel.html#1
und:
http://mensch-sein.de
(
englisch
) (spanisch
)
Emanzipation
Humanum,
Version 12. 2003 , Kritik, Anregungen zu Form und Inhalt,
Dialog sowie unveränderter Nachdruck bei Quellenangabe
und Belegexemplar erwünscht. Übersetzung in andere
Sprachen erwünscht. Kürzungen und Änderungen
nach Absprache möglich.
http://emanzipationhumanum.de/deutsch/vision7.html
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